The Project Gutenberg eBook of Peter Camenzind, by Hermann Hesse

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Title: Peter Camenzind

Author: Hermann Hesse

Release Date: October 14, 2012 [EBook #41051]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PETER CAMENZIND ***




Produced by Jens Sadowski





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Peter Camenzind
von
Hermann Hesse
Achtundf�nfzigste Auflage

S. Fischer, Verlag, Berlin
1911

Alle Rechte vorbehalten

Meinem Freund Ludwig Finckh

Peter Camenzind

I.

Im Anfang war der Mythus. Wie der gro�e Gott in den Seelen der Inder, Griechen und Germanen dichtete und nach Ausdruck rang, so dichtet er in jedes Kindes Seele t�glich wieder.

Wie der See und die Berge und die B�che meiner Heimat hie�en, wu�te ich noch nicht. Aber ich sah die blaugr�ne glatte Seebreite, mit kleinen Lichtern durchwirkt, in der Sonne liegen und im dichten Kranz um sie die j�hen Berge, und in ihren h�chsten Ritzen die blanken Schneescharten und kleinen, winzigen Wasserf�lle, und an ihrem Fu� die schr�gen, lichten Matten, mit Obstb�umen, H�tten und grauen Alpk�hen besetzt. Und da meine arme, kleine Seele so leer und still und wartend lag, schrieben die Geister des Sees und der Berge ihre sch�nen k�hnen Taten auf sie. Die starren W�nde und Fl�hen sprachen trotzig und ehrf�rchtig von Zeiten, deren S�hne sie sind und deren Wundmale sie tragen. Sie sprachen von damals, da die Erde barst und sich bog und aus ihrem gequ�lten Leibe in st�hnender Werdenot Gipfel und Grate hervortrieb. Felsberge dr�ngten sich br�llend und krachend empor, bis sie ziellos vergipfelnd knickten, Zwillingsberge rangen in verzweifelter Not um Raum, bis einer siegte und stieg und den Bruder beiseite warf und zerbrach. Noch immer hingen von jenen Zeiten her da und dort hoch in den Schl�ften abgebrochene Gipfel, weggedr�ngte und gespaltene Felsen, und in jeder Schneeschmelze f�hrte der Wassersturz hausgro�e Bl�cke nieder, zersplitterte sie wie Glas oder rannte sie mit m�chtigem Schlage tief in weiche Matten ein.

Sie sagten immer dasselbe, diese Felsberge. Und es war leicht sie zu verstehen, wenn man ihre j�hen W�nde sah, Schicht um Schicht geknickt, verbogen, geborsten, jede voll von klaffenden Wunden. „Wir haben Schauerliches gelitten,“ sagten sie, „und wir leiden noch.“ Aber sie sagten es stolz, streng und verbissen, wie alte unverw�stliche Kriegsleute.

Jawohl, Kriegsleute. Ich sah sie k�mpfen, mit Wasser und Sturm, in den schauerlichen Vorfr�hlingsn�chten, wenn der erbitterte F�hn um ihre alten H�upter br�llte und wenn die Bachst�rze frische, rohe St�cke aus ihren Flanken rissen. Sie standen mit trotzig gestemmten Wurzeln in diesen N�chten, finster, atemlos und verbissen, streckten dem Sturm die zerspaltenen Wetterw�nde und H�rner entgegen und spannten alle Kraft in trotzig geduckter Sammlung zusammen. Und bei jeder Wunde lie�en sie das grausige Rollen der Wut und Angst vernehmen, und durch alle fernsten R�fenen klang gebrochen und zornig ihr schreckliches St�hnen wieder.

Und ich sah Matten und H�nge und erdige Felsritzen mit Gr�sern, Blumen, Farnen und Moosen bedeckt, denen die alte Volkssprache merkw�rdige, ahnungsvolle Namen gegeben hatte. Sie lebten, Kinder und Enkel der Berge, farbig und harmlos an ihren St�tten. Ich bef�hlte sie, betrachtete sie, roch ihren Duft und lernte ihre Namen. Ernster und tiefer ber�hrte mich der Anblick der B�ume. Ich sah jeden von ihnen sein abgesondertes Leben f�hren, seine besondere Form und Krone bilden und seinen eigenartigen Schatten werfen. Sie schienen mir, als Einsiedler und K�mpfer, den Bergen n�her verwandt, denn jeder von ihnen, zumal die h�her am Berge stehenden, hatte seinen stillen, z�hen Kampf um Bestand und Wachstum, mit Wind, Wetter und Gestein. Jeder hatte seine Last zu tragen und sich festzuklammern, und davon trug jeder seine eigene Gestalt und besondere Wunden. Es gab F�hren, denen der Sturm nur auf einer einzigen Seite �ste zu haben erlaubte, und solche, deren rote St�mme sich wie Schlangen um �berh�ngende Felsen gebogen hatten, soda� Baum und Fels eins das andere an sich dr�ckte und erhielt. Sie sahen mich wie kriegerische M�nner an und erweckten Scheu und Ehrfurcht in meinem Herzen.

Unsere M�nner und Frauen aber glichen ihnen, waren hart, streng gefaltet und wenig redend, die besten am wenigsten. Daher lernte ich die Menschen gleich B�umen oder Felsen anschauen, mir Gedanken �ber sie zu machen und sie nicht weniger zu ehren und nicht mehr zu lieben als die stillen F�hren.

Unser D�rflein Nimikon liegt auf einer dreieckigen, zwischen zwei Bergvorspr�nge geklemmten schr�gen Fl�che am See. Ein Weg f�hrt nach dem nahen Kloster, ein zweiter nach einem viereinhalb Stunden entfernten Nachbarort, die �brigen am See gelegenen D�rfer erreicht man zu Wasser. Unsere H�user sind im alten Holzstil erbaut und haben kein bestimmtes Alter, es kommen fast niemals Neubauten vor und die alten H�uslein werden je nach Bed�rfnis st�ckweise repariert, dies Jahr die Diele, ein andermal ein St�ck am Dach, und mancher halbe Balken und manche Latte, die fr�her einmal etwa zur Stubenwand geh�rt haben, findet man jetzt als Sparren im Dach und wenn sie auch dazu nimmer dienen und doch noch zu gut zum Verbrennen sind, so kommen sie das n�chste mal beim Flicken des Stalls oder Heubodens oder als Querlatte an der Haust�re zur Verwendung. �hnlich ist es mit den darin Wohnenden selber; jeder spielt so lang er kann seine Rolle mit, tritt dann z�gernd in den Kreis der Unbrauchbaren und taucht schlie�lich ins Dunkel unter, ohne da� viel Aufsehens davon gemacht w�rde. Wer nach jahrelanger Fremde zu uns heimkehrt, findet nichts ver�ndert, als da� ein paar alte D�cher erneuert und ein paar neuere alt geworden sind; die Greise von ehemals sind zwar dahin, aber es sind andere Greise da, welche die gleichen H�tten bewohnen, die gleichen Namen tragen, dasselbe dunkelhaarige Kindervolk bewachen und an Gesicht und Gebahren sich von den indessen Weggestorbenen kaum unterscheiden.

Unsrer Gemeinde mangelte eine h�ufigere Zufuhr frischen Blutes und Lebens von au�en her. Die Bewohner, ein leidlich r�stiges Geschlecht, sind fast alle untereinander aufs engste verschw�gert und reichlich drei Viertel tragen den Namen Camenzind. Er f�llt die Seiten des Kirchenbuchs und steht auf den Kirchhofkreuzen, prangt an den H�usern in �lfarbe oder in derber Schnitzarbeit und ist auf den Wagen des Fuhrhalters, auf den Stalleimern und auf den Seebooten zu lesen. Auch �ber meines Vaters Haust�r stand gemalt: „Dieses Haus haben gebauen Jost und Franziska Camenzind,“ doch ging das nicht meinen Vater, sondern dessen Ahn, meinen Urgro�vater an; und wenn ich auch vermutlich einmal sterben werde ohne Kinder dazulassen, so wei� ich doch, da� wieder ein Camenzind das alte Nest besiedeln wird, wenn anders es bis dorthin noch steht und ein Dach �ber hat.

Ungeachtet der scheinbaren Eint�nigkeit gab es dennoch in unsrer B�rgerschaft B�se und Gute, Vornehme und Geringe, M�chtige und Niedrige und neben manchen Klugen eine erg�tzliche kleine Sammlung von Narren, die Kretins gar nicht mitgerechnet. Es war wie �berall ein kleines Abbild der gro�en Welt und da Gro�e und Kleine, Schlaumeier und Narren unl�slich untereinander verwandt und vervettert waren, traten sich strenger Hochmut und bornierter Leichtsinn oft genug unter demselben Dach auf die Zehen, so da� unser Leben f�r die Tiefe und Komik des Menschlichen hinreichenden Raum bot. Nur lag ein ewiger Schleier von verheimlichter oder unbewu�ter Bedr�cktheit dar�ber. Das Abh�ngigsein von den Naturm�chten und die K�mmerlichkeit eines arbeitsvollen Daseins hatten im Verlauf der Zeiten unsrem ohnehin alternden Geschlecht eine Neigung zum Tiefsinn eingegeben, der zu den scharfen, schroffen Gesichtern zwar nicht �bel pa�te, sonst aber keinerlei Fr�chte zeitigte, wenigstens keine erfreulichen. Eben darum war man froh an den paar Narren, welche zwar noch still und ernsthaft genug waren, aber doch einige Farbe und einige Gelegenheit zu Gel�chter und Spott hereinbrachten. Wenn einer von ihnen durch einen neuen Streich von sich reden machte, ging ein frohes Wetterleuchten �ber die faltigen, braunen Gesichter der S�hne Nimikons und zur Lust am Spa�e selber kam noch als feine pharis�ische W�rze der Genu� der eigenen �berlegenheit, welche vor Vergn�gen schnalzte im Gef�hl, vor solchen Irrungen oder Fehltritten sicher zu sein. Zu jenen Vielen, die in der Mitte zwischen Gerechten und S�ndern standen und von beiden gern das Annehmliche mitgenossen h�tten, geh�rte auch mein Vater. Es wurde kein Narrenstreich reif, der ihn nicht mit seliger Unruhe erf�llt h�tte, und er schwankte alsdann zwischen der teilnehmenden Bewunderung f�r den Anstifter und dem feisten Bewu�tsein der eigenen Makellosigkeit possierlich hin und wider.

Zu den Narren selbst geh�rte mein Oheim Konrad, ohne da� er deshalb etwa meinem Vater und anderen Helden an Verstand etwas nachgegeben h�tte. Vielmehr war er ein Schlaukopf und ward von einem ruhelosen Erfindungsgeist umgetrieben, um den die andern ihn ruhig h�tten beneiden d�rfen. Aber freilich gl�ckte ihm nichts. Da� er, statt dar�ber den Kopf h�ngen zu lassen und tatlos tiefsinnig zu werden, immer wieder Neues begann und dabei ein merkw�rdig lebhaftes Gef�hl f�r das Tragikomische seiner eigenen Unternehmungen hatte, war gewi� ein Vorzug, wurde ihm aber als l�cherliche Sonderbarkeit angeschrieben, kraft welcher man ihn zu den unbesoldeten Hansw�rsten der Gemeinde z�hlte. Meines Vaters Verh�ltnis zu ihm war ein dauerndes hin und her zwischen Bewunderung und Verachtung. Jedes neue Projekt seines Schwagers versetzte ihn in eine gewaltige Neugierde und Aufregung, die er vergebens hinter lauernd ironischen Fragen und Anspielungen zu verstecken trachtete. Wenn dann der Oheim seines Erfolges sicher zu sein glaubte und den Gro�artigen zu spielen begann, lie� er sich jedesmal hinrei�en und schlo� sich dem Genialen in spekulierender Br�derlichkeit an, bis der unvermeidliche Mi�erfolg da war, �ber den der Oheim die Achseln zuckte, w�hrend der Vater im Zorn ihn mit Hohn und Beleidigung �bergo� und monatelang keines Blickes und Wortes mehr w�rdigte.

Konrad war es, dem unser Dorf den ersten Anblick eines Segelboots verdankte, und meines Vaters Nachen hat dazu herhalten m�ssen. Das Segel- und Seilwerk war vom Oheim nach Kalenderholzschnitten sauber ausgef�hrt und da� unser Schifflein f�r ein Segelboot zu schmal gebaut war, ist am Ende nicht Konrads Schuld gewesen. Die Vorbereitungen dauerten wochenlang, mein Vater wurde vor Spannung, Hoffnung und Angst schier zu Quecksilber und auch das �brige Dorf sprach von nichts soviel wie von Konrad Camenzinds neuestem Vorhaben. Es war ein denkw�rdiger Tag f�r uns, als das Boot an einem windigen Sp�tsommermorgen zum erstenmal in See gehen sollte. Mein Vater, in scheuer Ahnung einer m�glichen Katastrophe, hielt sich fern und hatte auch mir zu meiner gro�en Betr�bnis das Mitfahren verboten. Der Sohn des B�ckers F��li begleitete den Segelk�nstler allein. Aber das ganze Dorf stand auf unserem Kiesplatz und in den G�rtchen und wohnte dem unerh�rten Spektakel bei. Seeabw�rts blies ein flotter Ostwind. Zu Anfang mu�te der Beck rudern, bis das Boot in die Bise geriet, sein Segel bl�hte und stolz davonjagte. Wir sahen es bewundernd um den n�chsten Bergvorsprung entschwinden und richteten uns darauf ein, den schlauen Oheim bei seiner Heimkehr als Sieger zu begr��en und uns unserer h�hnischen Aftergedanken zu sch�men. Als jedoch in der Nacht das Boot zur�ckkehrte, hatte es kein Segel mehr, die Schiffer waren mehr tot als lebendig und der B�ckerssohn hustete und meinte: „Ihr seid um ein Hauptvergn�gen gekommen, leichtlich h�tte es auf den Sonntag zwei Leichenschm�use geben k�nnen.“ Mein Vater mu�te zwei neue Planken in den Nachen basteln, und seither hat sich nie wieder ein Segel in der blauen Fl�che gespiegelt. Dem Konrad rief man noch lange, so oft er irgend etwas eilig hatte, nach: „Mu�t Segel nehmen, Konrad!“ Mein Vater fra� den �rger in sich hinein und lange Zeit, so oft der arme Schwager ihm begegnete, sah er beiseite und spuckte in gro�en Bogen aus, zum Zeichen unaussprechlicher Verachtung. Das dauerte so lang, bis Konrad eines Tags mit seinem feuersicheren Backofenprojekt bei ihm vorsprach, welches dem Erfinder unendlichen Spott auf den Hals brachte und meinen Vater auf vier bare Taler zu stehen kam. Wehe dem, der ihn an diese Viertalergeschichte zu erinnern wagte! Lange sp�ter, als einmal wieder Not im Hause war, sagte die Mutter einmal so beil�ufig, es w�re doch gut wenn jetzt das s�ndlich verdubelte Geld noch da w�re. Der Vater wurde dunkelrot bis an den Hals, aber er bezwang sich und sagte nur: „Ich wollt’, ich h�tt’ es an einem einzigen Sonntag versoffen.“

Am Ende jedes Winters kam der F�hn mit seinem tieft�nigen Gebrause, das der �lpler mit Zittern und Entsetzen h�rt und nach welchem er in der Fremde mit verzehrendem Heimweh d�rstet.

Wenn der F�hn nahe ist, sp�ren ihn viele Stunden voraus M�nner und Weiber, Berge, Wild und Vieh. Sein Kommen, welchem fast immer k�hle Gegenwinde vorausgehen, verk�ndigt ein warmes, tiefes Sausen. Der blaugr�ne See wird in ein paar Augenblicken tinteschwarz und setzt pl�tzlich hastige, wei�e Schaumkronen auf. Und bald darauf donnert er, der noch vor Minuten unh�rbar friedlich lag, mit erbitterter Brandung wie ein Meer ans Ufer. Zugleich r�ckt die ganze Landschaft �ngstlich nah zusammen. Auf Gipfeln, die sonst in entr�ckter Ferne br�teten, kann man jetzt die Felsen z�hlen und von D�rfern, die sonst nur als braune Flecken im Weiten lagen, unterscheidet man jetzt D�cher, Giebel und Fenster. Alles r�ckt zusammen, Berge, Matten und H�user, wie eine furchtsame Herde. Und dann beginnt das grollende Sausen, das Zittern im Boden. Aufgepeitschte Seewellen werden streckenweit wie Rauch durch die Luft dahingetrieben, und fortw�hrend, zumal in den N�chten, h�rt man den verzweifelten Kampf des Sturmes mit den Bergen. Eine kleine Zeit sp�ter redet sich dann die Nachricht von versch�tteten B�chen, zerschlagenen H�usern, zerbrochenen K�hnen und vermi�ten V�tern und Br�dern durch die D�rfer.

In Kinderzeiten f�rchtete ich den F�hn und ha�te ihn sogar. Mit dem Erwachen der Knabenwildheit aber bekam ich ihn lieb, den Emp�rer, den Ewigjungen, den frechen Streiter und Bringer des Fr�hlings. Es war so herrlich, wie er voll Leben, �berschwang und Hoffnung seinen wilden Kampf begann, st�rmend, lachend und st�hnend, wie er heulend durch die Schluchten hetzte, den Schnee von den Bergen fra� und die z�hen alten F�hren mit rauhen H�nden bog und zum Seufzen brachte. Sp�ter vertiefte ich meine Liebe und begr��te nun im F�hn den s��en, sch�nen, allzureichen S�den, welchem immer wieder Str�me von Lust, W�rme und Sch�nheit entquellen, um sich an den Bergen zu zersprengen und endlich im flachen, k�hlen Norden erm�det zu verbluten. Es gibt nichts Seltsameres und K�stlicheres als das s��e F�hnfieber, das in der F�hnzeit die Menschen der Bergl�nder und namentlich die Frauen �berf�llt, den Schlaf raubt und alle Sinne streichelnd reizt. Das ist der S�den, der sich dem spr�den, �rmeren Norden immer wieder st�rmisch und lodernd an die Brust wirft und den verschneiten Alpend�rfern verk�ndigt, da� jetzt an den nahen, purpurnen Seen Welschlands schon wieder Primeln, Narzissen und Mandelzweige bl�hen.

Alsdann, wenn der F�hn verblasen hat und die letzten schmutzigen Lawinen zerlaufen sind, dann kommt das Sch�nste. Dann recken sich berghinan auf allen Seiten die bebl�mten gelblichen Matten, rein und selig stehen die Schneegipfel und Gletscher in ihren H�hen und der See wird blau und warm und spiegelt Sonne und Wolkenz�ge wieder.

Alles dieses kann schon eine Kindheit und zur Not auch ein Leben erf�llen. Denn alles dieses redet laut und ungebrochen die Sprache Gottes, wie sie nie �ber eines Menschen Lippen kam. Wer sie so in seiner Kindheit vernommen hat, dem t�nt sie sein Leben lang nach, s�� und stark und furchtbar, und ihrem Bann entflieht er nie. Wenn einer in den Bergen heimisch ist, der kann jahrelang Philosophie oder historia naturalis studieren und mit dem alten Herrgott aufr�umen, — wenn er den F�hn wieder einmal sp�rt oder h�rt eine Laue durch’s Holz brechen, so zittert ihm das Herz in der Brust und er denkt an Gott und ans Sterben.

An meines Vaters H�uschen grenzte ein umz�unter, winziger Garten. Es gedieh dort ein herber Salat, R�ben und Kohl, au�erdem hatte die Mutter eine r�hrend schmale, d�rftige Rabatte f�r Blumen angelegt, in welcher zwei Monatrosenst�cke, ein Georginenbusch und eine Handvoll Reseden hoffnungslos und k�mmerlich verschmachteten. An den Garten stie� ein noch kleinerer, kiesiger Platz, welcher bis zum See reichte. Dort standen zwei besch�digte F�sser, einige Bretter und Pf�hle, und unten im Wasser lag unser Weidling angebunden, welcher damals noch alle paar Jahre neu geflickt und geteert wurde. Die Tage, an denen dies geschah, sind mir fest im Ged�chtnis geblieben. Es waren warme Nachmittage im Vorsommer, �ber dem G�rtchen taumelten die schwefelgelben Citronenfalter in der Sonne, der See war �lglatt, blau und still und leise schillernd, die Berggipfel d�nn umd�nstet, und auf dem kleinen Kiesplatz roch es gewaltig nach Pech und �lfarbe. Auch nachher duftete der Nachen noch den ganzen Sommer hindurch nach Teer. So oft ich, viele Jahre sp�ter, irgendwo am Meere den eigent�mlich aus Wassergeruch und Teerbrodem gemischten Duft in die Nase bekam, trat mir sogleich unser Seepl�tzlein vor’s Auge, und ich sah wieder den Vater in Hemd�rmeln mit dem Pinsel hantieren, sah die bl�ulichen W�lkchen aus seiner Pfeife in die stillen Sommerl�fte steigen und die blitzgelben Falter ihre unsicheren, scheuen Fl�ge tun. An solchen Tagen zeigte mein Vater eine ungew�hnlich behagliche Laune, pfiff Triller, was er vortrefflich konnte, und gab vielleicht sogar einen einzelnen kurzen Jodler von sich, diesen jedoch nur halblaut. Die Mutter kochte alsdann etwas Gutes auf den Abend und ich denke mir jetzt, sie tat es in der stillen Hoffnung, Camenzind m�chte diesen Abend nicht ins Wirtshaus gehen. Er ging aber doch.

Da� die Eltern die Entwicklung meines jungen Gem�tes sonderlich gef�rdert oder gest�rt h�tten, kann ich nicht sagen. Die Mutter hatte immer beide H�nde voll Arbeit und mein Vater hatte sich gewi� mit nichts auf der Welt so wenig besch�ftigt als mit Erziehungsfragen. Er hatte genug zu tun, seine paar Obstb�ume k�mmerlich im Stand zu halten, das Kartoffel�ckerlein zu bestellen und nach dem Heu zu sehen. Ungef�hr alle paar Wochen aber nahm er mich abends, ehe er ausging, bei der Hand und verschwand stillschweigend mit mir auf den �ber dem Stall gelegenen Heuboden. Dort vollzog sich alsdann ein seltsamer Straf- und S�hneakt: ich bekam eine Tracht Pr�gel, ohne da� der Vater oder ich selbst genauer gewu�t h�tte wof�r. Es waren stille Opfer am Altar der Nemesis und sie wurden ohne Schelten seinerseits oder Geschrei meinerseits dargebracht, als schuldiger Tribut an eine geheimnisvolle Macht. Immer wenn ich in sp�teren Jahren einmal vom „blinden Schicksal“ reden h�rte, fielen diese mysteri�sen Szenen mir wieder ein und schienen mir eine �beraus plastische Darstellung jenes Begriffs zu sein. Ohne es zu wissen, befolgte mein guter Vater dabei die schlichte P�dagogik, die das Leben selbst an uns zu �ben pflegt, indem es uns hie und da aus heiteren L�ften ein Donnerwetter sendet, wobei es uns �berlassen bleibt nachzusinnen, durch was f�r Missetaten wir eigentlich die oberen M�chte herausgefordert haben. Leider stellte dies Nachsinnen bei mir sich nie oder nur selten ein, vielmehr nahm ich jene ratenweise Z�chtigung ohne die w�nschenswerte Selbstpr�fung gelassen oder auch trotzig hin und freute mich an solchen Abenden stets, nun wieder meinen Zoll entrichtet und ein paar Wochen Strafpause vor mir zu haben. Viel selbst�ndiger trat ich den Versuchen meines Alten, mich zur Arbeit anzuleiten, entgegen. Die unbegreifliche und verschwenderische Natur hatte in mir zwei widerstrebende Gaben vereinigt: eine ungew�hnliche K�rperkraft und eine leider nicht geringere Arbeitsscheu. Der Vater gab sich alle M�he einen brauchbaren Sohn und Mithelfer aus mir zu machen, ich aber dr�ckte mich mit allen Chikanen um die mir auferlegten Arbeiten und noch als Gymnasiast hatte ich f�r keinen der antiken Heroen so viel Mitgef�hl wie f�r Herakles, da er zu jenen ber�hmten, l�stigen Arbeiten gezwungen ward. Einstweilen kannte ich nichts Sch�neres als mich auf Felsen und Matten oder am Wasser m��igg�ngerisch herumzutreiben.

Berge, See, Sturm und Sonne waren meine Freunde, erz�hlten mir und erzogen mich und waren mir lange Zeit lieber und bekannter als irgend Menschen und Menschenschicksale. Meine Lieblinge aber, die ich dem gl�nzenden See und den traurigen F�hren und sonnigen Felsen vorzog, waren die Wolken.

Zeigt mir in der weiten Welt den Mann, der die Wolken besser kennt und mehr lieb hat als ich! Oder zeigt mit das Ding in der Welt, das sch�ner ist als Wolken sind! Sie sind Spiel und Augentrost, sie sind Segen und Gottesgabe, sie sind Zorn und Todesmacht. Sie sind zart, weich und friedlich wie die Seelen von Neugeborenen, sie sind sch�n, reich und spendend wie gute Engel, sie sind dunkel, unentrinnbar und schonungslos wie die Sendboten des Todes. Sie schweben silbern in d�nner Schicht, sie segeln lachend wei� mit goldenem Rand, sie stehen rastend in gelben, roten und bl�ulichen Farben. Sie schleichen finster und langsam wie M�rder, sie jagen sausend kopf�ber wie rasende Reiter, sie h�ngen traurig und tr�umend in bleichen H�hen wie schwerm�tige Einsiedler. Sie haben die Formen von seligen Inseln und die Formen von segnenden Engeln, sie gleichen drohenden H�nden, flatternden Segeln, wandernden Kranichen. Sie schweben zwischen Gottes Himmel und der armen Erde als sch�ne Gleichnisse aller Menschensehnsucht, beiden angeh�rig — Tr�ume der Erde, in welchen sie ihre befleckte Seele an den reinen Himmel schmiegt. Sie sind das ewige Sinnbild alles Wanderns, alles Suchens, Verlangens und Heimbegehrens. Und so wie sie zwischen Erde und Himmel zag und sehnend und trotzig h�ngen, so h�ngen zag und sehnend und trotzig die Seelen der Menschen zwischen Zeit und Ewigkeit.

O, die Wolken, die sch�nen, schwebenden, rastlosen! Ich war ein unwissendes Kind und liebte sie, schaute sie an und wu�te nicht, da� auch ich als eine Wolke durch’s Leben gehen w�rde — wandernd, �berall fremd, schwebend zwischen Zeit und Ewigkeit. Von Kinderzeiten her sind sie mir liebe Freundinnen und Schwestern gewesen. Ich kann nicht �ber die Gasse gehen, so nicken wir einander zu, gr��en uns und verweilen einen Augenblick Aug’ in Auge. Auch verga� ich nicht, was ich damals von ihnen lernte: ihre Formen, ihre Farben, ihre Z�ge, ihre Spiele, Reigen, T�nze und Rasten, und ihre seltsam irdisch-himmlischen Geschichten.

Namentlich die Geschichte der Schneeprinzessin. Ihr Schauplatz ist das mittlere Gebirg, im Vorwinter, bei warmem Unterwind. Die Schneeprinzessin erscheint mit kleinem Gefolge, aus gewaltiger H�he kommend, und sucht sich einen Rastort in weiten Bergmulden oder auf einer breiten Kuppe aus. Neidisch sieht die falsche Bise die Arglose sich lagern, leckt heimlich gierend am Berg empor und �berf�llt sie pl�tzlich w�tend und tosend. Sie wirft der sch�nen Prinzessin zerfetzte schwarze Wolkenlappen entgegen, h�hnt sie, krakehlt sie an, m�chte sie verjagen. Eine Weile ist die Prinzessin unruhig, wartet, duldet, und manchmal steigt sie kopfsch�ttelnd, leise und h�hnisch wieder in ihre H�he zur�ck. Manchmal aber sammelt sie pl�tzlich ihre ge�ngsteten Freundinnen um sich her, enth�llt ihr blendend f�rstliches Angesicht und weist den Kobold mit k�hler Hand zur�ck. Er zaudert, heult, flieht. Und sie lagert sich still, h�llt ihren Sitz weitum in blassen Nebel, und wenn der Nebel sich verzogen hat, liegen Mulden und Kuppel klar und gl�nzend mit reinem, weichem Neuschnee bedeckt.

In dieser Geschichte war so etwas Nobles, etwas von Seele und Triumph der Sch�nheit, das mich entz�ckte und mein kleines Herz wie ein frohes Geheimnis bewegte.

Bald kam auch die Zeit, da� ich mich den Wolken n�hern, zwischen sie treten und manche aus ihrer Schaar von oben betrachten durfte. Ich war zehn Jahr alt, als ich den ersten Gipfel erstieg, den Sennalpstock, an dessen Fu� unser D�rflein Nimikon liegt. Da sah ich denn zum erstenmal die Schrecken und die Sch�nheiten der Berge. Tiefgerissene Schluchten, voll von Eis und Schneewasser, gr�ngl�serne Gletscher, scheu�liche Mur�nen, und �ber allem wie ein Glocke hoch und rund der Himmel. Wenn einer zehn Jahre lang zwischen Berg und See geklemmt gelebt hat und rings von nahen H�hen eng umdr�ngt war, dann vergi�t er den Tag nicht, an dem zum erstenmal ein gro�er, breiter Himmel �ber ihm und vor ihm ein unbegrenzter Horizont lag. Schon beim Aufstieg war ich erstaunt, die mir von unten her wohlbekannten Schroffen und Felsw�nde so �berw�ltigend gro� zu finden. Und nun sah ich, vom Augenblick ganz bezwungen, mit Angst und Jubel pl�tzlich die ungeheure Weite auf mich herein dringen. So fabelhaft gro� war also die Welt! Unser ganzes Dorf, tief unten verloren liegend, war nur noch ein kleiner heller Fleck. Gipfel, die man vom Tale aus f�r eng benachbart hielt, lagen viele Stunden weit auseinander.

Da fing ich an zu ahnen, da� ich nur erst ein schmales Blinzeln, noch kein gediegenes Schauen von der Welt gehabt hatte und da� da drau�en Berge stehen und fallen und gro�e Dinge geschehen konnten, von denen auch nicht die leiseste Kunde je in unser abgetrenntes Bergloch kam. Zugleich aber zitterte etwas in mir gleich dem Zeiger des Kompasses mit unbewu�tem Streben m�chtig jener gro�en Ferne entgegen. Und nun verstand ich auch die Sch�nheit und Schwermut der Wolken erst ganz, da ich sah, in was f�r endlose Fernen sie wanderten.

Meine beiden erwachsenen Begleiter lobten mein gutes Steigen, rasteten ein wenig auf der eiskalten Kuppe und lachten �ber meine fassungslose Freude. Ich aber, nachdem ich mit dem ersten gro�en Staunen fertig war, br�llte vor Lust und Erregung laut wie ein Stier in die klaren L�fte hinaus. Das war mein erstes, unartikuliertes Lied an die Sch�nheit. Ich war auf einen dr�hnenden Widerhall gefa�t, aber mein Geschrei verklang in die ruhigen H�hen spurlos wie ein schwacher Vogelpfiff. Da war ich sehr besch�mt und hielt mich still.

Dieser Tag hatte irgend ein Eis in meinem Leben gebrochen. Denn nun kam ein Ereignis um das andere. Zun�chst nahm man mich des �fteren auf Bergfahrten mit, auch auf schwierigere, und ich drang mit sonderbar beklommener Wollust in die gro�en Geheimnisse der H�hen ein. Darauf ward ich zum Gaishirten ernannt. An einer von den Halden, wohin ich gew�hnlich meine Tiere trieb, gab es einen windgesch�tzten Winkel, von kobaltblauem Enzian und hellrotem Steinbrech �berwuchert, das war mir der liebste Platz in der Welt. Das Dorf war von dort aus unsichtbar und auch vom See war nur �ber Felsen weg ein schmaler, blanker Streifen zu erblicken, daf�r brannten die Blumen in lachend frischen Farben, der blaue Himmel lag wie ein Zeltdach auf den spitzigen Schneegipfeln und neben dem feinen Gel�ut der Ziegenglocken t�nte ununterbrochen der nicht weit entfernte Wasserfall. Dort lag ich in der W�rme, staunte den wei�en W�lklein nach und jodelte halblaut vor mich hin, bis die Gaisen meine Tr�gheit bemerkten und sich allerlei verbotene Streiche und Lustbarkeiten leisten wollten. Es gab dabei gleich in den ersten Wochen einen herben Ri� in meine Ph�akenherrlichkeit, als ich mit einer verlaufenen Gais zusammen in eine Klamm abst�rzte. Die Gais war tot und mir tat der Sch�del weh, au�erdem ward ich j�mmerlich gepr�gelt, lief meinen Alten davon und ward unter Beschw�rungen und Wehklagen wieder eingebracht.

Leichtlich h�tten diese Abenteuer meine ersten und letzten sein k�nnen. Dann w�re dies B�chlein ungeschrieben und manche andere M�he und Torheit ungeschehen geblieben. Ich h�tte vermutlich irgend eine Base geheiratet oder l�ge vielleicht auch irgendwo beiseit ins Gletscherwasser gefroren. Es w�re auch nicht �bel. Aber alles kam anders und es steht mir nicht zu das Geschehene mit Ungeschehenem zu vergleichen.

Mein Vater tat jeweils ein wenig kleinen Dienst im Welsd�rfer Kloster. Nun war er einstmals krank und befahl mir ihn dort abzusagen. Das tat ich indessen nicht, sondern entlehnte beim Nachbar Papier und Feder und schrieb einen manierlichen Brief an die Klosterbr�der, gab den der Botenfrau mit und ging auf eigene Faust in den Berg.

N�chste Woche komme ich eines Tags nach hause, da sitzt ein Pater und wartet auf denjenigen, der den sch�nen Brief geschrieben hat. Mir ward etwas b�nglich, aber er lobte mich und suchte meinen Alten zu bereden, da� er mich bei ihm lernen lasse. Der Oheim Konrad war dazumal gerade wieder in Gunst und wurde befragt. Nat�rlich war er sofort daf�r entflammt, da� ich lernen und sp�ter studieren und ein Gelehrter und Herr werden m�sse. Der Vater lie� sich �berzeugen, und so geh�rte nun auch meine Zukunft zu den gef�hrlichen Oheimsprojekten, gleich dem feuersicheren Backofen, dem Segelschiff und den vielen �hnlichen Phantastereien.

Es ging sogleich an ein gewaltiges Lernen, zumal in Lateinisch, biblischer Geschichte, Botanik und Geographie. Mir machte das alles vielen Spa� und ich dachte nicht daran, da� das welsche Zeug mich vielleicht Heimat und sch�ne Jahre kosten k�nne. Das Lateinische allein tats auch nicht. Mein Vater h�tte mich zum Bauer gemacht, wenn ich auch die ganzen viri illustres vorw�rts und r�ckw�rts auswendig gekonnt h�tte. Aber der kluge Mann hatte mir auf den Grund meines Wesens gesehen, wo als Schwerpunkt und Kardinaluntugend meine unbesiegbare Tr�gheit hauste. Ich entrann, wo es nur gehen wollte, der Arbeit und lief statt dessen den Bergen oder dem See nach oder lag seitw�rts versteckt an der Halde, las, tr�umte und faulenzte. In dieser Erkenntnis gab er mich schlie�lich weg.

Dies ist eine Gelegenheit, ein kurzes Wort �ber meine Eltern zu sagen. Die Mutter war ehedem sch�n gewesen, davon war aber nur der feste, grade Wuchs und die anmutigen, dunklen Augen �brig geblieben. Sie war gro�, �beraus kr�ftig, flei�ig und still. Obwohl sie reichlich so klug wie der Vater und an K�rperkraft ihm �berlegen war, herrschte sie doch nicht im Hause, sondern lie� das Regiment ihrem Manne. Er war mittelgro�, hatte d�nne und fast zarte Glieder und einen hartn�ckigen, schlauen Kopf mit einem Gesicht, das von heller Farbe und ganz voll von kleinen, ungemein beweglichen Falten war. Dazu kam eine kurze, senkrechte Stirnfalte. Sie verdunkelte sich, so oft er die Brauen bewegte, und gab ihm ein gr�mlich leidendes Aussehen; es schien dann, als versuche er sich auf etwas sehr Wichtiges zu besinnen und sei selber ohne Hoffnung je darauf zu kommen. Man h�tte eine gewisse Melancholie an ihm wahrnehmen k�nnen, aber niemand achtete darauf, denn die Bewohner unsrer Gegend sind fast alle von einer stetigen, leichten Tr�be des Gem�ts befangen, dessen Ursache die langen Winter, die Gefahren, das m�hselige Sichdurchschlagen und die Abgeschlossenheit vom Weltleben sind.

Von beiden Eltern habe ich wichtige St�cke meines Wesens �bernommen. Von der Mutter eine bescheidene Lebensklugheit, ein St�ck Gottvertrauen und ein stilles, wenig redendes Wesen. Vom Vater hingegen eine �ngstlichkeit vor festen Entschlie�ungen, die Unf�higkeit mit Geld zu wirtschaften und die Kunst viel und mit �berlegung zu trinken. Letzteres zeigte sich aber an mir in jenem zarten Alter noch nicht. �u�erlich hab ich vom Vater die Augen und den Mund, von der Mutter den schweren, dauerhaften Gang und K�rperbau und die z�he Muskelkraft. Vom Vater und von unserer Rasse �berhaupt bekam ich ins Leben zwar einen bauernschlauen Verstand, aber auch das tr�be Wesen und den Hang zu grundloser Schwermut mit. Da mir bestimmt war mich lange au�erhalb der Heimat bei Fremden herumzuschlagen, w�re es schon besser gewesen, statt dessen einige Beweglichkeit und etlichen frohen Leichtsinn mitzubringen.

So ausgestattet und mit einem neuen Kleide versorgt trat ich die Reise ins Leben an. Die elterlichen Gaben haben sich bew�hrt, denn ich ging und stand in der Welt seither auf eigenen F��en. Dennoch mu� irgend etwas gefehlt haben, das auch die Wissenschaft und das Weltleben mir nimmer einbrachte. Denn ich kann heute noch wie je einen Berg zwingen, zehn Stunden marschieren oder rudern und n�tigenfalls einen Mann freih�ndig erschlagen, zum Lebensk�nstler aber fehlt mir heute noch so viel wie damals. Der fr�he einseitige Umgang mit der Erde und ihren Pflanzen und Tieren hatte wenig soziale F�higkeiten in mir aufkommen lassen und noch jetzt sind meine Tr�ume ein merkw�rdiger Beweis daf�r, wie sehr ich leider einem rein animalischen Leben zuneige. Ich tr�ume n�mlich sehr oft, ich liege am Meeresstrand als Tier, zumeist als Seehund, und empfinde dabei ein so gewaltiges Wohlbehagen, da� ich beim Erwachen den Wiederbesitz meiner Menschenw�rde keineswegs freudig oder mit Stolz, sondern lediglich mit Bedauern wahrnehme.

Ich ward in �blicher Weise mit Freiplatz und Freitisch an einem Gymnasium erzogen und war zum Philologen bestimmt. Niemand wei�, warum. Es gibt kein unn�tzeres und langweiligeres Fach und keines, das mir ferner lag.

Die Sch�lerjahre gingen mir rasch dahin. Zwischen Balgereien und Schule kamen Stunden voll Heimweh, Stunden voll frecher Zukunftstr�ume, Stunden voll ehrf�rchtiger Anbetung der Wissenschaft. Zwischenein trat auch hier meine angeborene Tr�gheit hervor, trug mir allerlei �rger und Strafen ein und wich dann irgend einem neuen Enthusiasmus.

„Peter Camenzind,“ sprach mein Griechischlehrer, „du bist ein Trotzkopf und Einsp�nner und wirst dir noch einmal den harten Sch�del einrennen.“ Ich betrachtete den feisten Brillentr�ger, h�rte seine Rede an und fand ihn komisch.

„Peter Camenzind,“ sprach der Mathematiklehrer, „du bist ein Genie im Faullenzen und ich bedaure, da� es kein niedrigeres Zeugnis gibt als Null. Ich sch�tze deine heutige Leistung auf minus zweieinhalb.“ Ich sah ihn an, bedauerte ihn da er schielte, und fand ihn sehr langweilig.

„Peter Camenzind,“ sagte einmal der Geschichtsprofessor, „du bist kein guter Sch�ler, aber du wirst trotzdem einmal ein guter Historiker werden. Du bist faul, aber du wei�t Gro�es und Kleines zu unterscheiden.“

Auch das war mir nicht extra wichtig. Dennoch hatte ich vor den Lehrern Respekt, denn ich dachte sie seien im Besitze der Wissenschaft, und vor der Wissenschaft empfand ich eine dunkle, gewaltige Ehrfurcht. Und obschon �ber meine Faulheit alle Lehrer einig waren, kam ich doch vorw�rts und hatte meinen Platz �ber der Mitte. Da� die Schule und die Schulwissenschaft ein unzul�ngliches St�ckwerk war, merkte ich wohl; aber ich wartete auf sp�ter. Hinter diesen Vorbereitungen und Schulfuchsereien vermutete ich das reine Geistige, eine zweifellose, sichere Wissenschaft des Wahren. Dort w�rde ich erfahren, was die dunkle Wirrnis der Geschichte, die K�mpfe der V�lker und die bange Frage in jeder einzelnen Seele bedeute.

Noch st�rker und lebendiger war eine andere Sehnsucht in mir. Ich wollte gern einen Freund haben.

Da war ein braunhaariger, ernsthafter Knabe, zwei Jahre �lter als ich, namens Kaspar Hauri. Er hatte eine sichere und stille Art zu gehen und dazusein, trug den Kopf m�nnlich fest und ernst und sprach nicht viel mit seinen Kameraden. An ihm blickte ich monatelang mit gro�er Verehrung empor, hielt mich auf der Stra�e hinter ihm her und hoffte sehnlich von ihm bemerkt zu werden. Ich war auf jeden Spie�b�rger eifers�chtig, den er gr��te, und auf jedes Haus, in das ich ihn eintreten oder aus dem ich ihn kommen sah. Aber ich war zwei Klassen hinter ihm zur�ck und er f�hlte sich vermutlich der seinigen schon �berlegen. Es ist nie ein Wort zwischen uns gewechselt worden. Statt seiner schlo� sich ohne mein Zutun ein kleiner, kr�nklicher Knabe an mich an. Er war j�nger als ich, sch�chtern und unbegabt, hatte aber sch�ne, leidende Augen und Gesichtsz�ge. Weil er schw�chlich und ein wenig verwachsen war, stand er in seiner Klasse viel Unbilden aus und suchte an mir, der ich stark und angesehen war, einen Besch�tzer. Bald ward er so krank, da� er die Schule nicht mehr besuchen konnte. Er fehlte mir nicht und ich verga� ihn rasch.

Nun war in unserer Klasse ein ausgelassener Blondkopf, ein Tausendk�nstler, Musiker, Mime und Hanswurst. Ich gewann seine Freundschaft nicht ohne M�he und der flotte kleine Altersgenosse benahm sich stets ein klein wenig g�nnerhaft gegen mich. Immerhin hatte ich nun einen Freund. Ich suchte ihn in seinem St�blein auf, las ein paar B�cher mit ihm, machte ihm die griechischen Aufgaben und lie� mir daf�r im Rechnen helfen. Auch gingen wir manchmal miteinander spazieren und m�ssen dann wie B�r und Wiesel ausgesehen haben. Er war immer der Sprecher, der Lustige, Witzige, nie Verlegene, und ich h�rte zu, lachte und war froh einen so burschikosen Freund zu haben.

Eines Nachmittags aber kam ich unversehens dazu, wie der kleine Charlatan im Schulhausgang einigen Kameraden eine von seinen beliebten komischen Auff�hrungen zum Besten gab. Soeben hatte er einen Lehrer nachgemacht, nun rief er: „Ratet wer das ist!“ und begann laut ein paar Homerverse zu lesen. Dabei kopierte er mich sehr getreu, meine verlegene Haltung, mein �ngstliches Lesen, meine oberl�ndisch rauhe Aussprache, und auch meine st�ndige Geberde der Aufmerksamkeit, das Blinzeln und das Schlie�en des linken Auges. Es sah sich sehr komisch an und war so witzig und lieblos als m�glich gemacht.

Als er das Buch schlo� und den verdienten Beifall einstrich, trat ich von hinten an ihn her und nahm Rache. Worte fand ich nicht, aber ich brachte meine ganze Entr�stung, Scham und Wut in einer einzigen, riesigen Ohrfeige pr�gnant zum Ausdruck. Gleich darauf begann die Lektion und der Lehrer bemerkte das Wimmern und die rotgeschwollene Backe meines ehemaligen Freundes, welcher obendrein sein Liebling war.

„Wer hat dich so zugerichtet?“

„Der Camenzind.“

„Camenzind vortreten! Ist das wahr?“

„Jawohl.“

„Warum hast du ihn geschlagen?“

Keine Antwort.

„Hast du keinen Grund dazu gehabt?“

„Nein.“

Also wurde ich energisch bestraft und schwelgte stoisch in der Wonne des unschuldig Gemarterten. Da ich aber kein Stoiker noch Heiliger, sondern ein Schulbub war, streckte ich nach erlittener Strafe meinem Feind die Zunge heraus so lang sie war. Entsetzt fuhr der Lehrer auf mich los.

„Sch�mst du dich nicht? Was soll das hei�en?“

„Das soll hei�en, da� der dort ein gemeiner Kerl ist und da� ich ihn verachte. Und ein Feigling ist er auch noch.“

So endete meine Freundschaft mit dem Mimen. Er fand keinen Nachfolger und ich habe die Jahre der reifenden Knabenzeit ohne Freund verbringen m�ssen. Aber ob auch meine Anschauung des Lebens und der Menschen seither sich einige mal ver�ndert hat, jener Ohrfeige erinnere ich mich nie ohne tiefe Befriedigung. Hoffentlich hat auch der Blonde sie nicht vergessen.

Mit siebzehn Jahren verliebte ich mich in eine Advokatentochter. Sie war sch�n und ich bin stolz darauf, da� ich mein Leben lang immer nur in sehr sch�ne Frauenbilder verliebt war. Was ich um sie und um andere litt, erz�hle ich ein andermal. Sie hie� R�si Girtanner und ist heute noch der Liebe ganz anderer M�nner, als ich bin, w�rdig.

Damals brauste mir die ungebrauchte Jugendkraft in allen Gliedern. Ich lie� mich mit meinen Kameraden in tolle Raufh�ndel ein, f�hlte mich stolz als besten Ringer, Ballschl�ger, Wettl�ufer und Ruderer, und war nebenher best�ndig schwerm�tig. Das hing kaum mit der Liebesgeschichte zusammen. Es war einfach die s��e Schwermut des Vorfr�hlings, die mich st�rker als andere anfa�te, so da� ich Freude an traurigen Vorstellungen, an Todesgedanken und an pessimistischen Ideen hatte. Nat�rlich fand sich auch der Kamerad, der mir Heines Buch der Lieder in einer billigen Ausgabe zu lesen gab. Es war eigentlich kein Lesen mehr, — ich go� in die leeren Verse mein volles Herz, ich litt mit, dichtete mit und geriet in ein lyrisches Schw�rmen hinein, das mir vermutlich zu Gesichte stand wie dem Ferkel die Chemisette. Bis dahin hatte ich von aller „sch�nen Literatur“ keine Ahnung gehabt. Nun folgte Lenau, Schiller, dann Goethe und Shakespeare, und pl�tzlich war mir der blasse Schemen Literatur zu einer gro�en Gottheit geworden.

Mit s��em Schauder f�hlte ich aus diesen B�chern mir die w�rzig k�hle Luft eines Lebens entgegen str�men, das nie auf Erden gewesen und doch wahrhaftig war und nun in meinem ergriffenen Herzen seine Wellen schlagen und seine Schicksale erleben wollte. In meinem Lesewinkel auf der Dachbodenkammer, wohin nur das Stundenschlagen vom nahen Turmgest�hl und das trockene Klappern der daneben nistenden St�rche drang, gingen die Menschen Goethes und Shakespeares bei mir ein und aus. Das G�ttliche und L�cherliche alles Menschenwesens ging mir auf: das R�tsel unseres zwiesp�ltigen, unb�ndigen Herzens, die tiefe Wesenheit der Weltgeschichte und das m�chtige Wunder des Geistes, der unsre kurzen Tage verkl�rt und durch die Kraft des Erkennens unser kleines Dasein in den Kreis des Notwendigen und Ewigen erhebt. Wenn ich den Kopf durch die schmale Fensterluke steckte, sah ich die Sonne auf D�cher und schmale Gassen scheinen, h�rte verwundert die kleinen Ger�usche der Arbeit und Allt�glichkeit verworren heraufrauschen und f�hlte das Einsame und Geheimnisvolle meines von gro�en Geistern erf�llten Dachwinkels wie ein sonderbar sch�nes M�rchen mich umgeben. Und allm�hlich, je mehr ich las und je wunderlicher und fremder mich das Hinunterblicken auf D�cher, Gassen und Alltag ergriff, tauchte des �fteren zaghaft und beklemmend das Gef�hl in mir auf, auch ich sei vielleicht ein Seher und die vor mir ausgebreitete Welt warte auf mich, da� ich einen Teil ihrer Sch�tze h�be, den Schleier des Zuf�lligen und Gemeinen davon l�se und das Entdeckte durch Dichterkraft dem Untergang entrei�e und verewige.

Schamhaft fing ich an ein wenig zu dichten und es f�llten sich allm�hlich einige Hefte mit Versen, Entw�rfen und kleinen Erz�hlungen an. Sie sind untergegangen und waren vermutlich wenig wert, bereiteten mir aber Herzklopfen und heimliche Wonne genug. Nur langsam folgte diesen Versuchen Kritik und Selbstpr�fung nach, und erst im letzten Schuljahr trat die notwendige erste, gro�e Entt�uschung ein. Ich hatte schon begonnen mit meinen Erstlingsgedichten aufzur�umen und meine Schreiberei �berhaupt mit Mi�trauen zu betrachten, als mir durch Zufall ein paar B�nde Gottfried Keller in die H�nde fielen, die ich sogleich zweimal und dreimal hintereinander las. Da sah ich in pl�tzlicher Erkenntnis, wie fern meine unreifen Tr�umereien der echten, herben, wahrhaftigen Kunst gewesen waren, verbrannte meine Gedichte und Novellen und blickte n�chtern und traurig mit peinlichen Katzenjammergef�hlen in die Welt.

II.

Um von der Liebe zu reden, — darin bin ich zeitlebens ein Knabe geblieben. F�r mich ist die Liebe zu Frauen immer ein reinigendes Anbeten gewesen, eine steile Flamme meiner Tr�be entlodert, Beterh�nde zu blauen Himmeln emporgestreckt. Von der Mutter her und auch aus eigenem, undeutlichem Gef�hl verehrte ich die Frauen insgesamt als ein fremdes, sch�nes und r�tselhaftes Geschlecht, das uns durch eine angeborene Sch�nheit und Einheitlichkeit des Wesens �berlegen ist und das wir heilig halten m�ssen, weil es gleich Sternen und blauen Bergh�hen uns ferne ist und Gott n�her zu sein scheint. Da das rauhe Leben seinen reichlichen Senf dazu gab, hat die Frauenliebe mir soviel Bitteres als S��es eingebracht; zwar blieben die Frauen auf dem hohen Sockel stehen, mir aber verwandelte sich die feierliche Rolle des anbetenden Priesters allzuleicht in die peinlich-komische des genarrten Narren.

R�si Girtanner begegnete mir fast jeden Tag, wenn ich zu Tische ging. Eine Jungfer von siebzehn Jahren, fest und biegsam gewachsen. Aus dem schmalen, br�unlich frischen Gesicht sprach die stille beseelte Sch�nheit, welche ihre Mutter zur Stunde noch besa� und welche vor ihr Ahne und Urahne gehabt hatte. Aus diesem alten, vornehmen und gesegneten Haus war von Geschlecht zu Geschlecht eine gro�e, schmucke Reihe von Frauen ausgegangen, jede still und vornehm, jede frisch, adlig und von fehlerloser Sch�nheit. Es gibt von einem unbekannten Meister ein M�dchenbildnis aus der Familie der Fugger, im sechzehnten Jahrhundert gemalt und eines der k�stlichsten Bilder, die meine Augen gesehen haben. So �hnlich waren die Girtannerschen Frauen und so war auch R�si.

Das alles wu�te ich damals freilich nicht. Ich sah sie nur in ihrer stillen, heiteren W�rde schreiten und f�hlte das Adelige ihres schlichten Wesens. Dann sa� ich Abends nachsinnend in der D�mmerung, bis es mir gelang, ihre Erscheinung mir klar und gegenw�rtig vorzustellen, und dann lief ein s��es heimliches Grausen �ber meine knabenhafte Seele. In B�lde kam es aber, da� diese Augenblicke der Lust sich tr�bten und mir bittere Schmerzen machten. Ich empfand pl�tzlich, wie fremd sie mir sei, mich nicht kenne noch mir nachfrage, und da� mein sch�nes Traumbild ein Diebstahl an ihrem seligen Wesen sei. Und eben wenn ich das so scharf und peinigend f�hlte, sah ich ihr Bild immer f�r Augenblicke so wahr und atmend lebendig vor Augen, da� eine dunkle, warme Woge mein Herz �berflutete und mir bis in die fernsten Pulse seltsam wehe tat.

Bei Tage geschah es mitten in einer Lehrstunde oder mitten in einem heftigen Raufen, da� die Woge wiederkam. Dann schlo� ich die Augen, lie� die H�nde sinken und f�hlte mich in einen lauen Abgrund gleiten, bis mich der Aufruf des Lehrers oder der Faustschlag eines Kameraden erweckte. Ich entzog mich, lief ins Freie und staunte mit wunderlicher Tr�umerei in die Welt. Nun sah ich pl�tzlich, wie sch�n und farbig alles war, wie Licht und Atem durch alle Dinge flo�, wie klargr�n der Flu� und wie rot die D�cher und wie blau die Berge waren. Diese mich umgebende Sch�nheit zerstreute mich aber nicht, sondern ich geno� sie still und traurig. Je sch�ner alles war, desto fremder schien es mir, der ich keinen Teil daran hatte und au�erhalb stand. Dar�ber fanden meine dumpfen Gedanken den Weg zu R�si zur�ck: Wenn ich in dieser Stunde st�rbe, sie w�rde es nicht wissen, nicht danach fragen, nicht dar�ber betr�bt sein!

Dennoch verlangte mich nicht danach von ihr bemerkt zu werden. Ich h�tte gern etwas Unerh�rtes f�r sie getan oder ihr geschenkt, ohne da� sie gewu�t h�tte von wem es kam.

Und ich tat auch vieles f�r sie. Es kam eben eine kurze Ferienzeit und ich ward nach Hause geschickt. Dort leistete ich t�glich allerlei Kraftst�cke, alles in meiner Meinung R�si zu Ehren. Einen schwierigen Gipfel erstieg ich von der steilsten Seite. Auf dem See machte ich �bertriebene Fahrten im Weidling, gro�e Entfernungen in knapper Zeit. Nach einer solchen Fahrt, da ich ausgebrannt und verhungert zur�ck kam, fiel mir ein, bis zum Abend ohne Speise und Trank zu bleiben. Alles f�r R�si Girtanner. Ich trug ihren Namen und Lobpreis auf entlegene Grate und in nie besuchte Kl�fte.

Zugleich b��te dabei meine in der Schulstube verhockte Jugend ihre Lust. Die Schultern gingen mir m�chtig auseinander, Gesicht und Nacken ward braun und �berall dehnten sich und schwollen die Muskeln.

Am vorletzten Ferientag brachte ich meiner Liebe ein m�hseliges Blumenopfer. Zwar wu�te ich an mehreren verlockenden H�ngen auf schmalen Erdb�ndern Edelwei� stehen, aber diese duft- und farblose, krankhafte Silberbl�te war mit stets seelenlos und wenig sch�n erschienen. Daf�r kannte ich ein paar vereinsamte Alpenrosenb�sche, in die Furche einer k�hnen Fluh verweht, sp�tbl�hend und verlockend schwer zu erreichen. Nun, es mu�te gehen. Und da denn der Jugend und Liebe nichts unm�glich ist, gelangte ich mit zerschundenen H�nden und krampfigen Schenkeln schlie�lich zum Ziel. Juchezen konnte ich in meiner bangen Lage nicht, aber das Herz jodelte und l�rmte mir vor Lust, als ich vorsichtig die z�hen Zweige durchschnitt und die Beute in den H�nden hielt. Zur�ck mu�te ich, die Blumen im Mund, r�cklings klettern und Gott allein wei�, wie ich frecher Knabe heil den Fu� der Wand erreichte. Am ganzen Berg war die Bl�te der Alpenrosen lang vor�ber, ich hatte die letzten Zweige des Jahres knospend und zarterbl�hend in der Hand.

Andern Tags hielt ich die Blumen w�hrend der ganzen f�nfst�ndigen Reise in den H�nden. Anfangs schlug das Herz mir m�chtig der Stadt der sch�nen R�si entgegen; je ferner aber das Hochgebirge ward, desto st�rker zog die eingeborene Liebe mich zur�ck. Ich erinnere mich so gut an jene Eisenbahnfahrt! Der Sennalpstock war schon lange unsichtbar, nun sanken aber auch die zackigen Vorberge einer um den andern hinab und jeder l�ste sich mit feinem Wehgef�hl von meinem Herzen. Nun waren alle heimischen Berge versunken und eine breite, niedere, hellgr�ne Landschaft dr�ngte sich hervor. Das hatte mich bei meiner ersten Reise gar nicht ber�hrt. Diesmal aber ergriff mich Unruhe, Angst und Trauer, als w�re ich verurteilt weiter in immer flachere L�nder hinein zu fahren und die Berge und das B�rgerrecht der Heimat unwiderbringlich zu verlieren. Zugleich sah ich immer das sch�ne, schmale Gesicht der R�si vor mir stehen, so fein und fremd und k�hl und meiner unbek�mmert, da� mir Erbitterung und Schmerz den Atem verhielt. Vor den Fenstern glitten hintereinander die frohen, sauberen Ortschaften mit schlanken T�rmen und wei�en Giebeln vor�ber und Menschen stiegen aus und ein, redeten, gr��ten, lachten, rauchten und machten Witze, — lauter fr�hliche Unterl�nder, gewandte, freim�tige und polierte Leute, und ich schwerer Bursch vom Oberland sa� stumm und traurig und verbissen damitten. Ich f�hlte, da� ich nicht mehr heimisch war. Ich empfand, da� ich den Bergen f�r immer entrissen war und doch nie werden w�rde wie ein Unterl�nder, nie so froh, so gewandt, so glatt und sicher. So einer wie diese w�rde sich immer �ber mich lustig machen, so einer w�rde die Girtanner einmal heiraten und so einer w�rde mir immer im Weg und um einen Schritt voraus sein.

Solche Gedanken brachte ich mit zur Stadt. Dort stieg ich nach der ersten Begr��ung auf den Dachboden, �ffnete meine Kiste und entnahm ihr einen gro�en Bogen Papier. Es war nicht vom feinsten und als ich meine Alpenrosen darein gewickelt und das Paket mit einem extra von Hause mitgebrachten Bindfaden verschn�rt hatte, sah es gar nicht wie eine Liebesgabe aus. Ernsthaft trug ich es in die Stra�e, wo der Advokat Girtanner wohnte, und im ersten g�nstigen Augenblick trat ich durchs offene Tor, sah mich in der abendlich halblichten Hausflur ein wenig um und legte mein unf�rmliches B�ndel auf der breiten, herrschaftlichen Treppe ab.

Niemand sah mich und ich erfuhr nie, ob R�si meinen Gru� zu sehen bekommen habe. Aber ich war an Fl�hen geklettert und hatte mein Leben gewagt, um einen Zweig Rosen auf die Treppe ihres Hauses zu legen, und darin lag etwas S��es, Traurigfrohes, Poetisches, das mir wohltat und das ich noch heut empfinde. Nur in gottlosen Stunden scheint es mir zuweilen, als sei jenes Rosenabenteuer so gut wie alle meine sp�teren Liebesgeschichten eine Donquichotterie gewesen.

Diese meine erste Liebe fand nie einen Abschlu�, sondern verklang fragend und unerl�st in meine Jugendjahre und lief neben meinen sp�teren Verliebtheiten wie eine stille �ltere Schwester mit. Immer noch kann ich mir nichts nobleres, reineres und sch�neres vorstellen als jene junge, wohlgeborene und stillblickende Patrizierin. Und als ich manche Jahre sp�ter auf einer historischen Ausstellung in M�nchen jenes namenlose, r�tselhaft liebliche Bildnis der Fuggertochter sah, erschien mir, es stehe meine ganze schw�rmerische, traurige Jugend vor mir und schaue mich aus unergr�ndlichen Augen tief und verloren an.

Indessen h�utete ich mich langsam und bed�chtig und ward allm�hlich vollends zum J�ngling. Meine damals angefertigte Photographie zeigt einen knochigen, hochgewachsenen Bauernbuben in schlechten Sch�lerkleidern, mit etwas matten Augen und unfertigen, l�mmelhaften Gliedma�en. Nur der Kopf hat etwas Fr�hfertiges und Festes. Mit einer Art von Erstaunen sah ich mich die Manieren der Knabenzeit ablegen und erwartete mit dunkler Vorfreude die Studentenzeit.

Ich sollte in Z�rich studieren und f�r den Fall besonderer Leistungen hatten meine G�nner die M�glichkeit einer Studienreise erw�hnt. All das erschien mir wie ein sch�nes, klassisches Bild: Eine ernst freundliche Laube mit den B�sten Homers und Platos, ich darin sitzend �ber Folianten geb�ckt, und auf allen Seiten ein weiter, klarer Blick auf Stadt, See, Berge und sch�ne Fernen. Mein Wesen war n�chterner und doch schwungvoller geworden und ich freute mich des zuk�nftigen Gl�ckes mit der festen Zuversicht seiner w�rdig befunden zu werden.

Im letzten Schuljahr fesselte mich das Studium des Italienischen und die erste Bekanntschaft mit den alten Novellisten, deren gr�ndlicheres Kennenlernen ich mir als erste Liebhaberarbeit f�r die Z�rcher Semester vorbehielt. Dann kam der Tag, da ich meinen Lehrern und dem Hausvater Adieu sagte, meine kleine Kiste packte und vernagelte und mit wohliger Wehmut abschiednehmend um das Haus der R�si strich.

Die Ferienzeit, die nun folgte, gab mir einen bitteren Vorschmack vom Leben und zerri� mir die sch�nen Traumfl�gel schnell und rauh. Zun�chst fand ich die Mutter krank. Sie lag zu Bett, redete fast gar nichts und machte auch von meinem Kommen kein Aufhebens. Wehleidig war ich nicht, aber es schmerzte mich doch, meiner Freude und meinem jungen Stolz gar kein Echo zu finden. Alsdann erkl�rte mir mein Vater, da� er zwar nichts dagegen habe, wenn ich nun studieren wolle, da� er aber nicht verm�ge mir Geld dazu zu geben. Wenn das kleine Stipendium nicht reiche, m�sse ich eben sehen mir das N�tige zu verdienen. In meinem Alter habe er schon l�ngst eigenes Brot gegessen u. s. w.

Auch mit Wandern, Rudern und Bergsteigen war es diesmal nicht viel, denn ich mu�te in Haus und Feld mitarbeiten und an den freien halben Tagen hatte ich zu nichts Lust, nicht einmal zum Lesen. Es emp�rte und erm�dete mich zu sehen, wie das gemeine t�gliche Leben breitm�ulig sein Recht forderte und alles fra�, was ich von �berflu� und �bermut mitgebracht hatte. �brigens war mein Vater, als er die Geldfrage einmal vom Herzen hatte, nach seiner Art zwar rauh und kurz, aber nicht unfreundlich gegen mich, doch hatte ich keine Freude daran. Auch da� meine Schulbildung und meine B�cher ihm einen stillen, halbver�chtlichen Respekt einfl��ten, st�rte mich und tat mir leid. Und dann dachte ich auch oft an R�si und hatte wieder das b�se, rechthaberische Gef�hl meines bauernhaften Unverm�gens, je in der „Welt“ einen sicheren und beweglichen Mann abzugeben. Ich besann mich sogar tagelang, ob es nicht besser sei dazubleiben und mein Latein und meine Hoffnungen im z�hen, tr�ben Zwang des armseligen heimischen Lebens zu vergessen. Gequ�lt und verdrossen ging ich umher und fand auch am Bett der kranken Mutter nicht Trost noch Ruhe. Das Bild jener Traumlaube mit der Homerb�ste erschien h�hnisch wieder und ich zerst�rte es und go� allen Grimm und alle Feindseligkeit meines zerplagten Wesens dar�ber. Die Wochen wurden unausstehlich lang, als sollte ich an diese hoffnungslose Zeit des �rgers und Zwiespalts meine ganze Jugend verlieren.

War ich erstaunt und emp�rt gewesen, das Leben meine gl�ckliche Tr�umerei so rasch und gr�ndlich zerst�ren zu sehen, so kam ich nun in die Lage zu erstaunen, wie pl�tzlich und m�chtig auch der jetzigen Qu�lerei ein �berwinder erwuchs. Das Leben hatte mir seine graue Werktagsseite gezeigt, nun trat es pl�tzlich mit seinen ewigen Tiefen vor mein befangenes Auge und belud meine Jugend mit einer schlichten, m�chtigen Erfahrung.

Fr�h am Morgen eines hei�en Sommertags litt ich im Bette Durst und stand auf, um in die K�che zu gehen, wo stets eine Kufe frischen Wassers stand. Dabei mu�te ich durchs Schlafzimmer der Eltern gehen, wo mir das sonderbare St�hnen der Mutter auffiel. Ich trat an ihr Bett, doch sah sie mich nicht und gab keine Antwort, sondern st�hnte trocken und angstvoll vor sich hin, zuckte mit den Lidern und war bl�ulich bla� im Gesicht. Dies erschreckte mich nicht sonderlich, obwohl mir etwas �ngstlich wurde. Aber dann sah ich ihre beiden H�nde auf den Laken liegen, still und wie schlafende Geschwister. An diesen H�nden sah ich, da� meine Mutter im Sterben lag, denn sie waren schon so seltsam todm�de und willenlos, wie sie kein Lebender hat. Ich verga� meinen Durst, kniete neben dem Lager nieder, legte der Kranken die Hand auf die Stirn und suchte ihren Blick. Da er mich traf, war er gut und ohne Qual, aber nahe am Erl�schen. Es fiel mir nicht ein, da� ich den Vater wecken m�sse, der nebenan mit hartem Atmen schlief. So kniete ich denn nahezu zwei Stunden und sah meine Mutter den Tod erleiden. Sie litt ihn stille, ernst und tapfer, wie es ihrer Art zukam, und hat mir ein gutes Vorbild gegeben.

Das St�blein war stille und f�llte sich langsam mit der Helle des heraufsteigenden Morgens; Haus und Dorf lag schlafend und ich hatte Mu�e, in Gedanken die Seele eines Sterbenden zu begleiten, �ber Haus und Dorf und See und Schneegipfel hinweg in die k�hle Freiheit eines reinen Fr�hmorgenhimmels hinein. Schmerz f�hlte ich wenig, denn ich war voll Staunen und Ehrfurcht zusehen zu d�rfen, wie ein gro�es R�tsel sich l�ste und wie der Ring eines Lebens sich mit leisem Erzittern schlo�. Auch war die klaglose Tapferkeit der Scheidenden so erhaben, da� von ihrer herben Glorie ein k�hlend klarer Strahl auch in meine Seele fiel. Da� der Vater daneben schlief, da� kein Priester da war, da� weder Sakrament noch Gebet die heimkehrende Seele heiligend begleitete, empfand ich nicht. Ich sp�rte nur einen schauernden Hauch der Ewigkeit durch die d�mmernde Stube fluten und sich mit meinem Wesen vermischen.

Im letzten Augenblick, die Augen waren schon erloschen, k��te ich zum ersten mal in meinem Leben meiner Mutter k�hlen, welken Mund. Dann �berlief die fremde K�hle der Ber�hrung mich mit pl�tzlichem Grausen, ich setzte mich auf den Rand des Bettes und f�hlte, da� mir langsam und z�gernd eine gro�e Tr�ne um die andere �ber Wangen, Kinn und H�nde lief.

Bald darauf erwachte der Vater, sah mich dasitzen und rief mich schlaftrunken an, was es g�be. Ich wollte ihm Antwort geben, konnte aber nichts sagen, sondern ging aus der Stube, kam wie im Traum in meine Kammer und zog langsam und unbewu�t meine Kleider an. Bald erschien der Alte bei mir.

„Die Mutter ist tot,“ sagte er. „Hast du’s gewu�t?“

Ich nickte.

„Warum hast du mich schlafen lassen? Und kein Priester ist dagewesen! Dich soll doch —“ er tat einen schweren Fluch.

Da tat irgend etwas in meinem Kopf mir weh, wie wenn eine Ader gesprungen w�re. Ich trat auf ihn zu und nahm ihn fest bei beiden H�nden — er war an St�rke ein Knabe gegen mich, und sah ihm ins Gesicht. Sagen konnte ich nichts, aber er ward still und beklommen und als wir darauf beide zur Mutter hin�ber gingen, ergriff auch ihn die Gewalt des Todes und machte sein Gesicht fremd und feierlich. Dann b�ckte er sich �ber die Tote und begann ganz leise und kindlich zu klagen, fast wie ein Vogel, in hohen schwachen T�nen. Ich ging weg und brachte den Nachbarn die Nachricht. Sie h�rten mich an, stellten keine Fragen, sondern gaben mir die Hand und boten unsrem verwaisten Haushalt ihre Hilfe an. Einer lief den Weg ins Kloster, um einen Pater zu holen, und da ich heimkehrte, war schon eine Nachbarin in unsrem Stall und versorgte die Kuh.

Der Hochw�rdige kam, und fast alle Frauen des Orts kamen, alles geschah p�nktlich und richtig wie von selber, sogar der Sarg ward ohne unser Zutun besorgt und ich konnte zum erstenmal deutlich sehen, wie gut es in schweren Lagen ist, heimisch zu sein und einer kleinen, sicheren Gemeinschaft anzugeh�ren. Am andern Tage h�tte ich mir das vielleicht noch tiefer �berlegen sollen

Als n�mlich der Sarg gesegnet und versenkt und die wunderliche Schar wehm�tig altmodischer, borstiger Cylinderh�te verschwunden war, auch der meines Alten, jeder in seine Schachtel und seinen Schrank, da wandelte meinen armen Vater eine Schw�che an. Er begann pl�tzlich sich selbst zu bemitleiden und hielt mir in sonderbaren, gro�enteils biblischen Redewendungen sein Elend vor, da� er nun, da sein Weib begraben sei, auch noch seinen Sohn verlieren und in die Fremde fahren sehen m�sse. Es nahm kein Ende, ich h�rte erschrocken zu und war beinahe bereit, ihm das Dableiben zu versprechen.

In diesem Augenblick, ich hatte schon zur Antwort angesetzt, geschah mir etwas Merkw�rdiges. Es erschien mir pl�tzlich, in einer einzigen Sekunde, alles das, was ich von klein auf gedacht und erw�nscht und sehnlich erhofft hatte, zusammengedr�ngt vor einem pl�tzlich aufgetanen innerlichen Auge. Ich sah gro�e, sch�ne Arbeiten auf mich warten, zu lesende B�cher und zu schreibende B�cher. Ich h�rte den F�hn gehen und sah ferne, selige Seeen und Ufer in s�dlichen Farben ergl�nzend liegen. Ich sah Menschen mit klugen, geistigen Gesichtern wandeln und sch�ne, feine Frauen, sah Stra�en laufen und P�sse �ber Alpen f�hren und Eisenbahnen durch L�nder hasten, alles zugleich und jedes doch f�r sich und deutlich, und hinter allem die unbegrenzte Ferne eines klaren Horizontes, von treibenden Flugwolken durchschnitten. Lernen, schaffen, schauen, wandern — die ganze F�lle des Lebens gl�nzte in fl�chtigem Silberblick vor meinem Auge auf, und wieder wie in Knabenzeiten zitterte etwas in mir mit unbewu�t m�chtigem Zwang der gro�en Weite der Welt entgegen.

Ich schwieg und lie� den Vater reden, sch�ttelte nur den Kopf und wartete, bis sein Ungest�m erm�dete. Das geschah erst am Abend. Nun erkl�rte ich ihm meinen festen Entschlu� zu studieren und meine k�nftige Heimat im Reich des Geistes zu suchen, von ihm aber keine Unterst�tzungen zu begehren. Er drang denn auch nicht weiter in mich und sah mich nur wehleidig und kopfsch�ttelnd an. Denn auch er begriff, da� ich von jetzt an eigene Wege gehen und seinem Leben schnell vollends fremd werden w�rde. Als ich heute beim Schreiben mich des Tages erinnerte, sah ich meinen Vater wieder so wie er an jenem Abend im Stuhl beim Fenster sa�. Sein scharfer, kluger Bauernkopf steht unbeweglich auf dem d�nnen Hals, das kurze Haar beginnt zu grauen und in den harten, strengen Z�gen k�mpft mit der z�hen M�nnlichkeit das Leid und das hereinbrechende Alter.

Von ihm und von meinem damaligen Aufenthalt unter seinem Dach bleibt mir noch ein kleines, nicht unwichtiges Ereignis zu erz�hlen. In der letzten Woche vor meiner Abreise setzte eines Abends mein Vater seine M�tze auf und nahm den T�rgriff in die Hand. „Wo gehst du hin?“ fragte ich. „Geht’s dich was an?“ sagte er. „K�nntest mir’s auch sagen, wenn’s nichts Unrechtes ist,“ meinte ich. Da lachte er und rief: „Kannst auch mitkommen, bist ja keiner von den Kleinsten mehr.“ So ging ich denn mit. Ins Wirtshaus. Ein paar Bauern sa�en da vor einem Krug Hallauer, zwei fremde Fuhrleute tranken Absinth, ein Tisch voll junger Burschen spielte Ja� und spektakelte m�chtig.

Ich war gewohnt zuweilen ein Glas Wein zu trinken, doch war es nun zum ersten Mal da� ich ohne Not ein Schankhaus betrat. Da� mein Vater ein gediegener Zecher sei, wu�te ich vom H�rensagen. Er trank viel und gut und dadurch blieb sein Hauswesen, ohne da� er es sonst ernstlich vernachl�ssigt h�tte, immer in einer hoffnungslosen K�mmerlichkeit stecken. Es fiel mir auf, wie viel Achtung ihm von Wirt und G�sten gezeigt wurde. Er lie� einen Liter Waadtl�nder bringen, hie� mich einschenken und belehrte mich dar�ber, wie das zu machen sei. Man m�sse niedrig einschenken, dann den Strahl m��ig verl�ngern und zum Schlu� die Flasche wieder so tief als m�glich senken. Darauf begann er von verschiedenen Weinen zu erz�hlen, die er kannte und die er bei seltenen Gelegenheiten, wenn er etwa einmal zur Stadt oder ins Welsche hin�ber kam, zu genie�en pflegte. Er sprach mit ernster Achtung vom tiefroten Veltliner, von welchem er drei Arten unterschied. Hierauf kam er mit leiserer, eindringender Stimme auf gewisse Waadtl�nder Flaschenweine zu sprechen. Fast fl�sternd und mit der Miene eines M�rchenerz�hlers berichtete er zuletzt vom Wein von Neuch�tel. Von diesem g�be es Jahrg�nge, deren Schaum beim Einschenken im Glase einen Stern bilde. Und er zeichnete den Stern mit angefeuchtetem Zeigefinger auf den Tisch. Dann versank er in ungeheuerliche Mutma�ungen �ber das Wesen und den Geschmack des Champagners, den er nie getrunken hatte und von welchem er glaubte, da� eine Flasche davon zwei Mann stocksternhagelbetrunken mache.

Verstummend und nachdenklich z�ndete er sich eine Pfeife an. Dabei bemerkte er, da� ich nichts zu rauchen habe, und gab mir zehn Rappen f�r Cigarren. Und dann sa�en wir einander gegen�ber, bliesen uns den Rauch ins Gesicht und tranken langsam schl�rfend den ersten Liter leer. Der gelbe, pikante Waadtl�nder schmeckte mir vorz�glich. Allm�hlich wagten die Bauern am Nebentisch sich mit ins Gespr�ch und schlie�lich siedelte einer nach dem andern r�uspernd und vorsichtig zu uns �ber. Bald kam auch ich in den Mittelpunkt und es zeigte sich, da� mein Ruf als Bergsteiger noch nicht vergessen war. Allerlei verwegene Aufstiege und tolle Abst�rze, in mythische Nebel geh�llt, wurden erz�hlt, bestritten und verteidigt. Mittlerweile waren wir schon fast mit dem zweiten Liter fertig und mir sauste das Blut in den Augen. Ganz gegen meine Natur begann ich laut zu prahlen und erz�hlte auch die freche Kletterei an der oberen Sennalpstockwand, wo ich die Alpenrosen f�r R�si Girtanner geholt hatte. Man glaubte mir nicht, ich beteuerte, man lachte, ich ward zornig. Ich forderte jeden der mir nicht glaubte, zum Ringen heraus und lie� merken, da� ich zur Not sie alle miteinander zu zwingen denke. Da ging ein altes, krummes B�uerlein in die Kredenz, brachte einen gro�en Steingutkrug und legte ihn der L�nge nach auf den Tisch.

„Ich will dir was sagen,“ lachte er. „Wenn du so stark bist, so hau den Krug mit der Faust zusammen. Dann zahlen wir dir so viel Wein, als er fa�t. Wenn du es nicht kannst, zahlst aber du den Wein.“

Mein Vater stimmte sogleich zu. Also stand ich auf, wickelte mein Taschentuch um die Hand und schlug. Die zwei ersten Schl�ge taten keine Wirkung. Beim dritten ging der Krug in St�cke. „Zahlen!“ rief mein Vater und gl�nzte vor Wonne, der Alte schien einverstanden. „Gut,“ sagte er, „ich zahl’ Wein, soviel in den Krug geht. Wird aber nimmer viel sein.“ Freilich fa�te der Scherben keinen Schoppen mehr und ich hatte zum Schmerz im Arm noch den Spott. Auch mein Vater lachte mich jetzt aus.

„Nun, so hast du gewonnen,“ schrie ich, schenkte den Scherben aus unsrer Flasche voll und go� ihn dem Alten �ber den Kopf. Nun waren wir wieder die Sieger und hatten den Beifall der G�ste.

Derlei starke Scherze wurden noch mehr getrieben. Dann schleppte mein Vater mich nach Hause und wir polterten aufgeregt und unwirsch durch die Stube, in welcher vor noch nicht drei Wochen der Sarg der Mutter gestanden hatte. Ich schlief wie ein Toter und war am Morgen ganz verw�stet und zerbrochen. Der Vater spottete, war munter und heiter und freute sich sichtlich seiner �berlegenheit. Ich aber schwor im stillen, nie mehr zu zechen, und wartete sehnlichst auf den Tag der Abreise.

Der Tag kam und ich reiste ab, den Schwur aber habe ich nicht gehalten. Der gelbe Waadtl�nder, der tiefrote Veltliner, der Neuenburger Sternwein und viele andere Weine sind mir seither bekannt und gute Freunde geworden.

III.

Aus der n�chternen und dr�ckenden Luft der Heimat herausgekommen, tat ich gro�e Fl�gelschl�ge der Wonne und Freiheit. Wenn ich sonst im Leben je und je zu kurz gekommen bin, so habe ich doch die absonderliche, schw�rmerische Lust der Jugendzeit reich und rein genossen. Gleich einem jungen Krieger, der am bl�henden Waldrand rastet, lebte ich in seliger Unruhe zwischen Kampf und Get�ndel; und wie ein ahnungsvoller Seher stand ich an dunkeln Abgr�nden, dem Brausen gro�er Str�me und St�rme lauschend und die Seele ger�stet den Zusammenklang der Dinge und die Harmonie alles Lebens zu vernehmen. Tief und begl�ckt trank ich aus den vollen Bechern der Jugend, litt in der Stille s��e Leiden um sch�ne, scheu verehrte Frauen und kostete das edelste Jugendgl�ck einer m�nnlich frohen, reinen Freundschaft bis zum Grunde.

In einem neuen Bukskinanzug und mit einer kleinen Kiste voll B�cher und sonstiger Habe kam ich angefahren, bereit mir ein St�ck Welt zu erobern und so bald als m�glich den Rauhbeinen daheim zu beweisen, da� ich aus einem anderen Holze als die �brigen Camenzinde geschnitten sei. Drei wundervolle Jahre wohnte ich in derselben weithinblickenden, windigen Mansarde, lernte, dichtete, sehnte mich und f�hlte alle Sch�nheit der Erde mich mit warmer N�he umgeben. Nicht jeden Tag hatte ich etwas Warmes zu essen, aber jeden Tag und jede Nacht und jede Stunde sang und lachte und weinte mir das Herz, einer starken Freude voll, und hielt das liebe Leben hei� und sehnlich an sich gedr�ckt.

Z�rich war die erste gro�e Stadt, die ich gr�ner Peter zu sehen bekam, und ein paar Wochen lang machte ich best�ndig gro�e Augen. Das st�dtische Leben aufrichtig zu bewundern oder zu beneiden, fiel mir zwar nicht ein — darin war ich eben ein Bauer; aber ich hatte Freude an dem Vielerlei der Stra�en, H�user und Menschen. Ich beschaute die von Wagen belebten Gassen, die Schiffl�nde, Pl�tze, G�rten, Prunkbauten und Kirchen; ich sah flei�ige Leute in Scharen zur Arbeit laufen, sah Studenten bummeln, Vornehme ausfahren, Gecken sich br�sten, Fremde umherschlendern. Die modisch eleganten, hoff�rtigen Weiber der Reichen kamen mir wie Pfauen im H�hnerhofe vor, h�bsch, stolz und ein wenig l�cherlich. Sch�chtern war ich eigentlich nicht, nur steif und trotzig, und ich zweifelte nicht, da� ich ganz der Kerl dazu sei, dies rege Leben der St�dte gr�ndlich kennen zu lernen und sp�ter selber einmal meinen sicheren Platz darin zu finden.

Die Jugend traf mich an in der Gestalt eines sch�nen, jungen Menschen, der in derselben Stadt studierte und im ersten Stockwerk meines Hauses zwei h�bsche Zimmer gemietet hatte. Jeden Tag h�rte ich ihn unten Klavier spielen und sp�rte dabei zum erstenmal etwas vom Zauber der Musik, der weiblichsten und s��esten Kunst. Dann sah ich den h�bschen Jungen das Haus verlassen, ein Buch oder Notenheft in der Linken, in der Rechten die Cigarette, deren Rauch hinter seinem biegsam schlanken Gang verwirbelte. Mich zog eine scheue Liebe zu ihm hin, doch blieb ich abgesondert und f�rchtete mich mit einem Menschen Umgang zu haben, neben dessen leichtem, freiem und wohlhabendem Wesen meine Armut und mein Mangel an Lebensart mich nur dem�tigen w�rde. Da kam er selber zu mir. Eines Abends klopfte es an meiner T�r und ich erschrak ein wenig; denn ich hatte noch nie Besuch bei mir gesehen. Der sch�ne Student trat ein, gab mir die Hand, nannte seinen Namen und tat so frei und fr�hlich, als w�ren wir alte Bekannte.

„Ich wollte fragen ob Sie nicht Lust h�tten ein wenig mit mir zu musizieren,“ sagte er freundlich. Aber ich hatte in meinem Leben nie ein Instrument ber�hrt. Ich sagte ihm das und f�gte hinzu, da� ich au�er Jodeln keinerlei K�nste verstehe, doch habe mir sein Klavierspiel oft sch�n und verlockend heraufgeklungen.

„Wie man sich t�uschen kann!“ rief er lustig. „Ihrem �u�eren nach h�tte ich geschworen, Sie seien Musiker. Merkw�rdig! Aber Sie k�nnen jodeln? O bitte, jodeln Sie doch einmal! Ich h�re es ums Leben gern.“

Ich war ganz best�rzt und erkl�rte ihm, da� ich so auf Verlangen und in der Stube drin durchaus nicht jodeln k�nne. Das m�sse auf einem Berge oder mindestens im Freien und ganz aus eigener Lust geschehen.

„Dann jodeln Sie also auf einem Berge! Vielleicht morgen? Ich bitte Sie sehr darum. Wir k�nnten etwa gegen Abend miteinander ausfliegen. Wir bummeln und plaudern ein wenig, droben jodeln Sie dann, und nachher essen wir in irgend einem Dorf zu Nacht. Sie haben doch Zeit?“

O ja, Zeit genug. Ich sagte eilig zu. Und dann bat ich ihn, mir etwas vorzuspielen, und stieg mit ihm in seine sch�ne, gro�e Wohnung hinunter. Ein paar modern eingerahmte Bilder, das Klavier, eine gewisse zierliche Unordnung und ein feiner Cigarettenduft erzeugten in dem h�bschen Raum eine Art von freier und behaglicher Eleganz und wohnlicher Stimmung, die mir ganz neu war. Richard setzte sich ans Klavier und spielte ein paar Takte.

„Sie kennen das, nicht wahr?“ nickte er her�ber und sah prachtvoll aus, wie er so vom Spielen weg den h�bschen Kopf her�berbog und mich gl�nzend ansah.

„Nein,“ sagte ich, „ich kenne nichts.“

„Es ist Wagner,“ rief er zur�ck, „aus den Meistersingern,“ und spielte weiter. Es klang leicht und kr�ftig, sehns�chtig und heiter, und umflo� mich wie ein laues, erregendes Bad. Zugleich betrachtete ich mit heimlicher Lust den schlanken Nacken und R�cken des Spielers und seine wei�en Musikerh�nde, und dabei �berlief mich dasselbe scheue und bewundernde Gef�hl von Z�rtlichkeit und Achtung, mit dem ich fr�her jenen dunkelhaarigen Sch�ler betrachtet hatte, zusammen mit der sch�chternen Ahnung, dieser sch�ne vornehme Mensch w�rde vielleicht wirklich mein Freund werden und meine alten, nicht vergessenen W�nsche nach einer solchen Freundschaft wahr machen.

Tags darauf holte ich ihn ab. Langsam und plaudernd erstiegen wir einen m��igen H�gel, �berschauten Stadt, See und G�rten und genossen die satte Sch�nheit des Vorabends.

„Und nun jodeln Sie!“ rief Richard. „Wenn Sie sich immer noch genieren, so drehen Sie mir den R�cken zu. Aber bitte, laut!“

Er konnte zufrieden sein. Ich jodelte w�tend und frohlockend in die rosige Abendweite hinein, in allen Tonarten und Brechungen. Als ich aufh�rte, wollte er etwas sagen, hielt aber sogleich wieder inne und deutete horchend gegen die Berge. Von einer fernen H�he her kam Antwort, leise, langgezogen und schwellend, der Gru� eines Hirten oder Wanderers, und wir h�rten still und freudig zu. W�hrend dieses gemeinsamen Stehens und Lauschens �berrann mich mit k�stlichem Schauer die Empfindung, zum erstenmal neben einem Freunde zu stehen und so zu zweien in sch�ne, rosig verw�lkte Lebensweiten zu blicken. Der abendliche See begann sein weiches Farbenspiel und kurz vor Sonnenuntergang sah ich aus zerflie�endem Ged�nste ein paar trotzige, frech gezackte Alpengipfel hervortreten.

„Dort ist meine Heimat,“ sagte ich. „Die mittlere Schroffe ist die rote Fluh, rechts das Geishorn, links und weiter entfernt der runde Sennalpstock. Ich war zehn Jahr und drei Wochen alt, als ich zum erstenmal auf dieser breiten Kuppe stand.“

Ich strengte die Augen an, um etwa noch einen der s�dlicheren Gipfel zu ersp�hen. Nach einer Weile sagte Richard etwas, das ich nicht verstand.

„Was sagten Sie?“ fragte ich.

„Ich sage, da� ich nun wei�, welche Kunst Sie treiben.“

„Welche denn?“

„Sie sind Dichter.“

Da wurde ich rot und �rgerlich und war zugleich erstaunt, wie er das erraten habe.

„Nein,“ rief ich, „ein Dichter bin ich nicht. Ich habe zwar auf der Schule Verse gemacht, aber nun schon lang keine mehr.“

„Darf ich die einmal sehen?“

„Sie sind verbrannt. Aber Sie d�rften sie doch nicht sehen, auch wenn ich sie noch h�tte.“

„Es waren gewi� sehr moderne Sachen, mit viel Nietzsche drin?“

„Was ist das?“

„Nietzsche? Ja gro�er Gott, kennen Sie den nicht?“

„Nein. Woher soll ich ihn kennen?“

Nun war er entz�ckt, da� ich Nietzsche nicht kannte. Ich aber wurde �rgerlich und fragte, �ber wieviel Gletscher er schon gegangen sei. Als er sagte �ber keinen, tat ich dar�ber ebenso sp�ttisch erstaunt wie er vorher �ber mich. Da legte er mir die Hand auf den Arm und sagte ganz ernst: „Sie sind empfindlich. Aber Sie wissen ja selber gar nicht, was f�r ein beneidenswert unverdorbener Mensch Sie sind und wie wenig solche es gibt. Sehen Sie, in einem Jahr oder zwei werden Sie Nietzsche und all den Kram ja auch kennen, viel besser als ich, da Sie gr�ndlicher und gescheiter sind. Aber gerade so, wie Sie jetzt sind, hab ich Sie gern. Sie kennen Nietzsche nicht und Wagner nicht, aber Sie sind viel auf Schneebergen gewesen und haben so ein t�chtiges Oberl�ndergesicht. Und ganz gewi� sind Sie auch ein Dichter. Ich kann das am Blick und an der Stirn sehen.“

Auch das, da� er so freim�tig und ungeniert mich betrachtete und seine Meinung herausplauderte, erstaunte mich und kam mir ungew�hnlich vor.

Noch viel erstaunter und gl�cklicher war ich aber, als er acht Tage sp�ter in einem vielbesuchten Biergarten Br�derschaft mit mir schlo�, vor allen Leuten aufsprang, mich k��te und umfa�te und mit mir wie verr�ckt um den Tisch herum tanzte.

„Was werden die Leute denken!“ warnte ich ihn sch�chtern.

„Sie werden denken: die zwei sind au�erordentlich gl�cklich oder ganz au�erordentlich besoffen; die meisten aber werden gar nichts denken.“

�berhaupt schien Richard mir oft, obwohl er �lter, kl�ger, besser erzogen und in allem beschlagener und raffinierter war als ich, doch im Vergleich mit mir das reine Kind zu sein. Auf der Stra�e machte er halbw�chsigen Schulm�dchen feierlich-sp�ttisch den Hof, die ernsthaftesten Klavierst�cke unterbrach er unerwartet mit v�llig kindischen Witzen, und als wir einmal Spa�es halber in eine Kirche gegangen waren, sagte er pl�tzlich mitten w�hrend der Predigt nachdenklich und wichtig zu mir: „Du, findest du nicht, der Pfarrer sieht aus wie ein Kaninchengreis?“ Der Vergleich traf zu, ich fand aber, er h�tte mir das auch nachher mitteilen k�nnen, und sagte ihm das.

„Wenn es doch richtig war!“ schmollte er. „Bis nachher h�tte ich es wahrscheinlich wieder vergessen.“

Da� seine Witze keineswegs immer geistreich waren, h�ufig sogar nur auf das Citieren eines Buschverses hinausliefen, st�rte weder mich noch andere, denn was wir an ihm liebten und bewunderten, war nicht Witz und Geist, sondern die unbezwingliche Heiterkeit seines lichten, kindlichen Wesens, welche jeden Augenblick hervorbrach und ihn mit einer leichten, fr�hlichen Atmosph�re umgab. Sie konnte sich in einer Geberde, in einem leisen Lachen, in einem fidelen Blicke �u�ern, aber lange sich verbergen konnte sie nicht. Ich bin �berzeugt, da� er auch im Schlaf zuweilen lachen oder eine Geste der Heiterkeit machen mu�te.

Richard brachte mich h�ufig mit andern jungen Leuten zusammen, Studenten, Musikanten, Malern, Literaten, allerlei Ausl�ndern, denn was an interessanten, kunstliebenden und aparten Personen in der Stadt herumlief, geriet in seinen Umgang. Es waren manche ernste und heftig ringende Geister dabei, Philosophen, �sthetiker und Sozialisten, und von vielen konnte ich ein gutes St�ck lernen. Kenntnisse aus den verschiedensten Gebieten flogen mir st�ckweise an, ich erg�nzte und las viel nebenher, und so gewann ich allm�hlich eine gewisse Vorstellung von dem, was die regsamsten K�pfe der Zeit plagte und bannte, und bekam einen wohlt�tig anspornenden Einblick in die geistige Internationale. Ihre W�nsche, Ahnungen, Arbeiten und Ideale waren mir anziehend und verst�ndlich, ohne da� ein starker eigener Trieb mich gen�tigt h�tte, f�r oder wider mitzustreiten. Bei den meisten fand ich alle Energie des Gedankens und der Leidenschaft auf Zust�nde und Einrichtungen der Gesellschaft, des Staates, der Wissenschaften, der K�nste, der Lehrmethoden gerichtet, die wenigsten aber schienen mir das Bed�rfnis zu kennen, ohne �u�eren Zweck an sich selber zu bauen und ihr pers�nliches Verh�ltnis zur Zeit und Ewigkeit zu kl�ren. Auch in mir selber lag dieser Trieb noch zumeist im Halbschlummer.

Freundschaften schlo� ich keine mehr, da ich Richard ausschlie�lich und mit Eifersucht liebte. Auch den Frauen, mit denen er viel und vertraut umging, suchte ich ihn zu entziehen. Die kleinsten mit ihm getroffenen Verabredungen hielt ich peinlich genau und war empfindlich, wenn er mich warten lie�. Einmal bat er mich, ihn zu einer bestimmten Stunde zum Rudern abzuholen. Ich kam, fand ihn aber nicht zuhause und wartete drei Stunden vergebens auf sein Kommen. Tags darauf warf ich ihm seine Nachl�ssigkeit heftig vor.

„Warum bist du denn nicht einfach allein rudern gegangen?“ lachte er verwundert. „Ich hatte die Sache ganz vergessen; das ist doch schlie�lich kein Ungl�ck.“

„Ich bin gewohnt mein Wort p�nktlich zu halten,“ antwortete ich heftig. „Aber freilich bin ich auch daran gew�hnt, da� du dir wenig daraus machst, mich irgendwo auf dich warten zu wissen. Wenn man so viele Freunde hat wie du!“

Er sah mich mit ma�losem Erstaunen an.

„Ja, so ernst nimmst du jede Bagatelle?“

„Meine Freundschaft ist mir keine Bagatelle.“

„Dies Wort drang ihm in die Natur,

So da� er schleunigst Bessrung schwur,“

zitierte Richard feierlich, fa�te mich um den Kopf, rieb nach orientalischem Liebesbrauch seine Nasenspitze an der meinen und liebkoste mich, bis ich �rgerlich lachend mich ihm entzog; die Freundschaft aber war wieder heil.

In meiner Mansarde lagen in entlehnten, oft kostbaren B�nden die modernen Philosophen, Dichter und Kritiker, literarische Revuen aus Deutschland und Frankreich, neue Theaterst�cke, Pariser Feuilletons und Wiener Mode�stheten. Ernster und liebevoller als mit diesen rasch gelesenen Sachen besch�ftigte ich mich mit meinen altitalienischen Novellisten und mit historischen Studien. Mein Wunsch war, baldm�glichst die Philologie beiseite zu legen und einzig Geschichte zu studieren. Neben Werken �ber Gesamtgeschichte und historische Methode las ich namentlich Quellen und Monographieen �ber die Zeit des Sp�tmittelalters in Italien und Frankreich. Dabei lernte ich zum erstenmal meinen Liebling unter den Menschen, Franz von Assisi, den seligsten und g�ttlichsten aller Heiligen, genauer kennen. Und so ward mein Traum, in dem ich die F�lle des Lebens und Geistes vor mir er�ffnet gesehen hatte, t�glich wahr und erw�rmte mir das Herz mit Ehrgeiz, Freude und Jugendeitelkeit. Im H�rsaal nahm mich die ernste, etwas herbe und gelegentlich etwas langweilige Wissenschaft in Anspruch. Zuhause kehrte ich bei den heimelig frommen oder schauerlichen Geschichten des Mittelalters oder bei den behaglichen alten Novellisten ein, deren sch�ne und wohlige Welt mich wie ein schattiger, d�mmernder M�rchenwinkel umschlo�, oder ich f�hlte die wilde Woge moderner Ideale und Leidenschaften �ber mich weg rollen. Dazwischen h�rte ich Musik, lachte mit Richard, nahm an den Zusammenk�nften seiner Freunde Teil, verkehrte mit Franzosen, Deutschen, Russen, h�rte sonderbare moderne B�cher vorlesen, trat da und dort in die Ateliers der Maler oder wohnte Abendgesellschaften bei, in denen eine Menge aufgeregter und unklarer junger Geister erschien und mich wie ein phantastischer Karneval umgab.

Eines Sonntags besuchte Richard mit mir eine kleine Ausstellung neuer Gem�lde. Mein Freund blieb vor einem Bilde stehen, das eine Alp mit ein paar Ziegen vorstellte. Es war flei�ig und nett gemalt, aber ein wenig altmodisch und eigentlich ohne rechten k�nstlerischen Kern. Man sieht in jedem beliebigen Salon genug solche h�bsche, wenig bedeutende Bildchen. Immerhin erfreute es mich als eine ziemlich treue Darstellung der heimatlichen Almen. Ich fragte Richard, was ihn denn an dem Bildchen anziehe.

„Das hier,“ sagte er und deutete auf den Malernamen in der Ecke. Ich konnte die rotbraunen Buchstaben nicht entziffern. „Das Bild,“ sagte Richard, „ist keine gro�e Leistung. Es gibt sch�nere. Aber es gibt keine sch�nere Malerin als die, die das gemacht hat. Sie hei�t Erminia Aglietti und wenn du willst, k�nnen wir morgen zu ihr gehen und ihr sagen, sie sei eine gro�e Malerin.“

„Kennst du sie?“

„Jawohl. Wenn ihre Bilder so sch�n w�ren wie sie selber, dann w�re sie schon lange reich und w�rde keine mehr malen. Sie tut es n�mlich ohne Lust und nur, weil sie zuf�llig nichts anderes gelernt hat, wovon sie leben k�nnte.“

Richard verga� die Sache wieder und kam erst ein paar Wochen sp�ter darauf zur�ck.

„Ich bin gestern der Aglietti begegnet. Wir wollten sie ja eigentlich neulich schon besuchen. Also komm! Du hast doch einen reinen Kragen? Sie sieht n�mlich darauf.“

Der Kragen war rein und wir gingen zusammen zur Aglietti, ich mit einigem inneren Widerstreben, denn der freie, etwas burschikose Verkehr Richards und seiner Kameraden mit Malweibern und Studentinnen hatte mir nie gefallen. Die M�nner waren dabei ziemlich r�cksichtslos, bald grob, bald ironisch; die M�dchen aber waren praktisch, klug und gerissen und nirgends war etwas von dem verkl�renden Duft zu merken, in welchem ich die Frauen gerne sah und verehrte.

Etwas befangen trat ich in das Atelier. Mit der Luft der Malerwerkst�tten war ich zwar wohl vertraut, doch betrat ich jetzt zum erstenmal ein Frauenatelier. Es sah recht n�chtern und sehr ordentlich aus. Drei oder vier fertige Bilder hingen in Rahmen, eines stand noch kaum ganz untermalt auf der Staffelei. Den Rest der W�nde bedeckten sehr saubere, appetitlich aussehende Bleistiftskizzen und ein halbleerer B�cherschrank. Die Malerin nahm unsre Begr��ung k�hl entgegen. Sie legte den Pinsel weg und lehnte sich im Malschurz gegen den Schrank und es sah aus, als verl�re sie nicht gerne viel Zeit an uns.

Richard machte ihr ungeheuerliche Komplimente �ber das ausgestellte Bild. Sie lachte ihn aus und verbat es sich.

„Aber Fr�ulein, ich konnte ja im Sinn haben das Bild zu kaufen! �brigens sind die K�he darauf von einer Wahrheit —“

„Es sind ja Ziegen,“ sagte sie ruhig.

„Ziegen? Nat�rlich Ziegen! Von einem Studium, wollte ich sagen, das mich verbl�fft hat. Es sind Ziegen, wie sie leben, so recht ziegenm��ig. Fragen Sie meinen Freund Camenzind, der selbst ein Sohn der Berge ist; er wird mir Recht geben.“

Hier f�hlte ich, w�hrend ich verlegen und belustigt dem Geschw�tz zuh�rte, mich vom Blick der Malerin �berflogen und gemustert. Sie sah mich lange und unbefangen an.

„Sie sind Oberl�nder?“

„Ja, Fr�ulein.“

„Man sieht es. Nun, und was halten Sie von meinen Ziegen?“

„O, sie sind gewi� sehr gut. Wenigstens hab’ ich sie nicht f�r K�he gehalten wie Richard.“

„Sehr g�tig. Sie sind Musiker?“

„Nein, Student.“

Weiter sprach sie kein Wort mit mir und ich fand nun Ruhe, sie zu betrachten. Die Gestalt war durch den langen Schurz verdeckt und entstellt, und das Gesicht erschien mir nicht sch�n. Der Schnitt war scharf und knapp, die Augen ein wenig streng, das Haar reich, schwarz und weich; was mich st�rte und fast abstie�, war die Farbe des Gesichts. Sie erinnerte mich schlechterdings an Gorgonzola und ich w�re nicht erstaunt gewesen, gr�ne Ritzen darin zu finden. Ich hatte noch nie diese welsche Bl�sse gesehen und jetzt, im ung�nstigen morgendlichen Atelierlicht, sah sie erschreckend steinern aus — nicht wie Marmor, sondern wie ein verwitternder, sehr gebleichter Stein. Ich war auch nicht gewohnt, ein Frauengesicht auf seine Formen zu pr�fen, sondern pflegte in solchen noch in etwas knabenhafter Weise mehr nach Schmelz, nach Rosigem, nach Liebreiz zu suchen.

Auch Richard war vom heutigen Besuch verstimmt. Desto mehr war ich erstaunt oder eigentlich erschrocken, als er mir nach einiger Zeit mitteilte, die Aglietti w�re froh mich zeichnen zu d�rfen. Es handle sich nur um ein paar Skizzen, das Gesicht brauche sie nicht, aber meine breite Figur habe etwas Typisches.

Ehe weiter hiervon die Rede war, kam ein anderes kleines Ereignis, das mein ganzes Leben ge�ndert und f�r Jahre meine Zukunft bestimmt hat. Eines Morgens, da ich erwachte, war ich Schriftsteller geworden.

Auf das Dr�ngen Richards hatte ich, rein als Stil�bungen, gelegentlich Typen aus unsrem Kreis, kleine Erlebnisse, Gespr�che und anderes skizzenhaft und m�glichst treu dargestellt, auch einige Essays �ber Literarisches und Historisches geschrieben.

Eines Morgens nun, ich lag noch im Bette, trat Richard bei mir ein und legte f�nfunddrei�ig Franken auf meine Bettdecke. „Das geh�rt dir,“ sagte er im Gesch�ftston. Endlich, als ich im Fragen alle Vermutungen ersch�pft hatte, zog er ein Zeitungsblatt aus der Tasche und zeigte mir darin eine meiner kleinen Novellen abgedruckt. Er hatte mehrere meiner Manuskripte abgeschrieben, einem ihm befreundeten Redakteur gebracht und in aller Stille f�r mich verkauft. Das erste, was gedruckt war, samt dem Honorar daf�r hielt ich nun in H�nden.

Mir war nie so sonderbar zu mut. Eigentlich �rgerte ich mich �ber Richards Vorsehungspielen, aber der s��e erste Schreiberstolz und das sch�ne Geld und der Gedanke an einen etwaigen kleinen Literatenruhm war doch st�rker und �berwog schlie�lich.

In einem Caf� brachte mich mein Freund mit dem Redakteur zusammen. Er bat, die ihm von Richard gezeigten anderen Arbeiten behalten zu d�rfen und lud mich ein, ihm je und je neue zu schicken. Es sei ein eigener Ton in meinen Sachen, besonders in den historischen, deren er gerne mehr bekomme und die er mir ordentlich bezahlen wolle. Nun sah ich erst die Wichtigkeit der Sache. Ich w�rde nicht nur t�glich ordentlich essen und meine kleinen Schulden bezahlen, sondern auch das Zwangsstudium wegwerfen und vielleicht in B�lde, auf meinem Lieblingsfelde arbeitend, ganz vom eigenen Erwerbe leben k�nnen.

Einstweilen bekam ich von jenem Redakteur einen Sto� neuer B�cher zum Rezensieren ins Haus geschickt. Ich fra� mich durch und hatte wochenlang damit zu tun; da aber die Honorare erst zu Ende des Quartals f�llig waren und ich in Aussicht auf dieselben besser als sonst gelebt hatte, sah ich mich eines Tages der letzten Rappen ledig und konnte wieder einmal eine Hungerkur antreten. Ein paar Tage hielt ich bei Brot und Kaffee in meiner Bude aus, dann trieb mich der Hunger in eine Speisehalle. Ich nahm drei von den Rezensionsb�nden mit, um sie als Pfand f�r die Zeche dortzulassen. Beim Antiquar hatte ich sie schon vergeblich anzubringen versucht. Das Essen war vorz�glich, beim schwarzen Kaffee aber ward mir etwas �ngstlich ums Herz. Zaghaft gestand ich der Kellnerin, ich h�tte kein Geld, wolle aber die B�cher als Pfand dalassen. Sie nahm eines davon, einen Band Gedichte, in die Hand, bl�tterte neugierig darin herum und fragte, ob sie das lesen d�rfe. Sie lese so gern, k�nne aber nie zu B�chern kommen. Ich f�hlte, da� ich gerettet sei und schlug ihr vor, die drei B�ndchen an Zahlungsstatt f�r das Essen zu behalten. Sie ging darauf ein und hat mir nach und nach f�r siebzehn Franken B�cher auf diese Weise abgenommen. F�r kleinere Gedichtb�nde beanspruchte ich etwa einen K�se mit Brot, f�r Romane dasselbe mit Wein, einzelne Novellen galten nur eine Tasse Kaffee mit Brot. Soweit ich mich erinnere, waren es meist geringe Sachen in krampfhaft neumodischem Stil und das gutm�tige M�dchen mag von der modernen deutschen Literatur einen sonderbaren Eindruck erhalten haben. Ich erinnere mich mit Vergn�gen an jene Vormittage, da ich im Schwei� meines Angesichts schnell noch einen Band im Galopp zu Ende las und ein paar Zeilen dar�ber schrieb, um ihn zur Mittagszeit fertig zu haben und etwas E�bares daf�r erhalten zu k�nnen. Vor Richard suchte ich meine Geldn�te sorgf�ltig zu verbergen, da ich mich unn�tiger Weise ihrer sch�mte und seine Hilfe nur ungern und stets nur f�r ganz kurze Fristen annehmen mochte.

F�r einen Dichter hielt ich mich nicht. Was ich gelegentlich schrieb, war Feuilleton, nicht Dichtung. Im stillen trug ich aber die geheimgehaltene Hoffnung, es werde mir eines Tages gegeben werden eine Dichtung zu schaffen, ein gro�es, k�hnes Lied der Sehnsucht und des Lebens.

Der fr�hlich klare Spiegel meiner Seele wurde zuweilen von einer Art von Schwermut verschattet, doch einstweilen nicht ernstlich gest�rt. Sie kam zuweilen f�r einen Tag oder eine Nacht, als eine tr�umende, einsiedlerische Trauer, verschwand wieder spurlos und kehrte nach Wochen oder Monaten zur�ck. Ich ward an sie allm�hlich wie an eine vertraute Freundin gew�hnt und empfand sie nicht qu�lend, sondern nur als ein unruhiges M�desein, das seine eigene S��igkeit hatte. Wenn sie mich nachts befiel, lag ich statt zu schlafen stundenlang im Fenster, sah den schwarzen See, die auf den bleichen Himmel gezeichneten Silhouetten der Berge und dar�ber die sch�nen Sterne. Dann ergriff mich oft ein �ngstlich s��es, starkes Gef�hl, als s�he all diese n�chtige Sch�nheit mich mit einem gerechten Vorwurf an. Als sehnten sich Sterne, Berge und See nach Einem, der ihre Sch�nheit und das Leiden ihres stummen Daseins verst�nde und ausspr�che, und als w�re ich dieser Eine und als w�re dies mein wahrer Beruf, der stummen Natur in Dichtungen Ausdruck zu gew�hren. Auf welche Weise das m�glich w�re dar�ber dachte ich niemals nach, sondern f�hlte nur die sch�ne, ernste Nacht ungeduldig in stummem Verlangen auf mich warten. Auch schrieb ich nie etwas in solcher Stimmung. Doch sp�rte ich gegen diese dunkeln Stimmen ein Gef�hl der Verantwortung und trat gew�hnlich nach solchen N�chten mehrt�gige einsame Fu�wanderungen an. Es schien mir, ich k�nnte damit der Erde, die sich in stummem Flehen mir anbot, ein wenig Liebe erweisen, �ber welche Vorstellung ich dann selbst wieder lachte. Diese Wanderungen wurden eine Grundlage meines sp�teren Lebens; einen gro�en Teil der seitherigen Jahre habe ich als Wanderer verbracht, auf wochen- und monatelangen Touren durch mehrere L�nder. Ich gew�hnte mich daran, mit wenig Geld und einem St�ck Brot in der Tasche weit zu marschieren, tagelang einsam unterwegs zu sein und h�ufig im Freien zu n�chtigen.

Die Malerin hatte ich �ber der Schriftstellerei ganz vergessen. Da kam ein Zettel von ihr: „Ein paar Freunde und Freundinnen werden am Donnerstag zum Tee bei mir sein. Bitte kommen Sie auch und bringen Sie Ihren Freund mit.“

Wir gingen hin und fanden eine kleine K�nstlerkolonie beisammen. Es waren fast lauter Unber�hmte, Vergessene, Erfolglose, was f�r mich etwas R�hrendes hatte, obwohl alle ganz zufrieden und fidel schienen. Man bekam Tee, Butterbrot, Schinken und Salat. Da ich keine Bekannten dort fand und ohnehin nicht gespr�chig war, gab ich meinem Hunger nach und a� etwa eine halbe Stunde lang still und ausdauernd, w�hrend die andern nur erst Tee nippten und schwatzten. Als diese nun, einer um den andern, auch ein wenig zugreifen wollten, zeigte es sich, da� ich fast den ganzen Schinkenvorrat allein verzehrt hatte. Ich war des tr�glichen Glaubens gewesen, es stehe mindestens noch eine zweite Platte in Reserve. Da man nun leise lachte und ich einige ironische Blicke einheimste, wurde ich w�tend und verw�nschte die Italienerin samt ihrem Schinken. Ich stand auf und entschuldigte mich kurz bei ihr, erkl�rte ein andermal mein Abendessen selber mitbringen zu wollen, und griff nach meinem H�tlein.

Da nahm die Aglietti mir den Hut aus der Hand, sah mich erstaunt und ruhig an und bat mich ernstlich, dazubleiben. Auf ihr Gesicht fiel das Licht einer Stehlampe, durch den Florschirm gem��igt, und da sah ich mitten in meinem �rger mit pl�tzlich begreifendem Auge die wunderbare, reife Sch�nheit dieser Frau. Ich erschien mir auf einmal sehr unartig und dumm und nahm wie ein gema�regelter Schuljunge in einer abseitigen Ecke Platz. Dort blieb ich sitzen und bl�tterte in einem Album vom Comersee. Die andern tranken Tee, gingen hin und her, lachten und redeten durcheinander, und irgendwo im Hintergrund h�rte man Geigen und ein Cello stimmen. Ein Vorhang wurde zur�ckgeschlagen und man sah vier junge Leute vor improvisierten Pulten sitzen, bereit ein Streichquartett aufzuf�hren. In diesem Augenblicke trat die Malerin zu mir, stellte eine Tasse Tee vor mir aufs Tischchen, nickte mir g�tig zu und nahm neben mir Platz. Das Quartett begann und dauerte lang, aber ich h�rte nichts davon, sondern staunte mit runden Augen die schlanke, feine, sch�ngekleidete Dame an, an deren Sch�nheit ich gezweifelt und deren Vorr�te ich aufgegessen hatte. Mit Freude und Angst erinnerte ich mich daran, da� sie mich hatte zeichnen wollen. Dann dachte ich an R�si Girtanner, an die Besteigung der Alpenrosenwand, an die Geschichte der Schneek�nigin, die mir jetzt alle nur wie eine Vorbereitung auf diesen heutigen Augenblick erschienen.

Als die Musik zu Ende war, ging die Malerin nicht, wie ich gef�rchtet hatte, wieder weg, sondern blieb ruhig sitzen und fing mit mir zu plaudern an. Sie gratulierte mir zu einer Novelle, die sie in der Zeitung gesehen hatte. Sie scherzte �ber Richard, um den sich ein paar junge M�dchen dr�ngten und dessen sorgloses Gel�chter zuweilen alle anderen Stimmen �berklang. Dann bat sie wieder, mich zeichnen zu d�rfen. Da hatte ich einen Einfall. Unvermittelt f�hrte ich das Gespr�ch italienisch fort und erntete daf�r nicht nur einen fr�hlich �berraschten Blick ihrer lebhaften S�dl�nderaugen, sondern hatte den k�stlichen Genu� sie ihre Sprache reden zu h�ren, die Sprache, die ihrem Mund und ihren Augen und ihrer Gestalt entsprach, die wohllaute, elegante, raschflie�ende lingua Toscana mit einem entz�ckenden leichten Anflug von Tessinerwelsch. Ich selbst sprach weder sch�n noch flie�end, doch st�rte es mich nicht. Andern Tags sollte ich kommen, um von ihr gezeichnet zu werden.

„A rivederla,“ sagte ich beim Abschied und verbeugte mich so tief ich konnte.

„A rivederci domani,“ l�chelte sie und nickte.

Von ihrem Hause weg schritt ich immerzu weiter, bis die Stra�e einen H�gelkamm erreichte und pl�tzlich das dunkle Land sch�n und n�chtig vor mit ruhte. Ein einzelnes Boot mit roter Laterne strich �ber den See und warf ein paar flackernde Scharlachstreifen auf das schwarze Wasser, aus welchem sonst nur da und dort ein vereinzelter schmaler Wellenkamm mit d�nnem, silberfahlem Umri� hervortrat. In einem nahen Garten war Mandolinenspiel und Gel�chter. Der Himmel war fast zur H�lfte verhangen und �ber die H�gel lief ein starker, warmer Wind.

Und wie der Wind die �ste der Obstb�ume und die schwarzen Kronen der Kastanien liebkoste, best�rmte und beugte, da� sie st�hnten und lachten und zitterten, so spielte mit mir die Leidenschaft. Auf dem Kamm des H�gels kniete ich, legte mich auf die Erde, sprang auf und st�hnte, stampfte den Boden, warf den Hut von mir, w�hlte mit dem Gesicht im Gras, r�ttelte an den Baumst�mmen, weinte, lachte, schluchzte, tobte, sch�mte mich, war selig und todbeklommen. Nach einer Stunde war alles in mir abgespannt und in einer tr�ben Schw�le erstickt. Ich dachte nichts, beschlo� nichts, f�hlte nichts; traumwandelnd stieg ich den H�gel hinab, schweifte durch die halbe Stadt, sah in einer abgelegenen Stra�e noch eine sp�te kleine Schenke offen, trat willenlos ein, trank zwei Liter Waadtl�nder und kam gegen Morgen schauderhaft betrunken nach Hause.

Am folgenden Nachmittag war Fr�ulein Aglietti ganz erschrocken, als ich zu ihr kam.

„Was ist mit Ihnen? Sind Sie krank? Sie sehen ja ganz zerst�rt aus.“

„Nichts von Belang,“ sagte ich. „Mir scheint, ich war heute Nacht sehr betrunken, das ist alles. Bitte beginnen Sie nur!“

Ich ward auf einen Stuhl gesetzt und gebeten, mich ruhig zu halten. Das tat ich auch, denn ich schlummerte in B�lde ein und habe jenen ganzen Nachmittag im Atelier verschlafen. Es kam vermutlich vom Terpentingeruch der Malerwerkst�tte, da� ich tr�umte, unser Nachen zuhaus werde frischgestrichen. Ich lag im Kies daneben und sah meinen Vater mit Topf und Pinsel hantieren; auch die Mutter war da und als ich sie fragte, ob sie denn nicht gestorben sei, sagte sie leise: „Nein, denn wenn ich nicht daw�re, w�rdest du am Ende der gleiche Lump werden wie dein Papa.“

Als ich erwachte, fiel ich vom Stuhl und fand mich mit Erstaunen in die Werkstatt der Erminia Aglietti versetzt. Sie selbst sah ich nicht, h�rte sie aber im Nebenst�blein mit Tassen und Besteck klappern und schlo� daraus, da� es Abendessenszeit sein m�sse.

„Sind Sie wach?“ rief sie her�ber.

„Jawohl. Hab’ ich lang geschlafen?“

„Vier Stunden. Sch�men Sie sich nicht?“

„O doch. Aber ich hatte einen so sch�nen Traum.“

„Erz�hlen Sie!“

„Ja, wenn Sie herauskommen und mir verzeihen.“

Sie kam heraus, doch wollte sie mit der Verzeihung noch warten, bis ich meinen Traum erz�hlt h�tte. Also erz�hlte ich, und �ber dem Traumerz�hlen geriet ich tief in die vergessene Kinderzeit hinein, und als ich schwieg und es schon v�llig dunkel geworden war, hatte ich ihr und mir selber meine ganze Kindheitsgeschichte erz�hlt. Sie gab mir die Hand, strich mir den zerknitterten Rock zurecht, lud mich ein morgen wieder zum Zeichnen zu kommen und ich f�hlte, da� sie auch meine heutige Unart begriffen und verziehen habe.

In den n�chsten Tagen sa� ich ihr Stunde um Stunde. Es wurde dabei fast gar nichts gesprochen, ich sa� oder stand ruhig und wie verzaubert da, h�rte den weichen Strich der Zeichenkohle, sog den leichten �lfarbegeruch ein und hatte keine andere Empfindung als da� ich in der N�he der von mir geliebten Frau war und ihren Blick best�ndig auf mir ruhen wu�te. Das wei�e Atelierlicht flo� an den W�nden hin, ein paar schl�frige Fliegen sumsten an den Scheiben und nebenan im St�bchen sang die Spiritusflamme, denn ich bekam nach jeder Sitzung eine Tasse Kaffee serviert.

Zuhause dachte ich oft �ber Erminia nach. Es ber�hrte oder verminderte meine Leidenschaft gar nicht, da� ich ihre Kunst nicht verehren konnte. Sie selbst war so sch�n, g�tig, klar und sicher; was gingen mich ihre Bilder an? Ich fand vielmehr in ihrer flei�igen Arbeit etwas Heroisches. Die Frau im Kampf ums Leben, eine stille, duldende und tapfere Heldin. �brigens gibt es nichts Erfolgloseres als das Nachdenken �ber jemand, den man liebt. Solche Gedankeng�nge sind wie gewisse Volks- und Soldatenlieder, worin tausenderlei Dinge vorkommen, der Refrain aber hartn�ckig wiederkehrt, auch wo er durchaus nicht pa�t.

So ist denn auch das Bild der sch�nen Italienerin, das ich im Ged�chtnis trage, zwar nicht unklar, aber doch ohne die vielen kleinen Linien und Z�ge, die man an Fremden oft viel besser sieht als an Nahestehenden. Ich wei� nicht mehr, welche Frisur sie trug, wie sie sich kleidete u. s. w., nicht einmal ob sie eigentlich gro� oder klein von Gestalt war. Wenn ich an sie denke, sehe ich einen dunkelhaarigen, edel geformten Frauenkopf, ein paar scharfblickende, nicht sehr gro�e Augen in einem bleichen, lebendigen Gesicht und einen vollendet sch�n geschwungenen, schmalen Mund von herber Reife. Wenn ich an sie denke und an jene ganze verliebte Zeit, dann erinnere ich mich stets nur jenes Abends auf dem H�gel, wo der warme Wind see�ber wogte und wo ich weinte, jubelte und berserkerte. Und eines anderen Abends, von dem ich nun erz�hlen will.

Mir war klar geworden, da� ich der Malerin irgendwie Gest�ndnisse machen und um sie werben m�sse. W�re sie mir fern gestanden, so h�tte ich sie ruhig weiterhin verehrt und verschwiegene Schmerzen um sie gelitten. Aber sie fast t�glich zu sehen, mit ihr zu reden, ihr die Hand zu geben und ihr Haus zu betreten, stets mit dem Stachel im Herzen, hielt ich nicht lange aus.

Es ward ein kleines Sommerfest von K�nstlern und ihren Freunden veranstaltet. Es war am See, in einem h�bschen Garten, ein reifer, weichlich lauer Hochsommerabend. Wir tranken Wein und Eiswasser, h�rten der Musik zu und betrachteten die roten Papierlampen, die in langen Guirlanden zwischen den B�umen hingen. Es wurde geplaudert, gespottet, gelacht und schlie�lich gesungen. Irgend ein lausiger Malerj�ngling spielte den Romantischen, trug ein k�hnes Barett, lag r�cklings am Gel�nder hingestreckt und t�ndelte mit einer langhalsigen Guitarre. Die paar bedeutenderen K�nstler fehlten entweder oder sa�en ungesehen im Kreis der �lteren beiseite. Von den Frauenzimmern waren ein paar j�ngere in lichten Sommerkleidern erschienen, die andern trieben sich in den gewohnten saloppen Kost�men herum. Namentlich fiel mir eine �ltere, h��liche Studentin widerlich auf, sie trug einen M�nnerstrohhut auf den verschnittenen Haaren, rauchte Cigarren, trank t�chtig Wein und sprach laut und viel. Richard war wie gew�hnlich bei den jungen M�dchen. Ich war trotz aller Erregung k�hl, trank wenig und wartete auf die Aglietti, die mir versprochen hatte sich heute von mir rudern zu lassen. Sie kam denn auch, schenkte mir ein paar Blumen und stieg mit mir in den kleinen Nachen.

Der See war glatt wie �l und n�chtig farblos. Ich trieb den leichten Nachen rasch in die stille Seebreite weit hinaus, und sah immerfort mir gegen�ber die schlanke Frau bequem und zufrieden im Steuersitz lehnen. Der hohe Himmel war noch blau und trieb langsam einen matten Stern um den andern hervor, am Ufer war da und dort Musik und Gartenlustbarkeit. Mit leisem Gurgeln nahm das tr�ge Wasser die Ruder auf, andere Boote schwammen da und dort dunkel und kaum mehr sichtbar auf der stillen Fl�che, ich achtete aber wenig darauf, sondern hing mit unverwandten Blicken an der Steurerin und trug meine geplante Liebeserkl�rung wie einen schweren Eisenring um’s bange Herz. Das Sch�ne und Poetische der ganzen abendlichen Szenerie, das Sitzen im Kahn, die Sterne, der laue ruhige See und alles das be�ngstigte mich, denn es kam mir vor wie eine sch�ne Theaterdekoration, in deren Mitte ich eine sentimentale Szene agieren m�sse. In meiner Angst und beklemmt durch die tiefe Stille, denn wir schwiegen beide, ruderte ich mit Macht drauf los.

„Wie stark Sie sind!“ sagte die Malerin nachdenklich.

„Meinen Sie dick?“ fragte ich.

„Nein, ich meine die Muskeln,“ lachte sie.

„Ja, stark bin ich schon.“

Dies war kein geeigneter Anfang. Traurig und �rgerlich ruderte ich weiter. Nach einer Weile bat ich sie, mir etwas aus ihrem Leben zu erz�hlen.

„Was m�chten Sie denn h�ren?“

„Alles,“ sagte ich. „Am liebsten eine Liebesgeschichte. Dann erz�hle ich Ihnen nachher auch eine von mir, meine einzige. Sie ist sehr kurz und sch�n und wird Sie am�sieren.“

„Was Sie sagen! Erz�hlen Sie doch!

„Nein, erst Sie! Sie wissen ohnehin schon viel mehr von mir als ich von Ihnen. Ich m�chte wissen, ob Sie jemals richtig verliebt waren oder ob Sie, wie ich f�rchte, daf�r viel zu klug und hochm�tig sind.“

Erminia besann sich eine Weile.

„Das ist wieder eine von Ihren romantischen Ideen,“ sagte sie, „sich hier in der Nacht auf dem schwarzen Wasser von einer Frau Geschichten erz�hlen zu lassen. Ich kann das aber leider nicht. Ihr Dichter seid gew�hnt, f�r alles h�bsche Worte zu haben und denen, die weniger von ihren Empfindungen reden, gleich gar kein Herz zuzutrauen. In mir haben Sie sich get�uscht, denn ich glaube nicht, da� man heftiger und st�rker lieben kann als ich es tue. Ich liebe einen Mann, der an eine andere Frau gebunden ist, und er liebt mich nicht weniger; doch wissen wir beide nicht, ob es je m�glich sein wird, da� wir zusammenkommen. Wir schreiben uns und wir treffen uns auch zuweilen . . . .“

„Darf ich Sie fragen, ob diese Liebe Sie gl�cklich macht, oder elend, oder beides?“

„Ach, die Liebe ist nicht da um uns gl�cklich zu machen. Ich glaube sie ist da, um uns zu zeigen, wie stark wir im Leiden und Tragen sein k�nnen.“

Das verstand ich und konnte nicht hindern, da� mir etwas wie ein leises St�hnen statt der Antwort vom Munde kam.

Sie h�rte es.

„Ah,“ sagte sie, „kennen Sie das auch schon? Sie sind noch so jung! Wollen Sie mir nun auch beichten? Aber nur wenn Sie wirklich wollen —.“

„Ein andermal vielleicht, Fr�ulein Aglietti. Mir ist heute ohnehin windig zu mut, und es tut mir leid, da� ich vielleicht auch Ihnen die Stimmung getr�bt habe. Wollen wir umkehren?“

„Wie Sie wollen. Wie weit sind wir eigentlich?“

Ich gab keine Antwort mehr, sondern stemmte die Ruder rauschend gegen das Wasser, wendete und zog an, als w�re die Bise im Anzug. Das Boot strich eilig �ber die Fl�che und mitten in dem Wirbel von Jammer und Scham, der in mir kochte, f�hlte ich wie mir der Schwei� in gro�en Tropfen �bers Gesicht lief, und fror zugleich. Wenn ich vollends daran dachte, wie nahe ich daran gewesen war den knieenden Bittsteller und m�tterlich-freundlich abgewiesenen Liebhaber zu spielen, lief mir ein Schaudern durchs Mark. Das wenigstens war mir erspart geblieben, mit dem �brigen Jammer galt es nun sich abzufinden. Ich ruderte wie besessen heimw�rts.

Das sch�ne Fr�ulein war einigerma�en befremdet, als ich am Ufer kurzen Abschied nahm und sie allein lie�.

Der See war so glatt, die Musik so fr�hlich und die Papierlaternen so festlich rot wie zuvor, mir aber schien das alles jetzt dumm und l�cherlich. Namentlich die Musik. Den Sammetrock, der noch immer seine Guitarre prahlerisch am breiten Seidenbande trug, h�tte ich am liebsten zu Brei geschlagen. Und Feuerwerk stand auch noch bevor. Es war so kindisch!

Ich entlehnte von Richard ein paar Franken, setzte den Hut ins Genick und begann zu marschieren, vor die Stadt hinaus und weiter, eine Stunde um die andere, bis mich schl�ferte. Ich legte mich in eine Wiese, wachte aber nach einer Stunde tauna�, steif und fr�stelnd wieder auf und ging ins n�chste Dorf. Es war fr�h am Morgen. Kleeschnitter zogen durch die staubige Gasse, verschlafene Knechte glotzten aus den Stallt�ren, b�uerliche Sommerarbeitsamkeit gab sich allerorten kund. Du h�ttest Bauer bleiben sollen, sagte ich mir, strich besch�mt durchs Dorf und lief erm�det weiter, bis die erste Sonnenw�rme mir eine Rast erlaubte. Am Rand eines jungen Buchenstandes warf ich mich ins d�rre Raingras und schlief in der warmen Sonne bis tief in den Sp�tnachmittag hinein. Als ich erwachte, den Kopf voll Wiesenduft und die Glieder so wohlig schwer wie sie nur nach langem Liegen auf Gottes lieber Erde sind, da kam mir das Fest und die Bootfahrt und alles das fern, traurig und halbverklungen vor wie ein vor Monaten gelesener Roman.

Ich blieb drei Tage fort, lie� mir die Sonne auf den Pelz brennen und �berlegte mir, ob ich nicht in einem Strich heimw�rts wandern und meinem Vater beim �hmden helfen sollte.

Freilich war damit der Schmerz noch lange nicht abgetan. Nach meiner R�ckkehr in die Stadt floh ich anfangs den Anblick der Malerin wie die Pest, doch ging das nicht lange an, und so oft sie mich sp�ter ansah und anredete, stieg mir das Elend in die Kehle.

IV.

Was meinem Vater seinerzeit nicht gelungen war, das gelang nun diesem Liebeselend. Es erzog mich zum Zecher.

F�r mein Leben und Wesen war das wichtiger als irgend etwas von dem, was ich bisher erz�hlte. Der starke, s��e Gott ward mir ein treuer Freund und ist es heute noch. Wer ist so m�chtig wie er? Wer ist so sch�n, so phantastisch, schw�rmerisch, fr�hlich und schwerm�tig? Er ist ein Held und Zauberer. Er ist ein Verf�hrer und Bruder des Eros. Er vermag Unm�gliches; arme Menschenherzen f�llt er mit sch�nen und wunderlichen Dichtungen. Er hat mich Einsiedler und Bauern zum K�nig, Dichter und Weisen gemacht. Leer gewordene Lebensk�hne belastet er mit neuen Schicksalen und treibt Gestrandete in die eilige Str�mung des gro�en Lebens zur�ck.

So ist der Wein. Doch ist es mit ihm wie mit allen k�stlichen Gaben und K�nsten. Er will geliebt, gesucht, verstanden und mit M�hen gewonnen sein. Das k�nnen nicht Viele, und er bringt tausend und tausend um. Er macht sie alt, er t�tet sie oder l�scht die Flamme des Geistes in ihnen aus. Seine Lieblinge aber l�dt er zu Festen ein und baut ihnen Regenbogenbr�cken zu seligen Inseln. Er legt, wenn sie m�de sind, Kissen unter ihr Haupt und umfa�t sie, wenn sie der Traurigkeit zur Beute fallen, mit leiser und g�tiger Umarmung wie ein Freund und wie eine tr�stende Mutter. Er verwandelt die Wirrnis des Lebens in gro�e Mythen und spielt auf m�chtiger Harfe das Lied der Sch�pfung.

Und wieder ist er ein Kind, hat lange seidige Locken und schmale Schultern und feine Glieder. Er lehnt sich dir ans Herz und reckt das schmale Gesicht zu deinem empor und sieht dich erstaunt und traumhaft aus lieben gro�en Augen an, in deren Tiefe Paradieserinnerung und unverlorene Gotteskindschaft feucht und gl�nzend wogt wie eine neugeborene Quelle im Wald.

Und der s��e Gott gleicht auch einem Strom, der tief und rauschend eine Fr�hlingsnacht durchwandert. Und gleicht einem Meere, welches Sonne und Sturm auf k�hler Woge wiegt.

Wenn er mit seinen Lieblingen redet, dann �berrauscht sie schauernd und flutend die st�rmende See der Geheimnisse, der Erinnerung, der Dichtung, der Ahnungen. Die bekannte Welt wird klein und geht verloren und in banger Freude wirft sich die Seele in die stra�enlose Weite des Unbekannten, wo alles fremd und alles vertraut ist und wo die Sprache der Musik, der Dichter und des Traumes gesprochen wird.

Nun, ich mu� erst erz�hlen.

Es geschah, da� ich stundenlang selbstvergessen heiter sein konnte, studierte, schrieb und Richards Musik anh�rte. Aber kein Tag ging ganz ohne Leid vorbei. Manchmal �berfiel es mich erst nachts im Bette, da� ich st�hnte und mich b�umte und sp�t in Tr�nen entschlief. Oder erwachte es, wenn ich der Aglietti begegnet war. Meistens aber kam es am Sp�tnachmittag, wenn die sch�nen, lauen, m�demachenden Sommerabende begannen. Dann ging ich an den See, nahm ein Boot, ruderte mich hei� und m�de und fand es dann unm�glich, nach hause zu gehen. Also in eine Kneipe oder in einen Wirtsgarten. Da probierte ich verschiedene Weine, trank und br�tete und war manchmal am andern Tage halbkrank Dutzendemal �berfiel mich dabei ein so schauderhaftes Elend und Ekelgef�hl, da� ich beschlo� nie mehr zu trinken. Und dann ging ich wieder und trank. Allm�hlich unterschied ich die Weine und ihre Wirkung und geno� sie mit einer Art von Bewu�tsein, im ganzen freilich noch naiv und roh genug. Schlie�lich fand ich am dunkelroten Veltliner einen Halt. Er schmeckte mir beim ersten Glas herb und erregend, dann verschleierte er mir die Gedanken bis zu einer stillen, stetigen Tr�umerei, und dann begann er zu zaubern, zu schaffen, selber zu dichten. Dann sah ich alle Landschaften, die mir je gefallen hatten, in k�stlichen Beleuchtungen mich umgeben und ich selbst wanderte darin, sang, tr�umte und f�hlte ein erh�htes, warmes Leben in mir kreisen. Und es endete mit einer �beraus angenehmen Traurigkeit, als h�rte ich Volkslieder geigen und als w��te ich irgendwo ein gro�es Gl�ck, dem ich vorbeigewandert w�re und das ich vers�umt h�tte.

Es kam von selbst so, da� ich allm�hlich selten mehr allein kneipte, sondern allerlei Gesellschaft fand. Sobald ich von Menschen umgeben war, wirkte der Wein anders auf mich. Dann wurde ich gespr�chig, aber nicht erregt, sondern f�hlte ein k�hles sonderbares Fieber. Eine mir selbst bisher kaum bekannte Seite meines Wesens bl�hte �ber Nacht empor, doch geh�rte sie weniger zu den Garten- und Zierblumen, als in die Gattung der Disteln und Nesseln. Zugleich n�mlich mit der Beredtsamkeit kam ein scharfer, k�hler Geist �ber mich, machte mich sicher, �berlegen, kritisch und witzig. Waren Leute da, deren Gegenwart mich st�rte, so wurden sie bald fein und listig, bald grob und hartn�ckig so lange aufgezogen und ge�rgert, bis sie gingen. Die Menschen �berhaupt waren mir ja von Kind auf weder sonderlich lieb noch notwendig gewesen, nun begann ich sie kritisch und ironisch zu betrachten. Mit Vorliebe erfand und erz�hlte ich kleine Geschichten, in welchen die Verh�ltnisse der Menschen untereinander lieblos und mit scheinbarer Sachlichkeit satirisch dargestellt und bitter verh�hnt wurden. Woher dieser ver�chtliche Ton mir kam, wu�te ich selber nicht, er brach wie eine reifende Schw�re aus meinem Wesen hervor, die ich lange Jahre nicht wieder los ward.

Sa� ich dazwischen einmal einen Abend allein, dann tr�umte ich wieder von Bergen, Sternen und trauriger Musik.

In diesen Wochen schrieb ich eine Folge von Betrachtungen �ber Gesellschaft, Kultur und Kunst unserer Zeit, ein kleines giftiges B�chlein, dessen Wiege meine Wirtshausgespr�che waren. Aus meinen ziemlich flei�ig weiterbetriebenen historischen Studien kam mancherlei geschichtliches Material hinzu, welches meinen Satiren eine Art von solidem Hintergrunde gab.

Auf Grund dieser Arbeit erhielt ich bei einer gr��eren Zeitung den Rang eines st�ndigen Mitarbeiters, wovon ich nahezu leben konnte. Gleich darauf erschienen jene Skizzen auch als selbst�ndiges B�chlein und hatten einigen Erfolg. Nun warf ich die Philologie vollends �ber Bord. Ich war nun schon in h�heren Semestern, Beziehungen zu deutschen Zeitschriften kn�pften sich an und hoben mich aus der bisherigen Verborgenheit und Armseligkeit in den Kreis der Anerkannten empor. Ich verdiente mein Brot, verzichtete auf das l�stige Stipendium und trieb mit vollen Segeln dem ver�chtlichen Leben eines kleinen Berufsliteraten entgegen.

Und trotz des Erfolgs und meiner Eitelkeit, und trotz der Satiren und trotz meiner Liebesleiden lag �ber mir in Fr�hlichkeit und Schwermut der warme Glanz der Jugend. Trotz aller Ironie und einer kleinen, harmlosen Blasiertheit sah ich in Tr�umen doch stets ein Ziel, ein Gl�ck, eine Vollendung vor mir. Was es sein sollte, wu�te ich nicht. Ich f�hlte nur, das Leben m�sse mir irgend einmal ein besonders lachendes Gl�ck vor die F��e sp�len, einen Ruhm, eine Liebe vielleicht, eine Befriedigung meiner Sehnsucht und eine Erh�hung meines Wesens. Ich war noch der Page, der von Edeldamen und Ritterschlag und gro�en Ehren tr�umt.

Ich glaubte im Beginn einer emporstrebenden Bahn zu stehen. Ich wu�te nicht, da� alles bis jetzt Erlebte nur Zuf�lle waren und da� meinem Wesen und Leben noch der tiefe, eigene Grundton fehle. Ich wu�te noch nicht, da� ich an einer Sehnsucht litt, welcher nicht Liebe noch Ruhm Grenze und Erf�llung sind.

Und so geno� ich meinen kleinen, etwas herben Ruhm mit aller Jugendlust. Es tat mir wohl, bei gutem Wein unter klugen und geistigen Menschen zu sitzen und, wenn ich zu reden begann, ihre Gesichter begierig und aufmerksam mir zugewendet zu sehen.

Zuweilen fiel mir auf, eine wie gro�e Sehnsucht in allen diesen Seelen von heute nach Erl�sung schrie und was f�r wunderliche Wege sie sie f�hrte. An Gott zu glauben, galt f�r dumm und fast f�r unanst�ndig, sonst aber wurde an vielerlei Lehren und Namen geglaubt, an Schopenhauer, an Buddha, an Zarathustra und viele andere. Es gab junge, namenlose Dichter, welche in stilvollen Wohnungen feierliche Andachten vor Statuen und Gem�lden begingen. Sie h�tten sich gesch�mt sich vor Gott zu beugen, aber sie lagen auf Knieen vor dem Zeus von Otrikoli. Es gab Asketen, die sich mit Enthaltsamkeit qu�lten und deren Toilette zum Himmel schrie. Ihr Gott hie� Tolstoi oder Buddha. Es gab K�nstler, die sich durch wohlerwogene und abgestimmte Tapeten, Musik, Speisen, Weine, Parf�me oder Cigarren zu aparten Stimmungen anregten. Sie sprachen gel�ufig und mit erk�nstelter Selbstverst�ndlichkeit von musikalischen Linien, Farbenakkorden und �hnlichem und waren �berall auf der Lauer nach der „pers�nlichen Note,“ welche meist in irgend einer kleinen, harmlosen Selbstt�uschung oder Verr�cktheit bestand. Im Grunde war mir die ganze krampfhafte Kom�die am�sant und l�cherlich, doch f�hlte ich oft mit sonderbarem Schauder, wie viel ernste Sehnsucht und echte Seelenkraft darin flammte und verloderte.

Von all den phantastisch einherschreitenden neumodischen Dichtern, K�nstlern und Philosophen, die ich damals mit Erstaunen und Erg�tzen kennen lernte, wei� ich keinen, aus dem etwas Notables geworden w�re. Es war unter ihnen ein mir gleichaltriger Norddeutscher, ein gef�lliges Fig�rchen und ein zarter, lieber Mensch, delikat und sensibel in allem, was irgend k�nstlerische Dinge betraf. Er galt f�r einen der zuk�nftigen gro�en Dichter und ich h�rte ein paar mal Gedichte von ihm vorlesen, die meiner Erinnerung noch immer als etwas ungemein Duftiges, seelenvoll Sch�nes vorschweben. Vielleicht war er der einzige von uns allen, aus dem ein wirklicher Dichter h�tte werden k�nnen. Zuf�llig erfuhr ich sp�ter einmal seine kurze Geschichte. Durch einen literarischen Mi�erfolg scheu geworden, entzog sich der �berempfindliche aller �ffentlichkeit und fiel einem Lumpen von M�cen in die H�nde, der ihn, statt ihn anzuspornen und zur Vernunft zu bringen, schnell vollends zu Grunde richtete. Auf den Villen des reichen Herrn trieb er mit dessen nerv�sen Damen ein fades Aesthetengeflunker, stieg in seiner Einbildung zum verkannten Heros und brachte sich, j�mmerlich mi�leitet, durch lauter Chopinmusik und pr�raphaelitische Ekstasen systematisch um den Verstand.

An dies halbfl�gge Volk seltsam gekleideter und frisierter Dichter und sch�ner Seelen kann ich mich nur mit Grauen und Mitleid erinnern, da ich erst nachtr�glich das Gef�hrliche dieses Umganges einsah. Nun, mich bewahrte mein Oberl�nder Bauerntum davor, an dem Tummel teilzunehmen.

Edler und begl�ckender aber als der Ruhm und der Wein und die Liebe und die Weisheit war meine Freundschaft. Sie war’s schlie�lich allein, die meiner angebotenen Schwerlebigkeit aufhalf und meine Jugendjahre unverdorben frisch und morgenrot erhielt. Ich wei� auch heute in der Welt nichts K�stlicheres als eine ehrliche und t�chtige Freundschaft zwischen M�nnern und wenn mich einmal an nachdenklichen Tagen etwas wie ein Jugendheimweh bef�llt, so ist es allein um meine Studentenfreundschaft.

Seit meiner Verliebtheit in Erminia hatte ich Richard ein wenig vernachl�ssigt. Es geschah im Anfang unbewu�t, nach einigen Wochen aber schlug mir das Gewissen. Ich beichtete ihm, er entdeckte mir da� er das ganze Ungl�ck mit Bedauern habe kommen und wachsen sehen, und ich schlo� mich ihm aufs neue herzlich und eifers�chtig an. Was ich damals etwa an heiteren und freien kleinen Lebensk�nsten mir erwarb, kam alles von ihm. Er war sch�n und heiter an Leib und Seele und das Leben schien f�r ihn keine Schatten zu haben. Die Leidenschaften und Irrungen der Zeit kannte er als kluger und beweglicher Mensch wohl, aber sie glitten ohne Schaden an ihm ab. Sein Gang und seine Sprache und sein ganzes Wesen war geschmeidig, wohllaut und liebenswert. O wie er lachen konnte!

F�r meine Weinstudien hatte er wenig Verst�ndnis. Er ging gelegentlich mit, hatte jedoch nach zwei Gl�sern genug und betrachtete meinen wesentlich gr��eren Konsum mit naivem Erstaunen. Aber wenn er sah, da� ich litt und hilflos meiner Schwermut unterlag, musizierte er mir, las mir vor oder f�hrte mich spazieren. Auf unsern kleinen Ausfl�gen waren wir oft ausgelassen wie zwei kleine Knaben. Einmal lagen wir auf warmer Mittagsrast in einem waldigen Tal, warfen uns mit Tannenzapfen und sangen Verse aus der frommen Helene auf gef�hlvolle Melodieen. Der rasche klare Bach pl�tscherte uns so lange k�hl verlockend ins Ohr, bis wir uns entkleideten und uns ins kalte Wasser legten. Da kam er auf die Idee Kom�die zu spielen. Er setzte sich auf einen moosigen Felsen und war die Lorelei, und ich segelte unten als Schiffer im kleinen Schiffe vor�ber. Dabei sah er so jungferlich schamhaft aus und schnitt solche Grimassen, da� ich, der ich das wilde Weh h�tte markieren sollen, mich vor Lachen kaum halten konnte. Pl�tzlich wurden Stimmen laut, eine Touristengesellschaft erschien auf dem Fu�weg und wir mu�ten uns in unsrer Bl��e eiligst unter dem ausgewaschenen, �berh�ngenden Ufer verbergen. Als die ahnungslose Gesellschaft an uns vor�berschritt, stie� Richard allerlei seltsame T�ne aus, grunzte, quietschte und fauchte. Die Leute stutzten, schauten um sich, stierten ins Wasser und waren nahe daran uns zu entdecken. Da tauchte mein Freund mit halbem Leibe aus seinem Schlupfwinkel auf, blickte die indignierte Gesellschaft an und sprach mit tiefer Stimme und priesterlicher Geberde: „Ziehet hin in Frieden!“ Sogleich verschwand er wieder, zwickte mich in den Arm und sagte: „Auch das war eine Charade.“

„Was f�r eine?“ fragte ich.

„Pan erschreckt einige Hirten,“ lachte er. „Es waren aber leider auch Frauenzimmer dabei.“

Von meinen geschichtlichen Studien nahm er wenig Notiz. Meine fast verliebte Vorliebe f�r den heiligen Franz von Assisi aber teilte er bald, obschon er gelegentlich auch �ber ihn Witze machen konnte, die mich entr�steten. Wir sahen den seligen Dulder freundlich begeistert und heiter wie ein liebes gro�es Kind durch die umbrische Landschaft wandern, seines Gottes froh und voll dem�tiger Liebe zu allen Menschen. Wir lasen zusammen seinen Unsterblichen Sonnengesang und kannten ihn fast auswendig. Einst, da wir im Dampfboot �ber den See von einer Spazierfahrt zur�ckkehrten und der abendliche Wind das goldige Wasser bewegte, fragte er leise: „Du, wie sagt hier der Heilige?“ Und ich zitierte:

Laudato si, mi Signore, per frate vento e per aere e nubilo et sereno et onne tempo!

Wenn wir Streit bekamen und uns Schn�digkeiten sagten, warf er mir, immer halb im Scherz, nach Art der Schuljungen eine solche Menge von drolligen �bernamen an den Kopf, da� ich bald lachen mu�te und dem �rgernis der Stachel genommen war. Verh�ltnism��ig ernst war mein lieber Freund nur, wenn er seine Lieblingsmusiker h�rte oder spielte. Auch dann konnte er sich unterbrechen, um irgend einen Spa� zu machen. Dennoch war seine Liebe zur Kunst voll reiner, herzlicher Hingabe und sein Gef�hl f�r das Echte und Bedeutende schien mir untr�glich.

Wunderbar verstand er die feine, zarte Kunst des Tr�stens, des teilnehmenden Dabeiseins oder des Erheiterns, wenn einer seiner Freunde in N�ten war. Er konnte mir, wenn er mich �bellaunig fand, ganze Mengen kleiner anekdotischer Geschichten von grotesker Nettigkeit erz�hlen und hatte dann etwas Beruhigendes und Erheiterndes im Ton, dem ich selten widerstand.

Vor mir hatte er ein wenig Respekt, weil ich ernster war als er; noch mehr imponierte ihm meine K�rperkraft. Vor andern renommierte er damit und war stolz einen Freund zu haben, der ihn einh�ndig h�tte erdr�cken k�nnen. Er gab viel auf k�rperliche F�higkeiten und Gewandtheit, er lehrte mich Tennis, ruderte und schwamm mit mir, nahm mich zum Reiten mit und ruhte nicht, bis ich fast eben so gut Billard spielte wie er selbst. Es war sein Lieblingsspiel und er betrieb es nicht nur k�nstlerisch und meisterhaft, sondern pflegte am Billard auch immer besonders lebhaft, witzig und fr�hlich zu sein. H�ufig gab er den drei B�llen die Namen von Leuten unsrer Bekanntschaft und konstruierte bei jedem Sto� aus Stellung, Ann�herung und Entfernung der B�lle ganze Romane voll von Witzen, Anz�glichkeiten und karikierenden Vergleichen. Dabei spielte er ruhig, leicht und �beraus elegant und es war eine Lust ihn dabei zu betrachten.

Meine Schriftstellerei sch�tzte er nicht h�her als ich selbst. Einmal sagte er mir: „Sieh, ich hielt dich immer f�r einen Dichter und halte dich noch daf�r, aber nicht deiner Feuilletons wegen, sondern weil ich f�hle da� du etwas Sch�nes und Tiefes in dir leben hast, das fr�her oder sp�ter einmal hervorbrechen wird. Und das wird dann eine wirkliche Dichtung sein.“

Indessen glitten uns die Semester wie kleine M�nze durch die Finger und die Zeit kam unverhofft, da Richard an die R�ckkehr nach seiner Heimat denken mu�te. Mit einer etwas k�nstlichen Ausgelassenheit genossen wir die schwindenden Wochen und kamen am Ende �berein, da� vor dem bitteren Abschied noch irgend eine gl�nzende und festliche Unternehmung diese sch�nen Jahre heiter und verhei�ungsvoll beschlie�en sollte. Ich schlug eine Ferientour in die Berner Alpen vor, doch war es freilich noch Vorfr�hling und f�r die Berge eigentlich viel zu fr�h. W�hrend ich mir den Kopf nach anderen Vorschl�gen zerbrach, schrieb Richard seinem Vater und bereitete mir in der Stille eine gro�e und freudige �berraschung vor. Eines Tages kam er mit einem stattlichen Wechsel anger�ckt und lud mich ein, ihn als F�hrer nach Oberitalien zu begleiten.

Mir schlug bang und frohlockend das Herz. Ein seit Knabenzeiten gehegter, tausendmal durchgetr�umter, sehnlicher Lieblingswunsch sollte sich mir erf�llen. Wie im Fieber besorgte ich meine kleinen Vorbereitungen, brachte meinem Freund noch ein paar Worte Italienisch bei und f�rchtete bis zum letzten Tag, es m�chte doch nichts daraus werden.

Unser Gep�ck war vorausgeschickt, wir sa�en im Wagen, die gr�nen Felder und H�gel flirrten vor�ber, der Urnersee und der Gotthard kam, dann die Bergnester und B�che und Ger�llhalden und Schneegipfel des Tessin, und dann die ersten schw�rzlichen Steinh�user in ebenen Weinbergen und die erwartungsvolle Fahrt an den Seen hin und durch die fruchtbare Lombardei dem l�rmend lebhaften, sonderbar anziehenden und absto�enden Mailand entgegen.

Richard hatte sich vom Milaneser Dom nie eine Vorstellung gemacht, sondern von ihm nur als von einem ber�hmten gro�en Bauwerk gewu�t. Es war erg�tzlich, seine entr�stete Entt�uschung zu sehen. Als er den ersten Schreck �berwunden und seinen Humor wiedergefunden hatte, schlug er selber vor, das Dach zu besteigen und sich in dem tollen Wirrsal von Steinfiguren dort oben umherzutreiben. Wir stellten mit einiger Befriedigung fest, da� es um die Hunderte von unseligen Heiligenstatuen auf den Fialen nicht so sehr schade sei, denn sie erwiesen sich zumeist, wenigstens s�mtliche neuern, als Fabrikarbeit gew�hnlicher Art. Wir lagen fast zwei Stunden auf den breiten, schr�gen Marmorplatten, die ein sonniger Apriltag leise durchgl�ht hatte. Behaglich gestand mir Richard: „Wei�t du, im Grunde hab’ ich nichts dagegen, noch mehr solche Entt�uschungen zu erleben wie mit dem verr�ckten Dom da. Auf der ganzen Reise hatte ich eine kleine Angst vor alle den Gro�artigkeiten, die wir sehen und die uns erdr�cken w�rden. Und nun f�ngt die Sache so freundlich und menschlich-l�cherlich an!“ Dann reizte ihn das wirre steinerne Figurenvolk, in dessen Mitte wir lagerten, zu allerlei barocken Phantasieen.

„Vermutlich,“ sagte er, „wird dort auf dem Chorturm, als der h�chsten Spitze, wohl auch der h�chste und vornehmste Heilige stehen. Da es nun keineswegs ein Vergn�gen sein mu�, ewig als steinerner Seilt�nzer auf diesen spitzen T�rmchen zu balancieren, ist es billig, da� von Zeit zu Zeit der oberste Heilige erl�st und in den Himmel entr�ckt wird. Nun denke dir, was das jedesmal f�r ein Spektakel absetzt! Denn nat�rlich r�cken nun s�mtliche �brige Heilige genau nach der Rangordnung je um einen Platz vor und jeder mu� mit einem gro�en Satz auf die Fiale des Vorg�ngers h�pfen, jeder in gro�er Eile und jeder jaloux auf alle, die noch vor ihm kommen.“

So oft ich seither durch Mailand kam, fiel jener Nachmittag mir wieder ein und ich sah mit wehm�tigem Lachen die hunderte von Marmorheiligen ihre k�hnen Spr�nge tun.

In Genua ward ich um eine gro�e Liebe reicher. Es war ein heller, windiger Tag, kurz nach der Mittagsstunde. Ich hatte die Arme auf eine breite Mauerbr�stung gest�tzt, hinter mir lag das farbige Genua, und unter mir schwoll und lebte die gro�e blaue Flut. Das Meer. Mit dunklem Tosen und unverstandenem Verlangen warf sich mir das Ewige und Unwandelbare entgegen und ich f�hlte, da� etwas in mir sich mit dieser blauen, sch�umigen Flut f�r Leben und Tod befreundete.

Ebenso m�chtig ergriff mich der weite Meerhorizont. Wieder sah ich wie in Kinderzeiten die duftblaue Ferne wie ein ge�ffnetes Tor auf mich warten. Und wieder fa�te mich das Gef�hl, ich sei nicht zum stetig heimischen Leben unter Menschen und in St�dten und Wohnungen, sondern zum Schweifen durch fremde Gebiete und zu Irrfahrten auf Meeren geboren. Mit dunklem Trieb stieg das alte, traurigmachende Verlangen in mir empor, mich an Gottes Brust zu werfen und mein kleines Leben mit dem Unendlichen und Zeitlosen zu verbr�dern.

Bei Rapallo rang ich schwimmend zum erstenmal mit der Flut, schmeckte das herbe Salzwasser und f�hlte die Gewalt der Wogen. Ringsum blaue, klare Wellen, braungelbe Strandfelsen, tiefer stiller Himmel und das ewige, gro�e Rauschen. Stets von neuem ergriff mich der Anblick der ferne gleitenden Schiffe, schwarzer Masten und blanker Segel oder die kleine Rauchfahne eines entfernt dahinfahrenden Dampfers. N�chst meinen Lieblingen, den rastlosen Wolken, wei� ich kein sch�neres und ernsteres Bild der Sehnsucht und des Wanderns als solch ein Schiff, das in gro�er Ferne f�hrt, kleiner wird und in den ge�ffneten Horizont hinein verschwindet.

Und wir kamen nach Florenz. Die Stadt lag da wie ich sie aus hundert Bildern und tausend Tr�umen kannte — licht, ger�umig, gastlich, vom gr�nen, �berbr�ckten Strom durchzogen und von klaren H�geln umg�rtet. Der kecke Turm des palazzo vecchio stach k�hn in den lichten Himmel, in seiner H�he lag wei� und warmsonnig das sch�ne Fiesole und alle H�gel standen wei� und rosenrot im Flor der Obstbl�te. Das beweglich freudige, harmlose toskanische Leben ging mir wie ein Wunder auf und ich war bald heimischer als ich je zu Hause gewesen war. Die Tage wurden in Kirchen, auf Pl�tzen, in Gassen, Loggien und M�rkten verbummelt, die Abende in H�gelg�rten vertr�umt, wo schon die Limonen reiften, oder in kleinen naiven Chiantischenken vertrunken und verplaudert. Dazwischen die begl�ckend reichen Stunden in den Bilders�len und im Bargello, in Kl�stern, Bibliotheken und Sakristeien, die Nachmittage in Fiesole, San Miniato, Settignano, Prato.

Nach einer schon zu Hause getroffenen Verabredung lie� ich nun Richard f�r eine Woche allein und geno� die edelste und k�stlichste Wanderung meiner Jugendzeit, durch das reiche, gr�ne umbrische H�gelland. Ich ging die Stra�en des heiligen Franz und f�hlte ihn in manchen Stunden neben mir wandern, das Gem�t voll unergr�ndlicher Liebe, jeden Vogel und jede Quelle und jeden Hagrosenstrauch mit Dankbarkeit und Freude begr��end. Ich pfl�ckte und verzehrte Limonen an sonnig gl�nzenden H�ngen, n�chtigte in kleinen D�rfern, sang und dichtete in mich hinein und feierte die Ostern in Assisi, in der Kirche meines Heiligen.

Mir ist immer, als seien diese acht Wandertage in Umbrien die Krone und das sch�ne Abendrot meiner Jugendzeit gewesen. Jeden Tag sprangen Quellen in mir auf und ich sah in die lichte, festliche Fr�hlingslandschaft wie in Gottes g�tige Augen.

In Umbrien war ich Franz, dem „Spielmann Gottes“, verehrend nachgegangen; in Florenz geno� ich die best�ndige Vorstellung vom Leben des Quattrocento. Ich hatte ja schon zu Hause Satiren auf die Formen unsres heutigen Lebens geschrieben. In Florenz aber f�hlte ich zum erstenmal die ganze sch�bige L�cherlichkeit der modernen Kultur. Dort �berfiel mich zuerst die Ahnung, da� ich in unsrer Gesellschaft ewig ein Fremdling sein w�rde, und dort erwachte zuerst der Wunsch in mir, mein Leben au�erhalb dieser Gesellschaft und wom�glich im S�den weiter zu f�hren. Hier konnte ich mit den Menschen verkehren, hier erfreute mich auf Schritt und Tritt eine freim�tige Nat�rlichkeit des Lebens, �ber welcher adelnd und verfeinernd die Tradition einer klassischen Kultur und Geschichte lag.

Gl�nzend und begl�ckend rannen uns die sch�nen Wochen hin; auch Richard hatte ich nie so schw�rmerisch entz�ckt gesehen. �berm�tig und freudig leerten wir die Becher der Sch�nheit und des Genusses. Wir erwanderten abseitige, hei� gelegene H�geld�rfer, befreundeten uns mit Gastwirten, M�nchen, Landm�dchen und kleinen zufriedenen Dorfpfarrern, belauschten naive St�ndchen, f�tterten br�unliche, h�bsche Kinder mit Brot und Obst und sahen von sonnigen Bergh�hen Toskana im Glanz des Fr�hlings und fern das schimmernde ligurische Meer liegen. Und wir hatten beide das kr�ftige Gef�hl, unseres Gl�ckes w�rdig einem reichen, neuen Leben entgegen zu gehen. Arbeit, Kampf, Genu� und Ruhm lagen so nah und gl�nzend und sicher vor uns, da� wir ohne Hast uns der gl�cklichen Tagen freuten. Auch die nahe Trennung schien leicht und vor�bergehend, denn wir wu�ten fester als je, da� wir einer dem andern notwendig und einer des andern f�r’s Leben sicher waren.

 

Das war die Geschichte meiner Jugend. Es scheint mir, wenn ich es �berdenke, als sei sie kurz wie eine Sommernacht gewesen. Ein wenig Musik, ein wenig Geist, ein wenig Liebe, ein wenig Eitelkeit — aber es war sch�n, reich und farbig wie ein eleusisches Fest.

Und erlosch schnell und armselig wie ein Licht im Wind.

In Z�rich nahm Richard Abschied. Zweimal stieg er wieder aus dem Eisenbahnwagen, um mich zu k�ssen, und nickte mir noch, so lange es ging, vom Fenster aus z�rtlich zu.

Zwei Wochen sp�ter ertrank er beim Baden in einem l�cherlich kleinen s�ddeutschen Fl��chen. Ich sah ihn nicht mehr, ich war nicht dabei als er begraben wurde, ich h�rte alles erst ein paar Tage sp�ter, als er schon im Sarge und in der Erde lag. Da lag ich in meinem St�blein auf den Boden hingestreckt, fluchte Gott und dem Leben in gemeinen und scheu�lichen L�sterworten, weinte und tobte. Ich hatte bis dahin nie bedacht, da� mein einziger sicherer Besitz in diesen Jahren meine Freundschaft gewesen war. Das war nun vor�ber.

Es litt mich nicht l�nger in der Stadt, wo t�glich eine Menge von Erinnerungen sich an mich h�ngte und mir die Lust raubte. Was nun k�me, war mir einerlei; ich war im Kern der Seele krank und hatte ein Grauen vor allem Lebendigen. Einstweilen schien die Aussicht gering, da� mein zerst�rtes Wesen sich wieder aufrichte und mit neu gespannten Segeln dem herberen Gl�ck der Mannesjahre entgegen treibe. Gott hatte gewollt, da� ich das Beste meines Wesens einer reinen und fr�hlichen Freundschaft hing�be. Wie zwei rasche Nachen waren wir miteinander vorangest�rmt, und Richards Nachen war der bunte, leichte, gl�ckliche, geliebte, an dem mein Auge hing und dem ich vertraute, er w�rde mich zu sch�nen Zielen mitrei�en. Nun war er mit kurzem Schrei versunken und ich trieb steuerlos auf pl�tzlich verdunkelten Wassern umher.

Es w�re an mir gewesen, die harte Probe zu bestehen, mich nach den Sternen zu richten und auf neuer Fahrt um den Kranz des Lebens zu k�mpfen und zu irren. Ich hatte an die Freundschaft, an die Frauenliebe, an die Jugend geglaubt. Nun sie eine um die andere mich verlassen hatten, warum glaubte ich nicht an Gott und gab mich in seine st�rkere Hand? Aber ich war zeitlebens zag und trotzig wie ein Kind und wartete immer auf das eigentliche Leben, da� es im Sturme �ber mich k�me, mich verst�ndig und reich machte und auf gro�en Fl�geln einem reifen Gl�ck entgegen tr�ge.

Das weise und sparsame Leben aber schwieg und lie� mich treiben. Es schickte mir weder St�rme noch Sterne, sondern wartete, bis ich wieder klein und geduldig und mein Trotz gebrochen w�re. Es lie� mich meine Kom�die des Stolzes und Besserwissens spielen, sah daran vorbei und wartete, bis das verlaufene Kind die Mutter wieder finden w�rde.

V.

Es kommt nun diejenige Zeit meines Lebens, welche scheinbar bewegter und bunter war als das bisherige und allenfalls einen kleinen Moderoman abg�be. Ich m��te erz�hlen, wie ich von einer deutschen Zeitung zum Redakteur berufen wurde. Wie ich meiner Feder und meinem b�sen Maul zu viel Freiheit g�nnte und daf�r schikaniert und geschulmeistert wurde. Wie ich darauf den Ruf eines S�ufers errang und schlie�lich, nach giftigen H�ndeln, das Amt niederlegte und mich als Korrespondenten nach Paris schicken lie�. Wie ich in diesem verfluchten Nest zigeunerte, verbummelte und auf verschiedenen Gebieten einen starken Tobak rauchte.

Es ist nicht Feigheit, wenn ich den etwaigen Schweinigeln unter meinen Lesern hier eine Nase drehe und diese kurze Zeit �bergehe. Ich bekenne, da� ich einen Irrweg um den andern ging, allerlei Schmutz gesehen habe und darin gesteckt bin. Der Sinn f�r die Romantik der Boh�me ist mir seither abhanden gekommen und ihr m��t mir erlauben, da� ich mich an das Reinliche und Gute halte, das doch auch in meinem Leben war, und jene verlorene Zeit verloren und abgetan sein lasse.

Namentlich Paris war schauderhaft: Nichts als Kunst, Politik, Literatur und Dirnengew�sch, nichts als K�nstler, Literaten, Politiker und gemeine Weiber. Die K�nstler waren so eitel und aufdringlich wie die Politiker, die Literaten noch eitler und aufdringlicher, und am eitelsten und aufdringlichsten waren die Weiber.

Eines Abends sa� ich allein im Bois und �berlegte mir, ob ich nur Paris oder lieber gleich das Leben �berhaupt verlassen sollte. Dar�ber ging ich, seit langer Zeit zum erstenmal, in Gedanken mein Leben durch und berechnete, da� ich nicht viel daran zu verlieren habe.

Aber da sah ich pl�tzlich in scharfer Erinnerung einen l�ngst vergangenen und vergessenen Tag — einen fr�hen Sommermorgen, daheim in den Bergen, und sah mich an einem Bette knieen und darauf lag meine Mutter und litt den Tod.

Ich erschrak und sch�mte mich, da� ich so lange jenes Morgens nicht mehr hatte denken k�nnen. Die dummen Mordgedanken waren vorbei. Denn ich glaube, da� kein ernster und nicht v�llig entgleister Mensch f�hig ist, sich das Leben zu nehmen, wenn er je einmal das Erl�schen eines gesunden und guten Lebens angesehen hat. Ich sah meine Mutter wieder sterben. Ich sah wieder auf ihrem Gesicht die stille, ernste Arbeit des Todes, der es adelte. Er sah herb aus, der Tod, aber so m�chtig und auch g�tig wie ein behutsamer Vater, der ein irregegangenes Kind heimholt.

Ich wu�te pl�tzlich wieder, da� der Tod unser kluger und guter Bruder ist, der die rechte Stunde wei� und dessen wir mit Zuversicht gew�rtig sein d�rfen. Und ich begann auch zu verstehen, da� das Leid und die Entt�uschungen und die Schwermut nicht da sind, um uns verdrossen und wertlos und w�rdelos zu machen, sondern um uns zu reifen und zu verkl�ren.

Acht Tage sp�ter waren meine Kisten nach Basel abgeschickt und ich wanderte zu Fu� durch ein sch�nes St�ck S�dfrankreich und f�hlte von Tag zu Tag die unseligen Pariser Zeiten, deren Erinnerung mich wie ein Gestank verfolgte, verblassen und zu Nebel werden. Ich wohnte einer cour d’amour bei. Ich �bernachtete in Schl�ssern, in M�hlen, in Scheunen, und trank mit den dunkeln, gespr�chigen Burschen ihren warmen, sonnigen Wein.

Abgerissen, mager, braungebrannt und im Innern ver�ndert kam ich nach zwei Monaten in Basel an. Es war meine erste so gro�e Wanderung, die erste von vielen. Zwischen Locarno und Verona, zwischen Basel und Brieg, zwischen Florenz und Perugia sind wenig Orte, durch die ich nicht zwei und dreimal mit staubigen Stiefeln gepilgert bin — hinter Tr�umen her, von denen noch keiner sich erf�llt hat.

 

In Basel mietete ich eine Vorstadtbude, packte meine Habe aus und begann zu arbeiten; es freute mich in einer stillen Stadt zu leben, wo kein Mensch mich kannte. Die Beziehungen zu einigen Zeitungen und Revuen waren noch im Gang und ich hatte zu arbeiten und zu leben. Die ersten Wochen waren gut und ruhig, dann kam allm�hlich die alte Traurigkeit wieder, blieb tagelang, wochenlang, und verging auch bei der Arbeit nicht. Wer nicht an sich selber gesp�rt hat, was Schwermut ist, versteht das nicht. Wie soll ich es beschreiben? Ich hatte das Gef�hl einer schauerlichen Einsamkeit. Zwischen mir und den Menschen und dem Leben der Stadt, der Pl�tze, H�user und Stra�en war fortw�hrend eine breite Kluft. Es geschah ein gro�es Ungl�ck, es standen wichtige Dinge in den Zeitungen — mich ging es nichts an. Es wurden Feste gefeiert, Tote begraben, M�rkte abgehalten, Konzerte gegeben — wozu? wof�r? Ich lief hinaus, ich trieb mich in W�ldern, auf H�geln und Landstra�en herum, und um mich her schwiegen Wiesen, B�ume, �cker in klagloser Trauer, sahen mich stumm und flehentlich an und hatten das Verlangen mir etwas zu sagen, mir entgegen zu kommen, mich zu begr��en. Aber sie lagen da und konnten nichts sagen, und ich begriff ihr Leiden und litt es mit, denn ich konnte sie nicht erl�sen.

Ich ging zu einem Arzt, brachte ihm ausf�hrliche Aufzeichnungen, versuchte ihm mein Leiden zu beschreiben. Er las, fragte, untersuchte mich.

„Sie sind beneidenswert gesund,“ lobte er dann, „k�rperlich fehlt Ihnen nichts. Suchen Sie sich durch Lekt�re oder Musik zu erheitern.“

„Ich lese von Berufs wegen tagt�glich eine Menge neue Sachen.“

„Jedenfalls sollten Sie sich auch einige Bewegung im Freien g�nnen.“

„Ich laufe t�glich drei bis vier Stunden, in Ferienzeiten mindestens das doppelte.“

„Dann m�ssen Sie sich zwingen, unter Menschen zu gehen. Sie sind ja in Gefahr ernstlich menschenscheu zu werden.“

„Was liegt daran?“

„Es liegt viel daran. Je gr��er zur Zeit Ihre Unlust am Umgang ist, desto mehr m�ssen Sie sich zwingen Menschen zu sehen. Ihr Zustand ist noch kein Kranksein und scheint mir nicht bedenklich; wenn Sie aber nicht aufh�ren so passiv zu bummeln, k�nnten Sie schlie�lich doch einmal die Balance verlieren.“

Der Arzt war ein verst�ndiger und wohlwollender Mann. Ich tat ihm leid. Er empfahl mich einem Gelehrten, in dessen Hause viel Verkehr und ein gewisses geistiges und literarisches Leben war. Ich ging hin. Man kannte meinen Namen, war liebensw�rdig, fast herzlich, und ich kam �fters wieder.

Einmal kam ich an einem kalten Sp�therbstabend hin. Ich fand einen jungen Historiker und ein sehr schlankes, dunkles M�dchen; sonst keine G�ste. Das M�dchen besorgte die Teemaschine, sprach viel und war spitzig gegen den Historiker. Nachher spielte sie ein wenig Klavier. Dann sagte sie mir, sie habe meine Satiren gelesen, aber gar nicht goutiert. Sie kam mir gescheit, aber ein wenig allzu gescheit vor, und ich ging bald nach Hause.

Inzwischen hatte man allm�hlich herausgebracht, ich s��e viel in Kneipen herum und sei eigentlich ein heimlicher S�ufer. Es wunderte mich kaum, denn der Klatsch bl�hte gerade in der akademischen Gesellschaft unter M�nnern und Frauen aufs �ppigste. Meinem Verkehr schadete die besch�mende Entdeckung gar nicht, machte mich vielmehr begehrt, denn man war gerade f�r die Temperenz begeistert, Herren und Damen geh�rten den Komitees der M��igkeitsvereine an und freuten sich jedes S�nders, der ihnen in die H�nde fiel. Eines Tages erfolgte der erste h�fliche Angriff. Es ward mir die Schmach des Wirtshauslebens, der Fluch des Alkoholismus und all das vom sanit�ren, ethischen und sozialen Standpunkt zu betrachten nahe gelegt und ich wurde eingeladen einer Vereinsfeierlichkeit beizuwohnen. Ich war ma�los erstaunt, denn von allen solchen Vereinen und Bestrebungen hatte ich bisher kaum eine Ahnung gehabt. Die Vereinssitzung, mit Musik und religi�sem Anstrich, war peinlich komisch und ich verhehlte diesen Eindruck nicht. Wochenlang wurde mir mit aufdringlicher Liebensw�rdigkeit zugesetzt, die Sache wurde mir �u�erst langweilig und eines Abends, da man mir wieder dasselbe Lied vorsang und sehnlich auf meine Bekehrung hoffte, ward ich desperat und bat mir energisch aus, man m�ge mich nun mit dem Gepl�rre verschonen. Das junge M�dchen war wieder da. Sie h�rte mir aufmerksam zu und sagte dann ganz herzlich: „Bravo!“ Ich war aber zu verstimmt, um darauf zu achten.

Mit desto gr��erem Vergn�gen sah ich ein kleines drolliges Mi�geschick mit an, das bei einer gewaltigen Abstinentenfestlichkeit passierte. Der gro�e Verein samt zahllosen G�sten tafelte und tagte in seinem Hause, Reden wurden gehalten, Freundschaften geschlossen und Ch�re gesungen und der Fortschritt der guten Sache mit gro�em Hosianna gefeiert. Einem als Fahnentr�ger angestellten Dienstmann dauerten die alkoholfreien Reden zu lange, er dr�ckte sich in eine nahe Schenke, und als der feierliche Fest- und Demonstrationszug durch die Stra�en seinen Anfang nahm, genossen schadenfrohe S�nder das erg�tzliche Schauspiel, an der Spitze der begeisterten Scharen einen fr�hlich betrunkenen Anf�hrer und in seinen Armen die Fahne des blauen Kreuzes gleich einem schiffbr�chigen Mastbaum schwanken zu sehen.

Der besoffene Dienstmann wurde entfernt; nicht entfernt aber wurde das Gewimmel menschlichster Eitelkeiten, Eifers�chteleien und Intriguen, das sich innerhalb der einzelnen Konkurrenzvereine und Komissionen erhoben hatte und zu immer freudigerer Bl�te gedieh. Die Bewegung spaltete sich, ein paar Ehrgeizige wollten allen Ruhm f�r sich haben und schimpften �ber jeden nicht in ihrem Namen bekehrten S�ufer; edle und selbstlose Mitarbeiter, an denen es nicht fehlte, wurden schn�de mi�braucht und in B�lde hatten N�herstehende Gelegenheit zu sehen, wie auch hier unter idealer Etikette allerlei unsaubere Menschlichkeiten zum Himmel stanken. Alle diese Kom�dien erfuhr ich so nebenher durch dritte Leute, hatte mein stilles Wohlgefallen daran und dachte mir auf mancher n�chtlichen Heimkehr von Trinkereien: Seht, wir Wilde sind doch bessere Menschen.

In meiner kleinen, hoch und frei gelegenen Stube �ber dem Rhein studierte und gr�belte ich viel. Ich war trostlos, da� das Leben so an mir ablief, da� kein starker Strom mich mitri�, keine heftige Leidenschaft oder Teilnahme mich erhitzte und dem dumpfen Traum entzog. Zwar arbeitete ich, neben dem t�glich Notwendigen, an den Vorbereitungen zu einem Werk, welches das Leben der ersten Minoriten darstellen sollte; doch war dies kein Schaffen, nur ein stetes bescheidenes Sammeln und gen�gte dem Trieb meiner Sehnsucht nicht. Ich begann, indem ich mich an Z�rich, Berlin und Paris erinnerte, mir die wesentlichen W�nsche, Leidenschaften und Ideale der Zeitgenossen klar zu machen. Einer arbeitete daran, die bisherigen M�bel, Tapeten und Kost�me abzuschaffen und die Menschen an freiere, sch�nere Umgebungen zu gew�hnen. Ein anderer war bem�ht, den H�ckelschen Monismus in popul�ren Schriften und Vortr�gen zu verbreiten. Andere hielten es f�r erstrebenswert, den ewigen Weltfrieden herbeizuf�hren. Und wieder einer k�mpfte f�r die darbenden unteren St�nde, oder sammelte und redete daf�r, da� Theater und Museen f�r’s Volk gebaut und ge�ffnet w�rden. Und hier in Basel wurde der Alkohol bek�mpft.

In all diesen Bestrebungen war Leben, Trieb und Bewegung; aber keine davon war mir wichtig und notwendig und es h�tte mich und mein Leben nicht ber�hrt, wenn alle jene Ziele heute erreicht worden w�ren. Hoffnungslos sank ich in den Stuhl zur�ck, schob B�cher und Bl�tter von mir und sann, und sann. Dann h�rte ich vor den Fenstern den Rhein ziehen und den Wind sausen und lauschte ergriffen auf diese Sprache einer gro�en, �berall auf der Lauer liegenden Schwermut und Sehnsucht. Ich sah die blassen Nachtwolken in gro�en St��en wie erschreckte V�gel durch den Himmel flattern, h�rte den Rhein wandern und dachte an meiner Mutter Tod, an den heiligen Franz, an meine Heimat in den Schneebergen und an den ertrunkenen Richard. Ich sah mich an den Felsw�nden klettern, um Alpenrosen f�r die R�si Girtanner zu brechen, ich sah mich in Z�rich von B�chern und Musik und Gespr�chen erregt, sah mich mit der Aglietti auf dem n�chtlichen Wasser fahren, sah mich �ber Richards Tod verzweifeln, reisen und wiederkommen, genesen und wieder elend werden. Wozu? Wof�r? O Gott, war alles das denn nur ein Spiel, ein Zufall, ein gemaltes Bild gewesen? Hatte ich nicht gerungen und Qualen der Begierde gelitten nach Geist, nach Freundschaft, nach Sch�nheit, Wahrheit und Liebe? Quoll nicht noch immer in mir die schw�le Woge der Sehnsucht und der Liebe? Und alles f�r nichts, mir zur Qual, niemand zur Lust!

Dann war ich reif f�r die Kneipe. Ich blies die Lampe aus, tastete mich die steile alte Wendeltreppe hinab und erschien in einer Veltlinerhalle oder Waadtl�nder Weinstube. Dort empfing man mich als guten Gast mit Respekt, w�hrend ich gew�hnlich trutzig und gelegentlich sackgrob war. Ich las den Simplizissimus, der mich jedesmal �rgerte, trank meinen Wein und wartete, bis er mich tr�sten w�rde. Und der s��e Gott ber�hrte mich mit seiner weiblich weichen Hand, machte meine Glieder wohlig m�de und f�hrte meine verirrte Seele in das Land der sch�nen Tr�ume zu Gast.

Gelegentlich wunderte ich mich selber dar�ber, da� ich die Leute so borstig behandelte und eine Art von Spa� daran hatte sie anzuschnauzen. In Gasth�usern, die ich �fter besuchte, f�rchteten und verw�nschten mich die Kellnerinnen als einen Grobian und N�rgler, der ewig zu reklamieren hatte. Geriet ich in ein Gespr�ch mit anderen G�sten, so war ich h�hnisch und grob, freilich waren auch die Leute danach. Trotzdem fanden sich ein paar wenige Wirtshausbr�der, s�mtlich schon alternde und unheilbare S�nder, mit denen ich zuweilen einen Abend versa� und ein leidliches Verh�ltnis fand. Es war namentlich ein �ltlicher Rauhbein unter ihnen, seines Zeichens Dessinateur, ein Weiberfeind, Schweinigel und geaichter Zecher erster Klasse. Wenn ich ihn abends in irgend einer Schenke allein antraf, setzte es jedesmal ein scharfes Zechen ab. Erst wurde geplaudert, gewitzelt und nebenher ein Fl�schchen Roter gebechert, dann trat allm�hlich das Trinken in den Vordergrund, das Gespr�ch schlief ein und wir hockten einander schweigsam gegen�ber, sogen jeder an seiner Brissago und leerten jeder f�r sich seine Flaschen. Dabei war einer dem andern ebenb�rtig, wir lie�en stets gleichzeitig die Flaschen wieder f�llen und beobachteten einer den andern halb mit Achtung und halb mit Schadenfreude. Zur Zeit des Neuen, im Sp�therbst, zogen wir einst gemeinsam durch einige Markgr�fler Weind�rfer und im Hirschen zu Kirchen erz�hlte mir der alte Knopf seine Lebensgeschichte. Ich glaube, sie war interessant und absonderlich, doch verga� ich sie leider vollst�ndig. Geblieben ist mir nur seine Schilderung einer Trinkerei, schon aus seinen sp�teren Jahren. Es war irgendwo auf dem Lande bei einer d�rflichen Festlichkeit. Als Gast am Honoratiorentisch verleitete er sowohl den Pfarrer wie den Schulthei� vorzeitig zu t�chtigen R�uschen. Der Pfarrer hatte aber noch eine Rede zu halten. Nachdem man ihn mit M�he aufs Podium geschleppt, tat er dort ungeheuerliche Spr�che und mu�te abgef�hrt werden, worauf der Schulthei� in die L�cke sprang. Er begann gewaltig aus dem Stegreif zu reden, wurde jedoch durch die heftige Bewegung pl�tzlich unwohl und endete seine Ansprache auf eine ungew�hnliche und unfeine Weise.

Sp�ter h�tte ich diese und andere Geschichten mir gerne nochmals erz�hlen lassen. Es hatte aber bei einem Sch�tzenfestabend unvers�hnliche H�ndel zwischen uns gegeben, wir hatten einander die B�rte gerupft und waren im Zorn auseinander gegangen. Von da an kam es einige mal vor, da� wir als Feinde gleichzeitig in einer Wirtsstube sa�en, jeder nat�rlich an einem anderen Tisch; aber aus alter Gewohnheit beobachteten wir einander schweigend, tranken im gleichen Tempo und blieben sitzen, bis wir l�ngst die letzten G�ste waren und schlie�lich ersucht wurden abzuziehen. Zu einer Vers�hnung ist es nie gekommen.

Fruchtlos und erm�dend war das ewige Nachdenken �ber die Ursachen meiner Trauer und Lebensunf�higkeit. Ich hatte durchaus nicht das Gef�hl, fertig und verbraucht zu sein, sondern war voll von dunklen Trieben und glaubte daran, da� es zur rechten Stunde mir noch gelingen w�rde, etwas Tiefes und Gutes zu schaffen und dem spr�den Leben wenigstens eine Handvoll Gl�ck zu entrei�en. Aber w�rde die rechte Stunde jemals kommen? Mit Bitterkeit dachte ich an jene modernen, nerv�sen Herren, die sich durch tausend k�nstliche Anregungen zur k�nstlerischen Arbeit stachelten, w�hrend in mir starke Kr�fte unverbraucht lagen und liegen blieben. Und ich gr�belte wieder, was f�r ein Hemmnis oder D�mon mir in meinem strotzend starken Leibe die Seele stocken und immer schwerer werden lasse. Dabei hatte ich auch noch den sonderbaren Gedanken, mich f�r einen aparten, irgendwie zu kurz gekommenen Menschen zu halten, dessen Leiden niemand kenne, verstehe oder teile. Es ist das Teuflische an der Schwermut, da� sie einen nicht nur krank, sondern auch eingebildet und kurzsichtig, ja fast hochm�tig macht. Man kommt sich vor wie der geschmacklose Heinesche Atlas, der allein alle Schmerzen und R�tsel der Welt auf den Schultern liegen hat, als ob nicht tausend andere dieselben Leiden duldeten und im selben Labyrinth herumirrten. Auch da� die Mehrzahl meiner Eigenschaften und Eigenheiten nicht so sehr mir geh�rte als Familiengut oder �bel der Camenzinde war, kam mir in meiner Isolierung und Heimatferne ganz abhanden.

Alle paar Wochen ging ich einmal wieder in das gastliche Gelehrtenhaus. Allm�hlich kannte ich ziemlich alle dort verkehrenden Leute. Es waren meist j�ngere Akademiker, viele Deutsche darunter, von allen Fakult�ten, au�erdem ein paar Maler, einige Musiker, sowie ein paar B�rgersleute mit ihren Frauen und M�dchen. Ich sah oft mit Erstaunen diese Leute an, die mich als seltenen Gast begr��ten und von denen ich wu�te, da� sie sich untereinander w�chentlich so und so viele mal sahen. Was sprachen und trieben sie nur immer miteinander? Die meisten hatten dieselbe stereotype Form des homo socialis und sie schienen mir alle ein wenig mit einander verwandt, kraft eines geselligen und nivellierenden Geistes, den ich allein nicht besa�. Es waren manche feine und bedeutende Menschen dabei, welchen die ewige Geselligkeit offenbar nichts oder nicht viel von ihrer Frische und pers�nlichen Kraft raubte. Mit einzelnen von ihnen konnte ich lang und mit Interesse sprechen. Aber von einem zum andern gehen, bei jedem eine Minute stehen bleiben, den Weibern auf gut Gl�ck Artigkeiten sagen, meine Aufmerksamkeit auf eine Tasse Tee, zwei Gespr�che und ein Klavierst�ck zu gleicher Zeit richten, dabei angeregt und vergn�gt aussehen, das konnte ich nicht. Schrecklich war es mir, von Literatur oder Kunst reden zu m�ssen. Ich sah, da� auf diesen Gebieten sehr wenig gedacht, sehr viel gelogen und jedenfalls uns�glich viel geschwatzt wurde. Ich log also mit, hatte aber keine Freude daran und fand das viele nutzlose Gew�sche langweilig und entw�rdigend. Viel lieber h�rte ich etwa eine Frau von ihren Kindern sprechen oder erz�hlte selbst von Reisen, von kleinen Tageserlebnissen und anderen realen Dingen. Dabei konnte ich gelegentlich vertraulich und fast vergn�gt werden. Meistens suchte ich aber am Schlu� solcher Abende noch ein Weinhaus auf und schwemmte die Trockenheit im Halse und die faule Langeweile mit Veltliner weg.

Bei einer von diesen Gesellschaften sah ich das schwarze junge M�dchen wieder. Es war eine Menge Leute da, sie musizierten und verf�hrten ihr gewohntes Get�se, und ich sa� mit einer Bildermappe in einem abseitigen Lampenwinkel. Es waren Ansichten von Toskana, nicht die gew�hnlichen, tausendmal gesehenen Effektbildchen, sondern intimere, privatim skizzierte Veduten, meist Geschenke von Reisegenossen und Freunden des Hausherrn. Eben hatte ich die Zeichnung eines steinernen, schmalfenstrigen H�uschens in dem einsamen Tal von San Clemente gefunden, das ich erkannte, denn ich hatte dort manche Spazierg�nge gemacht. Das Tal liegt ganz nah bei Fiesole, aber die Menge der Reisenden besucht es nie, weil keine Altert�mer dort sind. Es ist ein Tal von herber und merkw�rdiger Sch�nheit, trocken und kaum bewohnt, zwischen hohe, kahle und strenge Berge geklemmt, weltferne, melancholisch und unbetreten.

Das M�dchen trat heran und sah mir �ber die Schulter.

„Warum sitzen Sie immer so allein, Herr Camenzind?“

Es �rgerte mich. Sie f�hlt sich von den Herren vernachl�ssigt, dachte ich, und nun kommt sie zu mir.

„Nun, bekomme ich keine Antwort?“

„Verzeihung, Fr�ulein; aber was soll ich denn antworten? Ich sitze allein, weil es mir Spa� macht!“

„Dann st�re ich Sie also?“

„Sie sind komisch.“

„Danke; ist aber ganz gegenseitig.“

Und sie setzte sich. Ich hielt beharrlich mein Blatt in den Fingern.

„Sie sind doch vom Oberland,“ sagte sie. „Ich m�chte Sie gern einmal von dort erz�hlen h�ren. Mein Bruder sagt, in Ihrem Dorf gebe es blo� einen Familiennamen, lauter Camenzinds. Ist das wahr?“

„Beinah,“ knurrte ich. „Es gibt aber auch einen B�cker, der F��li hei�t. Und einen Gastwirt namens Nydegger.“

„Und sonst nichts als Camenzind! Und die sind alle miteinander verwandt’?“

„Mehr oder weniger.“

Ich reichte ihr die Zeichnung hin. Sie hielt das Blatt fest und ich bemerkte, da� sie es verstand so etwas richtig anzufassen. Das sagte ich ihr.

„Sie loben mich,“ lachte sie, „aber wie ein Schullehrer.“

„Wollen Sie das Blatt nicht auch ansehen?“ fragte ich grob. „Sonst kann ich es zur�cklegen.“

„Was stellt es denn vor?“

„San Clemente.“

„Wo?“

„Bei Fiesole.“

„Sie sind dort gewesen?“

„Ja, mehrmals.“

„Wie sieht das Tal aus? Das hier ist ja nur ein Ausschnitt.“

Ich dachte nach. Die ernste, herbsch�ne Landschaft trat vor meinen Blick und ich schlo� die Augen halb, um sie festzuhalten. Es dauerte eine Weile, ehe ich zu sprechen begann und es tat mir wohl, da� sie still blieb und wartete. Sie begriff, da� ich nachdachte.

Und ich schilderte San Clemente, wie es schweigend, d�rr und gro�artig im Brand des Sommernachmittags liegt. Nebenan in Fiesole treibt man Industrie, flicht Strohh�te und K�rbe, verkauft Souvenirs und Orangen, betr�gt die Reisenden oder bettelt sie an. Weiter unten liegt Florenz und umfa�t eine Flut alten und neuen Lebens. Aber beide sieht man von Clemente aus nicht. Dort haben keine Maler gearbeitet, dort ist kein R�merbau gewesen, die Geschichte verga� das arme Tal. Aber dort k�mpft die Sonne und der Regen mit der Erde, dort erhalten sich schiefe Pinien m�hsam am Leben und die paar Cypressen f�hlen mit hageren Wipfeln in die Luft, ob nicht der feindliche Sturm nahe sei, der ihnen das karge Leben verk�rzt, an dem sie mit d�rstenden Wurzeln h�ngen. Es f�hrt zuweilen ein Ochsenwagen von den nahe liegenden gro�en Meierh�fen vorbei oder eine Bauernfamilie pilgert Fiesole entgegen, aber sie sind nur zuf�llige G�ste und die roten R�cke der Bauernweiber, die sonst so flott und lustig aussehen, st�ren hier und man vermi�t sie gern.

Und ich erz�hlte, wie ich als junger Mensch mit einem Freunde dort wanderte, zu F��en der Cypressen lag und mich an ihre hageren St�mme lehnte; und wie der traurig sch�ne Einsamkeitszauber des seltsamen Tales mich an die heimatlichen Schluchten erinnerte.

Wir schwiegen eine Weile.

„Sie sind ein Dichter,“ sagte das M�dchen.

Ich schnitt eine Grimasse.

„Ich meine es anders,“ fuhr sie fort. „Nicht weil Sie Novellen und dergleichen schreiben. Sondern weil Sie die Natur verstehen und lieb haben. Was ist es anderen Leuten, wenn ein Baum rauscht oder ein Berg in der Sonne gl�ht? Aber f�r Sie ist ein Leben darin, das Sie mitleben k�nnen.“

Ich antwortete, da� niemand „die Natur verstehe“ und da� man mit allem Suchen und Begreifenwollen nur R�tsel findet und traurig wird. Ein in der Sonne stehender Baum, ein verwitternder Stein, ein Tier, ein Berg — sie haben ein Leben, sie haben eine Geschichte, sie leben, leiden, trotzen, genie�en, sterben, aber wir begreifen es nicht.

Inde� ich sprach und mich ihres geduldig stillen Aufmerkens freute, begann ich sie zu betrachten. Ihr Blick war auf mein Gesicht gerichtet und wich dem meinen nicht aus. Ihr Gesicht war ganz ruhig, hingegeben und von der Aufmerksamkeit ein wenig gespannt. Wie wenn ein Kind mir zuh�rte. Nein, sondern wie wenn ein Erwachsener im Zuh�ren sich vergi�t und, ohne es zu wissen, Kinderaugen bekommt. Und w�hrend des Betrachtens entdeckte ich allm�hlich mit naiver Finderfreude, da� sie sehr sch�n war.

Als ich nicht mehr sprach, blieb auch das M�dchen still. Dann schreckte sie auf und blinzelte ins Lampenlicht.

„Wie hei�en Sie eigentlich, Fr�ulein?“ fragte ich und dachte nicht viel dabei.

„Elisabeth.“

Sie ging weg und wurde bald darauf gen�tigt Klavier zu spielen. Sie spielte gut. Aber da ich hinzutrat sah ich, da� sie nicht mehr so sch�n war.

Als ich die behaglich altmodische Treppe hinabstieg, um nach Hause zu gehen, h�rte ich ein paar Worte vom Gespr�ch zweier Maler, welche in der Hausflur ihre M�ntel anlegten.

„Na ja, er hat sich den ganzen Abend mit der h�bschen Lisbeth besch�ftigt,“ sagte einer und lachte.

„Stille Wasser!“ meinte der andere. „Er hat sich nicht das Schlechteste ausgesucht.“

Also die Affen sprachen schon dar�ber. Es fiel mir pl�tzlich ein, da� ich, fast wider Willen, diesem fremden jungen M�dchen intime Erinnerungen und ein ganzes St�ck meines inneren Lebens preisgegeben hatte. Wie kam ich dazu? Und nun schon die b�sen M�uler! — Bande!

Ich ging weg und betrat monatelang das Haus nicht mehr. Zuf�llig war eben einer von jenen zwei Malern der Erste, der mich auf der Stra�e dar�ber zur Rede stellte.

„Warum gehen Sie denn nicht mehr hin?“

„Weil ich das verdammte Klatschen nicht leiden kann,“ sagte ich.

„Ja, unsere Damen!“ lachte der Kerl.

„Nein,“ antwortete ich, „ich meine die M�nner, und speziell die Herren Maler.“

Elisabeth sah ich in diesen Monaten nur ganz wenige Mal auf der Stra�e, einmal in einem Kaufladen und einmal in der Kunsthalle. Gew�hnlich war sie h�bsch, doch nicht sch�n. Die Bewegungen ihrer �berschlanken Gestalt hatten etwas Apartes, das sie meistens schm�ckte und auszeichnete, manchmal aber auch etwas �bertrieben und unecht aussehen konnte. Sch�n, �beraus sch�n war sie damals in der Kunsthalle. Sie sah mich nicht. Ich sa� ausruhend beiseite und bl�tterte im Katalog. Sie stand in meiner N�he vor einem gro�en Segantini und war ganz in das Bild versunken. Es stellte ein paar auf mageren Matten arbeitende Bauernm�dchen dar, hinten die zackig j�hen Berge, etwa an die Stockhorngruppe erinnernd, und dar�ber in einem k�hlen, lichten Himmel eine uns�glich genial gemalte, elfenbeinfarbene Wolke. Sie frappierte auf den ersten Blick durch ihre seltsam gekn�uelte, ineinandergedrehte Masse; man sah, sie war eben erst vom Winde geballt und geknetet und schickte sich nun an zu steigen und langsam fortzufliegen. Offenbar verstand Elisabeth diese Wolke, denn sie war ganz dem Anschauen hingegeben. Und wieder war ihre sonst verborgene Seele in ihr Gesicht getreten, lachte leise aus den vergr��erten Augen, machte den zu schmalen Mund kindlich weich und hatte die �berkluge herbe Stirnfalte zwischen den Brauen geebnet. Die Sch�nheit und Wahrhaftigkeit eines gro�en Kunstwerkes zwang ihre Seele, selbst sch�n und wahrhaftig und unverh�llt sich darzustellen.

Ich sa� still daneben, betrachtete die sch�ne Segantiniwolke und das sch�ne von ihr entz�ckte M�dchen. Dann f�rchtete ich, sie m�chte sich umwenden, mich sehen und anreden und ihre Sch�nheit wieder verlieren, und ich verlie� den Saal schnell und leise.

Um jene Zeit begann meine Freude an der stummen Natur und mein Verh�ltnis zu ihr sich zu ver�ndern. Immer wieder streifte ich durch die wundervolle Umgebung der Stadt, am liebsten in den Jura hinein. Ich sah immer wieder die W�lder und Berge, Matten, Obstb�ume und Geb�sche stehen und auf irgend etwas warten. Vielleicht auf mich, jedenfalls aber auf Liebe.

Und so begann ich diese Dinge zu lieben. Es kam ein starkes, d�rstendes Verlangen in mir ihrer stillen Sch�nheit entgegen. Auch in mir dr�ngte ein tiefes Leben und Sehnen dunkel empor und suchte nach Bewu�tsein, nach Verstandenwerden, nach Liebe.

Viele sagen, sie „lieben die Natur“. Das hei�t, sie sind nicht abgeneigt je und je ihre dargebotenen Reize sich gefallen zu lassen. Sie gehen hinaus und freuen sich �ber die Sch�nheit der Erde, zertreten die Wiesen und rei�en schlie�lich eine Menge Blumen und Zweige ab, um sie bald wieder wegzuwerfen oder daheim verwelken zu sehen. So lieben sie die Natur. Sie erinnern sich dieser Liebe am Sonntag, wenn sch�nes Wetter ist, und sind dann ger�hrt �ber ihr gutes Herz. Sie h�tten es ja nicht n�tig, denn „der Mensch ist die Krone der Natur“. Ach ja, die Krone!

Also ich blickte immer begieriger in den Abgrund der Dinge. Ich h�rte den Wind vielt�nig in den Kronen der B�ume klingen, h�rte B�che durch Schluchten brausen und leise stille Str�me durch die Ebene ziehen, und ich wu�te, da� diese T�ne Gottes Sprache waren und da� es ein Wiederfinden des Paradieses w�re, diese dunkle, ursch�ne Sprache zu verstehen. Die B�cher wissen davon wenig, nur in der Bibel steht das wunderbare Wort vom „unaussprechlichen Seufzen“ der Kreatur. Doch ahnte ich, da� zu allen Zeiten Menschen, gleich mir von diesem Unverstandenen ergriffen, ihr Tagewerk verlassen und die Stille aufgesucht hatten, um dem Liede der Sch�pfung zu lauschen, das Ziehen der Wolken zu betrachten und in rastloser Sehnsucht dem Ewigen anbetende Arme entgegenzustrecken, Einsiedler, B��er und Heilige.

Bist du nie in Pisa gewesen, im Camposanto? Dort sind die W�nde mit bla�gewordenen Bildern vergangener Jahrhunderte geschm�ckt, und eines davon zeigt das Leben der Einsiedler in der thebaischen W�ste. Das naive Bild str�mt noch heute mit seinen verbla�ten Farben den Zauber eines so seligen Friedens aus, da� du ein pl�tzliches Leid empfindest und da� es dich verlangt, deine S�nden und deine Unreinheit irgendwo in heiliger Weltferne von dir zu weinen und nicht wiederzukommen. Unz�hlige K�nstler haben so versucht, ihr Heimweh in seligen Bildern auszusagen, und irgend ein kleines liebes Kinderbildchen von Ludwig Richter singt dir dasselbe Lied wie die Fresken von Pisa. Warum hat Tizian, der Freund des Gegenw�rtigen und K�rperlichen, seinen klaren und gegenst�ndlichen Bildern manchmal jenen Hintergrund vom s��esten Ferneblau gegeben? Es ist nur ein Strich tiefblauer, warmer Farbe, man sieht nicht ob er ferne Gebirge oder nur den unbegrenzten Raum bedeuten will. Tizian, der Realist, wu�te es selbst nicht. Er tat es nicht, wie die Kunsthistoriker wissen wollen, aus Gr�nden der Farbenharmonik, sondern es war sein Tribut an das Unstillbare, das verborgen auch in der Seele dieses Frohen und Gl�cklichen lebte. So, schien mir, war die Kunst zu allen Zeiten bem�ht gewesen, dem stummen Verlangen des G�ttlichen in uns eine Sprache zu schenken.

Reifer, sch�ner und doch viel kindlicher sprach der heilige Franz das aus. Ihn verstand ich erst damals v�llig. Indem er die ganze Erde, die Pflanzen, Gestirne, Tiere, Winde und Wasser in seine Liebe zu Gott inbegriff, �bereilte er das Mittelalter und selbst Dante und fand die Sprache des zeitlos Menschlichen. Er nennt alle M�chte und Erscheinungen der Natur seine lieben Br�der und Schwestern. Als er in seinen sp�tern Jahren von den �rzten dazu verurteilt ward, sich die Stirn mit gl�hendem Eisen brennen zu lassen, begr��te er mitten in der Angst des gefolterten Schwerkranken in diesem schrecklichen Eisen „seinen lieben Bruder, das Feuer.“

Indem ich nun anfing die Natur pers�nlich zu lieben, ihr zu lauschen wie einem Kameraden und Reisegef�hrten, der eine fremde Sprache redet, ward meine Schwermut zwar nicht geheilt, aber veredelt und gereinigt. Mein Ohr und Auge sch�rfte sich, ich lernte feine T�nungen und Unterschiede erfassen und sehnte mich, den Herzschlag alles Lebens immer n�her und klarer zu h�ren und vielleicht einmal zu verstehen und vielleicht einmal der Gabe teilhaftig zu werden, ihm in Dichterworten Ausdruck zu g�nnen, damit auch andere ihm n�her k�men und mit besserem Verst�ndnis die Quellen aller Erfrischung, Reinigung und Kindlichkeit besuchten. Einstweilen war das ein Wunsch, ein Traum — —, ich wu�te nicht ob er sich je erf�llen k�nne und hielt mich ans n�chste, indem ich allem Sichtbaren Liebe entgegenbrachte und mich gew�hnte, kein Ding mehr gleichg�ltig oder ver�chtlich zu betrachten.

Ich kann nicht sagen, wie erneuend und tr�stend dies auf mein verdunkeltes Leben wirkte! Es ist nichts Adligeres und nichts Begl�ckenderes in der Welt als eine wortelose, stetige, leidenschaftslose Liebe und ich w�nsche nichts herzlicher als da� von denen, die meine Worte lesen, einige oder auch nur zwei oder einer diese reine und selige Kunst durch meinen Antrieb zu lernen beginnen m�chte. Manche haben sie von Natur und �ben sie ihr Leben lang unbewu�t, das sind Gottes Lieblinge, die Guten und Kinder unter den Menschen. Manche haben sie in schweren Leiden gelernt — habt ihr nie unter Kr�ppeln und Elenden solche mit �berlegenen, stillen, gl�nzenden Augen gesehen? Wenn ihr nicht auf mich und meine armen Worte h�ren m�get, so gehet zu ihnen, in denen eine begierdelose Liebe das Leiden �berwand und verkl�rte.

Dieser Vollendung, die ich an manchen armen Duldern verehrt habe, stehe ich noch heute kl�glich fern. Aber diese Jahre hindurch entbehrte ich nur selten des tr�stenden Glaubens, den rechten Weg zu ihr zu wissen.

Da� ich ihn auch immer gegangen w�re, darf ich nicht sagen, vielmehr blieb ich unterwegs auf allen B�nken sitzen und sparte auch manchen b�sen Umweg nicht. Zwei selbsts�chtige und m�chtige Neigungen stritten in mir wider die echte Liebe. Ich war Trinker und ich war menschenscheu. Zwar beschnitt ich mein Quantum Wein erheblich, aber alle paar Wochen �berredete mich der schmeichlerische Gott, da� ich mich ihm in die Arme warf. Da� ich etwa auf der Stra�e liegen blieb oder �hnliche Nachtst�cke ver�bte, ist allerdings kaum jemals vorgekommen, denn der Wein liebt mich, und lockt mich nur bis dahin, wo seine Geister mit meinem eigenen in freundschaftlichem Zwiegespr�ch verkehren. Immerhin verfolgte mich lange Zeit nach jeder Trinkerei das b�se Gewissen. Aber schlie�lich konnte ich meine Liebe doch nicht gerade dem Wein entziehen, zu dem ich eine starke Neigung vom Vater ererbt hatte. Jahrelang hatte ich diese Erbschaft sorgsam und piet�tvoll gehegt und mir gr�ndlich zu eigen gemacht, also half ich mir nun und schlo� zwischen Trieb und Gewissen einen halb ernsten, halb scherzhaften Vertrag. Ich nahm in den Lobgesang des Heiligen von Assisi „meinen lieben Bruder, den Wein“ mit auf.

VI.

Viel schlimmer war mein anderes Laster. Ich hatte wenig Freude an den Menschen, lebte als Einsiedler und war gegen menschliche Dinge stets mit Spott und Verachtung zur Hand.

Im Beginn meines neuen Lebens dachte ich daran noch gar nicht. Ich fand es richtig, die Menschen einander zu �berlassen und meine Z�rtlichkeit, Hingabe und Teilnahme allein dem stummen Leben der Natur zu schenken. Auch erf�llte diese mich im Anfang ganz.

Nachts, wenn ich zu Bett gehen wollte, fiel mir etwa pl�tzlich ein H�gel, ein Waldrand, ein einzelner Lieblingsbaum ein, den ich lange nicht mehr besucht hatte. Nun stand er in der Nacht im Wind, tr�umte, schlummerte vielleicht, st�hnte und regte die Zweige. Wie mochte er aussehen? Und ich verlie� das Haus, suchte ihn auf und sah seine undeutliche Gestalt im Finstern stehen, betrachtete ihn mit erstaunter Z�rtlichkeit und trug sein d�mmerndes Bild in mir davon.

Ihr lacht dar�ber. Vielleicht war diese Liebe verirrt, doch nicht vergeudet. Aber wie sollte ich von hier den Weg finden, der zur Menschenliebe f�hrte?

Nun, wo ein Anfang gemacht ist, kommt immer das Beste von selber nach. Immer n�her und m�glicher schwebte mir die Idee meiner gro�en Dichtung vor. Und wenn mein Liebhaben mich dahin bringen w�rde, einmal als Dichter die Sprache der W�lder und Str�me zu reden, f�r wen gesch�he das dann? Nicht nur f�r meine Lieblinge, sondern doch vor allem f�r die Menschen, denen ich ein F�hrer und ein Lehrer der Liebe sein wollte. Und gegen diese Menschen war ich rauh, sp�ttisch und lieblos. Ich empfand den Zwiespalt und die N�tigung, das herbe Fremdsein zu bek�mpfen und auch den Menschen Br�derlichkeit zu zeigen. Und das war schwer, denn Vereinsamung und Schicksale hatten mich gerade auf diesem Punkt hart und b�se gemacht. Es gen�gte nicht, da� ich daheim und im Wirtshaus mich m�hte weniger herb zu sein und da� ich etwa unterwegs einem Begegnenden freundlich zunickte. �brigens sah ich schon hierbei, wie gr�ndlich ich mir das Verh�ltnis zu den Leuten versalzen hatte, denn man kam meinen Freundlichkeitsversuchen mi�trauisch und k�hl entgegen oder nahm sie f�r Hohn auf. Das Schlimmste war, da� ich das Haus jenes Gelehrten, das einzige meiner Bekanntschaft, fast ein Jahr lang gemieden hatte, und ich sah ein, da� ich vor allem dort wieder anklopfen und mir irgend einen Weg in die hiesige Art von Geselligkeit suchen m�sse.

Nun, hier half mir meine eigene verh�hnte Menschlichkeit erklecklich. Kaum hatte ich wieder an jenes Haus gedacht, so sah ich auch im Geist Elisabeth, sch�n wie sie vor Segantinis Wolke gewesen war, und merkte pl�tzlich, wie sehr sie an meiner Sehnsucht und Schwermut teil hatte. Und es geschah, da� ich zum erstenmal ernstlich daran dachte, ein Weib zu freien. Bisher war ich von meiner v�lligen Unf�higkeit zur Ehe so �berzeugt gewesen, da� ich mich darein mit bissiger Ironie ergeben hatte. Ich war Dichter, Wanderer, Trinker, Einsp�nner! Jetzt glaubte ich mein Schicksal zu erkennen, das mir in der M�glichkeit einer Liebesehe die Br�cke zur Menschenwelt schlagen wollte. Alles sah so verlockend und sicher aus! Da� Elisabeth mir Teilnahme schenkte, hatte ich gesp�rt und gesehen; auch da� sie ein empf�ngliches und edles Wesen besa�. Ich dachte daran, wie bei der Plauderei �ber San Clemente und dann vor dem Segantini ihre Sch�nheit lebendig geworden war. Ich aber hatte seit Jahren aus Kunst und Natur einen reichen inneren Besitz gesammelt; sie w�rde von mir das �berall schlummernde Sch�ne sehen lernen und ich w�rde sie so mit Sch�nem und Wahrem umgeben, da� ihr Gesicht und ihre Seele alle Tr�bungen verg��e und sich zur Bl�te ihrer F�higkeiten entfalten k�nnte. Seltsamer Weise empfand ich das Komische meiner pl�tzlichen Verwandlung gar nicht. Ich Einsamer und Sonderling war �ber Nacht ein verliebter Fant geworden, der von Ehegl�ck und von der Einrichtung eines eigenen Hauswesens tr�umt.

Eiligst suchte ich denn das gastliche Haus auf und ward mit freundlichen Vorw�rfen empfangen. Ich ging mehrmals hin und nach einigen Besuchen traf ich Elisabeth dort wieder. O, sie war sch�n! Sie sah aus wie ich sie mir als meine Geliebte vorgestellt hatte: sch�n und gl�cklich. Und ich geno� eine Stunde lang die frohe Sch�nheit ihrer Gegenwart. Sie begr��te mich g�tig, sogar herzlich und mit einer vertrauten Freundschaftlichkeit, die mich gl�cklich machte.

 

Erinnert ihr euch noch des Abends auf dem See, im Boot, des Abends mit den roten Papierlampen, mit der Musik, mit meiner im Keim erstickten Liebeserkl�rung? Es war die traurige und l�cherliche Geschichte eines verliebten Knaben.

L�cherlicher — und trauriger ist die Geschichte des verliebten Mannes Peter Camenzind.

Ich erfuhr so beil�ufig, Elisabeth sei seit kurzem Braut. Ich gratulierte ihr, ich machte die Bekanntschaft ihres Verlobten, der sie abzuholen kam, und ich gratulierte auch ihm. Den ganzen Abend lag ein wohlwollendes G�nnerl�cheln auf meinem Gesicht, mir selber l�stig, wie eine Maske. Nachher lief ich weder in den Wald noch ins Wirtshaus, sondern sa� auf meinem Bett, sah der Lampe zu, bis sie stank und erlosch, erstaunt und verdonnert, bis endlich mein Bewu�tsein wieder erwachte. Da breiteten noch einmal der Schmerz und Verzweiflung ihre schwarzen Fl�gel �ber mich, da� ich klein und schwach und zerbrochen lag und da� ich schluchzte wie ein Knabe.

Darauf packte ich meinen Rucksack, ging morgens zur Bahn und reiste nach Haus. Ich hatte Sehnsucht wieder am Sennalpstock zu klettern, an meine Kinderzeit zu denken und nachzusehen, ob mein Vater noch lebe.

Wir waren uns fremd geworden. Der Vater sah v�llig grau, ein wenig geb�ckt und ein wenig unscheinbar aus. Er behandelte mich sanft und mit Scheu, fragte nach nichts, wollte mir sein Bett abtreten und schien durch meinen Besuch nicht weniger in Verlegenheit gebracht als �berrascht zu sein. Er hatte das H�uschen noch, die Matten und das Vieh aber verkauft, bezog einen kleinen Zins und tat hier und dort ein wenig leichte Arbeit.

Als er mich allein lie�, trat ich an die Stelle, wo fr�her meiner Mutter Bett gestanden hatte, und das Vergangene lief wie ein breiter, ruhiger Strom an mir vorbei. Ich war kein J�ngling mehr und dachte daran, wie schnell die Jahre weitergehen w�rden, dann w�re auch ich ein geb�cktes und graues M�nnlein und legte mich zum bittern Sterben hin. In der fast unver�nderten, �rmlichen alten Stube, wo ich klein gewesen war, wo ich Latein gelernt und den Tod der Mutter gesehen hatte, hatten diese Gedanken eine ruhebringende Nat�rlichkeit. Mit Dank erinnerte ich mich an allen Reichtum meiner Jugend, dabei fiel der Vers des Lorenzo Medici mir ein, den ich in Florenz gelernt hatte:

Quant’ � bella giovinezza,

Ma si fugge tuttavia.

Chi vuol esser lieto, sia:

Di doman non c’� certezza.

und zugleich wunderte ich mich, Erinnerungen aus Italien und aus der Geschichte und aus dem weiten Reich des Geistes in diese alte heimatliche Stube zu tragen.

Darauf gab ich meinem Vater etwas Geld. Am Abend gingen wir ins Wirtshaus und dort war alles wie damals, nur da� jetzt ich den Wein bezahlte und da� der Vater, als er vom Sternwein und Champagner sprach, sich auf mich berief, und da� ich jetzt mehr als der Alte vertragen konnte. Ich fragte nach dem greisen B�uerlein, dem ich damals den Wein �ber seinen Kahlkopf gegossen hatte. Er war ein Witzbold und Kniffgenie gewesen, aber nun war er l�ngst tot und �ber seine Schnurren begann Gras zu wachsen. Ich trank Waadtl�nder, h�rte den Gespr�chen zu, erz�hlte ein wenig, und da ich mit dem Vater durch den Mondschein nach Hause ging und er im Rausche weiter redete und gestikulierte, war mir so sonderbar verzaubert zu Mute wie noch nie. Fortw�hrend umgaben mich die Bilder der fr�heren Zeit, Onkel Konrad, R�si Girtanner, die Mutter, Richard und die Aglietti und ich sah sie an wie ein sch�nes Bilderbuch, bei dem man sich wundert, wie sch�n und wohlbeschaffen alle Dinge darin aussehen, die in der Wirklichkeit nicht halb so k�stlich sind. Wie war das alles an mir vorbeigerauscht, vergangen, fast vergessen und stand nun doch klar und reinlich in mir ausgezeichnet: ein halbes Leben, ohne meinen Willen vom Ged�chtnis aufbewahrt.

Erst als wir nach Hause kamen und als mein Vater sp�t verstummte und entschlief, dachte ich wieder an Elisabeth. Noch gestern hatte sie mich begr��t, hatte ich sie bewundert und hatte ihrem Br�utigam Gl�ck gew�nscht. Es schien mir eine lange Zeit seither vergangen zu sein. Aber der Schmerz erwachte, vermischte sich mit der Flut der aufgest�rten Erinnerungen und r�ttelte an meinem selbsts�chtigen und schlecht verwahrten Herzen wie der F�hn an einer zitternden und bauf�lligen Almh�tte. Ich hielt es nicht im Hause aus. Ich stieg durchs niedere Fenster, ging durchs G�rtchen an den See, machte den verwahrlosten Weidling los und ruderte leise in die blasse Seenacht. Feierlich schwiegen umher die silbrig umd�nsteten Berge, der fast v�llige Mond hing in der bl�ulichen Nacht und ward beinahe von der Spitze des Schwarzenstocks erreicht. Es war so still, da� ich den fernen Sennalpstock-Wasserfall leise brausen h�ren konnte. Die Geister der Heimat und die Geister meiner Jugendzeit ber�hrten mich mit ihren bleichen Fl�geln, erf�llten meinen kleinen Nachen und deuteten flehentlich mit ausgestreckten H�nden und schmerzlichen, unverst�ndlichen Geberden.

Was hatte nun mein Leben bedeutet und wozu waren so viele Freuden und Schmerzen �ber mich hinweggegangen? Warum hatte ich Durst nach dem Wahren und Sch�nen gehabt, da ich heute noch ein D�rstender war? Warum hatte ich in Trotz und Tr�nen um jene begehrenswerten Frauen Liebe und Schmerzen gelitten — ich, der ich heute wieder das Haupt in Scham und Tr�nen um eine traurige Liebe neigte? Und warum hatte der unbegreifliche Gott mir das brennende Heimweh nach Liebe ins Herz getan, da er mir doch das Leben eines Einsamen und wenig Geliebten bestimmt hatte?

Das Wasser gurgelte dumpf am Bug und tr�pfelte silbern von den Rudern, die Berge standen ringsum nahe und schweigend, �ber die Nebel der Schluchten wandelte das k�hle Mondlicht. Und die Geister meiner Jugendzeit standen schweigsam um mich her und blickten mich aus tiefen Augen still und fragend an. Mir war, ich s�he unter ihnen auch die sch�ne Elisabeth, und sie h�tte mich geliebt und sie w�re mein geworden, wenn ich zur rechten Zeit gekommen w�re.

Auch war mir als w�re es am besten, ich s�nke still in den bleichen See und es w�rde mir von niemand nachgefragt. Aber dennoch ruderte ich schneller, als ich merkte, da� der schlechte alte Nachen Wasser zog. Mich fror pl�tzlich und ich eilte, nach Haus und zu Bett zu kommen. Dort lag ich m�d und wach und sann �ber mein Leben nach und suchte zu finden, was mir fehle und was mir n�tig w�re, um gl�cklicher und echter zu leben und n�her an das Herz des Daseins zu kommen.

Wohl wu�te ich, da� aller G�te und Freude Kern die Liebe sei und da� ich beginnen m�sse, trotz meines frischen Schmerzes um Elisabeth die Menschen ernstlich liebzuhaben. Aber wie? Und wen?

Da fiel mir mein alter Vater ein und ich merkte zum erstenmal, da� ich ihn nie in der rechten Weise lieb gehabt hatte. Als Knabe hatte ich ihm das Leben sauer gemacht, dann war ich fortgegangen, hatte ihn auch nach der Mutter Tod allein gelassen, mich oft seiner ge�rgert und ihn schlie�lich fast ganz vergessen. Ich mu�te mir vorstellen, er l�ge auf dem Totenbett und ich st�nde allein und verwaist daneben und s�he seine Seele entrinnen, die mir fremd geblieben war und um deren Liebe ich mich nie bem�ht hatte.

So begann ich denn die schwere und s��e Kunst, statt an einer sch�nen und bewunderten Geliebten, an einem greisen, ruppigen Trinker zu lernen. Ich gab ihm keine groben Antworten mehr, besch�ftigte mich nach M�glichkeit mit ihm, las ihm Kalendergeschichten vor und erz�hlte ihm von den Weinen, die in Frankreich und Italien wachsen und getrunken werden. Sein bischen Arbeit konnte ich ihm nicht abnehmen, da er ohne das verwahrlost w�re. Auch gelang es mir nicht ihn daran zu gew�hnen, da� er seinen Abendschoppen mit mir zu Hause statt in der Kneipe trank. Ein paar Abende versuchten wir es. Ich holte Wein und Cigarren, und gab mir M�he dem alten Mann die Zeit zu vertreiben. Am vierten oder f�nften Abend war er still und trotzig und klagte endlich, als ich ihn fragte was ihm fehle: „Ich glaube, du willst deinen Vater nimmer ins Wirtshaus lassen.“

„Keine Rede,“ sagte ich, „du bist der Vater und ich der Bub und wie’s gehalten werden soll, ist deine Sache.“

Er blinzelte mich pr�fend an, dann nahm er vergn�gt seine M�tze und wir marschierten selbander zum Wirtshaus.

Es war deutlich zu sehen, da� meinem Vater ein l�ngeres Zusammenbleiben zuwider gewesen w�re, obwohl er nichts dar�ber sagte. Auch trieb es mich, irgendwo in der Fremde die Beruhigung meines zwiesp�ltigen Zustandes abzuwarten. „Was meinst du, wenn ich dieser Tage wieder abreiste?“ fragte ich den Alten. Er kratzte sich den Sch�del, zuckte die schmalgewordenen Achseln und l�chelte schlau und abwartend: „Je, wie du willst!“ Ehe ich reiste, suchte ich einige Nachbarn sowie die Klosterleute auf und bat sie, ein Auge auf ihn zu haben. Auch ben�tzte ich noch einen sch�nen Tag zur Besteigung des Sennalpstocks. Von seiner halbrunden, breiten Kuppe �berschaute ich Gebirg und gr�ne Tale, blanke Wasser und den Dunst entfernter St�dte. All dies hatte mich als Knaben mit m�chtigem Verlangen erf�llt, ich war ausgezogen mir die sch�ne weite Welt zu erobern, und nun lag sie wieder vor mir ausgebreitet, so sch�n und so fremd wie je, und ich war bereit aufs neue hin�berzugehen und noch einmal das Land des Gl�ckes zu suchen.

Meinen Studien zuliebe hatte ich l�ngst beschlossen, einmal f�r l�ngere Zeit nach Assisi zu gehen. Ich fuhr nun zun�chst nach Basel zur�ck, besorgte das N�tigste, packte meine paar Sachen ein und schickte sie nach Perugia voraus. Ich selber fuhr nur bis Florenz und pilgerte von dort langsam und behaglich zu Fu�e s�dw�rts. Dort unten braucht man zum freundschaftlichen Verkehr mit dem Volke keinerlei K�nste zu verstehen; das Leben dieser Leute liegt stets an der Oberfl�che und ist so simpel, frei und naiv, da� man von St�dtchen zu St�dtchen sich mit einer Menge von Leuten harmlos befreundet. Ich f�hlte mich wieder geborgen und heimisch und beschlo�, auch sp�ter in Basel die w�rmende N�he menschlichen Lebens nicht wieder in der Gesellschaft, sondern unter dem schlichten Volke zu suchen.

In Perugia und Assisi bekam meine historische Arbeit wieder Interesse und Leben. Da auch das t�gliche Dasein dort eine Lust war, begann mein schadhaft gewordenes Wesen bald wieder zu gesunden und neue Notbr�cken zum Leben zu schlagen. Meine Hauswirtin in Assisi, eine redselige und fromme Gem�seh�ndlerin, schlo� auf Grund einiger Gespr�che �ber den Santo eine innige Freundschaft mit mir und brachte mich in den Geruch eines strammen Katholiken. So unverdient diese Ehre war, brachte sie mir doch den Vorteil, mit den Leuten intimer umgehen zu k�nnen, da ich frei vom Verdacht des Heidentums war, der sonst jedem Fremden anhaftet. Die Frau hie� Annunziata Nardini, war vierunddrei�ig Jahr alt und Witwe, von kolossalem K�rperumfang und sehr guten Manieren. Sonntags sah sie in einem gebl�mten, fr�hlich farbigen Kleid wie der leibhaftige Festtag aus, dann trug sie au�er den Ohrringen auch noch eine goldene Kette auf der Brust, an welcher eine Reihe von Medaillen aus Goldblech l�utete und leuchtete. Auch schleppte sie dann ein silberbeschlagenes, schweres Brevier mit sich herum, dessen Gebrauch ihr jedenfalls schwer gefallen w�re, und einen sch�nen schwarzwei�en Rosenkranz mit Silberkettchen, den sie desto gewandter handhaben konnte. Wenn sie dann zwischen zwei Kirchg�ngen in der Loggetta sa� und den bewundernden Nachbarinnen die S�nden abwesender Freundinnen aufz�hlte, lag auf ihrem runden, frommen Gesicht der r�hrende Ausdruck einer mit Gott vers�hnten Seele.

Ich hie�, da mein Name den Leuten unm�glich auszusprechen war, einfach Signor Pietro. An den sch�nen, goldigen Abenden sa�en wir beisammen in der winzigen Loggetta, Nachbarn, Kinder und Katzen dabei, oder im Laden zwischen den Fr�chten, Gem�sek�rben, Samenschachteln und aufgeh�ngten Rauchw�rsten, erz�hlten einander unsre Erlebnisse, besprachen die Ernteaussichten, rauchten eine Cigarre oder sogen jeder an einem Melonenschnitz. Ich berichtete vom heiligen Franz, von der Geschichte der Portiunkula und der Kirche des Santo, von der heiligen Klara und von den ersten Br�dern. Ernsthaft h�rte man zu, stellte tausend kleine Fragen, lobte den Heiligen und ging zur Erz�hlung und Er�rterung neuerer und sensationeller Ereignisse �ber, unter welchen R�ubergeschichten und politische Fehden besonders beliebt waren. Zwischen uns spielten und balgten sich die Katzen, Kinder und H�ndlein. Aus eigener Lust und um meinen guten Ruf aufrecht zu erhalten, durchst�berte ich die Legende nach erbaulichen und r�hrenden Geschichten und freute mich, neben wenigen andern B�cher auch Arnolds „Leben der Altv�ter und anderer gottseliger Personen“ mitgebracht zu haben, dessen treuherzige Anekdoten ich mit kleinen Variationen in ein vulg�res Italienisch �bertrug. Vor�bergehende blieben ein Weilchen stehen, h�rten zu, plauderten mit, und oft wechselte so die Gesellschaft an einem Abend drei, vier mal, nur Frau Nardini und ich waren se�haft und fehlten nie. Ich hatte meinen Rotwein im Fiasko neben mit stehen und imponierte dem armen und m��ig lebenden V�lklein durch meinen stattlichen Weinverbrauch. Allm�hlich wurden auch die scheuen M�dchen der Nachbarschaft zutraulicher und beteiligten sich am Gespr�ch von der T�rschwelle aus, lie�en sich Bildchen schenken und begannen an meine Heiligkeit zu glauben, da ich weder zudringliche Scherze machte noch �berhaupt mich um ihre Vertraulichkeit zu bem�hen schien. Unter ihnen waren einige gro��ugige, tr�umerische Sch�nheiten, welche aus Bildern des Perugino zu stammen schienen. Ich hatte sie alle gern und freute mich ihrer gutm�tig schalkhaften Gegenwart, doch war ich nie in eine von ihnen verliebt, denn die h�bschen unter ihnen glichen einander so sehr, da� ihre Sch�nheit mir stets nur als Rasse und nie als pers�nlicher Vorzug erschien. �fter stellte sich auch Mattheo Spinelli ein, ein junges B�rschchen, Sohn des B�ckermeisters, ein geriebener und witziger Kerl. Er konnte eine Menge Tiere nachahmen, wu�te �ber jeden Skandal Bescheid und stak zum Bersten voll von frechen und schlauen Unternehmungen. Wenn ich Legenden erz�hlte, h�rte er mit einer Fr�mmigkeit und Demut ohne gleichen zu, machte sich nachher aber �ber die heiligen V�ter in naiv vorgebrachten boshaften Fragen, Vergleichen und Vermutungen lustig, zum Entsetzen der Obstfrau und unverhohlenen Entz�cken der meisten Zuh�rer.

H�ufig sa� ich auch allein bei Frau Nardini, h�rte ihre erbaulichen Reden an und hatte meine unheilige Freude an ihren zahlreichen Menschlichkeiten. Ihr entging kein Fehler und Laster an ihren N�chsten, sie wies ihnen im voraus peinlich absch�tzend ihre Pl�tze im Fegefeuer an. Mich aber hatte sie ins Herz geschlossen und vertraute mir die kleinsten Erlebnisse und Beobachtungen offen und umst�ndlich an. Sie fragte mich nach jedem kleinen Einkauf, wieviel ich bezahlt habe, und wachte dar�ber, da� ich nicht �bervorteilt w�rde. Sie lie� sich die Lebensl�ufe der Heiligen erz�hlen und machte mich daf�r mit den Geheimnissen des Obstkaufs, des Gem�sehandels und der K�che bekannt. Eines Abends sa�en wir in der gebrechlichen Halle. Ich hatte zum rasenden Entz�cken der Kinder und M�dchen ein Schweizerlied gesungen und einen Jodler losgelassen. Sie wanden sich vor Lust, imitierten den Klang der fremden Sprache und zeigten mir, wie komisch mein Kehlkopf beim Jodeln auf und nieder gestiegen sei. Da begann jemand von der Liebe zu sprechen. Die M�dchen kicherten, Frau Nardini verdrehte die Augen und seufzte sentimental, und schlie�lich ward ich best�rmt, meine eigenen Liebesgeschichten zu erz�hlen. Ich schwieg �ber Elisabeth, erz�hlte aber meine Kahnfahrt mit der Aglietti und meine verungl�ckte Liebeserkl�rung. Es war mir sonderbar, diese Geschichte, von der ich au�er Richard niemandem je ein Wort anvertraut hatte, nun meiner neugierigen umbrischen Gesellschaft zu erz�hlen, angesichts der s�dlich schmalen steinernen Gassen und der H�gel, �ber welchen der rotgoldene Abend duftete. Ich erz�hlte ohne viel Reflexion, nach Art der alten Novellen, und doch war mein Herz dabei und ich hatte heimlich Furcht, die Zuh�rer w�rden lachen und mich necken.

Aber als ich zu Ende war, hingen aller Augen teilnehmend traurig an mir.

„Ein so sch�ner Mann!“ rief eines der M�dchen lebhaft aus. „Ein so sch�ner Mann, und er hat eine ungl�ckliche Liebe!“

Frau Nardini aber fuhr mir mit ihrer weichen, runden Hand vorsichtig �bers Haar und sagte: „Poverino!“

Ein anderes M�dchen schenkte mir eine gro�e Birne und da ich sie bat, den ersten Bi� darein zu tun, tat sie es und sah mich dabei ernsthaft an. Als ich aber auch die anderen bei�en lassen wollte, litt sie es nicht. „Nein, essen Sie selbst! Ich habe sie Ihnen geschenkt, weil Sie uns Ihr Ungl�ck erz�hlt haben.“

„Aber Sie werden nun gewi� eine andere lieben,“ sagte ein brauner Weinbauer.

„Nein,“ sagte ich.

„O, Sie lieben immer noch diese b�se Erminia?“

„Ich liebe jetzt den heiligen Franz und er hat mich gelehrt, alle Menschen liebzuhaben, euch und die Leute von Perugia und auch alle diese Kinder hier, und sogar den Geliebten der Erminia.“

Eine gewisse Verwicklung und Gefahr kam in dies idyllische Dasein, als ich entdeckte, da� die gute Signora Nardini von dem sehnlichen Wunsch beseelt war, ich m�chte endg�ltig dableiben und sie heiraten. Die kleine Aff�re bildete mich zum listigen Diplomaten aus, denn es war keineswegs leicht, diese Tr�ume zu zerst�ren, ohne die Harmonie zu verderben und die behagliche Freundschaft zu verscherzen. Auch mu�te ich an die R�ckreise denken. W�re nicht der Traum meiner zuk�nftigen Dichtung und die drohende Ebbe meiner Kasse gewesen, so w�re ich dortgeblieben. Ich h�tte vielleicht auch, gerade der Ebbe wegen, die Nardini geheiratet. Doch nein, was mich abhielt, war mein noch nicht vernarbter Schmerz um Elisabeth und das Verlangen sie wiederzusehen.

Die runde Witwe f�gte sich wider Erwarten leidlich ins Unab�nderliche und lie� mich ihre Entt�uschung nicht entgelten. Als ich abreiste, fiel mir vielleicht der Abschied viel schwerer als ihr. Ich verlie� viel mehr als ich je in der Heimat verlassen hatte, und nie war mir bei einer Abreise die Hand so herzlich und von so vielen lieben Menschen gedr�ckt worden. Die Leute gaben mir Fr�chte, Wein, s��en Schnaps, Brot und eine Wurst mit in den Wagen und ich hatte das ungewohnte Gef�hl von Freunden zu scheiden, denen es nicht einerlei war, ob ich ging oder blieb. Frau Annunziata Nardini aber gab mir beim Scheiden einen Ku� auf beide Wangen und hatte Tr�nen in den Augen.

Fr�her hatte ich geglaubt, es m�sse ein besonderer Genu� sein geliebt zu werden, ohne selbst zu lieben. Ich hatte jetzt erfahren, wie peinlich eine solche sich darbietende Liebe ist, die man nicht erwidern kann. Und doch war ich ein wenig stolz darauf, da� eine fremde Frau mich liebte und zum Manne w�nschte.

Schon diese kleine Eitelkeit bedeutete ein St�ck Genesung f�r mich. Frau Nardini tat mir leid und doch w�nschte ich die Sache nicht ungeschehen. Auch sah ich allm�hlich immer mehr ein, da� das Gl�ck mit der Erf�llung �u�erer W�nsche wenig zu tun habe und da� die Leiden verliebter J�nglinge, so peinlich sie seien, aller Tragik entbehren. Es tat ja weh, da� ich Elisabeth nicht haben konnte. Aber mein Leben, meine Freiheit, Arbeit und Denkweise blieb mir unverk�rzt, und aus der Ferne liebhaben konnte ich sie ja nach wie vor, so viel ich wollte. Diese Gedankeng�nge und noch mehr die naive Heiterkeit meines Daseins in den umbrischen Monaten waren mir �beraus heilsam gewesen. Von jeher hatte ich ein Auge f�r alles L�cherliche und Schnurrige gehabt und mir nur die Freude daran selber durch Ironie verdorben. Nun ging mir allm�hlich der Blick f�r den Humor des Lebens auf und es schien mir immer m�glicher und leichter, mich mit meinen Sternen zu vers�hnen und mir von der Tafel des Lebens noch den einen oder anderen sch�nen Bissen zu g�nnen.

Freilich, wenn man von Italien heimreist, ist es immer so. Man pfeift auf Prinzipien und Vorurteile, l�chelt nachsichtig, tr�gt die H�nde in den Hosentaschen und kommt sich als durchtriebener Lebensk�nstler vor. Man ist eine Weile im wohlig warmen Volksleben des S�dens mitgeschwommen und denkt nun, das m�sse zu Hause so weitergehen. Auch mir war es bei jeder R�ckkehr aus Italien so gegangen und damals am meisten. Als ich nach Basel kam und dort das alte steife Leben unverj�ngt und unver�nderlich antraf, stieg ich von der H�he meiner Heiterkeit eine Stufe um die andere kleinlaut und �rgerlich herab. Aber etwas von dem Erworbenen keimte doch weiter und seither trieb mein Schifflein durch klare und tr�be Wasser nie mehr ohne wenigstens einen kleinen farbigen Wimpel frech und zutraulich flattern zu lassen.

Auch sonst hatten sich meine Anschauungen langsam ver�ndert. Ich f�hlte mich ohne gro�es Bedauern den Jugendjahren entwachsen und den Zeiten entgegenreifen, da man das eigene Leben als eine kurze Wegstrecke betrachten lernt und sich selbst als Wanderer, dessen G�nge und schlie�liches Verschwinden die Welt nicht gro� erregen und besch�ftigen. Man beh�lt ein Lebensziel, einen Lieblingstraum im Auge, aber man kommt sich nimmer unentbehrlich vor und g�nnt sich unterwegs des �fteren Mu�e, um ohne Gewissensbisse eine Tagesstrecke zu vers�umen, sich ins Gras zu legen, einen Vers zu pfeifen und der lieben Gegenwart ohne Hintergedanken froh zu werden. Bisher war ich, ohne da� ich jemals zu Zarathustra gebetet hatte, doch eigentlich ein Herrenmensch gewesen und hatte es weder an Selbstverehrung noch an der Mi�achtung geringerer Leute fehlen lassen. Nun sah ich allm�hlich immer besser, da� es keine festen Grenzen gibt und da� im Kreise der Kleinen, Bedr�ckten und Armen das Dasein nicht nur ebenso mannigfalt, sondern zumeist auch w�rmer, wahrhaftiger und vorbildlicher ist als das der Beg�nstigten und Gl�nzenden.

�brigens kam ich gerade rechtzeitig nach Basel zur�ck, um an der ersten Abendgesellschaft im Hause der inzwischen verheirateten Elisabeth teilzunehmen. Ich war vergn�gt, noch frisch und braun von der Reise, und brachte eine Menge lustiger kleiner Erinnerungen mit. Die sch�ne Frau beliebte mich durch eine feine Vertraulichkeit auszuzeichnen und ich freute mich den ganzen Abend meines Gl�ckes, das mir seinerzeit die Blamage einer versp�teten Werbung erspart hatte. Denn trotz meiner italienischen Erfahrung hatte ich immer noch ein leises Mi�trauen gegen die Frauen, als m��ten sie an den hoffnungslosen Qualen der in sie verliebten M�nner ihre grausame Freude haben. Zur lebhaftesten Veranschaulichung eines solchen entehrenden und peinlichen Zustandes diente mir eine kleine Erz�hlung aus dem Kinderschulleben, die ich einst aus dem Mund eines f�nfj�hrigen Knaben vernommen hatte. In der Kinderschule, die er besuchte, herrschte folgender merkw�rdige und symbolische Brauch. Hatte ein Knabe sich einer allzu starken Unart schuldig gemacht und es sollten ihm daf�r die H�slein gespannt werden, so wurden sechs kleine M�dchen beordert, den Widerstrebenden in der zu jener Z�chtigung erforderlichen peinlichen Lage auf der Bank festzuhalten. Da dies Festhaltend�rfen als Hochgenu� und gro�e Ehre galt, wurden nur jeweils die sechs artigsten M�dchen, die zeitweiligen Tugendausb�nde, der grausamen Wonne teilhaftig. Die spa�ige Kindergeschichte gab mir zu denken und hat sich sogar ein paar mal in meine Tr�ume geschlichen, so da� ich wenigstens aus Traumerfahrung wei�, wie elend einem in solcher Lage ums Herz ist.

VII.

Vor meiner Schriftstellerei hatte ich nach wie vor selber keinen Respekt. Ich konnte von meiner Arbeit leben, kleine Ersparnisse zur�cklegen und gelegentlich auch meinem Vater etwas Geld senden. Er trug es freudig ins Wirtshaus, sang dort mein Lob in allen Tonarten und dachte sogar daran, mir einen Gegendienst zu leisten. Ich hatte ihm n�mlich einmal gesagt, da� ich mein Brot zumeist durch Zeitungsartikel verdiene. Er hielt mich f�r einen Redakteur oder Berichterstatter wie die l�ndlichen Bezirksbl�tter sie haben, und nun diktierte er dreimal v�terliche Briefe an mich, in welchen er mir Ereignisse mitteilte, die ihm wichtig schienen und von denen er glaubte, sie w�rden mir Stoff geben und Geld einbringen. Einmal war es ein Scheunenbrand, dann der Absturz zweier Bergtouristen und das dritte mal das Ergebnis einer Schulzenwahl. Diese Mitteilungen waren schon in einen grotesk t�nenden Zeitungsstil gebracht und machten mir wirkliche Freude, denn es waren doch Zeichen einer freundlichen Verbindung zwischen ihm und mir und seit Jahren die ersten Briefe, die ich aus der Heimat erhielt. Sie erquickten mich auch als ungewollte Verh�hnung meiner Schreiberei; denn ich besprach Monat f�r Monat manches Buch, dessen Erscheinen hinter jenen l�ndlichen Ereignissen an Wichtigkeit und Folgen weit zur�ckstand.

Es erschienen damals gerade zwei B�cher von Verfassern, die ich als extravagante lyrische J�nglinge seinerzeit in Z�rich gekannt hatte. Der eine lebte nun in Berlin und wu�te viel Schmutziges aus Caf�s und Bordellen der Gro�stadt zu schildern. Der zweite hatte sich in der Umgebung von M�nchen eine luxuri�se Einsiedelei erbaut und taumelte zwischen neurasthenischen Selbstbetrachtungen und spiritistischen Anregungen ver�chtlich und hoffnungslos hin und her. Ich mu�te die B�cher besprechen und machte mich nat�rlich �ber beide harmlos lustig. Vom Neurastheniker kam nur ein verachtungsvoller Brief in wahrhaft f�rstlichem Stil. Der Berliner aber machte in einer Zeitschrift Skandal, fand sich in seinem ernsten Wollen verkannt, st�tzte sich auf Zola und machte aus meiner verst�ndnislosen Kritik nicht nur mir, sondern dem eingebildeten und prosaischen Geist der Schweizer �berhaupt einen Vorwurf. Der Mann hatte damals in Z�rich vielleicht die einzige einigerma�en gesunde und w�rdige Zeit seines Literatenlebens gehabt.

Nun war ich nie ein sonderlicher Patriot gewesen, aber das war mir doch etwas zu stark berlinert, und ich erwiderte dem Unzufriedenen mit einer langen Epistel, in der ich mit meiner Geringsch�tzung der aufgeblasenen Gro�stadtmoderne nicht gerade hinterm Berge hielt.

Diese Z�nkerei tat mir wohl und n�tigte mich, wieder einmal �ber meine Auffassung des modernen Kulturlebens nachzudenken. Die Arbeit war m�hsam und langwierig und f�rderte wenig erquickliche Resultate zu Tag. Mein B�chlein verliert nichts, wenn ich dar�ber schweige.

Zugleich aber zwangen mich diese Betrachtungen, �ber mich selbst und mein lang geplantes Lebenswerk eindringlicher nachzudenken.

Ich hatte, wie man wei�, den Wunsch, in einer gr��eren Dichtung den heutigen Menschen das gro�z�gige, stumme Leben der Natur nahe zu bringen und lieb zu machen. Ich wollte sie lehren, auf den Herzschlag der Erde zu h�ren, am Leben des Ganzen teilzunehmen und im Drang ihrer kleinen Geschicke nicht zu vergessen, da� wir nicht G�tter und von uns selbst geschaffen, sondern Kinder und Teile der Erde und des kosmischen Ganzen sind. Ich wollte daran erinnern, da� gleich den Liedern der Dichter und gleich den Tr�umen unsrer N�chte auch Str�me, Meere, ziehende Wolken und St�rme Symbole und Tr�ger der Sehnsucht sind, welche zwischen Himmel und Erde ihre Fl�gel ausspannt und deren Ziel die zweifellose Gewi�heit vom B�rgerrecht und von der Unsterblichkeit alles Lebenden ist. Der innerste Kern jedes Wesens ist dieser Rechte sicher, ist Gottes Kind und ruht ohne Angst im Scho� der Ewigkeit. Alles Schlechte, Kranke, Verdorbene aber, das wir in uns tragen, widerspricht und glaubt an den Tod.

Ich wollte aber auch die Menschen lehren, in der br�derlichen Liebe zur Natur Quellen der Freude und Str�me des Lebens zu finden; ich wollte die Kunst des Schauens, des Wanderns und Genie�ens, die Lust am Gegenw�rtigen predigen. Gebirge, Meere und gr�ne Inseln wollte ich in einer verlockend m�chtigen Sprache zu euch reden lassen und wollte euch zwingen zu sehen, was f�r ein ma�los vielf�ltiges, treibendes Leben au�erhalb eurer H�user und St�dte t�glich bl�ht und �berquillt. Ich wollte erreichen, da� ihr euch sch�met von ausl�ndischen Kriegen, von Mode, Klatsch, Literatur und K�nsten mehr zu wissen als vom Fr�hling, der vor euren St�dten sein unb�ndiges Treiben entfaltet und als vom Strom, der unter euren Br�cken hinflie�t und von den W�ldern und herrlichen Wiesen, durch welche eure Eisenbahn rennt. Ich wollte euch erz�hlen, welche goldene Kette unverge�licher Gen�sse ich Einsamer und Schwerlebiger in dieser Welt gefunden hatte und wollte, da� ihr, die ihr vielleicht gl�cklicher und froher seid als ich, mit noch gr��eren Freuden diese Welt entdecket.

Und ich wollte vor allem das sch�ne Geheimnis der Liebe in eure Herzen legen. Ich hoffte euch zu lehren, allem Lebendigen rechte Br�der zu sein und so voll Liebe zu werden, da� ihr auch das Leid und auch den Tod nicht mehr f�rchten, sondern als ernste Geschwister ernst und geschwisterlich empfangen w�rdet, wenn sie zu euch k�men.

Das alles hoffte ich nicht in Hymnen und hohen Liedern, sondern schlicht, wahrhaftig und gegenst�ndlich darzustellen, ernsthaft und scherzhaft, wie ein heimgekehrter Reisender seinen Kameraden von drau�en erz�hlt.

Ich wollte — ich w�nschte — ich hoffte —, das klingt nun freilich komisch. Auf den Tag, an welchem dies viele Wollen einen Plan und Umri� bek�me, wartete ich noch immer. Aber ich hatte wenigstens viel gesammelt. Nicht nur im Kopf, sondern auch in einer Menge von schmalen B�chlein, die ich auf Reisen und M�rschen in der Tasche trug und von denen alle paar Wochen eines voll wurde. Da hatte ich knapp und kurz Notizen �ber alles Sichtbare in der Welt aufgeschrieben, ohne Reflexionen und ohne Verbindungen. Es waren Skizzenhefte wie die eines Zeichners und sie enthielten in kurzen Worten lauter reale Dinge: Bilder aus Gassen und Landstra�en, Silhouetten von Gebirgen und St�dten, erlauschte Gespr�che von Bauern, Handwerksburschen, Marktweibern, ferner Wetterregeln, Notizen �ber Beleuchtungen, Winde, Regen, Gestein, Pflanzen, Tiere, Vogelflug, Wellenbildungen, Meerfarbenspiel und Wolkenformen. Gelegentlich hatte ich auch kurze Geschichten daraus bearbeitet und ver�ffentlicht, als Natur- und Wanderstudien, doch alles ohne Beziehungen zum Menschlichen. Mir war die Geschichte eines Baumes, ein Tierleben oder die Reise einer Wolke auch ohne menschliche Staffage interessant genug gewesen.

Da� eine gr��ere Dichtung, in welcher �berhaupt keine Menschengestalten auftreten, ein Unding sei, war mir schon �fters durch den Kopf gegangen, doch hing ich jahrelang an diesem Ideal und hegte die dunkle Hoffnung, es m�chte vielleicht einmal eine gro�e Inspiration dies Unm�gliche �berwinden. Nun sah ich endg�ltig ein, da� ich meine sch�nen Landschaften mit Menschen bev�lkern m�sse und da� diese gar nicht nat�rlich und treu genug dargestellt werden k�nnten. Da war unendlich viel nachzuholen, und ich hole heute noch daran nach. Bis dahin waren die Menschen insgesamt ein Ganzes und im Grunde Fremdes f�r mich gewesen. Neuerdings lernte ich, wie lohnend es ist, statt einer abstrakten Menschheit Einzelne zu kennen und zu studieren, und meine Notizb�chlein und mein Ged�chtnis f�llte sich mit ganz neuen Bildern.

Der Anfang dieser Studien war ganz erfreulich. Ich trat aus meiner naiven Gleichg�ltigkeit heraus und gewann Interesse an mancherlei Leuten. Ich sah, wie viel Selbstverst�ndliches mir fremd geblieben war, aber ich sah auch, wie das viele Wandern und Schauen mir die Augen ge�ffnet und gesch�rft habe. Und da von jeher eine Vorliebe mich zu ihnen gezogen hatte, gab ich mich besonders gerne und h�ufig mit Kindern ab.

Immerhin war das Beobachten der Wolken und Wellen erfreulicher gewesen als das Menschenstudieren. Mit Erstaunen nahm ich wahr, da� der Mensch von der �brigen Natur sich vor allem durch eine schl�pfrige Gallert von L�ge unterscheidet, die ihn umgibt und sch�tzt. In K�rze beobachtete ich an allen meinen Bekannten dieselbe Erscheinung — das Ergebnis des Umstandes, da� jeder eine Person, eine klare Figur vorzustellen gen�tigt wird, w�hrend doch keiner sein eigenstes Wesen kennt. Mit sonderbaren Gef�hlen stellte ich an mir selber dasselbe fest und gab es nun auf, den Personen auf den Kern dringen zu wollen. Bei den meisten war die Gallert viel wichtiger. Ich fand sie �berall auch schon an den Kindern, welche stets, bewu�t oder unbewu�t, lieber eine Rolle mimen als sich ganz unverh�llt und instinktiv kundgeben.

Nach einiger Zeit kam es mir vor, ich mache keine Fortschritte mehr und verliere mich an spielerische Einzelheiten. Zun�chst suchte ich den Fehler bei mir selbst, doch konnte ich mir bald nicht mehr verhehlen, da� ich entt�uscht war und da� meine Umgebung mir die Menschen nicht gab, die ich suchte. Ich brauchte nicht Interessantheiten, sondern Typen. Das bot mir weder das Volk der Akademiker noch der Kreis der Gesellschaftsmenschen. Mit Sehnsucht dachte ich an Italien, und mit Sehnsucht an die einzigen Freunde und Begleiter meiner vielen Fu�reisen, die Handwerksburschen. Mit solchen war ich viel gewandert und hatte unter ihnen viele prachtvolle Burschen gefunden.

Es war vergeblich, die Herberge zur Heimat und einige wilde Pennen aufzusuchen. Die Menge der unst�ndigen Durchwanderer diente mir nicht. So stand ich denn wieder eine Weile ratlos, hielt mich an die Kinder und studierte viel in Kneipen herum, wo nat�rlich auch nichts zu holen war. Es kamen ein paar traurige Wochen, da ich mir mi�traute, meine Hoffnungen und W�nsche l�cherlich �bertrieben fand, mich viel im Freien umhertrieb und wieder halbe N�chte beim Wein verbr�tete.

Auf meinen Tischen hatten sich damals wieder ein paar St��e von B�chern angesammelt, die ich gern behalten h�tte, statt sie dem Antiquar zu geben; doch war kein Raum in meinen Schr�nken mehr. Um endlich abzuhelfen, suchte ich eine kleine Schreinerei auf und bat den Meister, zum Ausmessen eines B�cherschafts in meine Wohnung zu kommen.

Er kam, ein kleiner langsamer Mann mit bed�chtigen Manieren, er ma� den Raum aus, kniete am Boden, streckte den Meterstab zur Decke, stank ein wenig nach Leim und notierte eine Zahl um die andere behutsam mit zollgro�en Ziffern in sein Notizbuch. Zuf�llig geschah es, da� er bei seinem Hantieren an einen mit B�chern beladenen Sessel stie�. Ein paar B�nde fielen herunter und er b�ckte sich, sie aufzuheben. Unter den B�chern war ein kleines Handlexikon der Handwerksburschensprache. Man findet den kleinen Kartonband fast in allen deutschen Handwerksburschenherbergen, ein gut gemachtes und erg�tzliches B�chlein.

Der Schreiner, als er das ihm wohlbekannte B�ndchen sah, blickte kurios zu mir her�ber, halb belustigt und halb mi�trauisch.

„Was gibt’s?“ frage ich.

„Mit Verlaub, ich sehe da ein Buch, das ich auch kenne. Haben Sie das wirklich studiert?“

„Studiert hab’ ich die Kundensprache auf der Landstra�e,“ erwiderte ich, „aber man schl�gt schon gern einmal einen Ausdruck nach.“

„Wahrhaftig!“ rief er. „Ja sind Sie denn selber einmal auf der Walze gewesen?“

„Nicht ganz so wie Sie meinen. Aber gewandert bin ich genug und habe in mancher Penne �bernachtet.“

Er hatte unterde� die B�cher wieder aufgeschichtet und wollte gehen.

„Wo haben Sie sich denn seinerzeit herumgeschlagen?“ fragte ich ihn.

„Von hier bis Koblenz, und sp�ter noch auf Genf hinunter. Es war nicht meine schlechteste Zeit.“

„Haben Sie auch ein paarmal gebrummt?“

„Blo� einmal, in Durlach!“

„Sie m�ssen mir noch erz�hlen, wenn Sie wollen. Sehen wir uns einmal bei einem Schoppen?“

„Nicht gern, Herr. Aber wenn Sie einmal nach Feierabend zu mir hereinkommen und fragen: wie gehts? wie stehts? ist mirs schon recht. Wenn Sie nicht blo� Schindluder mit mir treiben wollen.“

Einige Tage sp�ter, es war bei Elisabeth offener Abend, blieb ich auf der Stra�e stehen und besann mich, ob ich nicht lieber zu meinem Schreiner gehen sollte. Und ich kehrte um, lie� den Gehrock zu Haus und besuchte den Schreiner. Die Werkstatt war schon geschlossen und dunkel, ich stolperte durch eine finstere Hausflur und einen engen Hof, kletterte im Hinterhaus die Treppe auf und ab und fand schlie�lich an einer T�re einen geschriebenen Schild mit des Meisters Namen. Eintretend gelangte ich direkt in eine sehr kleine K�che, wo ein mageres Weib das Abendessen r�stete und zugleich �ber drei Kinder zu wachen hatte, welche den engen Raum mit Leben und erheblichem Get�se erf�llten. Befremdet f�hrte mich die Frau in die n�chste Stube, wo der Schreiner mit der Zeitung am d�mmerigen Fenster sa�. Er knurrte bedenklich, da er mich im Finstern f�r einen zudringlichen Kunden hielt, dann erkannte er mich und gab mir die Hand.

Da er �berrascht und verlegen war, wandte ich mich den Kindern zu; sie flohen vor mir in die K�che zur�ck und ich folgte nach. Da ich dort die Hausfrau eine Reisspeise bereiten sah, erwachten in mir die Erinnerungen an die K�che meiner umbrischen Padrona und ich beteiligte mich an der Kocherei. Bei uns wird meistens der sch�ne Reis gewissenlos zu einer Art Kleister verkocht, welcher nach gar nichts schmeckt und widerlich klebrig zu essen ist. Auch hier war das Ungl�ck schon im Gang und ich konnte eben noch die Speise retten, indem ich nach Topf und Schauml�ffel langte und mich eiligst der Zubereitung selber annahm. Die Frau f�gte sich und war erstaunt, der Reis gelang leidlich, wir trugen ihn auf, z�ndeten die Lampe an und auch ich erhielt meinen Teller.

Die Schreinersfrau verwickelte mich an diesem Abend in so eingehende Gespr�che �ber K�chenfragen, da� der Mann fast gar nicht zu Worte kam und wir die Erz�hlung seiner Wanderabenteuer auf ein andermal verschieben mu�ten. �brigens sp�rten die Leutlein bald, da� ich nur �u�erlich ein Herr, eigentlich aber ein Bauernsohn und Kind des armen Volkes war, und so wurden wir schon am ersten Abend befreundet und vertraulich miteinander. Denn wie sie in mir den Gleichb�rtigen erkannten, so witterte auch ich in dem �rmlichen Hauswesen die Heimatlust der kleinen Leute. Die Menschen hatten hier keine Zeit zu Feinheiten, zu Posen, zu Kom�dien, ihnen war das herbe arme Leben auch ohne das M�ntelein der Bildung und h�heren Interessen lieb und viel zu gut, um es mit sch�nen Reden zu tapezieren.

Immer �fter kam ich wieder und verga� bei dem Schreiner nicht nur den lumpigen Gesellschaftskram, sondern auch meine Traurigkeit und N�te. Mir war, ich f�nde hier ein St�ck Kindheit f�r mich aufbewahrt und setze hier das Leben fort, welches seinerzeit die Patres abgebrochen hatten, als sie mich auf Schulen schickten.

�ber eine rissige und schwei�gelbe Landkarte veralteten Stils geb�ckt verfolgte der Schreiner mit mir seine und meine Fahrten und wir freuten uns �ber jedes Stadttor und jede Gasse, die wir beide kannten, wir frischten Handwerksburschenwitze auf und sangen sogar einmal mehrere von den ewigjungen Straubingerliedern. Wir sprachen von den Sorgen des Handwerks, vom Haushalt, von den Kindern, von st�dtischen Dingen und ganz allm�hlich geschah es, da� der Meister und ich sachte die Rollen vertauschten und ich der Dankbare, er der Gebende und Lehrende war. Ich f�hlte aufatmend, da� mich hier statt der Salont�ne Realit�ten umgaben.

Unter seinen Kindern fiel ein f�nfj�hriges M�dchen durch seine zarte Besonderheit auf. Sie hie� Agnes, doch rief man ihr Agi, war blond, bla� und von schm�chtigen Gliedern, hatte sch�chterne, weite Augen und eine sanfte Scheu im Wesen. Eines Sonntags, als ich die Familie zu einem Spaziergang abholen wollte, war Agi krank. Die Mutter blieb bei ihr, wir andere pilgerten langsam zur Stadt hinaus. Hinter Sankt Margreten setzten wir uns auf eine Bank, die Kinder liefen Steinen, Blumen und K�fern nach und wir M�nner �berschauten die sommerlichen Wiesen, den Binninger Friedhof und den sch�nen bl�ulichen Zug des Jura. Der Schreiner war m�de, bedr�ckt und still und schien Sorgen zu haben.

„Wo fehlt’s, Meister?“ fragte ich, als die Kinder weit genug weg waren. Er sah mir verloren und traurig ins Gesicht.

„Sehen Sie’s denn nicht?“ fing er an. „Die Agi will mir sterben. Ich wei� es schon lang und hab mich gewundert, da� sie nur so alt geworden ist, sie hat ja immer den Tod in den Augen gehabt. Aber jetzt m�ssen wir daran glauben.“

Ich fing zu tr�sten an, doch h�rte ich bald von selber auf.

„Sehen Sie,“ lachte er traurig, „Sie glauben ja auch nicht dran, da� das Kind durchkommt. Ich bin kein St�ndler, wissen Sie, und geh auch nur alle Jubeljahr einmal in die Kirche, aber das sp�r ich wohl, da� jetzt der Herrgott ein W�rtlein mit mir reden will. ’s ist ja nur ein Kind, und gesund ist sie nie gewesen, aber wei� Gott, sie war mir lieber als die andern zusammen.“

Mit Gejodel und tausend kleinen Fragen kamen die Kinder dahergerannt, umdr�ngten mich, lie�en sich die Namen der Blumen und Gr�ser von mir sagen und wollten schlie�lich Geschichten erz�hlt haben. Da erz�hlte ich ihnen von den Blumen, B�umen und B�schen, da� sie gleich den Kindern jedes eine Seele und jedes seinen Engel haben. Auch der Vater h�rte zu, l�chelte und gab je und je seine leise Bekr�ftigung. Wir sahen die Berge blauer werden, h�rten Abendgel�ute und gingen heim. Auf den Wiesen lag ein r�tlicher Abendhauch, die fernen M�nstert�rme ragten klein und d�nn in die warme Luft, am Himmel ging das Sommerblau in sch�ne gr�nliche und goldige Farben �ber, die B�ume hatten lange Schatten. Die Kleinen waren m�d und still geworden. Sie dachten an die Engel der Mohnbl�ten, Nelken und Glockenblumen, inde� wir Alten an die kleine Agi dachten, deren Seele schon bereit war Fl�gel zu empfangen und uns kleine bange Schar zu verlassen.

In den zwei n�chsten Wochen ging es gut. Das M�dchen schien zu genesen, konnte f�r Stunden das Bett verlassen und sah in ihren k�hlen Kissen h�bscher und vergn�gter aus als je. Dann kamen ein paar fieberige N�chte und nun sahen wir, ohne mehr davon zu reden, da� das Kind nur noch f�r Wochen oder Tage unser Gast sein w�rde. Nur einmal kam ihr Vater darauf zu sprechen. Es war in der Werkstatt. Ich sah ihn im Brettervorrat st�bern und wu�te von selber, da� er daran ging die St�cke f�r einen Kindersarg zusammenzusuchen.

„Es mu� doch n�chstens geschehen,“ sagte er, „und da mach ich es lieber nach Feierabend f�r mich allein.“

Ich sa� auf einer Hobelbank, w�hrend er an der anderen arbeitete. Als die Bretter sauber behobelt waren, zeigte er sie mir mit einer Art von Stolz. Es war ein sch�nes, gesund gewachsenes, fehlerloses Tannenholz.

„Ich will auch keinen Nagel hineinschlagen, sondern die Teile schon ineinanderpassen, da� es ein gutes und dauerhaftes St�ck gibt. Aber f�r heute ist’s genug, wir wollen zur Frau hinauf gehen.“

Die Tage vergingen, hei�e, wundervolle Hochsommertage, und ich sa� jeden Tag eine Stunde oder zwei bei der kleinen Agi, erz�hlte ihr von den sch�nen Wiesen und W�ldern, hielt ihr leichtes schmales Kinderh�ndlein in meiner breiten Hand und sog mit ganzer Seele die liebe, lichte Anmut ein, die bis zum letzten Tage um sie her war.

Alsdann standen wir �ngstlich und traurig dabei und sahen, wie der kleine magere K�rper noch einmal Kr�fte sammelte, um mit dem starken Tode zu k�mpfen, der sie schnell und leicht bezwang. Die Mutter war still und stark; der Vater lag �ber der Bettstatt und nahm hundertmal Abschied, streichelte das Blondhaar und liebkoste seinen toten Liebling.

Es kam die schlichte, kurze Feier der Beerdigung, und die beklommenen Abende, da die Kinder nebenan in ihren Betten weinten. Es kamen die sch�nen G�nge auf den Friedhof, wo wir das frische Grab bepflanzten und ohne zu sprechen beieinander auf der Bank in den k�hlen Anlagen sa�en und an die Agi dachten und mit anderen Augen als sonst die Erde betrachteten, in der unser Liebling lag, und die B�ume und den Rasen, die dar�ber wuchsen, und die V�gel, deren Spiel ungehemmt und fr�hlich durch den stillen Friedhof klang.

Daneben ging der strenge Werktag seinen Lauf, die Kinder sangen wieder, balgten sich, lachten und wollten Geschichten h�ren, und wir alle gew�hnten uns unvermerkt daran, unsre Agi nimmer zu sehen und einen sch�nen, kleinen Engel im Himmel zu haben.

�ber alle dem hatte ich die Gesellschaften des Professors gar nicht mehr und das Haus Elisabeths nur wenige mal besucht, und dann war mir im lauen Strom der Gespr�che sonderbar ratlos und beklommen zu Mut gewesen. Jetzt suchte ich beide H�user auf und fand an beiden geschlossene T�ren, da alles l�ngst auf dem Lande war. Erst jetzt bemerkte ich mit Erstaunen, da� ich die hei�e Jahreszeit und das Ferienmachen �ber der Freundschaft mit dem Schreinershaus und �ber der Krankheit des Kindes ganz vergessen hatte. Fr�her w�re es mir ganz unm�glich gewesen, den Juli und August in der Stadt zu bleiben.

Ich nahm f�r kurze Zeit Abschied und unternahm eine Fu�reise durch den Schwarzwald, die Bergstra�e und den Odenwald. Unterwegs war es mir ein ungewohntes Vergn�gen, den Basler Schreinerskindern aus sch�nen Orten Ansichtskarten zu senden und �berall mir vorzustellen, wie ich ihnen und ihrem Vater sp�ter von der Reise erz�hlen w�rde.

In Frankfurt beschlo� ich, mir noch ein paar Reisetage zu g�nnen. In Aschaffenburg, N�rnberg, M�nchen und Ulm geno� ich mit neuer Lust die Werke der alten Kunst und schlie�lich machte ich noch ganz harmlos einen Halt in Z�rich. Bisher, in all den Jahren, hatte ich diese Stadt wie ein Grab gemieden, nun schlenderte ich durch die bekannten Stra�en, suchte die alten Kneipen und G�rten wieder auf und konnte ohne Schmerz der vergangenen sch�nen Jahre denken. Die Malerin Aglietti hatte geheiratet und man sagte mir ihre Adresse. Gegen Abend ging ich hin, las an der Haust�r ihres Mannes Namen, sah an den Fenstern hinauf und z�gerte einzutreten. Da begannen die alten Zeiten mir lebendig zu werden und meine Jugendliebe erwachte halb aus ihrem Schlaf mit leisem Schmerz. Ich kehrte um und habe mir das sch�ne Bild der geliebten welschen Frau durch kein unn�tzes Wiedersehen verdorben. Weiterschlendernd besuchte ich den Seegarten, wo die K�nstler damals ihr Sommernachtfest begangen hatten, schaute auch an dem H�uschen hinauf, in dessen Mansarde ich drei kurze, gute Jahre gehaust hatte, und �ber alle den Erinnerungen trat mir unversehens der Name Elisabeth auf die Lippen. Die neue Liebe war doch st�rker als ihre �lteren Schwestern. Sie war auch stiller, bescheidener und dankbarer.

Um mir die gute Stimmung zu bewahren, nahm ich ein Boot und ruderte behaglich langsam in den warmen, lichten See. Es wollte Abend werden und am Himmel hing eine einzige sch�ne, schneewei�e Wolke. Ich hatte sie fortw�hrend im Auge und nickte ihr zu, an die Wolkenliebe meiner Kinderzeit denkend, und an Elisabeth, und auch an jene gemalte Wolke Segantinis, vor welcher ich Elisabeth einmal so sch�n und hingegeben hatte stehen sehen. Die durch kein Wort und unreines Begehren getr�bte Liebe zu ihr hatte ich nie so begl�ckend und reinigend empfunden wie jetzt, da ich beim Anblick der Wolke ruhig und dankbar alles Gute meines Lebens �bersah und statt der fr�hern Wirren und Leidenschaften nur die alte Sehnsucht der Knabenzeit in mir f�hlte — auch sie reifer und stiller geworden.

Von jeher war ich gewohnt, zum ruhigen Takt der Ruderschl�ge irgend etwas zu summen oder zu singen. Ich sang auch jetzt leise vor mich hin und merkte erst im Singen, da� es Verse waren. Sie blieben mir im Ged�chtnis und ich schrieb sie zuhause auf, als Andenken an den sch�nen Z�richer Seeabend.

Wie eine wei�e Wolke

Am hohen Himmel steht,

So licht und sch�n und ferne

Bist du, Elisabeth.

Die Wolke geht und wandert,

Kaum hast du ihrer Acht,

Und doch durch deine Tr�ume

Geht sie bei dunkler Nacht.

Geht und ergl�nzt so selig,

Da� fortan ohne Rast

Du nach der wei�en Wolke

Ein s��es Heimweh hast.

In Basel fand ich einen Brief aus Assisi f�r mich daliegen. Er war von Frau Annunziata Nardini, und voll erfreulicher Nachrichten. Sie hatte nun doch einen zweiten Mann gefunden! �brigens tue ich besser, ihn unver�ndert mitzuteilen.

Hochgeehrter und sehr lieber Herr Peter!

Erlauben Sie Ihrer treuen Freundin die Freiheit, Ihnen einen Brief zu schreiben. Es hat Gott gefallen mir ein gro�es Gl�ck zu bescheren, und ich m�chte Sie auf den zw�lften Oktober zu meiner Hochzeit einladen. Er hei�t Menotti und hat zwar wenig Geld, doch liebt er mich sehr und hat schon fr�her mit Fr�chten gehandelt. Er ist h�bsch, aber nicht so gro� und sch�n wie Sie, Herr Peter. Er wird auf der Piazza Obst verkaufen, w�hrend ich im Laden bleibe. Auch die sch�ne Marietta vom Nachbar wird heiraten, jedoch nur einen Maurer aus der Fremde.

Ich habe jeden Tag an Sie gedacht und vielen Leuten von Ihnen erz�hlt. Ich habe Sie sehr lieb und auch den Heiligen, welchem ich vier Kerzen zu Ihrem Andenken gestiftet habe. Auch Menotti wird sehr froh sein, wenn Sie zur Hochzeit kommen. Wenn er unfreundlich gegen Sie sein sollte, werde ich es ihm verbieten. Leider hat sich gezeigt, da� der kleine Mattheo Spinelli wirklich, wie ich stets gesagt habe, ein B�sewicht ist. Er hat mir oft Citronen gestohlen. Jetzt ist er hinweggebracht worden, weil er seinem Vater, dem B�cker, zw�lf Lire stahl und weil er den Hund des Bettlers Giangiacomo vergiftet hat.

Ich w�nsche Ihnen den Segen Gottes und des Heiligen. Ich habe gro�e Sehnsucht nach Ihnen.

Ihre untert�nige und treue Freundin
Annunziata Nardini

Nachschrift.

Unsere Ernte war m��ig. Die Trauben standen sehr schlecht, auch Birnen gab es nicht genug, aber die Limonen waren sehr reichlich, nur mu�ten wir sie zu billig verkaufen. In Spello geschah ein schreckliches Ungl�ck. Ein junger Mensch hat seinen Bruder mit einer Harke erschlagen, man wei� nicht weshalb, aber gewi� ist er eifers�chtig auf ihn gewesen, obwohl es sein eigener Bruder war.

 

Leider konnte ich der verlockenden Einladung nicht folgen. Ich schrieb meinen Gl�ckwunsch und stellte meinen Besuch aufs n�chste Fr�hjahr in Aussicht. Dann ging ich mit dem Brief und mit einem mitgebrachten N�rnberger Geschenk f�r die Kinder zu meinem Schreinermeister.

Dort fand ich eine unerwartete gro�e Ver�nderung. Abseits vom Tisch, gegen das Fenster hin, hockte eine groteske, schiefe Menschengestalt in einem Stuhl, der wie ein Kindersessel mit einer Brustwehr versehen war. Es war Boppi, der Bruder der Meistersfrau, ein armer halb gel�hmter Verwachsener, f�r welchen nach dem k�rzlich erfolgten Tod seiner alten Mutter nirgends sich ein Pl�tzchen gefunden hatte. Widerstrebend hatte ihn der Schreiner einstweilen zu sich genommen und die best�ndige Gegenwart des kranken Kr�ppels lag wie ein Schrecken auf dem gest�rten Hauswesen. Man hatte sich noch nicht an ihn gew�hnt; den Kindern graute vor ihm, die Mutter war mitleidig, verlegen und gedr�ckt, der Vater offenbar verstimmt.

Boppi hatte auf einem h��lichen Doppelh�cker ohne Hals einen gro�en, starkz�gigen Kopf mit breiter Stirn, starker Nase und sch�nem leidendem Munde sitzen, die Augen waren klar, aber still und etwas ver�ngstigt, und die merkw�rdig kleinen und h�bschen H�nde lagen fortw�hrend wei� und ruhig auf der schmalen Brustwehr. Auch ich war befangen und verstimmt �ber den armen Eindringling, und zugleich war es mir peinlich, den Schreiner die kurze Geschichte des Kranken erz�hlen zu h�ren, w�hrend dieser daneben sa� und auf seine H�nde schaute, ohne von jemand angeredet zu werden. Kr�ppel war er von Geburt, doch hatte er die Volksschule durchgemacht und konnte jahrelang durch Strohflechten sich ein wenig n�tzlich machen, bis ihn wiederholte Gichtanf�lle teilweise l�hmten. Seit Jahren lag er nun entweder zu Bett oder sa� in seinem sonderbaren Stuhl zwischen Kissen geklemmt. Die Frau wollte wissen, er habe fr�her viel und sch�n f�r sich gesungen, doch hatte sie ihn jahrelang nicht mehr geh�rt und hier im Hause hatte er noch nie gesungen. Und w�hrend all dies erz�hlt und besprochen wurde, sa� er da und blickte vor sich hin. Mir ward nicht wohl dabei und ich ging bald wieder weg und blieb die n�chsten Tage dem Hause fern.

Mein Leben lang war ich stark und gesund gewesen, hatte nie eine ernste Krankheit gehabt und die Leidenden, namentlich Kr�ppel, mit Mitleid, aber auch ein wenig ver�chtlich betrachtet; nun pa�te es mir durchaus nicht, mein behaglich heiteres Leben in der Handwerkerfamilie durch die unerquickliche Last dieser elenden Existenz gest�rt zu finden. Ich verschob darum einen zweiten Besuch von Tag zu Tag und sann vergeblich nach, wie ich uns den lahmen Boppi vom Halse schaffen k�nnte. Es mu�te sich irgend eine M�glichkeit finden, ihn mit geringen Kosten in einem Spital oder Pfr�ndhaus unterzubringen. Mehrmals wollte ich den Schreiner aufsuchen, um mit ihm dar�ber zu beraten, doch scheute ich mich, ungefragt davon anzufangen, und vor der Begegnung mit dem Kranken hatte ich ein kindisches Grauen. Es war mir widerlich, ihn immer zu sehen, ihm die Hand geben zu m�ssen.

So lie� ich einen Sonntag verstreichen. Am zweiten Sonntag war ich schon im Begriff, mit einem Fr�hzug in den Jura auszufliegen, sch�mte mich dann aber doch meiner Feigheit, blieb da und ging nach Tisch zu dem Schreiner.

Mit Widerstreben gab ich Boppi die Hand. Der Schreiner war �rgerlich und schlug einen Spaziergang vor; er war, wie er mir mitteilte, des ewigen Elends �berdr�ssig und ich freute mich, ihn meinen Vorschl�gen zug�nglich zu wissen. Die Frau wollte dableiben, da bat sie der Kr�ppel, sie m�chte mitgehen, da er gut allein bleiben k�nne. Wenn er nur ein Buch und ein Glas Wasser neben sich habe, k�nne man ihn einschlie�en und unbesorgt zur�cklassen.

Und wir, die wir uns doch s�mtlich f�r ganz leidliche und gutherzige Leute hielten, schlossen ihn ein und gingen spazieren! Und wir waren vergn�gt, hatten unsern Spa� mit den Kindern, freuten uns der sch�nen goldigen Herbstsonne, und keiner von uns sch�mte sich und keinem schlug das Herz, da� wir den Lahmen allein im Hause hatten liegen lassen! Wir waren vielmehr froh, seiner f�r eine Weile ledig zu sein, atmeten erleichtert die klare, sonnenwarme Luft und boten den Anblick einer dankbaren und biederen Familie, die Gottes Sonntag mit Verstand und Dank genie�t.

Erst als wir am Grenzacher H�rnli zu einem Glas Wein eingekehrt waren und im Wirtsgarten um den Tisch sa�en, kam der Vater auf Boppi zu sprechen. Er klagte �ber den l�stigen Gast, seufzte �ber die Beengung und Verteuerung seines Haushalts und schlo� lachend mit der Bemerkung: „Na, hier drau�en kann man wenigstens noch eine Stunde vergn�gt sein, ohne da� er einen st�rt!“

Bei diesem unbedachten Wort sah ich pl�tzlich den armen Lahmen vor mir, flehend und leidend, ihn, den wir nicht liebten, den wir loszuwerden trachteten und der jetzt von uns verlassen und eingeschlossen einsam und traurig in der d�mmernden Stube sa�. Es fiel mir ein, da� es nun bald zu dunkeln beginnen m�sse und da� er nicht im stande sein w�rde, Licht zu machen oder dem Fenster n�her zu r�cken. Also w�rde er das Buch weglegen und im Halbdunkel allein sitzen m�ssen, ohne Gespr�ch oder Zeitvertreib, indes wir hier Wein tranken, lachten und uns vergn�gten. Und es fiel mir ein, wie ich den Nachbarn in Assisi vom heiligen Franz erz�hlt hatte und wie ich geflunkert hatte, er h�tte mich gelehrt alle Menschen liebzuhaben. Wozu hatte ich das Leben des Heiligen studiert und seinen herrlichen Gesang der Liebe auswendig gelernt und seine Spuren auf den umbrischen H�geln gesucht, wenn nun ein armer und h�lfloser Mensch dalag und leiden mu�te, w�hrend ich davon wu�te und ihn tr�sten konnte?

Die Hand eines m�chtigen Unsichtbaren legte sich auf mein Herz, dr�ckte es nieder und f�llte es mit so viel Scham und Schmerz, da� ich zitterte und unterlag. Ich wu�te, da� Gott jetzt mit mir ein Wort reden wollte.

„Du Dichter!“ sagte er, „du Sch�ler des Umbriers, du Prophet, der die Menschen Liebe lehren und begl�cken will! Du Tr�umer, der in Winden und Wassern meine Stimme h�ren m�chte!“

„Du liebst ein Haus,“ sagte er, „wo man freundlich zu dir ist, wo du angenehme Stunden hast! Und am selben Tag, da ich dies Haus meiner Einkehr w�rdige, l�ufst du davon und sinnst darauf mich zu vertreiben! Du Heiliger! Du Prophet! Du Dichter!“

Mir war genau so zu Mute, als w�rde ich vor einen reinen, untr�glichen Spiegel gestellt und ich erblickte mich darin als einen L�gner, als einen Maulhelden, als einen Feigling und Wortbr�chigen. Das tut weh, das ist bitter, peinigend und schrecklich; aber was in diesem Augenblick in mir zerbrach und Qualen litt und sich verwundet b�umte, das war des Zerbrechens und Untergehens wert.

Gewaltsam und eilig nahm ich Abschied, lie� den Wein im Glase stehen und das angebrochene Brot auf dem Tische liegen und ging in die Stadt zur�ck. In meiner Erregung wurde ich von unausstehlicher Angst gepeinigt, es m�chte ein Ungl�ck geschehen sein. Es konnte Feuer ausbrechen, der hilflose Boppi konnte aus dem Stuhl gefallen sein und leidend oder tot am Boden liegen. Ich sah ihn daliegen, ich glaubte dabei zu stehen und den stillen Vorwurf im Blick des Kr�ppels sehen zu m�ssen.

Atemlos erreichte ich die Stadt und das Haus, st�rmte die Treppe hinan und erst jetzt fiel mir ein, da� ich ja vor verschlossener T�re stehe und keinen Schl�ssel besa�. Doch legte sich sogleich meine Angst. Denn ehe ich noch die T�r der K�che erreicht hatte, h�rte ich drinnen Gesang. Es war ein sonderbarer Augenblick. Mit Herzklopfen und ganz au�er Atem stand ich auf dem dunklen Absatz der Treppe und horchte, indem ich langsam wieder ruhig ward, auf das Singen des eingeschlossenen Kr�ppels. Er sang leise, weich und ein wenig klagend ein volkst�mliches Liebeslied, vom „Bl�emli wi� und rot.“ Ich wu�te, da� er lang nicht mehr gesungen hatte, nun r�hrte es mich ihn zu belauschen, wie er die stille Stunde ben�tzte um in seiner Weise ein wenig froh zu sein.

Es ist nun einmal so: Das Leben liebt es neben ernste Ereignisse und tiefe Gem�tsbewegungen das Komische zu stellen. So empfand ich denn auch sogleich das L�cherliche und Besch�mende meiner Lage. In meiner pl�tzlichen Angst war ich eine Stunde weit �ber Feld herbeigerannt, um nun ohne Schl�ssel vor der K�chenpforte zu stehen. Entweder mu�te ich wieder abziehen oder dem Lahmen meine guten Absichten durch zwei geschlossene T�ren hindurch zuschreien. Auf der Treppe stand ich mit meinem Vorsatz, den Armen zu tr�sten, ihm Teilnahme zu zeigen und die Stunden zu verk�rzen, und er sa� ahnungslos drinnen, sang und w�re ohne Zweifel nur erschrocken, wenn ich mich durch Schreien oder Klopfen bemerklich gemacht h�tte.

Es blieb mir nichts �brig als wieder fortzugehen. Ich bummelte eine Stunde durch die sonnt�glich belebten Gassen, dann fand ich die Familie heimgekehrt. Es kostete mich diesmal keine �berwindung, Boppi die Hand zu dr�cken. Ich setzte mich neben ihn, kn�pfte ein Gespr�ch an und fragte, was er gelesen habe. Es lag nahe, ihm Lekt�re anzubieten, und er war dankbar daf�r. Als ich ihm Jeremias Gotthelf empfahl, zeigte es sich, da� er dessen Schriften fast alle kannte. Doch war ihm Gottfried Keller noch fremd und ich versprach ihm dessen B�cher zu leihen.

Am n�chsten Tag, als ich die B�cher brachte, fand ich Gelegenheit mit ihm allein zu sein, da die Frau eben ausgehen wollte und der Mann in der Werkst�tte war. Da bekannte ich ihm, wie sehr ich mich sch�me ihn gestern allein gelassen zu haben und da� ich froh w�re, manchmal bei ihm sitzen und sein Freund sein zu d�rfen.

Der kleine Kr�ppel wendete seinen gro�en Kopf ein wenig zu mir her�ber, sah mich an und sagte „Danke sch�n.“ Das war alles. Aber dies Wenden des Kopfes hatte ihm M�he gemacht und war so viel wert als zehn Umarmungen eines Gesunden, und sein Blick war so hell und kindlich sch�n, da� mir vor Besch�mung das Blut ins Gesicht stieg.

Nun war noch das Schwerere �brig, mit dem Schreiner zu reden. Es schien mir am besten, ihm meine gestrige Angst und Scham geradeheraus zu beichten. Leider verstand er mich nicht, doch lie� er mit sich dar�ber reden. Er nahm es an, den Kranken als gemeinsamen Gast mit mir zu behalten, so da� wir die geringen Kosten seiner Erhaltung teilten und mir die Erlaubnis blieb, nach Belieben bei Boppi ein und aus zu gehen und ihn wie einen eigenen Bruder anzusehen.

Der Herbst blieb ungew�hnlich lange sch�n und warm. Darum war das erste, was ich f�r Boppi tat, ihm einen Fahrstuhl zu besorgen und ihn t�glich, meist in Begleitung der Kinder, ins Freie zu f�hren.

VIII.

Es war immer mein Schicksal, da� ich vom Leben und von meinen Freunden viel mehr empfing als ich geben konnte. Mit Richard, mit Elisabeth, mit Frau Nardini und mit dem Schreiner war es mir so gegangen, und nun erlebte ich es, da� ich in reifen Jahren und bei hinl�nglicher Selbstsch�tzung der erstaunte und dankbare Sch�ler eines elenden Krummen werden sollte. Wenn es wirklich einmal dahin kommt, da� ich meine l�ngst begonnene Dichtung vollende und weggebe, so wird wenig Gutes darin stehen, das ich nicht von Boppi gelernt h�tte. Es begann eine gute, erfreuliche Zeit f�r mich, an der ich zeitlebens reichlich zu zehren haben werde. Es ward mir geg�nnt, klar und tief in eine prachtvolle Menschenseele zu schauen, �ber welche Krankheit, Einsamkeit, Armut und Mi�handlung nur wie leichte lose Wolken hinweggeflogen waren.

Alle die kleinen Laster, mit denen wir uns das sch�ne, kurze Leben versalzen und verderben, der Zorn, die Ungeduld, das Mi�trauen, die L�ge — all diese leidigen schmierigen Schw�ren, die uns entstellen, hatte ein langes und gr�ndliches Leiden in diesem Menschen unter Schmerzen ausgebrannt. Er war kein Weiser und kein Engel, aber er war ein Mensch voll Verst�ndnis und Hingabe, der �ber gro�en und schrecklichen Leiden und Entbehrungen gelernt hatte, sich ohne Scham schwach zu f�hlen und in Gottes Hand zu geben.

Einmal fragte ich ihn, wie es ihm gel�nge sich immer mit seinem schmerzenden und kraftlosen Leibe abzufinden.

„Das ist sehr einfach,“ lachte er freundlich. „Es ist eben ein ewiger Krieg zwischen mir und der Krankheit. Bald gewinne ich eine Schlacht, bald verliere ich eine, so balgen wir uns weiter, und zuweilen halten wir uns auch beide still, schlie�en einen Waffenstillstand, passen einander auf und liegen auf der Lauer, bis einer von uns wieder frech wird und der Krieg aufs neue losgeht.“

Bis dahin hatte ich stets geglaubt, ein sicheres Auge zu haben und ein guter Beobachter zu sein. Boppi wurde aber auch darin mein bewunderter Lehrmeister. Da er an der Natur und namentlich an Tieren eine gro�e Freude hatte, f�hrte ich ihn h�ufig in den zoologischen Garten. Dort hatten wir ganz k�stliche Stunden. Boppi kannte nach kurzer Zeit jedes einzelne Tier und da wir stets Brot und Zucker mitbrachten, kannten manche Tiere auch uns und wir schlossen allerlei Freundschaften. Eine besondere Vorliebe hatten wir f�r den Tapir, dessen einzige Tugend eine seiner Gattung sonst nicht eigene Reinlichkeit ist. Im �brigen fanden wir ihn eingebildet, wenig intelligent, unfreundlich, undankbar und h�chst gefr��ig. Andere Tiere, namentlich der Elefant, die Rehe und Gemsen, sogar der ruppige Bison, zeigten f�r den empfangenen Zucker stets eine gewisse Dankbarkeit, indem sie uns entweder vertraulich anblickten oder es gerne duldeten, sich von mir streicheln zu lassen. Beim Tapir war keine Spur davon. Sobald wir in seine N�he kamen, erschien er prompt am Gitter, fra� langsam und gr�ndlich was er von uns erhielt und zog sich, wenn er sah da� nichts mehr f�r ihn abfiel, ohne Sang und Klang wieder zur�ck. Wir fanden darin ein Zeichen von Stolz und Charakter und da er das ihm Zugedachte weder erbettelte noch daf�r dankte, sondern wie einen selbstverst�ndlichen Tribut leutseligst entgegennahm, nannten wir ihn den Zolleinnehmer. Zuweilen erhob sich, da Boppi die Tiere meist nicht selber f�ttern konnte, ein Streit dar�ber, ob der Tapir nun genug habe oder ob ihm noch ein weiteres St�ckchen zuk�me. Wir erwogen das mit einer Sachlichkeit und eingehenden Pr�fung, als w�re es eine Staatsaktion. Einst waren wir schon am Tapir vor�ber, als Boppi meinte, wir h�tten ihm doch noch ein St�ck Zucker mehr geben sollen. Also kehrten wir wieder um, der inzwischen aufs Strohlager zur�ckgekehrte Tapir aber blinzelte hochm�tig her�ber und kam nicht ans Gitter. „Entschuldigen Sie g�tigst, Herr Einnehmer,“ rief Boppi ihm zu, „aber ich glaubte wir h�tten uns um einen Zucker geirrt.“ Und weiter gings zum Elefanten, der schon voll Erwartung hin und her watschelte und uns seinen warmen, beweglichen R�ssel entgegen streckte. Ihn konnte Boppi selbst f�ttern, und er sah mit kindlicher Wonne zu, wie der Riese den geschmeidigen R�ssel zu ihm her�ber bog, das Brot aus seiner flachen Hand aufnahm und uns aus den fidelen, winzigen �uglein schlau und wohlwollend anblinzelte.

Mit einem W�rter kam ich �berein, da� ich Boppi in seinem Fahrstuhl im Garten stehen lassen durfte, wenn ich nicht Zeit hatte bei ihm zu bleiben, so da� er auch an solchen Tagen in der Sonne sein und die Tiere sehen konnte. Nachher erz�hlte er mir von allem, was er gesehen hatte. Besonders imponierte es ihm zu sehen, wie h�flich der L�we seine Gattin behandelte. Sobald sie sich niederlegte um zu ruhen, gab er seinem rastlosen Hinundhergehen eine solche Richtung, da� er sie dabei weder ber�hrte noch st�rte noch �ber sie hinweg schritt. Am meisten Unterhaltung fand Boppi beim Fischotter. Er wurde nicht m�de, die biegsamen Schwimm- und Turnk�nste des beweglichen Tieres zu betrachten und seine helle Freude daran zu haben, w�hrend er selbst unbeweglich in seinem Stuhle lag und zu jeder Bewegung des Kopfs und der Arme M�he aufwenden mu�te.

Es war einer der sch�nsten Tage jenes Herbstes, als ich Boppi meine beiden Liebesgeschichten erz�hlte. Wir waren miteinander so vertraut geworden, da� ich ihm auch diese weder erfreulichen noch r�hmlichen Erlebnisse nicht mehr verschweigen konnte. Er h�rte freundlich und ernsthaft zu, ohne etwas zu sagen. Sp�ter aber gestand er mir sein Verlangen, Elisabeth, die wei�e Wolke, einmal zu sehen und bat mich gewi� daran zu denken, falls wir ihr einmal auf der Stra�e begegneten.

Da das sich nie ereignen wollte und die Tage k�hl zu werden begannen, ging ich zu Elisabeth und bat sie, dem armen Buckligen diese Freude zu machen. Sie war g�tig und tat mir den Willen und am bestimmten Tage lie� sie sich von mir abholen und in den Tiergarten begleiten, wo Boppi im Fahrstuhl wartete. Als die sch�ne, wohlgekleidete und feine Dame dem Kr�ppel die Hand gab und sich ein wenig zu ihm hinabb�ckte, und als der arme Boppi aus dem vor Freude gl�nzenden Gesicht die gro�en, guten Augen dankbar und fast z�rtlich zu ihr aufschlug, h�tte ich nicht entscheiden m�gen, wer von den beiden in diesem Augenblick sch�ner war und meinem Herzen n�her stand. Die Dame sprach ein paar freundliche Worte, der Kr�ppel wandte den gl�nzenden Blick nicht von ihr, und ich stand daneben und wunderte mich, die beiden Menschen, die ich am liebsten hatte und welche das Leben durch eine weite Kluft von einander trennte, einen Augenblick Hand in Hand vor mir zu sehen. Boppi sprach den ganzen Nachmittag von nichts mehr als von Elisabeth, r�hmte ihre Sch�nheit, ihre Vornehmheit, ihre G�te, ihre Kleider, gelbe Handschuhe und gr�ne Schuhe, ihren Gang und Blick, ihre Stimme und ihren sch�nen Hut, w�hrend es mir schmerzlich und komisch erschien zugesehen zu haben, wie meine Geliebte meinem Herzensfreund ein Almosen gab.

Inzwischen hatte Boppi den „gr�nen Heinrich“ und die Seldwyler gelesen und war in der Welt dieser einzigen B�cher so heimisch geworden, da� wir am Schmoller Pankraz, am Albertus Zwiehan und an den gerechten Kammmachern gemeinsame liebe Freunde besa�en. Eine Weile schwankte ich, ob ich ihm auch etwas von C. F. Meyers B�chern geben solle, doch schien es mir wahrscheinlich, da� er die fast lateinische Pr�gnanz seiner allzu gepre�ten Sprache nicht sch�tzen w�rde, auch trug ich Bedenken, den Abgrund der Geschichte vor diesem heiter stillen Auge zu �ffnen. Statt dessen erz�hlte ich ihm vom heiligen Franz und gab ihm M�rikes Erz�hlungen zu lesen. Merkw�rdig war mir sein Gest�ndnis, da� er die Geschichte von der sch�nen Lau gro�enteils nicht h�tte genie�en k�nnen, wenn er nicht so oft am Bassin des Fischotters gestanden w�re und sich dabei allerlei fabelhaften Wasserphantasieen hingegeben h�tte.

Lustig war es, wie wir so allm�hlich in die Duzbr�derschaft hinein gerieten. Ich hatte sie ihm nie angeboten, er h�tte sie auch nicht angenommen; so aber kam es ganz von selber, da� wir einander immer h�ufiger duzten, und als wir es eines Tages merkten, mu�ten wir lachen und lie�en es nun f�r immer dabei.

Als der anbrechende Vorwinter unsre Ausfahrten unm�glich machte und ich nun wieder Abende lang in der Wohnstube von Boppis Schwager sa�, merkte ich nachtr�glich, da� mir meine neue Freundschaft doch nicht so ganz ohne Opfer in den Scho� gefallen war. Der Schreiner n�mlich war fortw�hrend m�rrisch, unfreundlich und wortkarg. Auf die Dauer verdro� ihn nicht nur die l�stige Gegenwart des unn�tzen Mitessers, sondern ebenso sehr mein Verh�ltnis zu Boppi. Es kam vor, da� ich einen ganzen Abend vergn�glich mit dem Lahmen schwatzte, indes der Hausherr �rgerlich mit der Zeitung daneben sa�. Auch mit der sonst ungemein geduldigen Frau kam er auseinander, da sie diesmal fest auf ihrem Willen bestand und durchaus nicht dulden wollte, da� Boppi anderw�rts untergebracht werde. Mehrmals versuchte ich ihn vers�hnlicher zu stimmen oder ihm neue Vorschl�ge zu machen, doch war nichts mit ihm anzufangen. Er begann sogar bissig zu werden, meine Freundschaft mit dem Kr�ppel zu verh�hnen und diesem selbst das Leben sauer zu machen. Freilich war der Kranke samt mir, der ich t�glich viel bei ihm sa�, dem ohnehin engen Haushalt eine l�stige B�rde, aber ich hoffte noch immer, der Schreiner m�chte sich uns anschlie�en und den Kranken lieb gewinnen. Mir war es schlie�lich unm�glich, irgend etwas zu tun oder zu lassen, womit ich nicht entweder den Schreiner verletzt oder Boppi benachteiligt h�tte. Da ich alle raschen und zwingenden Entschl�sse hasse — schon in der Z�richer Zeit hatte Richard mich Petrus Cunctator getauft, — wartete ich wochenlang zu und litt best�ndig an der Furcht, die Freundschaft des einen oder vielleicht beider zu verlieren.

Die wachsende Unbehaglichkeit dieser unklaren Verh�ltnisse trieb mich wieder h�ufiger in die Kneipen. Eines Abends, nachdem die leidige Geschichte mich wieder besonders ge�rgert hatte, verf�gte ich mich in eine kleine Waadtl�nder Weinschenke und r�ckte dem �bel mit mehreren Litern zu Leibe. Zum erstenmal seit zwei Jahren hatte ich wieder einmal M�he, aufrecht nach Hause zu gehen. Tags darauf war ich, wie stets nach einer starken Zeche, bei wohlig k�hler Laune, fa�te Mut und suchte den Schreiner auf, um die Kom�die endlich zum Abschlu� zu bringen. Ich schlug ihm vor, er m�ge mir Boppi ganz �berlassen, und er zeigte sich nicht abgeneigt, sagte auch nach mehrt�giger Bedenkzeit wirklich zu.

Bald darauf bezog ich mit meinem armen Buckligen eine neugemietete Wohnung. Ich kam mir vor als h�tte ich geheiratet, da ich nun statt der gewohnten Junggesellenbude einen ordentlichen kleinen Haushalt zu Zweien beginnen sollte. Aber es ging, wenn ich auch im Anfang manche ungl�ckliche Wirtschaftsexperimente anstellte. Zum Ordnungmachen und Waschen kam ein Laufm�dchen, das Essen lie�en wir uns ins Haus tragen, und bald war uns beiden ganz warm und wohl bei diesem Zusammenleben. Die N�tigung, auf meine sorglosen kleinen und gr��ern Wanderungen k�nftig zu verzichten, erschreckte mich einstweilen nicht. Beim Arbeiten empfand ich sogar das stille Nahesein des Freundes beruhigend und f�rderlich. Die kleinen Krankendienste waren mir neu und im Anfang wenig erquicklich, namentlich das Aus- und Ankleiden: aber mein Freund war so geduldig und dankbar, da� ich mich sch�mte und mir M�he gab, ihn sorgf�ltig zu bedienen.

 

Zu meinem Professor war ich wenig mehr gekommen, �fters zu Elisabeth, deren Haus mich trotz allem mit stetigem Zauber anzog. Dort sa� ich dann, trank Tee oder ein Glas Wein, sah sie die Wirtin spielen und hatte zuweilen sentimentale Anwandlungen dabei, obwohl ich gegen alle etwaigen Wertherischen Gef�hle in mir mit best�ndigem Spott zu Felde lag. Der weichliche, jugendliche Liebesegoismus war allerdings endg�ltig von mir gewichen. So war ein zierlicher, vertraulicher Kriegszustand zwischen uns das richtige Verh�ltnis, und wir kamen wirklich selten zusammen, ohne uns freundschaftlichst zu zanken. Der bewegliche und nach Frauenart etwas verzogene Verstand der klugen Frau traf mit meinem zugleich verliebten und ruppigen Wesen nicht �bel zusammen und da wir im Grunde beide einander hochachteten, konnten wir desto energischer �ber jede lausige Kleinigkeit in Kampf geraten. Mir war es namentlich komisch, das Junggesellentum gegen sie zu verteidigen — gegen die Frau, die ich noch vor kurzem ums Leben gern geheiratet h�tte. Ich durfte sie sogar mit ihrem Mann necken, der ein guter Bursche und stolz auf seine geistreiche Frau war.

In der Stille brannte die alte Liebe in mir fort, nur war es nicht mehr das fr�here anspruchsvolle Feuerwerk, sondern eine gute und dauerhafte Glut, die das Herz jung h�lt und an der sich ein hoffnungsloser Hagestolz gelegentlich an Winterabenden die Finger w�rmen darf. Seit vollends Boppi mir nahe stand und mich mit dem wundervollen Wissen um ein best�ndiges, ehrliches Geliebtsein umgab, konnte ich meine Liebe ohne Gefahr als ein St�ck Jugend und Poesie in mir leben lassen.

�brigens gab mir Elisabeth je und je durch ihre recht frauenhaften Malicen Gelegenheit, mich abzuk�hlen und mich meines Junggesellentums herzlich zu freuen.

Seit der arme Boppi meine Wohnung teilte, vernachl�ssigte ich auch Elisabeths Haus mehr und mehr. Mit Boppi las ich B�cher, bl�tterte Reisealbums und Tageb�cher durch, spielte Domino; wir schafften zu unsrer Erheiterung einen Pudel an, beobachteten den Winterbeginn vom Fenster aus und f�hrten t�glich eine Menge kluger und dummer Gespr�che. Der Kranke hatte sich eine �berlegene Weltanschauung erworben, eine von g�tigem Humor erw�rmte sachliche Betrachtung des Lebens, von der ich t�glich zu lernen hatte. Als starke Schneef�lle eintraten und der Winter vor den Fenstern seine reinliche Sch�nheit entfaltete, spannen wir uns mit knabenhafter Wollust beim Ofen in ein heimeliges Stubenidyll ein. Die Kunst der Menschenkenntnis, nach der ich mir so lang umsonst die Sohlen abgelaufen hatte, lernte ich bei dieser Gelegenheit so nebenher mit. Boppi stak n�mlich, als stiller und scharfer Zuschauer, voll von Bildern aus dem Leben seiner fr�heren Umgebungen und konnte, wenn er einmal angesetzt hatte, wundervoll erz�hlen. Der Kr�ppel hatte in seinem Leben kaum mehr als drei Dutzend Menschen kennen gelernt und war nie im gro�en Strome mitgeschwommen, trotzdem kannte er das Leben viel besser als ich, denn er war gewohnt auch das Kleinste zu sehen und in jedem Menschen eine Quelle von Erlebnissen, Freude und Erkenntnis zu finden.

Unser Lieblingsvergn�gen war nach wie vor die Freude an der Tierwelt. �ber die Tiere des zoologischen Gartens, die wir nicht mehr besuchen konnten, erfanden wir nun Geschichten und Fabeln aller Art. Die meisten davon erz�hlten wir nicht, sondern trugen sie aus dem Stegreif als Dialoge vor. Zum Beispiel eine Liebeserkl�rung zwischen zwei Papageien, Familienzerw�rfnisse unter den Bisons, Abendunterhaltungen der Wildschweine.

„Wie gehts Ihnen denn, Herr Marder?“

„Danke sch�n, Herr Fuchs, so leidlich. Sie wissen ja, als ich gefangen ward, verlor ich meine liebe Gattin. Sie hie� Pinselschwanz, wie ich schon die Ehre hatte Ihnen zu sagen. Eine Perle, versichere ich Ihnen, eine —.“

„Ach lassen Sie doch die alten Geschichten, Herr Nachbar, Sie haben mir das von der Perle, wenn ich nicht irre, schon �fters erz�hlt. Lieber Gott, man lebt schlie�lich nur einmal und darf sich das bi�chen Vergn�gen nicht noch verderben.“

„Bitte sehr, Herr Fuchs, wenn Sie meine Gemahlin gekannt h�tten, w�rden Sie mich besser verstehen.“

„Aber gewi�, gewi�. Also sie hie� Pinselschwanz, nicht wahr? Ein sch�ner Name, so was zum Streicheln! Aber was ich eigentlich sagen wollte — Sie haben doch bemerkt, wie sehr die leidige Sperlingsplage wieder zunimmt? Ich habe da so einen kleinen Plan?“

„Wegen der Sperlinge?“

„Wegen der Sperlinge. Sehen Sie, ich dachte mir das so: Wir legen etwas Brot vors Gitter, legen uns ruhig hin und warten die Kerls ab. Es m��te des Teufels sein, wenn wir nicht so ein Vieh erwischen k�nnten. Was meinen Sie?“

„Vortrefflich, Herr Nachbar!“

„Also haben Sie die G�te etwas Brot hinzulegen. — So, sch�n! Aber vielleicht schieben Sie es etwas mehr nach rechts her�ber, dann kommt es uns beiden zu gut. Ich bin n�mlich im Augenblick leider ohne alle Mittel. So ist’s gut. Also aufgepa�t! Wir legen uns jetzt nieder, schlie�en die Augen — pst, da kommt schon einer geflogen!“ (Pause.)

„Nun, Herr Fuchs, noch nichts?“

„Wie ungeduldig Sie sind! Als ob Sie zum erstenmal auf der Jagd w�ren! Ein J�ger mu� warten k�nnen, warten und wieder warten. Also noch einmal!“

„Ja wo ist denn das Brot hingekommen?“

„Pardon?“

„Das Brot ist ja gar nimmer da.“

„Nicht m�glich! Das Brot? Wahrhaftig — verschwunden! Da soll doch das Donnerwetter! Nat�rlich wieder der verdammte Wind.“

„Na, ich habe so meine Gedanken. Mir war doch vorher, ich h�rte Sie was essen.“

„Was? Ich etwas gegessen? Was denn?“

„Das Brot vermutlich.“

„Sie sind beleidigend deutlich in Ihren Vermutungen, Herr Marder. Man mu� ja von Nachbarsleuten ein Wort vertragen k�nnen, aber das ist zu viel. Das ist zu viel, sage ich. Haben Sie mich verstanden? — Nun soll ich das Brot gegessen haben! Was glauben Sie eigentlich? Erst soll ich die fade Geschichte von Ihrer Perle zum tausendstenmal anh�ren, dann habe ich eine gute Idee, wir legen das Brot hinaus —“

„Das war ich! Ich habe das Brot hergegeben.“

„— wir legen das Brot hinaus, ich lege mich hin und passe auf, alles geht gut, da kommen Sie mit Ihrem Geschw�tz dazwischen — die Spatzen nat�rlich auf und davon, die Jagd verhunzt, und nun soll ich auch noch das Brot gefressen haben! Na Sie k�nnen warten, bis ich wieder mit Ihnen verkehre.“

Dabei gingen Nachmittage und Abende leicht und schnell vor�ber. Ich war bester Laune, arbeitete gern und rasch und wunderte mich, da� ich fr�her so tr�g und verdrossen und schwerlebig gewesen war. Die besten Zeiten mit Richard waren nicht sch�ner gewesen als diese stillen, heiteren Tage, da drau�en die Flocken tanzten und am Ofen wir zwei samt dem Pudel es uns wohl sein lie�en.

Und da mu�te mein lieber Boppi seine erste und letzte Dummheit begehen! Ich in meiner Zufriedenheit war nat�rlich blind und sah nicht, da� er mehr litt als sonst. Aber er, aus lauter Bescheidenheit und Liebe, tat vergn�gter als je, klagte nicht, verbot mir nicht einmal das Rauchen, und dann lag er nachts und litt und hustete und st�hnte leis. Ganz zuf�llig, als ich einmal in der Stube neben ihm in die Nacht hinein schrieb und er mich l�ngst zu Bett glaubte, h�rte ich, wie er st�hnte. Der arme Kerl war ganz erschrocken und verdonnert, als ich pl�tzlich mit der Lampe in seine Schlafkammer trat. Ich stellte das Licht beiseite, setzte mich zu ihm aufs Bett und stellte ein Verh�r an. Lange versuchte er auszukneifen, dann kam es endlich doch heraus.

„Es ist ja nicht so schlimm,“ sagte er sch�chtern. „Nur bei manchen Bewegungen das krampfhafte Gef�hl im Herzen, und manchmal auch beim Atmen.“

Er entschuldigte sich geradezu, als w�re sein Kr�nkerwerden ein Verbrechen!

Morgens ging ich zu einem Arzt. Es war ein sch�ner, frostklarer Tag, unterwegs lie� meine Beklemmung und Sorge nach, ich dachte sogar an Weihnachten und besann mich, mit was ich Boppi eine Freude machen k�nnte. Der Arzt war noch zu Hause und kam auf mein dringendes Bitten mit. Wir fuhren in seinem bequemen Wagen, wir stiegen die Treppe hinauf, wir kamen in die Kammer zu Boppi, es begann ein Betasten und Klopfen und Horchen, und w�hrend der Arzt nur ein wenig ernsthafter und seine Stimme ein bi�chen g�tiger wurde, ging in mir alle Fr�hlichkeit unter.

Gicht, Herzschw�che, ernster Fall — ich h�rte zu und schrieb mir auch alles auf und war �ber mich selber erstaunt, da� ich mich gar nicht wehrte, als der Arzt die �berf�hrung ins Spital gebot.

Nachmittags kam der Krankenwagen und als ich vom Spital zur�ckkam, war mir in der Wohnung schrecklich zu mut, wo der Pudel sich an mich dr�ngte und der gro�e Stuhl des Kranken beiseite gestellt und nebenan die leergewordene Kammer war.

So ist es mit dem Liebhaben. Es bringt Schmerzen, und ich habe deren in der folgenden Zeit viel erlitten. Aber es liegt so wenig daran, ob man Schmerzen leidet oder keine! Wenn nur ein starkes Mitleben da ist und wenn man nur das enge, lebendige Band versp�rt, mit dem alles Lebende an uns h�ngt, und wenn nur die Liebe nicht k�hl wird! Ich g�be alle heiteren Tage, die ich je gehabt, samt allen Verliebtheiten und samt meinen Dichterpl�nen, wenn ich daf�r noch einmal so ins Allerheiligste hineinsehen d�rfte, wie in jener Zeit. Es tut den Augen und dem Herzen bitter weh, und auch der sch�ne Stolz und Eigend�nkel bekommt seine b�sen Stiche ab, aber nachher ist man so still, so bescheiden, so viel reifer und im Innersten lebendiger!

Schon mit der kleinen, blonden Agi war damals ein St�ck von meinem alten Wesen gestorben. Jetzt sah ich meinen Buckligen, dem ich meine ganze Liebe geschenkt und mit dem ich mein ganzes Leben geteilt hatte, leiden und langsam, langsam sterben, und litt an jedem Tage mit und hatte meinen Anteil an allem Schrecklichen und Heiligen des Sterbens. Ich war noch ein Anf�nger in der ars amandi und sollte gleich mit einem ernsten Kapitel der ars moriendi beginnen. Von dieser Zeit schweige ich nicht, wie ich von Paris geschwiegen habe. Von ihr will ich laut reden wie eine Frau von ihrer Brautzeit und wie ein alter Mann von seinen Knabenjahren.

Ich sah einen Menschen sterben, dessen Leben nur Leiden und Liebe gewesen war. Ich h�rte ihn scherzen wie ein Kind, w�hrend er die Arbeit des Todes in sich sp�rte. Ich sah, wie aus schweren Schmerzen heraus sein Blick mich suchte, nicht um bei mir zu betteln, sondern um mich aufzurichten und um mir zu zeigen, da� diese Kr�mpfe und Leiden das Beste in ihm unversehrt gelassen hatten. Dann waren seine Augen gro� und man sah sein verwelkendes Gesicht nicht mehr, nur den Glanz seiner gro�en Augen.

„Kann ich dir etwas tun, Boppi?“

„Erz�hl mit was. Vielleicht vom Tapir.“

Ich erz�hlte vom Tapir, er schlo� die Augen und ich hatte meine M�he, zu sprechen wie sonst, denn das Weinen stand mir fortw�hrend nahe. Und wenn ich glaubte, er h�re mich nicht mehr oder schlafe, dann verstummte ich sogleich. Da machte er wieder die Augen auf.

„— Und dann?“

Und ich erz�hlte weiter, vom Tapir, vom Pudel, von meinem Vater, vom kleinen b�sen Mattheo Spinelli, von Elisabeth.

„Ja, sie hat einen dummen Kerl geheiratet. So geht’s, Peter!“

Oft fing er pl�tzlich an vom Sterben zu sprechen.

„Es ist kein Spa�, Peter. Die allerschwerste Arbeit ist nicht so schwer wie Sterben. Aber man macht’s doch durch.“

Oder: „Wenn die Qu�lerei �berstanden ist, kann ich schon lachen. Bei mir lohnt sich das Sterben doch, ich werde einen Schnitzbuckel, einen kurzen Fu� und eine lahme H�fte los. Bei dir wird’s einmal schad sein, mit deinen breiten Schultern und sch�nen gesunden Beinen.“

Und einmal, in den letzten Tagen, wachte er aus einem kurzen Schlummer auf und sagte ganz laut:

„Es gibt gar keinen solchen Himmel, wie der Pfarrer meint. Der Himmel ist viel sch�ner. Viel sch�ner.“

Die Schreinersfrau kam oft und zeigte sich in kluger Weise teilnehmend und h�lfsbereit. Der Schreiner blieb zu meinem gro�en Bedauern ganz aus.

„Was meinst du,“ fragte ich Boppi gelegentlich, „wird im Himmel auch ein Tapir sein?“

„O ja,“ sagte er und nickte noch dazu. „Es sind alle Arten Tiere dort, auch Gemsen.“

Die Weihnachtszeit kam und wir hatten eine kleine Feier an seinem Bett. Es trat starker Frost ein, es taute wieder, und Neuschnee fiel auf das Glatteis, aber ich merkte nichts von allem. Ich h�rte, Elisabeth habe einen Knaben geboren, und ich verga� es wieder. Es kam ein drolliger Brief von Frau Nardini; ich las ihn fl�chtig durch und legte ihn beiseite. Meine Arbeiten erledigte ich im Galopp mit dem steten Bewu�tsein, jede Stunde mir und dem Kranken zu stehlen. Dann lief ich gehetzt und ungeduldig ins Krankenhaus, und dort war eine heitere Stille und ich sa� halbe Tage an Boppis Bett, von einem traumhaft tiefen Frieden umgeben.

Er hatte kurz vor dem Ende noch einige bessere Tage. Da war es merkw�rdig, wie die kaum verflossene Zeit in seiner Erinnerung erloschen schien und er ganz in den fr�heren Jahren lebte. Zwei Tage lang sprach er von nichts als von seiner Mutter. Er konnte ja nicht lang reden, aber man sah auch in den stundenlangen Pausen, da� er an sie dachte.

„Ich habe dir viel zu wenig von ihr erz�hlt,“ klagte er, „du mu�t nichts von dem vergessen, was sie betrifft, sonst gibt es bald niemand mehr, der von ihr wei� und ihr dankbar ist. Es w�re gut, Peter, wenn alle Leute so eine Mutter h�tten. Sie hat mich nicht ins Armenhaus getan, als ich nimmer arbeiten konnte.“

Er lag und atmete m�hselig. Eine Stunde verging, da fing er wieder an:

„Sie hat mich am liebsten gehabt von allen ihren Kindern und hat mich bei sich behalten, bis sie gestorben ist. Die Br�der sind ausgewandert und die Schwester hat den Schreiner geheiratet, aber ich bin zu Haus gesessen und so arm sie war, hat sie mich’s nie entgelten lassen. Du darfst meine Mutter nicht vergessen, Peter. Sie war ganz klein, vielleicht noch kleiner als ich. Wenn sie mir die Hand gab, war es gerade so, wie wenn sich ein winzig kleiner Vogel draufgesetzt h�tte. Es langt ein Kindersarg f�r sie, hat der Nachbar R�timann gesagt, wie sie gestorben ist.“

Auch f�r ihn h�tte schier ein Kindersarg hingereicht. Er lag so verschwunden und klein in seinem sauberen Spitalbett, und seine H�nde sahen nun wie kranke Frauenh�nde aus, lang, schmal, wei� und ein wenig gekr�mmt. Als er aufh�rte, von seiner Mutter zu tr�umen, kam ich an die Reihe. Er sprach von mir, als s��e ich nicht dabei.

„Er ist ein Pechvogel, nun freilich, aber es hat ihm nichts geschadet. Seine Mutter ist zu fr�h gestorben.“

„Kennst du mich noch, Boppi?“ fragte ich.

„Jawohl, Herr Camenzind,“ sagte er scherzhaft und lachte ganz leise.

„Wenn ich nur singen k�nnte,“ meinte er gleich darauf.

Am letzten Tage fragte er noch: „Du, kostet es viel hier im Spital? Es k�nnte zu teuer werden.“

Doch erwartete er keine Antwort. Eine feine R�te stieg ihm in das wei�e Gesicht, er schlo� die Augen und sah eine Weile aus wie ein �beraus gl�cklicher Mensch.

„Es geht zu Ende,“ sagte die Schwester.

Aber er �ffnete die Augen noch einmal, sah mich schelmisch an und bewegte die Brauen so, als wollte er mir zunicken. Ich stand auf, legte die Hand unter seine linke Schulter und hob ihn sachte ein klein wenig, was ihm jedesmal wohltat. So auf meiner Hand liegend verzog er noch einmal in kurzem Schmerz die Lippen, dann drehte er den Kopf ein wenig und schauderte, als fr�re ihn pl�tzlich. Das war die Erl�sung.

„Ist’s gut, Boppi?“ fragte ich noch. Er war aber schon seiner Leiden ledig und erkaltete mir in der Hand. Es war am siebenten Januar, eine Stunde nach Mittag. Gegen Abend machten wir alles fertig und der kleine, verwachsene K�rper lag friedlich und sauber ohne weitere Entstellungen da bis es Zeit war ihn wegzubringen und zu begraben. W�hrend dieser zwei Tage war ich best�ndig dar�ber verwundert, da� ich weder besonders traurig noch ratlos war und nicht einmal weinen mu�te. Ich hatte die Trennung und den Abschied so gr�ndlich w�hrend der Krankheit durchempfunden, da� nun wenig mehr davon �berblieb und die schwankende Schale meines Schmerzes langsam und erleichtert wieder in die H�he stieg.

Trotzdem schien es mir jetzt an der Zeit, die Stadt in aller Stille zu verlassen und mich irgendwo, wom�glich im S�den, auszuruhen und das nur erst grob angelegte Gef�de meiner Dichtung einmal ernstlich auf den Webstuhl zu spannen. Ein wenig Geld hatte ich �brig, also hing ich meine literarischen Verpflichtungen an den Nagel und richtete mich ein, beim ersten Fr�hlingsbeginn zu packen und abzureisen. Zun�chst nach Assisi, wo die Gem�seh�ndlerin meinen Besuch erwartete, dann zu t�chtiger Arbeit in ein m�glichst stilles Bergnest. Mir schien ich habe nun ein hinreichendes St�ck Leben und Tod gesehen, um etwa andern Leuten zumuten zu d�rfen, mich dar�ber ein wenig r�sonnieren zu h�ren. In wohliger Ungeduld wartete ich auf den M�rz und hatte vorempfindend schon das Ohr voll italienischer Kraftworte und in der Nase einen kitzelnd w�rzigen Duft von Risotto, Orangen und Chiantiwein.

Der Plan war tadellos und befriedigte mich, je l�nger ich ihn �berlegte, desto mehr. Indessen tat ich wohl daran, mich des Chianti im voraus zu freuen, denn es kam alles ganz anders.

Ein beweglicher, phantastisch stilisierter Brief des Gastwirts Nydegger verk�ndigte mir im Februar, es liege sehr viel Schnee und im Dorfe sei bei Vieh und Menschen nicht alles in Ordnung, namentlich stehe es mit meinem Herrn Vater bedenklich und alles in allem w�re es gut, wenn ich Geld schicken oder selber kommen w�rde. Da das Geldschicken mir nicht pa�te und der Alte mir wirklich Sorge machte, mu�te ich eben reisen. An einem unwirschen Tage kam ich an, vor Schneefall und Wind waren weder Berge noch H�user sichtbar und es kam mir zu gut, da� ich den Weg auch blindlings kannte. Der alte Camenzind lag wider meine Vermutung nicht zu Bett, sondern sa� d�rftig und kleinlaut in der Ofenecke und war von einer Nachbarin belagert, die ihm Milch gebracht hatte und ihm soeben �ber seinen schlimmen Lebenswandel gr�ndlich und ausdauernd den Text las, worin auch mein Eintritt sie nicht st�rte.

„Lueg’, der Peter isch cho,“ sagte der graue S�nder und zwinkerte mir mit dem linken Auge zu.

Aber sie fuhr unbeirrt in ihrer Predigt fort. Ich setzte mich auf einen Stuhl, wartete das Versiegen ihrer N�chstenliebe ab und fand in ihrer Rede einige Kapitel, die auch mir nicht schadeten. Nebenher schaute ich zu, wie mir der Schnee von Mantel und Stiefeln schmolz und rings um meinen Stuhl zuerst einen feuchten Flecken und dann einen stillen Weiher bildete. Erst als die Frau ein Ende gefunden hatte, konnte das offizielle Wiedersehen stattfinden, an welchem sie ganz freundlich teilnahm.

Der Vater hatte sehr an Kr�ften abgenommen. Mir fiel mein fr�herer kurzer Versuch, ihn zu pflegen, wieder ein. Das Abreisen damals hatte also nichts geholfen und ich konnte nun, da es freilich n�tiger war, doch noch die Suppe ausfressen.

Schlie�lich kann man von einem knorrigen alten Bauern, der auch in seinen besseren Zeiten kein Tugendspiegel war, nicht verlangen, da� er in den Tagen der Greisenkrankheiten milde werde und dem Schauspiel der Sohnesliebe mit R�hrung beiwohne. Das tat mein Vater denn auch durchaus nicht, sondern war je kr�nker desto widerw�rtiger und zahlte mir alles, womit ich ihn fr�her je gequ�lt hatte, wenn nicht mit Zinsen so doch glatt und wohlgemessen heim. Mit Worten allerdings war er sparsam und vorsichtig gegen mich, aber er verf�gte �ber eine Menge von drastischen Mitteln, ohne Worte unzufrieden, bitter und ruppig zu sein. Mich wunderte zuweilen, ob wohl auch aus mir einmal im Alter ein so fataler und heikler Kauz werden m�chte. Mit dem Trinken war es f�r ihn so gut wie vorbei und das Glas guten S�dweins, das ich ihm t�glich zweimal einschenkte, geno� er nur mit b�ser Miene, weil ich die Flasche stets sogleich wieder in den leeren Keller zur�ckbrachte, dessen Schl�ssel ich ihm nie �berlie�.

Erst gegen Ende Februars kamen jene hellen Wochen, die den Hochgebirgswinter so herrlich machen. Die hohen, beschneiten Bergschroffen standen klar gegen den kornblumenblauen Himmel und sahen in der durchsichtigen Luft unwahrscheinlich nahe aus. Matten und Halden lagen schneebedeckt — mit dem Schnee des Bergwinters, den man so wei� und kristallen und herbduftend in den Tall�ndern niemals findet. Auf kleinen Erdschwellungen feiert in der Mittagszeit das Sonnenlicht gl�nzende Feste, in Mulden und an Abh�ngen liegen satte blaue Schatten und die Luft ist nach wochenlangem Schneefall so ganz gereinigt, da� in der Sonne jeder Atemzug ein Genu� ist. An den kleineren Halden fr�hnt die Jugend der Gimmelfahrt und in der Stunde nach Mittag sieht man alte Leutchen auf den Gassen stehen und sich an der Sonne g�tlich tun, w�hrend nachts die Dachsparren im Froste krachen. Inmitten der wei�en Schneefelder liegt still und blau der niemals gefrierende See, sch�ner als er je im Sommer sein kann. Jeden Tag vor dem Mittagessen half ich dem Vater vor die T�r und schaute zu, wie er seine braunen und knotig verbogenen Finger in die sch�ne Sonnenw�rme streckte. Nach einer Weile begann er alsdann zu husten und �ber die K�hle zu klagen. Das war einer seiner harmlosen Kniffe, um einen Schnaps von mir zu erlangen; denn weder der Husten noch die K�hle waren ernst zu nehmen. Also bekam er ein Gl�schen Enzian oder einen kleinen Absinth, h�rte in kunstreicher Abstufung zu husten auf und freute sich hinterr�cks, mich �berlistet zu haben. Nach Tisch lie� ich ihn allein, band die Gamaschen um und lief ein paar Stunden bergan, soweit es gehen wollte, und legte den Heimweg, auf einem mitgenommenen Fruchtsack sitzend, als Rutschpartie �ber die schr�gen Schneefelder zur�ck.

Als die Zeit herankam, in der ich etwa nach Assisi hatte reisen wollen, lag noch metertiefer Schnee. Erst im April begann das Fr�hjahr sich zu regen und es kam eine b�sartig rasche Schneeschmelze �ber unser Dorf wie seit Jahren keine mehr gewesen war. Tag und Nacht h�rte man den F�hn heulen, das Krachen entfernter Lauen und das erbitterte Brausen der Sturzb�che, welche gro�e Felsst�cke und zersplitterte B�ume mitbrachten und auf unsre armen, schmalen Grundst�cke und Obstwiesen warfen. Das F�hnfieber lie� mich nicht schlafen, Nacht f�r Nacht h�rte ich ergriffen und angstvoll den Sturm klagen, die Lauen donnern und den w�tenden See an die Ufer branden. In dieser fiebernden Zeit der schrecklichen Fr�hlingsk�mpfe �berfiel mich noch einmal die �berwundene Liebeskrankheit so ungest�m, da� ich mich nachts erhob, mich ins T�rfenster legte und unter bitteren Schmerzen Liebesworte an Elisabeth in das Get�se hinaus rief. Seit der lauen Z�richer Nacht, in der ich auf dem H�gel �ber dem Hause der welschen Malerin vor Liebe gerast hatte, war die Leidenschaft nie mehr so schrecklich und unwiderstehlich �ber mich Herr geworden. Es war mir oft so, als st�nde die sch�ne Frau ganz nahe vor mir und l�chle mich an und wiche doch bei jedem Schritt, den ich ihr n�her tr�te, zur�ck. Meine Gedanken, mochten sie herkommen von wo sie wollten, kehrten unab�nderlich zu diesem Bilde zur�ck und ich konnte gleich einem Verwundeten es nicht lassen, immer wieder an der j�ckenden Schw�re zu kratzen. Ich sch�mte mich vor mir selber, was ebenso qu�lend wie nutzlos war, verw�nschte den F�hn und hatte heimlich neben allen Qualen doch ein verschwiegenes, warmes Lustgef�hl, ganz wie in Knabenzeiten, wenn ich an die h�bsche R�si dachte und die laue, dunkle Woge mich �berlief.

Ich begriff, da� gegen diese Krankheit kein Kraut gewachsen war, und versuchte wenigstens ein bi�chen zu arbeiten. Ich begann den Aufbau meines Werkes in Angriff zu nehmen, entwarf einige Studien und sah bald ein, da� daf�r jetzt nicht die Zeit sei. Indessen liefen von �berall her die b�sen F�hnberichte ein und im Dorfe selbst nahm die Not �berhand. Die Bachd�mme waren halb zerst�rt, manche H�user, Scheunen und St�lle hatten starken Schaden gelitten, von der Au�engemeinde trafen mehrere Obdachlose ein, �berall war Klage und Not und nirgends Geld. In diesen Tagen war’s, da� zu meinem Gl�ck der Schulze mich auf sein Ratsst�bchen holen lie� und mich fragte, ob ich willens sei, einem Ausschu� zur Abh�lfe der allgemeinen Not beizutreten. Man traue mir zu, die Sache der Gemeinde beim Kanton zu vertreten und namentlich durch die Zeitungen das Land zur Teilnahme und Beisteuer zu bewegen. Mir kam es gelegen, gerade jetzt meine nutzlosen eigenen Leiden �ber einer ernsteren und w�rdigeren Sache vergessen zu k�nnen, und ich ging verzweifelt ins Zeug. In Basel gewann ich durch Briefe rasch einige Sammler. Der Kanton hatte, wie wir voraus wu�ten, kein Geld und konnte nur ein paar H�lfsarbeiter senden. Nun wandte ich mich an die Zeitungen mit Aufrufen und Berichten; Briefe, Beitr�ge und Anfragen liefen ein und ich hatte neben der Schreiberei noch die Gemeinderatsh�ndel mit den harten Bauernsch�deln durchzufechten.

Die paar Wochen strenger, unentrinnbarer Arbeit taten mir gut. Als die Sache allm�hlich in eine geregelte Bahn gebracht und ich dabei minder notwendig geworden war, gr�nten ringsum die Matten und blaute der See harmlos und sonnig zu den vom Schnee befreiten Halden hinauf. Mein Vater hatte ertr�gliche Tage und meine Liebesn�te waren gleich den schmutzigen Lawinenresten verschwunden und zerlaufen. In diesen Zeiten hatte fr�her mein Vater seinen Nachen gefirni�t, die Mutter hatte vom Garten her zugesehen und ich hatte mein Auge auf des Alten Hantierung, auf die Wolken seiner Pfeife und auf die gelben Schmetterlinge gehabt. Diesmal war kein Nachen zum Anstreichen mehr da, die Mutter war lange tot und der Vater bockte verdrossen in dem verwahrlosten Hause herum. An die alten Zeiten erinnerte mich auch Onkel Konrad. H�ufig nahm ich ihn, vom Vater ungesehen, zu einem Gl�schen Wein mit und h�rte zu, wie er erz�hlte und seiner vielen Projekte mit gutm�tigem Lachen und doch nicht ohne Stolz gedachte. Neue machte er zur Zeit nicht mehr und das Alter hatte ihn auch sonst stark gezeichnet, trotzdem war in seinen Mienen und zumal in seinem Lachen etwas Knaben- oder J�nglinghaftes, das mir wohltat. Er war oft mein Trost und Zeitvertreib, wenn ich es zuhaus beim Alten nimmer aushielt. Nahm ich ihn zum Wein mit, so trottete er hastig neben mir her und bestrebte sich �ngstlich, seine krummgewordenen, mageren Beine im gleichen Schritt mit meinen zu halten.

„Mu�t Segel nehmen, Onkel Konrad,“ munterte ich ihn auf, und �ber dem Segel kamen wir dann jedesmal auf unsern alten Nachen zu sprechen, welcher nimmer da war und den er wie einen lieben Toten beklagte. Da auch mir das alte St�ck lieb gewesen war und nun fehlte, gedachten wir seiner und aller mit ihm passierten Geschichten bis ins kleinste.

Der See war so blau wie ehemals, die Sonne nicht minder feiert�glich und warm, und ich alter Bursche schaute oft den gelben Faltern zu und hatte ein Gef�hl, als w�re seit damals im Grunde wenig anders geworden und als k�nnte ich ebensowohl mich wieder in die Matten legen und Bubentr�ume aushecken. Da� dem nicht so war und da� ich ein gutes Teil meiner Jahre auf Nimmerwiedersehen schon verbraucht hatte, konnte ich jeden Tag beim Waschen sehen, wenn aus der rostigen Blechsch�ssel mein Kopf mit der starken Nase und dem s�uerlichen Mund mich angl�nzte. Noch besser sorgte Camenzind senior daf�r, da� ich nicht am Wandel der Zeiten irre ward, und wenn ich ganz in die Gegenwart ger�ckt sein wollte, brauchte ich nur die klamme Tischlade in meiner Stube zu �ffnen, worin mein k�nftiges Werk lag und schlief, aus einem Paket verj�hrter Skizzen und aus sechs oder sieben Entw�rfen auf Quartbogen bestehend. Ich �ffnete die Lade aber selten.

Neben der Pflege des Alten gab mir das Instandhalten unsres verlotterten Hauswesens reichlich zu tun. In den Dielen klafften Abgr�nde, Ofen und Herd waren defekt, rauchten und st�nkerten, die T�ren schlossen nicht und die Leitertreppe auf den Boden, den ehemaligen Schauplatz der v�terlichen Z�chtigungen, war lebensgef�hrlich. Ehe hieran etwas getan werden konnte, mu�te das Beil geschliffen, die S�ge geflickt, ein Hammer entlehnt und N�gel zusammengesucht werden, dann galt es, aus dem faulenden Rest des ehemaligen Holzvorrates brauchbare St�cke herzurichten. Beim Reparieren der Werkzeuge und des alten Schleifsteins ging mir Onkel Konrad ein wenig an die Hand, doch war er zu alt und krumm geworden um viel zu n�tzen. Also zerschli� ich mir meine weichen Schreiberh�nde am widerspenstigen Holz, trat den wackligen Schleifstein, kletterte auf dem allenthalben undicht gewordenen Dach umher, nagelte, h�mmerte, schindelte und schnitzte, wobei mein etwas ins Feiste gediehener Adam manchen Tropfen Schwei� vergo�. Zuweilen hielt ich denn auch, namentlich bei der leidigen Dachflickerei, mitten im Hammerschlag inne, setzte mich zurecht, sog die halberloschene Cigarre wieder an, schaute in die tiefe Himmelsbl�ue und geno� meine Tr�gheit im frohen Bewu�tsein, da� jetzt der Vater mich nimmer antreiben und schelten konnte. Kamen dann Nachbarsleute vor�bergewandelt, Weiber, alte M�nner und Schulkinder, so kn�pfte ich zur Besch�nigung meines Nichtstuns freundnachbarliche Gespr�che mit ihnen an und kam allm�hlich in den Geruch eines Mannes, mit dem sich ein vern�nftiges Wort reden lasse.

„Macht’s warm heut, Lisbeth?“

„Allweg, Peter. Was schaffst?“

„’s Dach flicken.“

„Kann nit schaden, ’s hat’s allweg schon l�nger n�tig gehabt.“

„Wohl, wohl.“

„Was macht denn der Alte? Er wird leicht seine siebenzig alt sein.“

„Achtzig, Lisbeth, achtzig. Was meinst, wenn wir einmal so alt sind? ’s ist kein Spa�.“

„Wohl Peter, aber jetzt mu� ich weiter, der Mann will’s Essen haben. Mach’s gut unterdes!“

„Adie, Lisbeth.“

Und w�hrend sie mit dem Napf im T�chlein weiter pilgerte, blies ich Wolken in die Luft, sah ihr nach und besann mich, wie es nur k�me, da� alle Leute so flei�ig ihren Gesch�ften nachgingen, indes ich schon zwei volle Tage an der gleichen Latte herumnagelte. Schlie�lich aber war das Dach doch geflickt. Der Vater interessierte sich ausnahmsweise daf�r und da ich ihn unm�glich aufs Dach schleppen konnte, mu�te ich ihm ausf�hrlich beschreiben und �ber jede halbe Latte Rechenschaft ablegen, wobei es mir auf einige Prahlereien nicht ankam.

„’s ist gut,“ gab er zu, „’s ist gut, aber ich h�tt’ nicht geglaubt, da� du dies Jahr noch fertig wirst.“

 

Wenn ich nun meine Fahrten und Lebensversuche beschaue und �berdenke, freut und �rgert es mich, die alte Erfahrung auch an mir erlebt zu haben, da� die Fische ins Wasser und die Bauern aufs Land geh�ren und da� aus einem Nimikoner Camenzind trotz aller K�nste kein Stadt- und Weltmensch zu machen ist. Ich gew�hne mich daran, das in der Ordnung zu finden und bin froh, da� meine ungeschickte Jagd um das Gl�ck der Welt mich wider Willen in den alten Winkel zwischen See und Bergen zur�ckgef�hrt hat, wo ich hingeh�re und wo meine Tugenden und Laster, namentlich aber die Laster, etwas ordin�res und hergebrachtes sind. Da drau�en hatte ich die Heimat vergessen und war nahe daran gewesen, mir selbst als eine seltene und merkw�rdige Pflanze vorzukommen; nun sehe ich wieder, da� es nur der Nimikoner Geist war, der in mir spukte und sich dem Brauch der �brigen Welt nicht f�gen konnte. Hier f�llt es niemand ein, einen Sonderling in mir zu sehen, und wenn ich meinen alten Papa oder den Onkel Konrad betrachte, komme ich mir wie ein ordentlich geratener Sohn und Neffe vor. Meine paar Zickzackfl�ge im Reich des Geistes und der sogenannten Bildung lassen sich f�glich der ber�hmten Segelfahrt des Oheims vergleichen, nur da� sie an Geld und M�he und sch�nen Jahren mich teurer zu stehen kamen. Auch �u�erlich bin ich, seit mein Vetter Kuoni mir den Bart stutzt und seit ich wieder G�rtelhosen trage und in Hemd�rmeln herumlaufe, wieder ganz ein Hiesiger geworden und werde, wenn ich einmal grau und alt bin, unvermerkt meines Vaters Platz und seine kleine Rolle im Dorfleben �bernehmen. Die Leute wissen blo�, ich sei Jahre lang in der Fremde gewesen und ich h�te mich wohl, ihnen zu sagen, was f�r ein lausiges Metier ich dort betrieben und in wieviel Pf�tzen ich gesteckt habe; sonst h�tte ich bald meinen Spott und �bernamen weg. So oft ich von Deutschland, Italien oder Paris erz�hle, blase ich mich ein bi�chen auf und komme selbst bei den ehrlichsten Stellen zuweilen in einige Zweifel an meiner eigenen Wahrhaftigkeit.

Und was ist denn nun bei so viel Irrfahrten und verbrauchten Jahren herausgekommen? Die Frau, die ich liebte und immer noch liebe, erzieht in Basel ihre zwei h�bschen Kinder. Die andere, die mich lieb hatte, hat sich getr�stet und handelt weiterhin mit Obst, Gem�se und S�mereien. Der Vater, wegen dessen ich ins Nest heimgekehrt bin, ist weder gestorben noch genesen, sondern sitzt mir gegen�ber auf seinem Faulbettlein, sieht mich an und beneidet mich um den Besitz des Kellerschl�ssels.

Aber das ist ja nicht alles. Ich habe, au�er der Mutter und dem ertrunkenen Jugendfreund, die blonde Agi und meinen kleinen, krummen Boppi als Engel im Himmel wohnen. Und ich habe erlebt, da� im Dorf die H�user wieder geflickt und beide Steind�mme wieder aufgerichtet sind. Wenn ich wollte, s��e ich auch im Gemeinderat. Es sind aber dort der Camenzinde schon genug.

Nun hat sich mir neuestens eine andere Aussicht er�ffnet. Der Gastwirt Nydegger, in dessen Stube mein Vater und ich so manchen Liter Veltliner, Walliser oder Waadtl�nder getrunken haben, f�ngt an steil bergab zu gehen und hat keine Freude mehr an seinem Gesch�ft. Er klagte mir dieser Tage sein Elend. Das schlimmste dabei ist, da� wenn kein Einheimischer sich dazu findet, eine ausw�rtige Brauerei das Anwesen kauft und dann ist es verdorben und wir haben in Nimikon keinen behaglichen Wirtstisch mehr. Es wird irgend ein fremder P�chter hineingesetzt werden, der nat�rlich lieber Bier als Wein verzapft und unter welchem der gute Nydeggersche Keller verpfuscht und vergiftet wird. Seit ich das wei�, l��t es mir keine Ruhe; in Basel liegt mir noch ein wenig Geld auf der Bank und der alte Nydegger f�nde an mir nicht den schlechtesten Nachfolger. Der Haken dran ist nur, da� ich zu Vaters Lebzeiten nicht mehr Gastwirt werden m�chte. Denn einmal k�nnte ich den alten Mann dann nimmer vom Spunden fernhalten und au�erdem w�rde er seinen Triumph dar�ber haben, da� ich mit allem Latein und Studieren es zum Nimikoner Weinwirt und nicht weiter gebracht habe. Das geht nicht an, und so beginne ich auf das Ableben des Alten allm�hlich ein wenig zu warten, nicht mit Ungeduld, sondern nur der guten Sache zulieb.

Onkel Konrad ist seit kurzem wieder in einen aufgeregten Tatendurst hineingeraten, nach langen still verd�selten Jahren, und das gef�llt mir nicht. Er hat best�ndig den Zeigefinger im Mund und eine Denkrunzel auf der Stirn, tut hastige kleine Schritte in seiner Stube herum und schaut bei hellem Wetter viel �ber’s Wasser. „Ich mein’ alleweil, er will wieder Schiffli bauen,“ sagt seine alte Cenzine, und er sieht wirklich so lebendig und k�hn aus wie seit Jahren nicht und hat so einen schlauen, �berlegenen Zug im Gesicht, als wisse er jetzt genau wie er es diesmal anfangen m�sse. Ich glaube aber, es ist nichts damit und es ist nur seine m�dgewordene Seele, welche jetzt nach Fl�geln verlangt, um bald daheim zu sein. Mu�t Segel nehmen, alter Onkel! Wenn es aber so weit mit ihm sein wird, dann sollen die Herren Nimikoner etwas Unerh�rtes erleben. Denn ich habe bei mir beschlossen, an seinem Grabe hinter dem Pater her einige Worte zu reden, was hierorts noch nie passiert ist. Ich werde des Oheims als eines Seligen und Lieblings Gottes gedenken, und diesem erbaulichen Teil wird eine m��ige Handvoll Salz und Pfeffer f�r die geliebten Leidtragenden folgen, die sie mir nicht so bald vergessen und verzeihen sollen. Hoffentlich erlebt es auch mein Vater noch.

Und in der Lade liegen die Anf�nge meiner gro�en Dichtung. „Mein Lebenswerk“, k�nnte ich sagen. Es klingt aber zu pathetisch und ich sage es lieber nicht, denn ich mu� bekennen, da� Fortgang und Vollendung desselben auf schwachen Beinen stehen. Vielleicht kommt noch einmal die Zeit, da� ich von neuem beginne, fortfahre und vollende; dann hat meine Jugendsehnsucht Recht gehabt und ich bin doch ein Dichter gewesen.

Das w�re mir soviel oder mehr als der Gemeinderat und als die Steind�mme wert. Das Vergangene und doch Unverlorene meines Lebens aber, samt allen den lieben Menschenbildern, von der schlanken R�si Girtanner bis auf den armen Boppi, w�ge es mir nicht auf.

Ende

Werke
von
Hermann Hesse

Unterm Rad

Roman. 18. Auflage. Geh. M. 3.50, geb. M. 4.50

Hier ist etwas Freies, Unk�nstliches, Naturgewachsenes. Immer, wenn ich ein Buch von Hesse lese, habe ich die Empfindung, da� sich �ber mir der blaue Himmel w�lbt, da� B�ume ringsum gr�nen und frische Luft weht.

(Die Zeit, Wien)

Es ist dieser Roman ein gutes, tiefes, starkes Buch, gel�uterter noch als der „Camenzind“, von einer t�chtigen M�nnlichkeit durchweht, eine Wohltat f�r den, der ihn liest, treuherzig, �berzeugend, von lebhaftem, hei�em Natursinn k�ndend, frei von �sthetischer Kr�nkelei — ein klares Schwabenbuch, ein durch und durch deutscher Roman.

(M�nchener Neueste Nachrichten)

Es ist die einfache Geschichte von einem Jungen, der stolz und mit der Anwartschaft auf Ruhm und Gl�ck ins Leben eintritt und unters Rad kommt und �berfahren wird; ein Buch voll Schwermut und heimlicher, leiser Klage und auch ein Buch voll Anklage. Schwer und gewichtig in seiner Einfachheit, die um so tiefer wirkt, als sie das Resultat einer unnachahmlichen sprachlichen Meisterschaft und stilistischen Adels ist.

(M�nchener Zeitung)

Man wird vielleicht fragen, ob der neue Roman einen Fortschritt gegen�ber dem „Peter Camenzind“ bedeutet. Die Frage geht verloren, bei beiden B�chern steht Hesse auf einem Gipfel, den mit ihm von j�ngeren deutschen Romanschriftstellern nur noch Thomas Mann, Emil Strau� und die wunderbarste der Frauen, Ricarda Huch, bewohnen.

(Neue Badische Landeszeitung, Mannheim)


Diesseits

Erz�hlungen. 16. Auflage. Geh. M. 3.50, geb. M. 4.50

Wie lange habe ich mich darauf gefreut, dieses Buch anzuzeigen! Eine erlesene Schar der Novellen Hesses, die verstreut in Zeitschriften lagen, in einem Bande gesammelt in H�nden zu halten, zu eigen zu haben wie Hausschwalben, die ihr Nest an unserem Dache sich bauen. Es ist ein stilles, vornehmes und uns�glich sch�nes Buch geworden, das man ehrf�rchtig in die Hand nimmt, ehrf�rchtig aus der Hand legt, stillergriffen, nachdenklich, voll einer Liebe zu dem Menschen, der ein so starkes, reines Herz hat und es so lauter schenkt. Hermann Hesse bedeutet einen Gipfelpunkt deutscher Erz�hlerkunst.

(M�nchener Zeitung)

Wie man etwa Eduard M�rikes Gedichte lesen sollte, an einem stillen, sch�nen Sommertage im Grase liegend, der Zeit und jeder Allt�glichkeit weit entr�ckt, ruhevoll nur sich und dem Weben der leise schaffenden Natur lauschend, in solcher Sonntagsstimmung sollte man Hermann Hesses neuen Novellenband „Diesseits“ lesen.

(Neue Z�rcher Zeitung)


Nachbarn

Erz�hlungen. 12. Auflage. Geh. M. 3.50, geb. M. 4.50

Was uns das neueste Buch Hermann Hesses besonders liebwert macht, ist die ruhig vertr�umte Art seines Verfassers, zu sehen und zu schildern . . . Die lichtwonnige, diogenetische Eigenart des Dichters, der wahr und warm, allen kokettierenden Beiwerkes entratend, Menschen aus kleinen Verh�ltnissen, doch darum nicht kleine Menschen, einfach verkl�rt. Ungeheuchelte Herzlichkeit, ohne den leisesten Anflug krankhafter Sentimentalit�t, werden den „Nachbarn“ Eingang weniger in die K�pfe der geschworenen Literaturmenschen, als in die Herzen aller Sch�nheitsfrohen sichern.

(Berner Tagwacht)

Es ist eigentlich eine einzige Geschichte, die wir da in den f�nf Erz�hlungen des neuen Hessebandes erleben; so harmonisch zusammengeschwei�t erscheinen sie . . . Ruhig, �ber allen Dingen schwebend, ohne Leidenschaft und vollkommen abgekl�rt werden uns diese Geschichten erz�hlt. Aber in einer Sprache, die ihresgleichen sucht und die den Stolz in uns aufleben l��t: sehet, das ist Deutsch. Gott sei Dank, da� es eine deutsche Sprache gibt. Und Dichter, die sie adeln.

(W�rttemberger Zeitung, Stuttgart)


Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig

 

 

 

Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgef�hrt (vorher/nachher):






End of the Project Gutenberg EBook of Peter Camenzind, by Hermann Hesse

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Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

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Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     gbnewby@pglaf.org

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

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including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
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