Filmrezension: Der Untergang
 
16. September 2004

Der anvisierte Untergang des deutschen Films
oder
Das falsche Medium f�r ein wichtiges Thema

Der Untergang

Der Untergang Darf man Adolf Hitler im Film darstellen? Ja, aber dann nicht in der vorliegenden Form. Publizist Joachim Fest schrieb mit "Der Untergang" einen Bestseller unter den Geschichtsb�chern �ber die letzten Tage im F�hrerbunker, bevor die Rote Armee im Berliner H�userkampf endg�ltig siegte und jenes Mausoleum der enthumanisierten Untoten erreichte. Fests Buch zu verfilmen bedeutet einen zu harten Wechsel des Mediums, dem die Gesellschaft nicht gewachsen ist, gerade wenn es um die Betrachtung der Nazizeit geht, fort vom vornehmlich den Intellektuellen vorbehaltenen Medium Literatur hin zum Mainstream-Produkt Gro�kino. Kritische Distanz geht ad acta, ein Massenm�rder wird, wenn nicht zum Helden des Pop, doch zur bemitleidenswert tragischen Figur. Das Filmteam um Produzent Bernd Eichinger und Regisseur Oliver Hirschbiegel begreift den Fehler nicht, der sich sogar im unver�nderten Titel widerspiegelt.

Regisseur Oliver Hirschbiegel drehte einmal einen Thriller, den Deutschland anschlie�end f�r die Auswahl des Academy Award, den Oscar f�r den Besten fremdsprachigen Film ins Rennen schickte. Mehrere Protagonisten wurden in dem Werk in eine bunker�hnliche Anlage eingeschlossen, aufgeteilt in Gefangene und W�chter. Letztere durften ungestraft tun, wonach ihnen gerade der Sinn war. Ihrem lange legitimierten Sadismus lie�en diese an den anderen, den als Gef�ngnisinsassen Deklarierten freien Lauf. Es machte zuviel Genugtuung, gar latentes erotisches Auskosten der Lage, uneingeschr�nkte Macht zu haben. Somit versuchten die Unterdr�cker dann, ihren Status unter allen Umst�nden aufrecht zu erhalten bis hin zur Verst�ndnislosigkeit, dass es noch Menschen gibt, die nicht so denken, ergo "Das Experiment" abbrechen wollten. Es klingt nach dem Inhalt von "Der Untergang", doch dieser Film sollte erst drei Jahre sp�ter entstehen, drei Jahre nach Hirschbiegels Verfilmung eines tats�chlichen Geschehnisses in der Stanford University 1979, eines wissenschaftlichen Gro�versuchs, der ergreifender als von den Forschern geplant aufwies, wie Faschismus entsteht. Mit dem Faschismus im Kleinen, aber in seiner enthemmten Grenzenlosigkeit hatte Regisseur Hirschbiegel also bereits Erfahrungen gesammelt. Damit kann man ihn als durchaus pr�destiniert bezeichnen f�r die Verfilmung des Faschismus im Gro�en, ganz Gro�en, wenn sich eine deutsche Filmproduktion erstmals seit Georg Wilhelm Pabst 1956 mit historischem Anspruch an das Tabuthema herantraut, Hitler auf die Leinwand zu bringen, mit Bruno Ganz als Ver-F�hrer. So dachte der Produzent des Films, Bernd Eichinger, der auch das Drehbuch schrieb, und verpflichtete Hirschbiegel zu einem Unterfangen, das nicht h�tte entstehen d�rfen, das aber von Deutschland, wie schon "Das Experiment", f�r den Academy Award vorgeschlagen wurde. Zum Nachteil von Fatih Akin und seinem brillanten Film "Gegen die Wand". Zum eigenen Unverdienst, denn "Der Untergang" hat bei der Oscar-Preisverleihung nichts zu suchen. Es reichte, dass bei der Verleihung 2003 Leni Riefenstahl in der Jahreschronik auftauchte.

Der UntergangEine andere Frau aus dem Umkreis Hitlers, die kurz vor Riefenstahl 2002 starb, ist in "Der Untergang" die Hauptfigur. Traudl Junge hei�t sie, Andre Heller hat sie kurz vor ihrem Tod f�r einen Film interviewt. "Der Untergang" gibt Teile des Interviews wieder, in der Frau Junge zum Verlust ihrer Unschuld bewundernswert entschieden und mit pr�gnanten Worten steht, aber die Wiedergabe ihrer Aussagen macht die Sache mit Eichingers und Hirschbiegels Film nicht besser.

Dem TV-Historiker Guido Knopp wird h�ufig vorgeworfen, mit dem Dritten Reich mache er sich selber reich. Denn die Zeit des Nationalsozialismus, wie kritisch man immer damit umgeht, ist, je nach Medium, sexy, weil Erfolg versprechend. Hohe Einschaltquoten verb�rgen dies. Zu den Sendungen von Knopp kann man stehen wie man will. Eichinger und Hirschbiegel setzen dem die Krone auf, wenn sie das Dritte Reich ins Kino bringen und dann Hitler, Goebbels und ihre Spie�gesellen als ihre pers�nliche Lage bejammernde, aber letztlich nicht so schlimm wirkende Menschen in einem Film wiedergeben. In einem Film wiedergeben, in dem W�rter wie "Juden" als Schimpfw�rter fallen, der geschichtliche Hintergrund dazu aber fallen gelassen wird. Von Auschwitz, Judentransporten in den Tod keine Silbe. Logisch und konsequent ist dies, weil in Berlin eher wenige Eingeweihte davon gewusst haben m�gen und das Drehbuch sich daran h�lt, den Film stringent im, �ber dem F�hrerbunker und in seiner n�chsten Umgebung spielen zu lassen. Dann aber kann der Film nicht den Geschichtsunterricht mitbestimmen, wie schon vorgeschlagen wurde mit geradezu garantierter Option auf Umsetzung. Daf�r wissen Sch�ler heute zu wenig, als dass "Der Untergang" als p�dagogisches Instrument das schlimmste Ereignis der Menschheit den Sch�lern vermitteln kann. Da "Der Untergang" den Zirkel um F�hrer Hitler als zwar morbiden, aber auch - man h�re und staune - Menschlichkeit beinhaltenden Mikrokosmos deklariert.

Die junge Traudl (Alexandra Maria Lara) bewirbt sich als Sekret�rin 1942 in der Wolfsschanze. Als Sekret�rin ist sie ungeeignet, beziehungsweise das Charisma jenes potenziell k�nftigen Chefs ist, wie �blich bei einem Chef, gro�, sie h�lt dem Druck nicht stand, doch der sie pr�fende Chef ist milde, milder als manch anderer Chef. Der Chef, jener Milde, ist Adolf Hitler. Er stellt sie ein. Bis zu seinem Tode wird Traudl Junge ihm nicht mehr von der Seite weichen. Sie ist nicht die Einzige, die so handeln wird. April 1945, Hitler-Deutschlands Ende r�ckt n�her, je n�her die Rote Armee r�ckt, und Hitler und seine Schergen mitsamt den Anvertrauten, dem Milit�rstab und dem Personal motten sich im Bunker unter der Reichskanzlei ein.

Der UntergangDie in der Anfangsszene fatalerweise dargestellte Milde Hitlers ist gewichen, ein sinnfreies Geschrei hat eingesetzt - hat Hitler nie geschrieen? etwa jetzt erstmals? -, seine Befehle werden immer weltentr�ckter - vorher nie? -, sogar Goebbels zeigt R�hrung, der �rmste, denn einen Befehl des F�hrers, Goebbels solle samt Familie den Bunker verlassen, kann er nicht nachvollziehen, und vollzieht ihn auch nicht. Co-Scherge Albert Speer tritt auf und sagt dem F�hrer ins Gesicht: Dessen letzte Befehle habe er auch nicht mehr vollzogen. Himmler ist nicht mehr im Bunker, h�lt sich aber auch nicht mehr an Befehle, G�ring ist nicht mehr im Bunker, h�lt sich aber auch nicht mehr an Befehle. Ja, es erweist sich: Hitlers letzte Tage bewegen sich auf ihren Untergang zu.

Der UntergangMagda Goebbels, immerhin, k�mpft bis zuletzt bis zum Kriechen auf dem Boden, um Hitler am Selbstmord zu hindern. Um einen Tag sp�ter selbstbewusst ihrem Gatten gegen�ber zu stehen, auf den ersten von zwei Sch�ssen wartend, nachdem sie ihre Kinder get�tet hat, denn ein Leben ihrer Kinder in einer Zeit nach dem Nationalsozialismus sei undenkbar. Der zweite Schuss gilt Goebbels selbst. Ein Albert Speer mit Zivilcourage, Himmler und G�ring als Befehlsverweigerer, Hitler und Goebbels als Selbstm�rder Menschen mit einem gewissen Gef�hl f�r Ehre - die Filmemacher erkennen nicht, wie in ihrem Film all diese Verbrecher an der Menschheit in ihren letzten Taten in ihren letzten Tagen wenn nicht verkl�rt, so doch gem��igt dargestellt werden; das Medium Film ist das falsche, um gewiss korrekte Fakten �ber diese Abl�ufe nachzuerz�hlen und alles vor dem April 1945 Geschehene au�en vor zu lassen.

Der UntergangEichinger und Hirschbiegel setzen in jeder Hinsicht beim Zuschauer Grundwissen voraus bei der Ausgestaltung ihres Films, die Kulturrevolution, die in der B�cherverbrennung kulminierte, ist nicht genannt und schwingt in einem der besten Bilder des Films mit: Am Ende verbrannten sie ihre eigenen B�cher, ihre eigenen Akten, alles, was auf ihre Schuld hinwies, damit es nicht den Feinden in die H�nde f�llt. Und Hitler lie� sich aus gleichem Grunde auch selbst verbrennen. Seine Opfer brannten zuvor. Hitler wollte seinen Leichnam nicht in einem Panoptikum der Feinde ausgestellt wissen. In der Farce "Schtonk" hie� es: "Er brennt nicht!" Doch, er brannte, seinen Schergen gelang es in der Wirklichkeit schon, ihn anzuz�nden. Er war ein Mensch. Dessen Sadismen und Machtgel�sten kein Einhalt geboten worden war. Siehe, ein Mensch, stellen Eichinger und Hirschbiegel damit fest, womit versehentlich eine schlimme Gegen�berstellung entsteht: Die heranziehenden Russen Stalins wirken im Film im Kontrast nicht wie Menschen, sondern wie eine bedrohliche Masse, der Traudl Junge mittendurch entkommt, mitsamt einem kleinen Jungen. Beide erreichen die Natur, deren Existenz sie im Bunker und im H�userkampf - der Junge war kurz zuvor noch ein tapferer Verteidiger Berlins - schon zu vergessen drohten, er entdeckt ein Fahrrad, wie lieblich. S�nke Wortmanns neun Jahre sp�ter spielender Film "Das Wunder von Bern" l�sst sch�n gr��en; es m�ge an dieser Stelle der Revisionismus beginnen.  

Michael Dlugosch / Wertung: 0 von 5 Punkten

Quelle der Fotos: Constantin Film


Filmdaten

Der Untergang


Deutschland 2004
Regie: Oliver Hirschbiegel ("Das Experiment", "Mein letzter Film");
Darsteller: Bruno Ganz (Adolf Hitler), Alexandra Maria Lara (Traudl Junge), Corinna Harfouch (Magda Goebbels), Ulrich Matthes (Joseph Goebbels), Juliane Köhler (Eva Braun), Heino Ferch (Albert Speer), Christian Berkel (Prof. Schenck), Matthias Habich (Prof. Dr. Werner Haase), Thomas Kretschmann (Hermann Fegelein), Michael Mendl (Helmuth Weidling), André Hennicke (Wilhelm Mohnke), Ulrich Noethen (Heinrich Himmler), Götz Otto (Otto Günsche), Heinrich Schmieder (Rochus Misch), Mathias Gn�dinger (Hermann G�ring), Birgit Minichmayr (Gerda Christian), Justus von Dohn�nyi (General Wilhelm Burgdorf), Dieter Mann (Feldmarschall Wilhelm Keitel), Christian Redl (General Alfred Jodl), Thomas Thieme (Martin Bormann), Alexander Held (Walter Hewel), Anna Thalbach (Hanna Reitsch), Dietrich Hollinderb�umer (Ritter Robert von Greim), Devid Striesow (Feldwebel Tornow), Julia Jentsch (Hanna Potrowski), Fabian Busch (Obersturmbannf�hrer Stehr), J�rgen Tonkel (Erich Kempka), Ulrike Krumbiegel (Dorothee Kranz), Karl Kranzkowski (Wilhelm Kranz), Veit St�bner (Obergruppenf�hrer Tellermann), August Schm�lzer (Baur) u.a.;

Drehbuch: Bernd Eichinger nach dem gleichnamigen Buch von Joachim Fest und dem Buch "Bis zur letzten Stunde" von Hitlers Sekretärin Traudl Junge und Melissa Müller; Produktion: Bernd Eichinger; Kamera: Rainer Klausmann; Musik: Stephan Zacharias

Länge: 155 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih der Constantin Film Verleih GmbH



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Zitat

"Horrorfilme funktionieren immer. Aber in Zyklen. Wenn ein Horrorfilm gut l�uft, machen Leute viele Horrorfilme, �berladen den Markt, bis da zu viele Horrorfilme sind, und die Leute werden mit dem Drehen von Horrorfilmen herunterfahren. Und dann beginnt es von Neuem."

Regisseur, Schauspieler und Produzent Roger Corman (5. April 1926 - 9. Mai 2024)

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