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Geschichte Meuterer der „Batavia“

Gefügig gemacht, „das zu tun, wofür wir Frauen aufgespart haben“

Im Juni 1629 lief die niederländische „Batavia“ vor der Küste Australiens auf ein Riff. Knapp 300 Menschen konnten sich auf kleine Inseln retten. Dort errichtete der Unterkaufmann Cornelisz ein Terrorregime, dem Hunderte zum Opfer fielen.
Freier Autor Geschichte
Massacre of the Batavia's survivors on Beacon Island Massacre of the Batavia's survivors on Beacon Island
Um Vorräte zu sparen und ihre Allmacht zu demonstrieren, brachten Jeronimus Cornelisz und seine Anhänger viele Menschen um
Quelle: Wikipedia/Public Domain

In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war die Vereenigde Oostindische Compagnie der Niederlande (VOC) das einträglichste und reichste Unternehmen des Planeten. Ihre Flotten transportierten die Gewürze des Indonesischen Archipels und weitere Schätze Asiens nach Amsterdam, von wo aus sie weitergehandelt wurden und märchenhafte Gewinne erzielten. Davon zeugen noch heute die Kaufmannspaläste an den Grachten der Stadt (siehe Kasten).

Aber nur wenige ihrer Besitzer waren bereit, sich selbst auf die 13.000 Meilen lange Fahrt nach Ostindien zu machen und im Handelszentrum Batavia auf Java, dem heutigen Jakarta, die Geschäfte zu führen. Das überließ man angestellten Kaufleuten, Kapitänen und, wie es Zeitzeugen ausdrückten, „verkrachten Existenzen“, Menschen, für die „Fluchen, Hurerei, Ausschweifungen und Mord nur Bagatellen“ waren. Wie gefährlich die Route der großen Schätze war, mussten die 340 Passagiere und Besatzungsmitglieder der „Batavia“ erfahren. Sie strandeten am 4. Juni 1629 auf einem Südseeparadies, das ein VOC-Mitarbeiter umgehend in eine Hölle verwandelte.

Lelystad: Bataviawerft, rekonstruierte „Batavia" der Ostindien-Kompanie
Der Nachbau der "Batavia" ist eine Attraktion von Lelystad
Quelle: picture alliance / DUMONT Bildarchiv

Dieser Mann hieß Jeronimus Cornelisz. Als Sohn einer wohlhabenden Familie aus der Provinz Friesland um 1598 geboren, hatte er eine breite Schulbildung genossen, mit der er es zum Inhaber einer Apotheke in Haarlem brachte. Mehrere Schicksalsschläge nahmen ihm Familie und Geschäft, sodass er sich um eine Stelle bei der VOC bewarb. Er überzeugte mit seinem gewandten Auftreten und erhielt den Auftrag, sich im Rang eines Unterkaufmanns mit der „Batavia“ in Richtung Ostindien einzuschiffen.

Für das neue 100.000 Gulden teure „Retourschip“, wie die großen Ostindienfahrer genannt wurden, sollte es die Jungfernfahrt sein. Der rund 50 Meter lange Dreimaster verdrängte 1200 Tonnen, konnte 350 Menschen samt Versorgungsgütern und Handelswaren transportieren und war mit rund 30 Geschützen bestückt. Damit war die Galeone allen anderen Schiffstypen im Indischen Ozean überlegen, zumal sie nicht allein, sondern als Flaggschiff einer sechs Schiffe umfassenden Flottille eingesetzt wurde. Zum Kapitän wurde Ariaen Jakobsz bestellt, ein erfahrener Seemann, der allerdings dem Oberkaufmann Francisco Pelsaert unterstellt war, der das Kommando über das Unternehmen führte. Als sein Stellvertreter diente Jeronimus Cornelisz.

Am 29. Oktober 1628 lichteten die „Batavia“ und ihre Begleitschiffe bei Texel die Anker. In den sechs Monaten bis zum Kap der Guten Hoffnung verlief die Reise ohne nennenswerte Ereignisse, was heißt, dass das Wasser knapp wurde, die Stimmung gereizt war und einige Passagiere an Krankheiten, Strapazen und Skorbut zugrunde gingen. Allerdings nutzten Cornelisz und Jakobsz die Langeweile der Reise, um sich anzufreunden.

Deren Basis wurde ein Geschäft. Der als Schwerenöter und Choleriker bekannte Kapitän fühlte sich wegen der Zurückweisung durch eine mitreisende Dame schwer gekränkt und sann auf Rache. Der Unterkaufmann verfiel auf die Idee, sich durch eine Meuterei in den Besitz der mitgeführten Schätze im Wert von 400.000 Gulden zu bringen und anschließend mit der „Batavia“ eine Karriere als Pirat zu starten. Einige Besatzungsmitglieder, auf die die oben erwähnten Charaktereigenschaften zutrafen, waren schnell für den Aufstand gewonnen, der ihnen eine Flucht aus der schlecht bezahlten Eintönigkeit versprach.

Quelle: Infografik WELT

Doch dazu kam es nicht mehr. Im Indik wurde das Schiff von seinen Begleitern getrennt. Mangels exakter Seekarten lief die „Batavia“ westlich von dem damals noch unbekannten Australien in schwerer See auf ein verdecktes Korallenriff. Einige Menschen starben an Bord oder bei dem Versuch, sich schwimmend auf die nahen Abrolhos-Inseln zu retten. Aber mit Hilfe der beiden Beiboote gelang es, etwa 180 Männer und Frauen auf eine Insel zu schaffen, die den durchaus passenden Namen Batavia-Friedhof erhielt. 70 weitere, darunter Cornelisz und die meisten der zur Meuterei Entschlossenen, hielten auf dem Wrack aus, während Pelsaert, Jakobsz und die meisten Offiziere und Seeleute, etwa 50 Mann, mit dem Gros der geretteten Vorräte auf einem Eiland in Sichtweite des Wracks Zuflucht fanden.

Vor die Wahl gestellt, sich an die Spitze der Gestrandeten zu stellen oder mit dem Kapitän und den bei ihm gebliebenen Besatzungsmitgliedern mit dem größeren Beiboot bis zum 1500 Meilen entfernten Java zu segeln und Hilfe zu holen, entschied sich der Oberkaufmann für die zweite Option. Wahrscheinlich half ihm bei der Entscheidung die Aussicht auf die überschaubaren Überlebenschancen auf der an Wasser und Nahrung recht armen Inseln. Als das Wrack am 12. Juni endgültig auseinanderbrach, gelang es 20 seiner Besatzer, den Batavia-Friedhof lebend zu erreichen. Der letzte soll Cornelisz gewesen sein.

Schnell gelang es ihm, die Führung der Gemeinschaft zu übernehmen. Dabei halfen ihm sein sozialer Rang, seine Rhetorik und die Männer, die er bereits für seinen Putsch auf der „Batavia“ rekrutiert hatte. Mit der Vision, das Schiff, das zu ihrer Rettung auftauchen würde, zu kapern, die Schätze der „Batavia“ zu heben und mit beidem das unbeschwerte Leben von Piraten zu führen, band er sie noch enger an sich. Gemeinsam errichteten sie ein Terrorregime.

Die Batavia läuft auf das Riff auf
Etwa 270 Passagiere und Besatzungsmitglieder konnten sich auf die Inseln des Abrolhos-Archipels retten
Quelle: Wikipedia/Public Domain
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Um die knappen Vorräte an Regenwasser – eine Quelle gab es auf dem Batavia-Friedhof nicht – und Nahrungsmitteln (neben geborgenen Vorräten der „Batavia“ vor allem Vögel und Fische) zu schonen, ging der Unterkaufmann daran, die Leute, die sich ihm widersetzten, zu beseitigen. Einige Dutzend wurden mit Flößen und selbst gebauten Booten zur vermeintlichen Erkundung auf eine benachbarte Insel gebracht und dort allein gelassen. Andere wurden auf diesen „Exkursionen“ einfach umgebracht, und es wurde behauptet, sie würden als Wachen bei ihren Funden bleiben.

Aber bald ahnten die Zurückgebliebenen die wahren Gründe für das Verschwinden. Hinzu kam, dass die Männer „zum ersten Mal in ihrem Leben die völlige Freiheit von allen Beschränkungen, denen sie bislang unterlegen waren“, erfuhren, schreibt der britische Historiker Mike Dash in seiner Studie über den „Untergang der ,Batavia’“. Sie erhielten bessere Rationen und drohten jedem und jeder, der sich ihnen widersetzte, „eins auf die Ohren“ zu geben, erinnerte sich ein Überlebender.

Dabei blieb es nicht. Um Leute dazu zu bewegen, sich ihnen anzuschließen, wurden Angehörige oder Freunde vor ihren Augen ermordet. Einer „prahlte, das Schwert sei durch das Opfer hindurchgegangen wir Butter“, erinnerte sich ein Zeuge. Als Beweise ihrer Loyalität mussten die Überläufer Mordaufträge erfüllen. Um die Zahl der Esser zu reduzieren, wurden die Kranken umgebracht. Oder Cornelisz erinnerte sich seiner Kenntnisse als Apotheker und verabreichte vergiftete Getränke. Dem Befehl „Schneid den Frauen die Kehle durch“ fielen im Juli vier Frauen und etwa 15 Jungen zum Opfer. Andere wurden durch eine Morddrohung gefügig gemacht, „das zu tun, wofür wir die Frauen aufgespart haben“. Wenn nur sie gezwungen wurden, Konkubine eines höherrangigen Meuterers zu sein, hatten sie Glück.

Batavia, heute Jakarta (Indonesien), (1619 von der Niederländischen Ostindien-Kompanie (niederl.: Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC) gegründet; Hauptquartier der Handelsschifffahrt der VOC), Festung. "Het kasteel van Batavia" (Die Festung von Batavia). (Im Vordergrund der Markt, im Hintergrund die Festung der VOC). Gemälde, 1661, von Andries Beeckman (gest. 1664). Öl auf Leinwand, 108 x 151,5 cm. Inv. SK-A-19 Amsterdam, Rijksmuseum.
Batavia (heute Jakarta) war das Zentrum der VAC in Ostindien
Quelle: picture alliance / akg-images

Mordlust und Allmachtsfantasien von Cornelisz und seinen Leuten erhielten jedoch einen Dämpfer, als der Versuch scheiterte, auf einer Nachbarinsel Wasser zu finden. Dort hatten sich nämlich einige Dutzend kampferprobte Soldaten und Seeleute von dem gestrandeten Schiff verschanzt, die die Meuterer auf einer Schein-Exkursion zurückgelassen hatten. Die Männer hatte sich daraufhin mit improvisierten Waffen ausgerüstet und wurden von Flüchtlingen über die Vorgänger auf dem Batavia-Friedhof informiert. Sie konnten den Angriff der Meuterer zurückgeschlagen und Cornelisz gefangennehmen.

Ein neuer Landungsversuch von seinen Männern hätte Mitte September fast zum Erfolg geführt. Doch veränderte die Rückkehr von Francisco Pelsaert schlagartig die Lage. Der Oberkaufmann hatte mit seinen Leuten tatsächlich die niederländische Niederlassung Batavia auf Java erreicht, wo man gerade eine Belagerung durch Einheimische überstanden hatte. Der Generalgouverneur stattete den Oberkaufmann mit dem Schiff „Sardam“ und Verstärkungen aus. Kapitän Jakobsz landete im Gefängnis, weil ihm die fehlerhafte Navigation, die zum Schiffbruch der „Batavia“ geführt hatte, zur Last gelegt wurde.

In einem regelrechten Wettlauf gelang es dem Anführer der Soldaten, Pelsaert vor den Meuterern zu erreichen und ihn über die Lage aufzuklären. Seiner Truppe gelang es, die Mörder gefangenzunehmen. Den meisten, allen voran Cornelisz, wurde der Prozess gemacht, der mit dem Todesurteil und der Hinrichtung am Galgen endete. Zuvor hatte man ihm die Hände abgeschnitten. Einige seiner Spießgesellen wurden erst in Batavia gehängt oder auf das Rad geflochten. Zwei ließ man an der Küste Australiens zurück, wo sie Kontakt mit den Einheimischen aufnehmen sollten. Sie gelten als die ersten europäischen Siedler auf dem Fünften Kontinent. Sie wurden nie mehr gesehen.

Cornelisz wird auf der Insel gehenkt; die anderen Mitläufer in Java verurteilt und teilweise zu Tode gefoltert
Cornelisz und seine Spießgesellen wurden zum Tode verurteilt
Quelle: Wikipedia/Public Domain

Als die „Sardam“ im November 1629 Richtung Java in See stach, hatte sie 77 Überlebende der „Batavia“ an Bord. 45 hatten auf dem Hohen Land überlebt, drei hatten Pelsaert nach Java begleitet, die übrigen waren Mitglieder von Cornelisz Bande, unfreiwillige Mitläufer oder Konkubinen der Meuterer. Nur fünf Frauen und ein oder zwei Kinder hatten den Terror überstanden sowie ein halbes Dutzend Männer, die keinen Treueschwur auf den Unterkaufmann geleistet hatten und die als Köche, Küfer oder Zimmerleute am Leben gelassen worden waren.

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Über die Motive des Jeronimus Cornelisz ist viel gerätselt worden. Pelsaert nannte ihn „einen Tiger, der sich jeder Menschlichkeit entblößt“ und „alles ohne wirklichen Hunger und Durst, nur aus reiner Blutrünstigkeit“ getan habe. Der Historiker Mike Dash kommt zu dem Schluss, dass der Ex-Apotheker aus Haarlem ein narzistischer Psychopath gewesen ist, den die Überzeugung, über allen Regeln zu stehen, zu einem erbarmungslosen Mörder gemacht hat.

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