Der deutsche Mann gibt sich ja gern der Lächerlichkeit preis. Jedenfalls wenn man glaubt, was im Fernsehspiel zu sehen ist, spiegele tatsächlich den deutschen Mann in seiner ganzen Schönheit. Ab einem gewissen Alter ist mit ihm einfach nichts mehr los.
Und dann taugt er nur noch für ziemlich lustige Trauer- oder ziemlich traurige Lustspiele. Was streng genommen eigentlich genau dasselbe ist, wie man an Andreas Kleinerts Fernsehspiel sehen kann, das den eher traurigen Titel „Herr Lenz reist in den Frühling“ trägt.
Leider ist da ein Hang zu untersubtilen Assoziationsketten
Der Titel möge bitte niemanden vom Anschalten abhalten – er repräsentiert nur den nicht ganz unausgeprägten Hang von Karl-Heinz Käfers Drehbuch zu durchaus untersubtilen Anspielungsketten. Also, Herr Lenz: Der wird von Ulrich Tukur gespielt, der wiederum eigentlich allein schon deswegen selten lächerlich ist, weil er sich der Lächerlichkeit durch unterkühlte Distanz zur Figur, die er begleitet, meistens vollkommen entzieht.
Herr Lenz hockt nun in der Blüte seiner Jahre im Berliner Townhouse und in seinem Traum. Frau hat er und Sohn und Hund (Herr Schmidt) und Karriere und großen Audi – alles gut. Ist es natürlich nicht. Die Frau will raus, der Sohn ist für alle – nur nicht für Holger Lenz – offensichtlich schwul, Herr Schmidt kann ihn nicht leiden, mit der Karriere ist es vorbei, der Audi gehört der Firma wie das Haus der Bank. So übel spielt das Leben dem deutschen Mann mit im deutschen Fernsehspiel.
Soweit ist zumindest die Stofflage von Kleinerts Film ziemlich durchschnittlich. Kleinert hat nun allerdings einen ganz fabelhaften Faible für Südostasien. Und er hat die Fähigkeit, die der Peinlichkeit verdächtigsten Plots in wahre Meisterstücke der Ausbalanciertheit und der Tiefe zu verwandeln.
In „Monsoon Baby“ beispielsweise hat er das geschafft. Im Prinzip eine Vorlage für Themenabende: Deutsches Paar reist nach Indien, damit eine Frau da ihr Kind austrägt, geht natürlich schief, alle gehen durch alle Verzweiflungs- und Erkenntnisschichten, die so eine Geschichte nur haben kann. Und Kleinert hatte alle fade Traumschiff-Exotik herausgehalten, alles schwitzt, alles leidet, alles ist hin- und hergerissen. Alles geht schief. Nur der Film nicht.
Der Papa verschwand nach Vietnam
Herrn Lenz schickt Kleinert nun auch ziemlich weit weg, um sich endlich nahe zu kommen. Holgers Papa, muss man wissen, war mal ein ziemlich strammer Sozialist, damals in der DDR. Hat mit aufgebaut, geträumt vom neuen Menschen, einer, der die Welt verändern wollte. Dann fiel die Mauer und er floh in den Sozialismus nach Vietnam.
Holger, der Sohn, will nichts verändern. Nicht mal den Sitz seiner Krawatte. Dem Punk, der ihm beim Cerealienschaufeln morgens gegenübersitzt, ist er ein Grauen. „Aus dem Tagebuch eines homophoben Spießers“ heißt der Blog, auf dem der Filius die neuesten Peinlichkeiten von Holger ins Netz posaunt, was der dank der Unterstützung der örtlichen Punkszene auch noch mitbekommt.
Südostasien tritt ins Leben in Form einer gelben Reinigungsmittelplasteflasche, die ein alter Spanier mit einem ziemlich ausgesessenen Gesicht in Holgers Versicherungsfirma trägt. Enthält natürlich kein Ata, sonder Asche. Die Asche von Holgers Vater. In Thailand verstorben, Besitzer eines Appartements in Pattaya, von dessen Verkauf sich Ilona, was Holgers randverlebte Gattin ist (Steffi Kühnert), die Lösung aller Probleme erwartet.
Holger fliegt hin. Und wird aus allen Gewissheiten geschleudert. Über die Mauer, die er um sich, sein Leben, seine Familie gezogen hat. Die Mauer ist übrigens die zweite untersubtile Assoziationskette. Es wird gern auf dieser Mauer herumgeritten.
Man muss nicht sagen, was man sieht
Ilona und Holger haben sich zum Beispiel beim „The Wall“-Konzert von Pink Floyd kurz nach dem Fall der Mauer kennengelernt. Sehr komisch ist, wenn Anzugträger Holger im Audi „Is There Anybody Out There“ singt. Ja, das hätte man nicht extra betonen müssen, das konnte man sehen. Zum Bildgestalter kommen wir gleich.
Sieben schlafende Schönheiten findet Holger in seinem Appartement, aus allen sexuellen Gewissheiten wird er geworfen, er findet eine Schwester, einen Bruder, endlich auch seinen Sohn, aus weiter Ferne ist der auf einmal sehr nah. Und der Strauß, den er mit seinem Vater ausfechten muss, den ficht er auch noch aus. Er könnte eigentlich sterben, der Holger, aber das Leben geht weiter, fängt neu an.
Nichts von schwüler Altmännerfantasie steckt in „Herr Lenz.“ Kleinert unterläuft das alles, weil er die Fallen genau kennt, in denen man unweigerlich landet, wenn man Kulturkrachgeschichten naiv abfotografiert. Davor ist Kleinert schon allein deswegen gefeit, weil Johann Feindt die Bilder gemacht hat. Bilder von berückender Caspar-David-Friedrich-Haftigkeit und trockener Schwüle, die realistisch sind und trotzdem verzaubert.
Das Coming-of-Best-Age eines Versicherungsvertreters
Und Ulrich Tukur läuft durch sie hindurch wie ein alt gewordener Parsifal, ein staunender Spießer, als Melancholiker ein grandioser Spätentwickler. Man möchte ihn, wie übrigens ganz viele Tukur-Figuren, in den Arm nehmen, ahnt aber, dass er dann sofort die Stacheln ausfahren würde, und lässt es dann bleiben.
Und sitzt nur noch und schaut und staunt ein bisschen, dass das auch noch geht. Ein lustiges Trauerspiel? Eher nicht. Ein Kompendium missglückter Kommunikation zwischen Menschen und Kulturen. Das beste Best-Ager-Drama des Jahres.
Herr Lenz reist in den Frühling: ARD, 20. Juli, 20.15 Uhr.