Bevor konkret auf die neue VO 2022/2560 eingegangen werden soll, ist zuvorderst ein kurzer Überblick über die primärrechtlichen Hintergründe der Europäischen Verträge zum unionsweiten Binnenmarkt, dem Begriff und der Zielsetzung des Binnenmarkts und der besonderen Bedeutung des Wettbewerbs im Binnenmarkt zu geben. Eine Einordung des Themas in den Kontext des öffentlichen Wirtschaftsrechts soll so erleichtert werden und das von der Verordnung betroffene Schutzgut umreißen.

1 Schutzgut EU-Binnenmarkt, seine Entstehung und Hintergründe

Durch den Vertrag über die Europäische UnionFootnote 1 gründeten die Hohen Vertragsparteien, hierunter auch die Bundesrepublik Deutschland, untereinander die Europäische Union (EU); Art. 1 Abs. 1 EUV. Mit der gewählten Formulierung wird der völkerrechtliche Ursprung der EU und damit zugleich die fortbestehende Souveränität der Mitgliedstaaten betont.Footnote 2 Die Europäische Union ist gemäß Art. 1 Abs. 3 S. 3 EUV der Rechtsnachfolger der Europäischen Gemeinschaft (EG) und stellt dabei weder einen verfassten Bundesstaat noch einen lockeren Bund von Staaten dar. Die EU ist vielmehr in einem dazwischen angesiedelten Stadium zu verorten. Der Vertrag über die Europäische Union (EUV) schreibt die Grundprinzipien und Leitgedanken der EU fest. Er stellt gemeinsam mit dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) das unmittelbare Kernrecht der EU dar, wobei beide Verträge, wie aus Art. 1 Abs. 3 S. 1 EUV hervorgeht, gleichrangig sind. Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 1 EUV verpflichtet die Union zur Errichtung eines EU-Binnenmarkts.

Der Binnenmarkt stellt, wie aus Art. 26 AEUV und hier insbesondere der Definition in Abs. 2 zu folgern ist, konzeptionell den Nachfolger des Gemeinsamen Marktes aus Art. 2 EG-Vertrag dar. Nach Art. 26 Abs. 2 AEUV umfasst er einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist. Der Begriff Gemeinsamer Markt (zuletzt Art. 2 EGVFootnote 3) – so wie ihn der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung herausgearbeitet hatte – stellte in seiner Verwendung ab auf die Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziele der Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt, dessen Bedingungen denjenigen eines wirklichen Binnenmarktes möglichst nahekommen.Footnote 4 Er sollte gemäß Art. 2 EGV zur „Hebung der Lebenshaltung und Lebensqualität” dienen.

Eine weitere Ausdifferenzierung und Konkretisierung unter Benennung von Zielfolgen fand vor Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags durch Art. 3 EGV statt. Der EuGH zog auf Basis der unmittelbaren Verbindung beider Artikel diese oft gemeinsam heran.Footnote 5 Neben dem Abbau von Zöllen (lit. a) und der Schaffung einer gemeinsamen Handelspolitik (lit. b), stand insbesondere die Verwirklichung eines Binnenmarkts unter Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten (lit. c) im Fokus der Zielrichtungen. Die Ähnlichkeit dieser Ziele zu den heute in Art. 26 ff. AEUV festgeschriebenen Grundfreiheiten ist hierbei unübersehbar.

Neben den zuvor beschriebenen grundsätzlichen Zielrichtungen ist der Fokus auf den Art. 3 Abs. 1 (lit. g) EGV zu legen, wonach es gemäß der redaktionellen Artikelüberschrift zu den „Tätigkeiten der Gemeinschaft“ gehörte, ein System zu schaffen, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor Verfälschungen schützt. Hervorzuheben ist das Wort „System“. Ein solches verlangte eine kohärente Wettbewerbspolitik, was eine rechtsfortbildende Auslegung erlaubte,Footnote 6 und die Schaffung konkreter und zusammenhängender Wettbewerbsregelungen erforderte. Die Verpflichtung stand hierbei im engen Zusammenhang mit dem Ziel, die harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens zu fördern und wurde in der Präambel zum EGV mit der Zielsetzung des redlichen Wettbewerbs umschrieben.Footnote 7 Lebensstandard, Gemeinsamer Markt und Wettbewerb waren als eine Ziel-Mittel-Relation definiert, worauf wohl auch der enorme wirtschaftliche Erfolg der Europäischen Integration beruhte.Footnote 8

Auch wenn die vorangegangene Darstellung wie eine Kurzzusammenfassung der europäischen Binnenmarktrechtsgeschichte wirken mag, so wird zu zeigen sein, dass die zu den Art. 2 und 3 EGV aufgestellten Grundsätze bei der Anwendung der aktuellen europäischen Verträge noch immer eine Rolle spielen.

Der Binnenmarkt im Sinne von Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 1 EUV und Art. 26 Abs. 2 AEUV stellt auf die Schaffung eines Raumes ohne Binnengrenzen ab, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist; Art. 26 Abs. 2 AEUV. Auch die Präambel der AEUV enthält „die stetige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen ihrer Völker” als wesentliche Zielsetzung der Union.

Der Vertrag von Lissabon hat die formal dreistufige Zielhierarchie des EGV – Aufgaben (Art. 2 EGV), Tätigkeiten bzw. Unterziele (Art. 3 EGV) und einzelne Handlungsermächtigungen – zu einer zweistufigen Hierarchie zusammengeschmolzen. Die Ziele der Union sind nun in Art. 2 EUV niedergelegt. Der umfassende Katalog des Art. 3 EGV ist dagegen verschwunden.Footnote 9 Die nun dem Art. 3 UAbs. 1 EUV nachfolgenden Sätze des Abs. 3 (UAbs. 1 Satz 2 und UAbs. 2 bis 4) stellen das Verwirklichungsziel „Binnenmarkt“ in einen Ordnungsrahmen, andere sprechen von einem Zielkatalog,Footnote 10 von dabei zu beachtenden Einzelzielen, überlagern jedoch nicht den bereits den Gemeinsamen Markt (Art. 2 EGV) kennzeichnenden Leitpunkt, den unionalen Wirtschaftsraum durch den grundsätzlichen Freiverkehr von Produktionsfaktoren und Produkten und damit durch die Initiativentscheidungen von Marktakteuren im Wettbewerb miteinander zu verflechten.Footnote 11 Freilich werden diese Grundsätze durch die europäischen Grundfreiheiten der AEUV flankiert.

Auch wenn durch die begriffliche Nachfolge des Binnenmarkts sicherlich viele Grundsätze seiner Vorgängerbegrifflichkeit des Gemeinsamen Marktes übernommen werden können, so fällt doch hinsichtlich eines sehr relevanten Merkmals ein gänzlich anderes Wording der Verträge auf. Anders als die Vorgängerregelung des Art. 3 Abs. 1 lit. g) EGV, formuliert die Regelung in Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 EUV nicht unmittelbar das Ziel, den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkes vor Verfälschungen zu schützen. Vielmehr liegt die Zielrichtung vom Wortlaut her allgemeiner auf der Verwirklichung einer im „hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft“, wodurch es folglich zu einer Abstrahierung der Zielsetzung, weg von einem reinen singulären Zielsystem hin zu einer umfassenden Verwirklichung eines gesamtwirtschaftlichen Systems, gekommen ist. Der Schutz des Binnenmarktes vor Verfälschungen im Rahmen eines dies sichernden Systems (ehemalig Art. 3 Abs. 1 lit. g) EGV) ist nunmehr im Protokoll über den Binnenmarkt und den Wettbewerb (Nr. 27)Footnote 12 geregelt. Die Eliminierung des Wettbewerbs aus den Zielbestimmungen des EUV ist dabei das Ergebnis eines Vorstoßes des damaligen französischen Staatspräsidenten Sarkozy in den Verhandlungen über den EU-Reformvertrag.Footnote 13 Auch wenn viele Grundsätze des Gemeinsamen Marktes für die Regelungen des (neuen) Binnenmarktziels übernommen werden können, folgt die Frage, ob dies auch für das so wichtige Ziel des nunmehr im Protokoll Nr. 27 geregelten Wettbewerbssicherungssystem gilt.

Zur Beantwortung der Frage wurde zu Zeiten der europäischen Vertragsreform argumentiert, dass sich juristisch für die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts nicht viel ändern würde. Auch Protokolle zum EUV sind verbindliche, völkerrechtliche Verträge im Sinne der Wiener Konvention über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969. Vielmehr sei die Verlagerung in das Protokoll Nr. 27 nur ein klares politisches Signal,Footnote 14 welches mangels sachlicher oder rechtssystematischer Notwendigkeit eine reine Symbolik darstellte.Footnote 15 Ergänzend zu der Verbindlichkeit von Protokollregelungen, stellte Behrens fest, dass die Einbeziehung des „Systems unverfälschten Wettbewerbs” in das Binnenmarktkonzept auch aus den Wettbewerbsregeln selbst abzuleiten ist, die der Vertrag von Lissabon unangetastet lässt, sodass sich rechtlich nichts ändert.Footnote 16

Hiergegen führt Meessen jedoch an, dass die in Protokoll Nr. 27 enthaltende Verweisung auf den Art. 3 EUV in seiner Neufassung gegenüber dem ursprünglichen Verfassungsvertrag nicht mehr zutrifft, sodass der „Redaktionsfehler“ den unverfälschten Wettbewerb zwar nicht retten könne, dennoch stimmt er Behrens insoweit zu, als dass das operative Recht unberührt bleiben dürfte.Footnote 17 Was aus der gemachten Einschränkung im Ergebnis folgt, bleibt freilich unklar.

Der herrschenden Auffassung der unveränderten materiellen Wirkung der Zielsetzung ist zuzustimmen. Wenngleich der Wortlaut des Protokolls Nr. 27 auf ein in dieser Form nicht existenten Art. 3 EUV verweist, so zeigt neben der völkerrechtlichen Verbindlichkeit von Protokollen, insbesondere die komplette Übernahme der ehemaligen Art. 81 ff. EGV in die AEUV, dass die dem Ziel des Protokolls Nr. 27 und Art. 3 Abs. 1 lit. g) EGV dienenden Normen und die damit verbundenen Grundsätze unverändert bleiben sollten.

Primärrechtliches Kernelement des Binnenmarktkonzepts nach dem Lissabonner Vertrag ist somit ebenso, wie schon zuletzt im Vertrag von Nizza, ein System von Vorschriften, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt.Footnote 18 Hierzu gehören auf primärrechtlicher Ebene insbesondere die in Titel VII. Kapitel 1 der AEUV niedergelegten Wettbewerbsregeln, namentlich die Vorschriften für Unternehmen (Art. 101 bis 106 AEUV) und die Regelungen über staatliche Beihilfen (Art. 107 bis 109 AEUV). Flankiert wird dieses Primärrecht durch unzählige Sekundärrechtsakte die entweder unmittelbar auf die in der AEUV niedergelegten Wettbewerbsgrundsätze Bezug nehmen, wie etwa die FusionskontrollverordnungFootnote 19, oder aber nicht unmittelbar auf die Art. 101 ff AEUV gestützt werden können, wenngleich sie, wie etwa die Vergaberichtlinie,Footnote 20 gleichwohl zur Sicherung des fairen und freien Wettbewerbs dienen. Soll die neu erlassene Verordnung 2022/2560 nunmehr das existente Regelungsdefizit hinsichtlich drittstaatlicher Subventionen schließen, und so für einen faireren, verzerrungsfreien Wettbewerb auf dem EU-Binnenmarkt sorgen, steht dies im absoluten Einklang mit den primärrechtlichen Zielen der europäischen Verträge.

2 Wettbewerb und Binnenmarkt

Der zuvor bereits grob beschriebene Rechtsrahmen bezieht sich allein auf den EU-Binnenmarkt und enthält daher keine Aussage zu Drittstaaten oder zu den Marktteilnehmern aus solchen. Speziell aus dem Schutzgut eines unverfälschten Wettbewerbs lassen sich weitergehende Vorgaben ableiten, die auch dann zu beachten sind, wenn der Binnenmarkt gegenüber Marktteilnehmern aus Drittstaaten geöffnet wird.Footnote 21 Es ist daher im Folgenden auf die Bedeutung des Wettbewerbsbegriffs für den EU-Binnenmarkt einzugehen.

Der Begriff des Wettbewerbs ist in der heutigen Gesellschaft allgegenwärtig. Die Kontexte, in welchem er verwendet wird, sind oftmals ebenso vielseitig wie das mit ihm ausgedrückte Phänomen. Wettbewerb ist keine gängige philosophische oder soziologische Kategorie.Footnote 22 Von Wettbewerb sprechen wir im Sport, im politischen Parteien- und Kandidatenkampf, aber eben auch im unternehmerischen, oder abstrakter, im ökonomischen oder ökonomisch-juristischen Zusammenhang. Im vorliegenden Zusammenhang ist der wirtschaftliche Wettbewerb maßgeblich.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind insoweit auf den „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ verpflichtet; Art. 119 Abs. 1 AEUV i.V.m. Art. 120 S. 2 AEUV. Der Wettbewerb ist Merkmal des Binnenmarktes i.S.v. Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV und nach Art. 26 Abs. 1 AEUV i.V.m. Protokoll Nr. 27 als objektives Prinzip zu schützen. Auf subjektiver Ebene tritt der Schutz der EU-Grundfreiheiten hinzu (Art. 26 Abs. 2 AEUV).

Neben dem Ziel des Wettbewerbsschutzes tritt nach Art. 26 AEUV das gleichberechtigte Integrationsziel des Binnenmarkts. Die Verbindung der beiden Ziele ist dabei unübersehbar. Dient der Binnenmarkt an sich dem Ziel der Verwirklichung der Union und dem Schutz des gemeinschaftlichen, freien und fairen Markts, so ist die Integration des Binnenmarkts selbst essenzieller Bestandteil seines eigenen Schutzes. Zur Verwirklichung beider Zielsetzungen des Art. 26 AEUV gelten die Regelungen und Ermächtigungen des Art. 114 AEUV, sofern keine speziellen Gesetzgebungskompetenzen eingreifen (insb. Art. 103, 109 AEUV). Danach sind Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben, durch das ordentliche Gesetzgebungsverfahren zu erlassen.

Die Erwägungsgründe 1 und 4 zur VO 2022/2560 heben hervor, dass aus Sicht der EU „Drittstaatliche Subventionen (…) den Binnenmarkt verzerren und den fairen Wettbewerb für verschiedene wirtschaftliche Tätigkeiten in der Union untergraben“ können. Darin ist ein aktueller Beleg der unmittelbaren Verbindung zwischen dem Binnenmarktziel und dem Wettbewerbsbegriff zu sehen. Auch die Kommission begründete die Notwendigkeit des neuen Regelungsregimes wie folgt: „Ein starker, offener und wettbewerbsorientierter Binnenmarkt ermöglicht sowohl europäischen Unternehmen als auch Unternehmen aus Drittstaaten, miteinander in einen Leistungswettbewerb zu treten, sofern faire Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt sichergestellt sind.“Footnote 23 Diese Feststellung wird gleichzeitig als Grund und Ziel der Verordnungsinitiative angegeben und spiegelt ebenfalls die Konnexität beider Begriffe wider.

Ein Problem für das Verständnis der Erwägungsgründe der VO 2022/2560 stellt es jedoch dar, dass der Wettbewerbsbegriff nicht eindeutig bestimmbar ist und diesbezügliche Versuche nur kontextabhängig gelingen können. Der europäische Wettbewerbsbegriff ist zudem einem stetigen (politischen) Wandel ausgesetzt und dadurch umso schwerer greifbar. Daraus folgt, dass die Überprüfung einzelner Maßnahmen der EU und ihrer Zielkonformität zur Sicherung eines freien Wettbewerbs auf dem EU-Binnenmarkt mangels eindeutiger Wettbewerbsdefinition nicht abschließend möglich ist. Dieser Problematik soll im Folgenden nachgegangen werden. Dabei sind neben Fragen der juristischen Dimension insbesondere auch die ökonomische Dimension des Wettbewerbsbegriffs zu beleuchten, womit der starken ökonomischen Prägung des Sachverhalts angemessen Rechnung getragen werden soll. Diese Erkenntnis fußt nicht zuletzt in der vorwegzunehmenden erklärten Zielsetzung der Kommission, die Wettbewerbsregelungen an „streng wirtschaftlichen Kriterien“ zu beurteilen,Footnote 24 und die Forderung, verstärkt auf ökonomische Theorien zurückzugreifen.Footnote 25

2.1 Der Wettbewerbsbegriff und seine Merkmale im Allgemeinen

In seinem 2009 veröffentlichten Beitrag zum „Prinzip Wettbewerb“ versucht Meessen sich den Merkmalen von Wettbewerb über die Evolutionstheorie von Charles Darwin zu nähern, indem er feststellt, dass das geflügelte Wort „survival of the fitttest“ und das mit ihr einhergehende Phänomen der Wettbewerblichkeit, sozusagen der in der Natur vorhanden und in der naturphilosophischen Literatur anerkannte, natürliche Ursprung des Wettbewerbs ist. Hierauf aufbauend folgt seine Feststellung, dass Wettbewerb stets durch vier Merkmale gekennzeichnet sei. Diese seien, dass Wettbewerb stets (1) ein Entdeckungsverfahren oder anders ausgedrückt ein dynamischer Prozess ist, welcher durch (2) seine Regelhaftigkeit, (3) seine Einsatzbereitschaft und schließlich (4) die Mehrzahl voneinander unabhängiger Beteiligter geprägt sei.Footnote 26

Ausgehend von den Anfängen der wirtschaftswissenschaftlichen Modelle des späten 18. Jahrhunderts und frühen 19. Jahrhundert, hier insbesondere einem der Pioniere der klassischen Ökonomik Adam Smith, hat es bis zum Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gedauert, bis Hayek, Mitbegründer der österreichischen Marktprozesstheorie, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren beschrieb.Footnote 27 Mit dem Begriff Entdeckungsverfahren werden zwei wesentliche (Unter-)Elemente des Wettbewerbs, nämlich die Dynamik des Geschehens einerseits und die Unsicherheit hinsichtlich der Resultate anderseits, besonders plastisch zum Ausdruck gebracht.Footnote 28 Anfangs der theorieökonomischen Entwicklung hatte man geglaubt, das Vorhandensein von Wettbewerb allein der als Monopol, Oligopol oder Polypol zu klassifizierenden Marktstruktur oder dem an der Gewinnmarge ablesbaren Marktergebnis entnehmen zu können.Footnote 29 Hierauf folgten neoklassische Ansätze wie etwa das Modell des vollkommenen Wettbewerbs (Perfect Competition). So baute etwa das deutsche GWB in seinen Anfängen noch auf der Vorstellung einer derartigen vollständigen Konkurrenz auf.

Auf diese Ansätze folgte das heute unter dem Modell der Harvard School bekannte Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs. Das grundlegend Neue an diesem Konzept bestand sodann darin, dass erstmals bestimmte Marktunvollkommenheiten nicht mehr als wettbewerbsmindernd, sondern als wettbewerbsfördernd erkannt wurden.Footnote 30 Das Modell der Chicago School setzte diesen Vorstellungen die Forderung entgegen, dass Wettbewerbspolitik nicht viele, unter Umständen auch nichtökonomische Ziele vertreten soll (so der Ansatz der Harvard School), sondern nur ein einziges Ziel verfolgen soll, nämlich das der ökonomischen Effizienz.Footnote 31 Ein Wettbewerb im Sinne der Effizienz sei allerdings nur Mittel zum Zweck eines weitergehenden Ziels.

In gewisser Weise nahm bereits Schumpeter mit seiner 1911 erstmals veröffentlichten „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ die Effizienzkomponente auf und charakterisiert Wettbewerb als einen dynamischen Innovations-Imitations-Prozess,Footnote 32 womit er erstmals auf den Zusammenhang von Innovation und Imitation hinwies. Beides steht dabei begrifflich dem Entdeckungsverfahren nahe. Seit John Maurice Clarks „Competition as a Dynamic Process“ von 1961 wird das Prozesshafte als eigenes Merkmal wohl allgemein anerkannt.Footnote 33 Vielmehr noch: Die Erkenntnis Clarks und Schumpeters, dass Wettbewerb kein statisches, sondern ein dynamisches Geschehen ist, hat heute insbesondere für das Kartellrecht enorme Bedeutung. So folgt beispielsweise, dass der Schutz des Wettbewerbs vor allem auch den potenziellen Wettbewerb miteinschließen muss,Footnote 34 dieser potenzielle Wettbewerb setzt durch sein hypothetisches Element bereits voraus, dass Wettbewerb kein statischer Zustand sein kann. Man könnte insoweit auch davon sprechen, dass Wettbewerb nie ein Ende hat und er selbst stets alles in Frage stellt. Entwicklungen und gerade solche an einem spezifischen oder glatt am ganzheitlichen, kommutierten Markt sind nur sehr schwer bis gar nicht vorhersehbar. Wettbewerb als Prozess im wirtschaftlichen Sinne bedeutet somit auch die Eingehung eines Risikos, ja faktisch einer Wette, oder um es mathematisch zu fassen, eines Spiels, welches stochastisch versucht werden kann zu erfassen; vollumfänglich wird dies jedoch nie funktionieren. Niemand kennt das Ergebnis, weshalb dieses Merkmal insbesondere für die rechtliche Umsetzung bedeutet, dass das Vorhandensein von Wettbewerb nur im Zeitablauf nachweisbar ist und daher etwa die Gefährdungstatbestände der Fusionskontrolle nur mit erheblichen Unsicherheiten prognostiziert werden können.Footnote 35

Das zweite zu belegende Merkmal, ist die Regelhaftigkeit von Wettbewerb. Zumindest rechtliche Regeln können logischerweise nur dort bestehen, wo menschliches Handeln vorliegt. Aber auch in der Natur finden sich Regeln und Gesetze. Angefangen von den mathematischen und physikalischen Gesetzen, die universale Gültigkeit haben, kann auch hier die Darwinistische Theorie „survival of the fitttest“ als Beleg herangezogen werden. Wenn im Evolutionsprozess der „fitteste“ überlebt, ist der Wettbewerb zwischen den Entwicklungsmöglichkeiten also auch dort, wenn auch vielleicht nicht unbedingt erklärbaren, Regeln unterworfen. Es bleibt diejenige Entwicklungsmöglichkeit bestehen, die den Umständen am besten angepasst ist. Dass Regeln auch kennzeichnend für den wirtschaftlichen Wettbewerb sind, erkannte schon Adam Smith, indem er feststellte, dass für Unternehmen stets die Neigung besteht, sich die Mühen des Wettbewerbs zu ersparen und durch Verabredungen zu Lasten der Markgegenseite (in Anlehnung an die oben unter Bezug genommene klassische Ökonomik mit ihrem Monopolgedanken), die eigenen Taschen zu füllen.Footnote 36 Abstrakt kann dies nicht nur für Unternehmen, sondern gerade auch für staatlich gelenkte Volkswirtschaften gelten. Regeln im wirtschaftlichen Kontext sind somit insbesondere daher wichtig, da es gerade sie sind, die die Möglichkeit des Wettbewerbs erhalten, indem sie ihn zugleich begründen.

Ein dauerhaftes Monopol, also nur ein solches, dass keinen weiteren Marktzutritt mehr zulässt, schließt dagegen Wettbewerb aus.Footnote 37 Dabei dürfte es entscheidend sein, dass nicht einmal potenziell ein Marktzutritt eines Konkurrenten gefürchtet werden muss. Zentral ist somit also weiterhin der Unabhängigkeitsbegriff. Die Unabhängigkeit steht dabei in engen Kontext zu der Regelhaftigkeit, da es häufig Regeln sind, die die Unabhängigkeit definieren. Gleichzeitig ist es für den Wettbewerb unabdingbar, dass eine Konkurrenzsituation besteht, was wiederum die Unabhängigkeit als Kennzeichen des Wettbewerbsbegriff belegt.

Zuletzt bedarf es des Nachweises, dass Wettbewerb stets die Einsatzbereitschaft Einzelner voraussetzt. Schon Adam Smith führte mit seinem Modell der „unsichtbaren Hand“ in seinem 1776 erstmals erschienenen Werk „Der Wohlstand der Nationen“ die Erkenntnis an, dass jeder Marktteilnehmer eigennützig seinem individuellen ökonomischen (Optimierungs)Kalkül folgt,Footnote 38 worin sich schließlich das Ziel des stetigen individuellen Erfolgs widerspiegelt. Ausgehend von der Prozesseigenschaft des Wettbewerbsbegriffs, die auch als Innovations-Imitations-Prozess beschrieben werden kann, beinhalten beide Begriffe bereits ihrerseits den Anspruch der individuellen Einsatzbereitschaft. Jeder Marktteilnehmer strebt dabei danach, entweder einen neuen Standard zu setzten oder einen gesetzten Standard einzuholen. Dies gilt freilich nur dann, sofern unter den betreffenden Marktteilnehmern und deren Unterstützer mit fairen Mitteln gespielt wird, wobei Regeln gerade diese Fairness sichern (sollen).

Nicht beantwortet ist damit aber die Frage, ob die hier dargelegte allgemeine Definition auch juristisch haltbar und somit zur Zielbestimmung des europäischen Wettbewerbsverständnisses im Allgemeinen und zur Bewertung der Zielerreichung der neuen Verordnung betreffend drittstaatlicher Subventionen im Besonderen herangezogen werden kann. Auch bleibt nach kurzer Darstellung der Wettbewerbsfunktion und seinen Dimensionen die Frage offen, welche Ziele der Wettbewerbsschutz in Europa verfolgen soll und inwieweit die ökonomisch theoretischen Funktionen des Wettbewerbs hier widergespiegelt werden. Bestätigt werden konnte indes, dass Wettbewerb immer bezogen auf einen Kontext zu betrachten ist.

2.2 Das juristische Definitionsdilemma

Der Versuch einer positiven juristischen Definition des Wettbewerbsbegriff begegnet der Schwierigkeit, dass Wettbewerb ökonomisch ein sehr vielschichtiges Phänomen ist, das sich angesichts seiner Bedeutungsvielfalt nur unter Inkaufnahme eines hohen Abstraktionsgrades in allgemein gültiger Form erfassen lässt.Footnote 39 Beim Schutz des „wirksamen Wettbewerbs“ als europarechtliches Schutzgut kann es also nur um die Erhaltung der Voraussetzungen einer Plattform (sog. level playing field) für antagonistisches Konkurrenzverhalten gehen und ggf. darum, die Freiheit der Wettbewerber im Konkurrenzkampf zu sichern.Footnote 40 Das Wettbewerbsrecht fokussiert sich dabei auf den Wettbewerb an sich, sprich den Schutz des Spielfeldes für den Konkurrenzkampf, der Schutz der individuellen Wettbewerber ist die Aufgabe anderer Rechtsinstitute. Gleichzeitig setzt rationale Wettbewerbspolitik eine klare und widerspruchsfreie Vorstellung von dem voraus, was Wettbewerb ist,Footnote 41 wobei der Versuch der juristischen Definition nicht dazu führen darf, die gewährleistete Wettbewerbs- und Wirtschaftsfreiheit – ein Grundwert an sich – durch die Formulierung eines ergebnisorientierten Kontrollinstruments aufzuheben.Footnote 42

Die hoheitlichen „Schiedsrichter“ sind dabei zwar mit geeigneten Sanktionsmöglichkeiten für den Fall von „Regelverstößen“ in Form von Wettbewerbsverstößen auszustatten, sie sind aber nicht für die Schaffung bestimmter – wirtschaftspolitisch erwünschter – Marktergebnisse zuständig.Footnote 43 Solche Spielregeln müssen anhand der Eigenart des Wettbewerbs und der Bedingungen ermittelt werden, unter denen die Wettbewerbsfreiheit zu Marktprozessen führt, die mit Wettbewerbsfunktionen vereinbar sind.Footnote 44 In diesem fundamentalen Verständnis unterscheiden wir Europäer uns von planwirtschaftlichen Systemen, in welchen das Marktergebnis der Maßstab einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik ist, was schließlich zum Erfordernis von Spielregeln zwischen diesen Systemen führt. Abschließend definieren, was die Spielregeln schützt, können die Spielregeln in einem marktwirtschaftlichen Verständnis nicht, worin sich somit gerade der Unterschied zu einer zentralen Planwirtschaft begründet.Footnote 45

Bedingungen, Wirkungsweisen und Folgen des Wettbewerbs lassen sich nur schwer in einer für die Rechtsauslegung verbindlichen Weise erfassen.Footnote 46 So plädieren manche glatt dafür, dass die Definition des Wettbewerbs rechtlich weder möglich noch zweckmäßig sei, weil eine solche nicht alle seine Bedingungen, Wirkungsweisen und Folgen (Performance) erfassen kann und begründen dies mit dem wissenschaftstheoretischen Grund, dass man Freiheitspositionen aufhebt, wenn man ihre Inhalte vorweg bestimmt.Footnote 47

Unternimmt man dennoch den Versuch der Definition, um zumindest den Rahmen des Spielverlaufs abzustecken, so entsteht Wettbewerb in juristisch relevanter Weise wohl dort, wo Unternehmer und Verbraucher von ihren Handlungs- und Entscheidungsfreiheiten im Wirtschaftsverkehr Gebrauch machen.Footnote 48 Welche Handlungsfreiheiten gegeben sind, hängt von der Wirtschaftsordnung ab.Footnote 49 Mit anderen Worten ist der Wettbewerb identisch mit dem komplexen System von Marktprozessen, das entsteht, wenn die Wirtschaftssubjekte von ihrer wirtschaftlichen Freiheit im Rahmen der Rechtsordnung Gebrauch machen.Footnote 50 Angewandt auf die in Deutschland und der EU vorherrschenden (sozialen) Marktwirtschaft,Footnote 51 kann diese wirtschaftliche Handlungsfreiheit etwa in der Angebotskonkurrenz mehrerer Unternehmen mit gleichen oder ähnlichen Produkten im Verhältnis zu ihren Kunden bzw. der gegenüberstehenden Nachfragekonkurrenz gesehen werden.

Einigkeit besteht folglich insoweit, als dass die Handlungsfreiheit auf einem, abhängig vom Wirtschaftssystem, freien Markt kennzeichnend für den Wettbewerbsbegriff ist. Gleichzeitig verdeutlicht sich hierin aber auch das beschriebene Dilemma. Etwa durch die häufige Konzentration des Definitionsversuchs auf die Konkurrenz mehrerer Unternehmen gegenüber dem Verbraucher fokussiert sich die Definition, gewollt oder ungewollt, auf ein Phänomen, das man wohl am ehesten als Angebotswettbewerb beschreiben könnte. Sofern man diesem Gedanken folgt, fällt auf, dass Konkurrenz nur dort bestehen kann, wo sich Produkte oder Dienstleistungen auch unterscheiden. Diese Unterscheidungskraft der angebotenen Produkte oder Leistungen wird regelmäßig in Qualität, Preis oder der Vermarktung liegen, zwingend ist dies jedoch nicht. Entscheidend dürfte jedoch dabei sein, dass zwei Angebote sich in einem Parameter unterscheiden. Andernfalls würde es gänzlich vom Zufall abhängen, für welches Angebot unter völlig gleichen sich ein Verbraucher entscheidet. Der Ausgang einer Konsumentscheidung muss ex ante ungewiss und somit nicht planbar sein. Konkurrenz ist insoweit auch ein Ergebnis verschiedener Antizipationen des zukünftigen Marktgeschehens.

So vielseitig diese Verschiedenartigkeit von Angeboten auch sein kann, entsprechend vielseitig ist damit einhergehend auch der Wettbewerbsprozess, den man infolgedessen partiell beschreiben, aber wohl nie abschließend positiv definieren kann.Footnote 52 Das Spielgeschehen kann in diesem Fall somit nur beschrieben und erklärt, wünschenswerte Ereignisse formuliert, aber nicht abschließend definiert werden.

2.3 Möglichkeit einer Definition über die Negativabgrenzung?

Das somit festzuhaltende Zwischenergebnis der rechtlichen Undefinierbarkeit des Wettbewerbsbegriffs erscheint im ersten Moment zwar unbefriedigend, bestätigt jedoch, dass der Wettbewerbsbegriff nur kontextabhängig eingegrenzt werden kann. Dieser Eindruck mag sich jedoch vielleicht relativieren, wenn man einen Blick auf die in der juristischen Methodenlehre verbreitete Negativabgrenzung wirft. Hierbei wird immer dann, wenn etwas nicht positiv definiert werden kann, der Versuch unternommen, zu definieren, was gerade nicht von dem Begriff umfasst werden soll bzw. wann der Zustand gerade nicht vorliegt. Man könnte insoweit auch von einem GegenbegriffFootnote 53 sprechen.

Der Gegenbegriff zum Wettbewerb ist ein Zustand ohne Wettbewerb, also die Wettbewerbsbeschränkung. Wenn Wettbewerb überall dort entstehen soll, wo die Wirtschaftssubjekte von ihrer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit Gebrauch machen,Footnote 54 liegt es auf der Hand, dass eine Wettbewerbsbeschränkung anzunehmen ist, wenn die Freiheit unternehmerischer Planung willkürlich eingeschränkt wird. Die Betonung liegt dabei auf dem Wort „willkürlich“, da unternehmerische Freiheit, gleich auf welcher Seite des Marktprozesses, niemals umfassend sein kann.Footnote 55 Die Frage der Wettbewerbsbeschränkung ist ebenso eine (normative) Wertungsfrage, wie die Frage nach dem Wettbewerb selbst. Diese Wertung spiegelt sich dabei nicht zuletzt in den kartellrechtlichen Regelungen der Art. 101 ff. AEUV und der Auslegung des Begriffs „unverfälscht“Footnote 56 wider. Es lässt sich somit festhalten, dass sich das Dilemma wiederholt. Auch eine Definition des Gegenbegriffs erscheint ohne eine Begriffsdefinition selbst unmöglich. Diese gelingt, wie gesehen, jedoch maximal rudimentär in der Form, als dass in einem bestimmten Kontext beschrieben werden kann, was dort als Wettbewerb gelten kann.

2.4 Abstrakte Begriffsbeschreibung und Schlussbemerkung zum Wettwerbsbegriff

Um das Phänomen, dass der Begriff nun umgangssprachlich also faktisch „im luftleeren Raum hinge“, zu umgehen, findet sich der verbreitete Ansatz in der Literatur, zumindest eine abstrakte Begriffsbeschreibung vorzunehmen. So wird der Begriff „Wettbewerb“ im juristisch relevanten Kontext etwa bei Haucamp/Schmidt, Kling/Thomas oder auch bei Wiedmann ganz allgemein durch die folgenden Merkmale charakterisiert: Wettbewerb setzt die Existenz von Märkten mit mindestens zwei Anbietern oder Nachfragern voraus, die sich antagonistisch verhalten, also ihre eigene Marktposition zu Lasten anderer zu verbessern suchen.Footnote 57 Hierbei finden sich erneut die Aspekte der ökonomischen Begriffsdefinition wieder, worin sich ein juristisch-ökonomischer Begriffsansatz manifestiert.

Wettbewerb ist vielmehr ein Phänomen als ein Zustand. Er kann als Prozess und Garant für einen freien Markt gesehen werden, jedoch nicht vorgeben, wie der Markt gestaltet wird. Wettbewerb im hiesigen Verständnis ist die Folge eines möglichst freien Marktes, wobei frei in diesem Kontext nicht als regelfrei zu interpretieren ist. Der Begriff kann kontextabhängig bestimmt und beschrieben werden. Ein Dilemma besteht dort, wo er rechtsverbindlich definiert werden soll. Hier besteht stets die Gefahr der Verengung. Mit Emmerich ist abschließend zu statuieren, dass Privatautonomie, Privateigentum und Wettbewerb unmittelbar zusammengehören. Sie sind die drei Säulen, auf denen jede funktionsfähige freie Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ruht.Footnote 58 Die EU bekennt sich zu einem freien (Binnen-) Markt und versucht diesen auch durch die neue Verordnung betreffend möglicher Verzerrungen durch drittstaatliche Subventionen besser zu schützen (Erwägungsgrund 1 zur VO 2022/2560). Einzige Frage des Wettbewerbsrechts kann es somit sein, wie viel Freiheit innerhalb der Säulen (politisch) wünschenswert ist. Die Wettbewerbsregeln sind dabei aber auf ein Schutzgut ausgerichtet, dass wegen seiner Ergebnisoffenheit juristisch nicht definiert werden kann.

3 Wettbewerb als dynamischer Prozess – das Wettbewerbsverständnis der EU und seine Zielsetzungen als Grundlage der neuen Verordnung

Nachdem nunmehr herausgearbeitet wurde, dass Wettbewerb in einem ökonomischen Verständnis stets ein Entdeckungsverfahren oder anders ausgedrückt ein dynamischer Prozess ist, welches durch seine Regelhaftigkeit, seine Einsatzbereitschaft und durch die Mehrzahl voneinander unabhängiger Beteiligter geprägt istFootnote 59 und ein juristischer Definitionsversuch sowohl von positiver als auch von negativer Seite ausscheidet, gilt es abschließend für dieses Kapitel darzustellen, wie das den Regelungen der EU zugrundeliegende europäische Wettbewerbsverständnis aussieht und welche juristischen Ziele und Zwecke sich isolieren lassen.

Die Ermittlung des Wettbewerbsverständnisses der Union ist von Bedeutung, um im weiteren Gang der Untersuchung eine Ziel- bzw. Zweckkonformitätsbeurteilung zu den getroffenen Maßnahmen in Bezug auf die VO 2022/2560 abgeben zu können. Deshalb sollen die relevanten Bereiche des europäischen Wettbewerbsrechts, im hiesigen Kontext namentlich das Kartell- und Fusionsrecht und das Beihilfe- bzw. Vergaberecht, analysiert werden, um Schlüsse auf das auch dem neuen Regelungsregime zu Grunde liegende Wettbewerbsverständnis zu ziehen.

Die Schaffung eines Systems des unverfälschten Wettbewerbs in EuropaFootnote 60 hat die Mitgliedsstaaten als Gesetzgeber der Verträge und den EuGH von Anfang an vor eine doppelte Aufgabe gestellt: Es war einerseits zu bestimmen, welchen integrationspolitischen, volkswirtschaftlichen und individuell freiheitssichernden Zwecken der Wettbewerb in Europa dienen sollte. Andererseits galt es festzulegen, welche Mittel zur Erreichung dieses Zwecks zu ergreifen sind, d. h. über welche Befugnisse die Kommission und der Europäische Gerichtshof verfügen sollten, um die Wettbewerbsregeln autonom durchsetzen zu können.

Das europäische Wettbewerbsverständnis wird hierbei im Allgemeinen grundsätzlich durch zwei Kernbereiche des europäischen Wettbewerbsrecht geprägt. Auf der einen Seite finden sich in den Art. 101 ff. AEUV und in Sekundärrechtsakten, wie etwa der Fusionskontrollverordnung unternehmensbezogene Wettbewerbsregeln, mithin ein Wettbewerbsverständnis gegenüber dem Markt an sich ohne einen staatlichen Akteur. Mit dem Beihilferecht der Art. 107 ff AEUV und in gewisser Weise auch mit den Sekundärrechtsakten, wie etwa der Vergaberichtlinie (RL 2014/24/EU) finden sich darüber hinaus auch staatsbezogene Wettbewerbsregeln. Ihr Anliegen ist in beiden Fällen die Sicherung der Chancengleichheit von Unternehmen,Footnote 61 wobei in letzterem Fall dem Umstand innerhalb des Wettbewerbsverständnisses Rechnung zu tragen ist, dass ein staatlicher Akteur unmittelbar beteiligt ist. Grundsätzlich kann somit im Rahmen dieser Untersuchung zwischen Regelungen mit und ohne unmittelbare StaatsbeteiligungFootnote 62 unterschieden werden. Die Besonderheit der hier zu begutachtenden VO 2022/2560 liegt auch darin, dass diese grundsätzlich getrennten Blickwinkel miteinander kombiniert, sodass abstrakt die Frage nach beiden Blickwinkeln gestellt werden soll.

3.1 Rückschlüsse aus dem nicht staatsbezogenem Wettbewerbsrecht

In der Konkretisierung der im höchsten Maße konkretisierungsbedürftigen Generalklauseln des Wettbewerbsrechts,Footnote 63 hat sich schon früh erkennen lassen, dass die EU-Kommission das System unverfälschten Wettbewerbs von Beginn an als ein dynamisches Integrationssystem verstanden hat, das heißt als einen institutionellen Rahmen, innerhalb dessen ein zukunftsoffener Prozess des Rivalisierens voneinander unabhängiger Marktteilnehmer ermöglicht wird, der aufgrund von Leistungsanreizen und Anpassungsdruck langfristig effiziente gesamtwirtschaftliche Ergebnisse gewährleistet.Footnote 64 Von Beginn an stand der Schutz der Rivalität von Marktakteuren, Ökonomen würden wohl eher von Konkurrenz sprechen, im Zentrum des Wettbewerbsverständnisses der Kommission.

Die Kommission greift somit die zuvor beschriebenen Punkte der Prozesshaftigkeit, der Konkurrenzsituation und der individuellen Einsatzbereitschaft auf. In der Leitlinie der Kommission zur Anwendung vom Art. 81 Abs. 3 EGV (jetzt Art. 101 Abs. 3 AEUV) aus dem Jahre 2004 stellte die Kommission hierzu fest, dass „die Rivalität zwischen Unternehmen eine wesentliche Antriebskraft für die wirtschaftliche Effizienz, einschließlich langfristiger dynamischer Effizienzsteigerungen in Form von Innovationen ist. Mit anderen Worten, der Schutz des Wettbewerbsprozesses bleibt das eigentliche Ziel (…) und zwar nicht nur auf kurze, sondern auch auf lange Sicht.“Footnote 65

Heute beherrscht die Efficiency-Doktrin in Gestalt der modernen ökonomischen Wohlfahrtstheorie angloamerikanischer Prägung die Wettbewerbspolitik der EU-Kommission. Dieser Doktrin zugrunde liegt ein rein instrumentales Verständnis des Wettbewerbs, das in dem Wettbewerb nur noch ein Mittel unter anderem zur Steigerung der allgemeinen (Konsumenten-) Wohlfahrt (vgl. hierzu die oben dargestellte Theorie der Chicago-School) sieht, gemessen in der Regel ganz vordergründig an dem Niveau der Verbraucherpreise.Footnote 66 Diese Ausrichtung stellt eine Abkehr von der früheren Praxis dar, die allein auf bestimmte, als wettbewerbswidrig einzustufende Verhaltenstypen abstellte – sog. form based-Ansatz.Footnote 67 Kritiker führen gegen die Erhebung von Effizienzvorteilen als den alleinigen Maßstab der Wettbewerbspolitik an, dass niemand in der Lage ist, vorherzusagen, welches Verhalten konkret am Markt beobachtet werden muss, damit die angestrebte Effizienz auch tatsächlich eintritt.Footnote 68 Aus rechtlicher Sicht dürfte das damit einhergehende Prognoserisiko gegen eine „effect-based“ Rechtsanwendung sprechen. Unternimmt man den Versuch, das Wettbewerbsverständnis der EU-Kommission auf einen Nenner zu bringen, so erscheint dieses Ziel utopisch. Besonders hinsichtlich der hier relevanten Frage des Umgangs mit drittstaatlichen Subventionen verstärkt eine notwendige Prognosebetrachtung die Schwierigkeit einer Bewertung erheblich. Anders als etwa mitgliedstaatliche Beihilfen folgen drittstaatliche Subventionen nicht zwangsläufig marktwirtschaftlichen Überlegungen, wobei gerade diese Feststellung bereits an der Sinnhaftigkeit einer versuchten völligen Gleichstellung der jeweiligen Regulierung zweifeln lässt.

Mit Veröffentlichung des Weißbuchs von 1999 über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Art. 85 und 86 EG-VertragFootnote 69 (heute Art. 101 und 102 AEUV) plädierte die Kommission, in Anlehnung an die ökonomischen Erkenntnisse, für einen „more economic approach“ bei der Beurteilung von Verhaltensweisen im nicht staatsbezogenen Wettbewerbsrecht. Anders als bei der Berücksichtigung von Effizienzvorteilen im Rahmen der Legalausnahmen bei Art. 101 Abs. 3 AEUV, geht es primär um die Berücksichtigung ökonomischer Kriterien bereits auf der Ebene der Verbotstatbestände. Es geht der Kommission also nicht (mehr) bloß um die allgemeine konsentierte abstrakte Feststellung, dass der funktionsfähige Wettbewerb die gesamtwirtschaftliche Effizienz und insbesondere die Wohlfahrt der Verbraucher fördert, sondern um die Verwendung der Konsumentenwohlfahrt als wettbewerbliches Beurteilungskriterium im konkreten Einzelfall.Footnote 70 Die Steigerung der Konsumentenwohlfahrt war somit das Ziel, das durch die Spielregeln erreicht werden soll. Hiermit einher ging auch die Überlegung, dass Eingriffe ausbleiben können, wenn weniger Wettbewerb für den Konsumenten besser ist als mehr Wettbewerb.

Der Gerichtshof hat hierzu jedoch entschieden, dass Art. 81 EG (heute Art. 101 AEUV), wie auch die übrigen Wettbewerbsregeln des Vertrags, nicht nur dazu bestimmt ist, die unmittelbaren Interessen einzelner Wettbewerber oder Verbraucher zu schützen, sondern auch die Struktur des Marktes und damit den Wettbewerb als solchen.Footnote 71 Daher setzt die Feststellung, dass mit einer Vereinbarung ein wettbewerbswidriger Zweck verfolgt wird, nicht voraus, dass dadurch den Endverbrauchern die Vorteile eines wirksamen Wettbewerbs hinsichtlich der Bezugsquellen oder der Preise vorenthalten werden.Footnote 72 Der EuGH schränkt insoweit die Ansätze der Kommission deutlich ein. Gleiches gilt in seiner Rechtsprechung zu Art. 102 AEUV, aus welcher sich ergibt, dass Art. 102 AEUV nicht nur Verhaltensweisen erfasst, durch die den Verbrauchern ein unmittelbarer Schaden erwachsen kann, sondern auch solche, die sie durch die Beeinträchtigung des Wettbewerbs schädigen.Footnote 73

Der Schutz des Wettbewerbsprozess bedingt gleichzeitig den Schutz seiner Funktionsvoraussetzungen, also zum einen die Wettbewerbsfreiheit der Marktteilnehmer im Sinne ihrer Selbständigkeit (Entscheidungsautonomie bzw. Selbstständigkeitspostulat), zum anderen der Anpassungsdruck, der bei hinreichend offenen Marktstrukturen vom Wettbewerb ausgeht und der eine entsprechende Disziplinierung der Marktteilnehmer bewirkt.Footnote 74 Auch der EuGH betont die (unternehmerische) Autonomie als grundlegenden Garanten für wirksamen Wettbewerb, welche auf beiden Marktseiten vorhanden sein muss.Footnote 75

Die Beurteilung der Rechtsprechung liegt somit verstärkt auf dem Wort „System“ unverfälschten Wettbewerbs als einzig an der Orientierung an der individuellen (Konsumenten) Wohlfahrt. Dem Ansatz, die Wettbewerbsregeln rein an der Konsumentenwohlfahrt auszurichten, erteilt der EuGH wiederum eine Absage, wenn er etwa zu Art. 101 Abs. 1 AEUV feststellt, dass wettbewerbswidrige Zwecke nicht voraussetzen, dass die Vereinbarung Nachteile für die Endverbraucher beinhalten.Footnote 76

3.2 Rückschlüsse aus dem staatsbezogen Wettbewerbsrecht

Mitgliedsstaatliche Beihilfen sind als politisches Lenkinstrument des Staates heute nicht mehr wegzudenkenFootnote 77 und erheben damit (zurecht) einen Anspruch auf eine wesentlich größere dimensionale Bedeutung. Diese Reichweite und die oft politisch motivierten Ziele, man denke etwa an die zu der Zeit dieser Arbeit verbreitete Corona-Pandemie und deren Folgen, können bei der rechtlichen Beurteilung und der Bewertung einer potenziellen Wettbewerbsverzerrung nicht außer Acht gelassen werden. Dies erscheint im hiesigen Kontext umso wichtiger, als dass die regelungstechnische Nähe zur VO 2022/2560, die den Umgang mit drittstaatlichen Subventionen regelt, unübersehbar ist. Gleichzeitig folgt hieraus nicht, dass die EU-Primärrechtsgrundsätze zum Beihilferecht eins zu eins auf die Beurteilung einer Regulierung drittstaatlicher Subventionen übertragen werden können. Auch hierin begründet sich die Unmöglichkeit der völligen Gleichstellung beider Sachverhalte. Anders als mitgliedsstaatliche Beihilfen, die einerseits den Wettbewerb erheblich verfälschen, andererseits aber ein wirksames Förderinstrument hinsichtlich anderer ZieleFootnote 78 sein können, können drittstaatliche Subventionen letzteres nicht in gleicher Weise.

Auch zum Beihilferecht findet sich keine Legaldefinition des Wettbewerbsbegriffs. Im Lichte des bereits erarbeiteten Zwischenergebnisses verwundert dies jedoch auch nicht. In der Literatur wird versucht den wettbewerblichen Zweck des Beihilfenverbots (Art. 107 Abs. 1 AEUV) mit der Sicherung des freien Spiels der Kräfte am Markt zusammenzufassen. Die Wirtschaftsteilnehmer sollen durch die Freiheit von staatlichem Einfluss dazu gebracht werden, ihre Ressourcen bestmöglich zu nutzen und so den Wohlstand auch der Verbraucher zu steigern.Footnote 79 Insoweit werden von dieser Zielbetrachtung nicht nur die Kernaspekte der ökonomischen Wettbewerbsdefinition tangiert, sondern auch Aspekte des nicht staatsbezogenen Wettbewerbsrecht übernommen. Beide Blickrichtungen zielen in einem solchen Verständnis auf die Wahrung der individuellen Handlungsfreiheit auf einen unverfälschten, da von staatlichen Verzerrungen möglichst befreiten Markt, ab.

Eine Wettbewerbsverfälschung soll vorliegen, wenn eine vom Mitgliedsstaat gewährte Beihilfe die Wettbewerbsposition des Empfängers gegenüber seinen Wettbewerbern verbessert.Footnote 80 Nach Ansicht der EU-Kommission liegt eine Wettbewerbsverfälschung bereits dann vor, wenn der Staat einem Unternehmen, das in einem liberalisierten Wirtschaftszweig im Wettbewerb steht oder stehen könnte, einen finanziellen Vorteil gewährt.Footnote 81 Dabei hält es die Kommission für wichtig, den Prozess des natürlichen Ausscheidens weniger effizienten Unternehmen grundsätzlich nicht durch staatliche Eingriffe zu verfälschen, da Wettbewerb ein Umfeld schaffen soll, in dem effizient arbeitende und innovative Unternehmen entsprechend belohnt werden.Footnote 82 Die „Kräfte des Marktes“Footnote 83 seien grundsätzlich zu schützen.

Im Vergleich zu den zuvor gemachten Ausführungen zum nicht staatsbezogenen Wettbewerbsrecht, erscheint dies wie ein klares Bekenntnis zur klassischen Ökonomik abseits eines modernen Wettbewerbsbegriffsverständnisses. Die Ausrichtung der Kommission erscheint weniger an „modernen“ Merkmalen wie der Verbraucherwohlfahrt orientiert als an „klassischen“ Merkmalen der Diskriminierung von Wirtschaftsteilnehmern, und damit an dem wohl auch praktisch greifbareren unmittelbaren Marktgeschehnissen, welche man in Anlehnung an obige Ausführungen wohl auch als Sicherung der individuellen und unverfälschten Handlungsfreiheit zusammenfassen könnte. Auch wenn das Kernkriterium der Kommission folglich mehr das System Markt an sich als die Auswirkung auf den Verbraucher zu sein scheint, so handelt die Kommission in letzter Zeit nach eigenen Aussagen stets in der Vorstellung, die Nutzenmaximierung für die Bürger anzustreben, sieht den wesentlichen Faktor hierfür aber in der Sicherung funktionierender Märkte.Footnote 84 Im Ergebnis kann hier somit nicht von der gleichen Intensität der Ausrichtung auf den Verbraucher selbst gesprochen werden, als dies im nicht staatsbezogenen Wettbewerbsrecht der Fall scheint.

Anders als im nicht staatsbezogenen Wettbewerbsrecht lässt sich im Beihilferecht keine Diskrepanz zwischen der Anwendungspraxis der EU-Kommission und der Rechtsprechung des EuGHs erkennen. Mit seinem von Anfang an sehr weitem Verständnis des Beihilfebegriffs,Footnote 85 versucht der EuGH offensichtlich den Anwendungsbereich zugunsten des Beihilfeverbots generell möglichst weit zu fassen, um den Marktkräften ein möglichst freies Spiel zu lassen. Gleichzeitig ist aber auch hier das oben angeführte und in ständiger Rechtsprechung etablierte weite Ermessen der Kommission maßgeblich. Solange der EuGH der Kommission ein solches weites Ermessen zubilligt, ist er auf die Bewertung von Ermessensfehlern beschränkt.

3.3 Schlussfolgerung u. Ausblick auf die zu begutachtende Rechtsverordnung

Zum Abschluss des Kapitels sei nun also versucht, eine Schlussfolgerung für die weitere Untersuchung der VO 2022/2560 zusammenzufassen. Ausgehend von der Frage, welches Wettbewerbsverständnis die EU in ihrer Handlung und ihren Entscheidungen zugrunde legt, konnte gezeigt werden, dass die These der Uneinheitlichkeit zu bestätigen ist. Der Begriff des Wettbewerbs im europarechtlichen Sinne lässt sich nicht nur nicht definieren, es lässt sich auch kein abschließendes, generelles Wettbewerbsverständnis isolieren. Allerdings zeigt sich, aufbauend auf eher klassischen Wettbewerbsansätzen, in den letzten Jahren die Tendenz zu einer stärkeren Verbraucherausrichtung und Individualisierung in den beiden hier relevanten Wettbewerbsrechten auf Seiten der Kommission. Der EuGH scheint sich zumindest indirekt stets an den Wortlaut der Verträge zu erinnern und somit das System Markt mehr in den Fokus zu rücken. Diese Unschärfen sind folglich auch darin begründet, dass der Begriff des Wettbewerbs nicht eindeutig zu bestimmen ist.

Wenngleich dieses Ergebnis unbefriedigend erscheint, so lässt sich doch die Erkenntnis gewinnen, dass gerade die fehlende Stringenz und die immer wieder unterschiedlichen Begründungsansätze der EU eine gewisse Flexibilität einräumen, um den (unstrittigen) Wettbewerbsprozess stets zeitgemäß zu beeinflussen. Somit kann festgehalten werden, dass die Überprüfung der VO 2022/2560 auf seine Ziel- und Zweckgerichtetheit nicht abschließend, sondern nur im Lichte der hier aufgestellten Grundsätze und Referenzen erfolgen kann. Die Spielregeln sollen so ausgestaltet werden, dass der so umrissene Wettbewerb gesichert werden kann, ohne dabei wiederum zu stark in den Wettbewerb einzugreifen. Dies wird schließlich der Maßstab der VO 2022/2560 sein.

4 Das Schutzgut der Binnenmarktfragmentierung

Neben dem zuvor erörterten Schutzgut des Wettbewerbs an sich, schützt das Ziel zur Erreichung, Errichtung und der Abwehr ungerechtfertigter Verzerrungen des EU-Binnenmarkts, auch vor seiner eigenen Fragmentierung. Ist das erklärte Ziel der Verträge, einen gemeinsamen, einheitlichen und offenen Markt innerhalb der gesamten Union zu schaffen, so ist der Wettbewerbsschutz auf diesem Markt untrennbar mit dem Ziel zur Sicherung der Einheit des Markes verbunden. Die Wettbewerbsregeln sollen dabei auf dem Binnenmarkt einen unverfälschten und wirksamen Wettbewerb gewährleisten und zur Integration der einzelnen europäischen Volkswirtschaften beitragen,Footnote 86 wobei der Schutz auch insoweit besteht, wie er einzelnen Marktteilnehmern (insb. den Verbrauchern) zugutekommt.Footnote 87 Als Kern des in den Verträgen angelegten Systems, welches den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt, dienen insbesondere die Grundfreiheiten der „Beseitigung der bestehenden Hindernisse“, d. h. der Schaffung eines einheitlichen Marktes, wie der „Gewährleistung eines freien, redlichen Wettbewerbs“ als selbsttätiges Steuerungsinstrument für alle wirtschaftlichen Aktivitäten in diesem Markt.Footnote 88

Insoweit dienen Maßnahmen, die zum Abbau oder zur VerringerungFootnote 89 einer Fragmentierung auf dem EU-Binnenmarkt führen, somit auch dem Wettbewerbsschutz an sich. Neben dem Schutz des Systems Binnenmarkt an sich, ist er zugleich auch dagegen geschützt, dass die Mitgliedstaaten ihn durch Schutz ihrer heimischen Marktteilnehmer fragmentieren, worin schließlich die Existenzbegründung des europäischen Beihilferechts liegt. Schwieriger – und im Rahmen dieser Arbeit zu klären – ist die Frage, inwieweit der Binnenmarkt nunmehr auch gegen politisch-strategische Einflussnahme von Drittstaaten geschützt ist und warum gerade keine völlige Regelungsgleichheit zum Beihilferecht hergestellt werden kann. Aus binnenmarktbezogener Perspektive hat die deutsche Monopolkommission bereits zustimmungswürdig erörtert, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Marktöffnung das Schutzgut des unverfälschten Wettbewerbs in rechtserheblicher Weise beeinträchtigen kann.Footnote 90 Einheitliche Schutzregeln gegen eine solche Beeinträchtigung wirken somit auch der Fragmentierung des Binnenmarkts entgegen.