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Interview zum Amtsantritt mit Bundesratspräsident Peter Tschentscher Mut und Zuversicht für die großen Themen unserer Zeit

Foto: Peter Tschentscher

© Bundesrat | Steffen Kugler

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher ist seit 1. November 2022 Präsident des Bundesrates. Im Interview erläutert er seine Sicht auf den aktuellen Zustand des deutschen Föderalismus und spricht über das Verhältnis von Stadt- und Flächenstaaten sowie Hamburgs Beitrag für die Gemeinschaft der Länder. Weitere Themen sind der Kampf gegen Politikverdrossenheit und das Motto seiner Bundesratspräsidentschaft „Horizonte öffnen“.

Herr Präsident, was bedeutet Ihnen Ihr neues Amt?
Es ist eine große Ehre, die Präsidentschaft im Bundesrat zu übernehmen, der eine wichtige Aufgabe im föderalen System Deutschlands hat. Nachdem ich seit über zehn Jahren in verschiedenen Funktionen im Bundesrat tätig war, freue ich mich auf das Amt.

Einheit in Vielfalt ist das Prinzip des deutschen Föderalismus. Was bringt Hamburg in die Gemeinschaft der Länder ein?
Hamburg ist die zweitgrößte Stadt Deutschlands und eine der stärksten Wirtschaftsregionen Europas. Über den Hafen und die vielfältigen Handelsbeziehungen gilt Hamburg als „Tor zur Welt“. Wir bringen die Perspektiven der großen Metropolen in die Arbeit des Bundesrates ein. Eine gute internationale Verankerung Deutschlands in der EU und der gesamten Staatengemeinschaft ist eine wichtige Voraussetzung, um die Zukunftsaufgaben unseres Landes zu bewältigen.

Zusammen mit den Ländern Berlin und Bremen steht Hamburg im Bundesrat einer Mehrheit von Flächenstaaten gegenüber. Werden Sie die Präsidentschaft nutzen, um auf die besonderen Belange der Stadtstaaten aufmerksam zu machen?
Als Erster Bürgermeister Hamburgs vertrete ich die Interessen unseres Stadtstaates. Als Bundesratspräsident ist es meine Aufgabe, die Gesamtheit der Länder zu vertreten. Dabei spielen die Interessen der Flächenländer und der Stadtstaaten gleichermaßen eine Rolle. Oft stellen sich Probleme, die uns in Deutschland bewegen, in den Städten anders dar als im ländlichen Raum. Für eine gute Entscheidung kommt es darauf an, alle Facetten eines Themas im Blick zu haben.

Finden die Stadtstaaten ausreichend Verständnis und Unterstützung für ihre Anliegen bei den anderen Bundesländern?
Berlin, Bremen und Hamburg bringen oft besondere Initiativen ein. Neben den Stadtstaaten gibt es in Deutschland aber auch andere Metropolen und große Städte, die unsere Sichtweisen teilen und dies gegenüber ihren Landesregierungen vertreten. So kommt es, dass initiale Themen der Stadtstaaten oft im weiteren Verfahren auch von den Flächenländern unterstützt werden und im Bundesrat eine Mehrheit finden. Wir sind also ein Stück weit Schrittmacher für die Positionen der großen Städte.

Sie übernehmen Ihr Amt in politisch herausfordernden Zeiten, in denen oft schnelle Lösungen gefragt sind. Werden die komplizierten föderalen Entscheidungsprozesse dem noch gerecht oder sehen Sie Reformbedarf?
Das System ist besser als sein Ruf. Bei Auslandsreisen nehme ich wahr, dass der deutsche Föderalismus mit der Art, wie bei uns regionale Interessen in die Willensbildung auf gesamtstaatlicher Ebene einfließen, ein Vorbild ist. Wir selbst betrachten uns dagegen kritisch. In der Corona-Krise sind wir mit unseren Entscheidungen am Ende aber besser durch die Pandemie gekommen als manche zentral regierte Staaten. Zwar ist es mühsam, wenn 16 Länder mit dem Bund gemeinsame Entscheidungen aushandeln, dabei werden aber die Problemlagen umfassend und detailliert erfasst. Zugleich ist es in der Pandemie gelungen, dem Problemdruck entsprechend schnell zu handeln.

Seit der Corona-Pandemie ist die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) stark ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Wie im Bundesrat koordinieren dort die Länder ihre Interessen gegenüber dem Bund - was unterscheidet beide Gremien?
In der Ministerpräsidentenkonferenz treffen die 16 Regierungschefinnen und -chefs politische Verabredungen und Grundsatzentscheidungen. Die Regierungschefs gehen nicht selten mit einer anderen Position in eine MPK als sie herauskommen, denn in den Sitzungen stehen das persönliche Überzeugen und Ringen um gute Entscheidungen im Vordergrund. Diese müssen danach im Gesetzgebungsverfahren konkretisiert und in vielen Einzelheiten umgesetzt werden, an denen der Bundesrat und damit die Länderregierungen insgesamt beteiligt sind. Beurteilen Koalitionspartner in einer Landesregierung einen Sachverhalt nicht einhellig, kann das im Bundesrat in bestimmten Punkten zu einem abweichenden Stimmverhalten führen. Insofern sind MPK und Bundesrat durchaus unterschiedliche Gremien, die im Hinblick auf die Entscheidungsfindung und -umsetzung unterschiedliche Funktionen erfüllen.

In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass sich Teile der Bevölkerung von der Politik abwenden oder sich demokratiefeindlichen Bewegungen anschließen. Was können der Bundesrat und der Bundesratspräsident dieser Entwicklung entgegensetzen?
Wir müssen selbstbewusst für unsere Verfassung eintreten. Demokratie besteht auch in Verfahrensfragen. Wenn Gesetzesvorlagen ins Vermittlungsverfahren kommen, sollten wir das jeweils inhaltlich begründen, damit es nicht als destruktive Blockade verstanden wird. Natürlich knirscht es in Krisenzeiten im Getriebe des Föderalismus. Das liegt aber nicht daran, dass das Getriebe schlecht funktioniert, sondern dass es einen hohen Druck, eine starke Beanspruchung gibt. Oft hilft es auch, den Blickwinkel zu wechseln. Dann sieht man, dass wir mit unserem politischen System im Vergleich ziemlich gut dastehen. Deutschland ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt mit einem Wohlstandsniveau, das international seinesgleichen sucht. Es ist unser föderales System, das die Grundlagen für diese Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg gelegt hat.

„Horizonte öffnen“ lautet das Motto der Hamburger Bundesratspräsidentschaft - welche Botschaft steckt dahinter?
Gerade in schwierigen Situationen mit hohem Problemdruck ist es wichtig, den Blick über das Tagesgeschäft hinaus zu heben, um neue Lösungen und Perspektiven zu entwickeln. Das ist die Botschaft unseres Mottos. Zugleich geht es um Mut und Zuversicht, die nötig sind, um die großen Themen unserer Zeit erfolgreich anzugehen. Der Klimaschutz zum Beispiel wird unsere Wirtschaft und unser gesamtes Leben grundlegend verändern. Dabei brauchen wir einen Blick auf die langfristigen Anforderungen, um auch die Chancen zu erkennen, die damit verbunden sind.

Apropos Tagesgeschäft - was werden Sie in den ersten Wochen Ihrer Präsidentschaft tun?
Ganz aktuell klären wir gerade die Einberufung einer Sondersitzung des Bundesrates, um die Beschlüsse von Bund und Ländern zur Energiepreisbremse zu beraten, die schnell umgesetzt werden müssen. Zugleich bereite ich meine Antrittsrede in der Sitzung des Bundesrates am 25. November vor. Ich möchte dabei meine Sicht auf die Vielfalt und Stärken unseres Landes darstellen, die uns helfen können, um nach der „Zeitenwende“ – wie es der Bundeskanzler nennt – einen neuen gemeinsamen Kurs für Deutschland zu finden.

Stand 01.11.2022

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