Ein Zufallsfund führt auf die Spur von Angehörigen der SS-Sonderformation Dirlewanger: Die Henker von Wola

Ein Zufallsfund führt auf die Spur von Angehörigen der SS-Sonderformation Dirlewanger: Die Henker von Wola

Die deutsche Justiz soll eine Reihe von Personen vor Gericht bringen, die mutmaßlich an Verbrechen während des Warschauer Aufstands im Sommer 1944 beteiligt waren. Das fordert Janusz Kurtyka, der Leiter des polnischen Instituts des Nationalen Gedenkens. Es wäre vermutlich der letzte Versuch, diese NS-Verbrechen in der Bundesrepublik strafrechtlich zu ahnden.Durch einen Zufall wurden die polnischen Behörden auf die heute über achtzigjährigen Männer aufmerksam. Auf der Suche nach Zeitzeugen erhielt das Warschauer Aufstandsmuseum vom Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes in München die Namen und Adressen von etwa achtzig Angehörigen der SS-Sonderformation Dirlewanger, die in den fünfziger Jahren aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrten. Zwei Jahre lang lagen die Karteikarten unbeachtet in der Sammlung des Museums, bis ein Journalist der Tageszeitung "Rzeczpospolita" darauf stieß und anhand des Telefonbuchs feststellte, dass noch einige dieser Personen in der Bundesrepublik leben.Die Sonderformation Dirlewanger gehörte zu den berüchtigtsten Verbänden der SS. Auf Befehl Heinrich Himmlers wurde sie 1940 in Oranienburg aus Wilddieben aufgestellt. Ihr Kommandeur Dr. Oskar Dirlewanger, ein notorischer Trinker, Betrüger und verurteilter Kinderschänder, war auch innerhalb der SS umstritten. Seine Truppe war eine marodierende Soldateska, die im Kampf gegen Partisanen in Polen und Weißrussland ganze Dörfer niederbrannte, plünderte, vergewaltigte und mordete. Der Gestapochef von Lublin bezeichnete den Landsknechthaufen als eine "Landplage". Die Truppe entwickelte sich zu einer Bewährungseinheit für verurteilte SS-Mitglieder und Wehrmachtsangehörige. Ab 1942 wurden auch KZ-Häftlinge rekrutiert.Dirlewanger führte die Einheit mit brutaler Disziplin. So schreckte er auch nicht davor zurück, eigene Männer zu erschießen. Für Himmler war die Mörderbande ein ideales Instrument, um den Warschauer Aufstand niederzuschlagen. Die polnische Heimatarmee kämpfte seit dem 1. August 1944 darum, die Hauptstadt noch vor dem Einmarsch der Roten Armee von den deutschen Besatzern zu befreien. Die Wehrmachts-, SS- und Polizeieinheiten gingen brutal gegen die Aufständischen und die Zivilbevölkerung vor. Besonders in den ersten Augusttagen verübten die vom Höheren SS- und Polizeiführer Heinz Reinefarth kommandierten Verbände in den Stadtteilen Wola und Ochota zahlreiche Massaker. Allein in Wola ermordete die Dirlewanger-Einheit schätzungsweise 30 000 Menschen. Die Gewaltexzesse und Plünderungen wurden schließlich von Erich von dem Bach-Zelewski, Himmlers "Chef der Bandenkampfverbände", unterbunden, da sie die Disziplin in der Truppe bedrohten.Die rücksichtslose Kampfweise der selbsternannten "Sturmbrigade" führte zu hohen Verlusten in der Dirlewanger-Einheit, die mit SS- und Wehrmachtsangehörigen aus Militärgefängnissen, aber auch KZ-Häftlingen aus Sachsenhausen aufgefüllt wurde. Für den Einsatz in Warschau erhielt Dirlewanger, den Himmler als "braven Schwaben" lobte, das Ritterkreuz. Seine Einheit, die noch 1945 zur 36. Waffen-Grenadier-Division der SS erhoben worden war, wurde vor Kriegsende von der Roten Armee im Raum Halbe eingekesselt. Dirlewanger hatte sich da bereits nach Südwestdeutschland abgesetzt. In französischer Kriegsgefangenschaft wurde er in einem Racheakt von Polen zu Tode gefoltert.Für die während des Warschauer Aufstands begangenen Verbrechen verurteilten bundesdeutsche Gerichte bloß zwei rangniedrige Angehörige der Waffen-SS. Erich von dem Bach-Zelewski bot sich im Nürnberger Prozess der Anklage als Zeuge an. Gegen ihn wurde auch später nicht als Oberbefehlshaber der deutschen Einheiten bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstands ermittelt. Mehrere Versuche, Heinz Reinefarth wegen der Massaker in Wola und Ochota anzuklagen, scheiterten in den sechziger Jahren. Als Bürgermeister von Westerland und späterer Abgeordneter des "Blocks der Heimatvertriebenen und Entrechteten" im Landtag von Schleswig-Holstein gelang ihm eine beachtliche politische Nachkriegskarriere. In den Vernehmungen schoben von dem Bach-Zelewski und Reinefarth die Schuld für die Gewaltexzesse Dirlewanger und anderen verstorbenen Kommandeuren zu.In Polen besteht großes Interesse daran, dass gegen die "Henker von Wola" noch ermittelt wird. In der Volksrepublik manipulierten die Kommunisten das Gedenken an den Warschauer Aufstand, der immer auch ein politisches Symbol gegen die erneute sowjetische Besatzung Polens war. Dank einer gezielten Geschichtspolitik ist der Aufstand in den letzten Jahren zu einem zu einem nationalen Symbol für den Kampf Polens gegen zwei Diktaturen im 20. Jahrhundert geworden. Inzwischen hat sich das Institut des Nationalen Gedenkens, das Dokumente aus der NS-Zeit und der Volksrepublik verwahrt, aber auch für die Strafverfolgung von Verbrechen gegen das polnische Volk zuständig ist, eingeschaltet und die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg um Unterstützung gebeten. Bei den Staatsanwälten in Ludwigsburg ist jedoch noch kein Rechtshilfeersuchen eingegangen. "Wir haben das Institut des Nationalen Gedenkens um Informationen zu den betreffenden Personen gebeten", erklärt der stellvertretende Leiter der Zentralen Stelle, Joachim Riedel. "Dann werden wir prüfen, ob gegen sie bereits ermittelt wurde und sie vernehmen."Dass es tatsächlich noch zu Strafprozessen kommen wird, ist unwahrscheinlich. Dokumente, mit denen sich die Verbrechen einzelnen Männern der Dirlewanger-Einheit zuordnen lassen, gibt es nicht, und die wenigen noch lebenden Zeugen werden nach mehr als sechzig Jahren die Täter kaum zweifelsfrei identifizieren können. Mit ihren Ermittlungen würde die deutsche Justiz dennoch ein wichtiges Zeichen setzen, dass die die Verbrechen bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstands, der noch immer im Schatten des Ghetto-Aufstands vom Frühjahr 1943 steht, nicht vergessen sind.------------------------------Selbst der Gestapochef von Lublin bezeichnete die marodierende Dirlewanger-Truppe als eine "Landplage".------------------------------Foto : SS-General Dr. Oskar Dirlewanger, ein verurteilter Betrüger und Kinderschänder, befehligte eine der berüchtigtsten SS-Einheiten.