Ein Genie und seine Kinder: Brecht
Christian Mini-Kosmos





Und �ber uns im sch�nen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah.
Sie war sehr wei� und ungeheuer oben.
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.




Kinder eines Genies



�Sein Leben war so chaotisch, dass er daran fast zugrunde gegangen w�re�

Vermutlich, meint Stephen Parker, muss man als Brecht-Forscher ein ruhiger und ausgeglichener Mensch sein, denn der Gegenstand liefert so viel in verschiedenste Richtung strahlende Energie, produktive wie destruktive Kr�fte, dass man sich ihm nur im Modus der Selbstbeherrschung n�hern sollte.

Bertolt Brecht war ein Mensch und K�nstler der Extreme, sein Jugendfreund Caspar Neher hat ihn als �Hydratopyranthropos�, als �Wasser-Feuer-Mann� bezeichnet. Stephen Parker - er hat 2018 eine Biografie Brechts ver�ffentlicht - ist Germanist an der Universit�t Manchester, spricht im Interview ganz ruhig und leise, sein vorherrschendes Gef�hl ist Neugier.

WELT: Professor Parker, ist Ihnen Brecht eigentlich sympathisch?

Parker: Brecht ist vor allem widerspr�chlich. Ich versuche, eine gewisse Empathie aufzubringen. Brecht war ein gro�er K�nstler mit ganz offensichtlichen Schw�chen.

WELT: Wenn Sie eine Zeitreise machen k�nnten, welchen Brecht w�rden Sie gern treffen? Den jungen, den der Zwanzigerjahre, den Exilanten, den sp�ten?

Parker: Wenn ich etwas j�nger w�re, w�rde ich unbedingt beim jungen Brecht in seinem Augsburger Freundeskreis mitmachen wollen. Unbedingt! Das �Baalische Weltgef�hl�, von dem sein Freund Hanns Otto M�nsterer gesprochen hat, das h�tte man erleben m�ssen. Aber ich bin ja heute �lter als je Brecht wurde. Also w�re ich lieber in Ost-Berlin an seiner Seite gewesen, um ihn besser verstehen zu k�nnen.

WELT: Erscheint Ihnen der �ltere Brecht r�tselhafter?

Parker: Nein, alles reicht sehr weit zur�ck. Die Verhaltensmuster, die er noch in der fr�hen DDR zum Vorschein bringt, kann man nur vor dem Hintergrund von fr�heren Erfahrungen erfassen. Vor allem dieses Oszillierende, Hin- und Herschwingende in seinem Verhalten. Schon ein Mitsch�ler hat Brecht als �vorlaut und zur�ckhaltend zugleich� charakterisiert. Dieser Gegensatz hat sich im Laufe der Zeit verwandelt, etwa in seinen Taoismus, dem Wechselspiel von Handeln und Nichthandeln.

WELT: Seine langj�hrige Sekret�rin und Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann, sein �Chief Girl�, formuliert einmal, Brecht habe �grobe� Dinge gesagt, �doch sehr h�flich�. War das eine Maske?

Parker: Das w�rde zu kurz greifen. Diese beiden Aspekte, das Vorlaute und das Reservierte, konnten als Maske eingesetzt werden. Aber sie waren beide Bestandteil seiner komplizierten Pers�nlichkeit.

WELT: Helmut Lethen hat in seinem Buch �Verhaltenslehren der K�lte� den �coolen� brechtschen Habitus als generationentypisch beschrieben: Eine ganze Generation, die traumatisiert aus dem Weltkrieg kommt, legt sich Panzerungen und Masken um ihre verwundeten Seelen, wie Brecht seine notorische Lederjacke.

Parker: Eine zentrale Erfahrung f�r Brecht. Er hat nicht an der Front gedient, war aber Sanit�tssoldat und hat Schreckliches gesehen, Schwerverletzte, Amputationen. In einem sp�teren Brief an seinen Sohn Stefan stellt er die zentrale Frage: �Wie konnte man unempfindlich werden?� Brecht hat fr�h die Erfahrung gemacht, dass man sich sch�tzen muss. Er hatte eine sehr d�nne Haut und musste sich eine dicke Haut zulegen. Um 1916 erfindet er sich neu, der im Krieg verwundete Caspar Neher spielt eine wichtige Rolle. Und von da an schreibt Brecht �ber wilde Abenteurer und harte M�nner, die Pr�fungen standhalten m�ssen.

WELT: Aber es ist ja nicht nur Projektion. Er hat ja selbst diesen Machismo im Privaten auch gelebt.

Parker: Das sitzt bei ihm tief im Fleisch. F�r Brecht spielt auch der Tod der Mutter 1920 eine zentrale Rolle. Unmittelbar danach ist er sehr aggressiv geworden, hat seinen alten Freundeskreis zerschlagen. Er war ein angry young man, in der Zeit vom Kriegsende bis etwa 1923/24, wo es dann nicht mehr so weiterging. Er musste eine neue Gem�tslage finden. Dazu geh�rte auch die Vertiefung in chinesische und antike Philosophie, die Besch�ftigung mit Montaigne und Hegel. Ataraxie, Gelassenheit, wird immer wichtiger, erst recht dann sp�ter in der Emigrationszeit.

WELT: Brecht und Gelassenheit?

Parker: F�r einen sozialen Umgang �berhaupt war das notwendig. Er litt fr�h unter Chorea minor, zwanghaftem Zittern und Zuckungen. Wenn er �ffentlich in Erscheinung treten wollte, musste er Mittel finden, um das zu lindern. Diese Krankheit hat ihn sein Leben lang begleitet.

WELT: In einer Biografie geht es immer um Kontinuit�t und Bruch. Oberfl�chlich gesehen gibt es bei Brecht viele Br�che, radikale Kehrtwendungen in �sthetischen und politischen Konzepten. Sie betonen aber eher tiefer liegende Kontinuit�ten, und hier spielen seine Krankheiten, das Bewusstsein seiner fragilen K�rperlichkeit eine zentrale Rolle.

Parker: Eine gro�e Frage der Brecht-Forschung lautet, warum sich Mitte der Zwanzigerjahre auf einmal alles �ndert. Traditionell hat man daf�r seine Entdeckung des Kommunismus verantwortlich gemacht. Aber das kam erst danach. Brecht selbst spricht im Sommer 1925 von der notwendigen �Regelung der Appetite�. Er hat eingesehen, dass er sehr fr�h sterben w�rde, wenn er sein Leben nicht �ndern w�rde. Das war so chaotisch geworden, dass er daran fast zugrunde gegangen w�re. Das betraf seinen Alltag, seinen Lebenswandel, inklusive seiner ganzen Aff�ren.

WELT: Er stellte seinen Tagesablauf um, steht fr�h auf, setzt sich an den Schreibtisch, verzichtet auf Alkohol. Sein turbulentes Beziehungsleben �ndert sich nicht.

Parker: Er kann sich nicht z�hmen. Lion Feuchtwanger hat das gut erkannt in einem Brief an Arnold Zweig nach Brechts Tod: �Auch h�tte er es nie ertragen, so ruhig und vorsichtig zu leben, wie man es ihm sehr fr�h schon empfohlen hatte.� Er hat es immer wieder versucht, einiges erreicht, aber sich richtig zu m��igen, das war ihm nicht gegeben.

WELT: In diesem Zusammenhang zitieren Sie Elias Canettis wunderbare Einsch�tzung Brechts, der hungrig und asketisch zugleich wirkte: �Der Hunger konnte auch als Fasten erscheinen, als enthalte er sich mit Absicht der Dinge, die Gegenstand seiner Gier waren.�

Parker: Da hat Canetti etwas sehr genau gesehen.

WELT: Vielleicht weil Canetti selbst so ein notorischer Frauenverbraucher war. Was Brecht sich erlaubt, etwa mit seiner Jugendliebe Paula Banholzer (�Bi�) oder � gleichzeitig � mit seiner ersten Frau Marianne Zoff, ist einfach unfassbar. Woher kommt das?

Parker: Brechts Vater und auch der Bruder waren immer Frauenhelden gewesen, da musste Brecht mithalten. Man kann auch von einer allgemeinen Krise der M�nnlichkeit sprechen. Der Machismo ist auch eine Gegenreaktion auf die sichtbare Schw�che. Vor dem Hintergrund der Krankheit und des Todes musste der Mann sich behaupten. Brechts Verhalten war sehr altmodisch, aber nicht untypisch.

Richard K�mmerlings "Welt" vom 9.7.2018

1. Frank (1919-1913) Mutter: Paula Banholzer

1917: Er 19, sie 16. Er nennt sie �Bi� oder �Bittersweet� - aus Paul Claudels Drama "Der Tausch". Die Augsburger Sch�lerin ist eine seiner unz�hligen Liebesbeziehungen (was die einen mit der biologischen Veranlagung des Mannes erkl�ren, die anderen als laxe Sexualmoral verurteilen), ein Jahr sp�ter ist sie schwanger. Das Paar will heiraten, aber ihr Vater, angesehener Arzt, ist mit dem Schwiegersohn, Angeh�riger des Arbeiter- und Soldatenrats, der sich gern als B�rgerschreck inszeniert, nicht einverstanden. Um den Skandal einer unehelichen Geburt m�glichst klein zu halten, schickt er die Tochter ins Allg�u. Dort kommt der Sohn 1919 zur Welt und in Russland 1943 als Obergefreiter um.
Frank Banholzer, so hei�t er, ist das erste Kind Bert Brechts. Traurige Kindheit, einsame Jugend, schlimmer Tod.
Zwar bleibt Mutter Paula das erste Jahr bei ihm, wo Vater Bert sie immer mal wieder besucht. Aus Augsburg und M�nchen schreibt er Briefe, er freue sich auf sein erstes Kind.

Die Taufe feiert man dort im Wirtshaus, der Sohn wird nach dem hochverehrtem Wedekind Frank genannt. Die Spuren der �Kimratshofener Episode� im Werk Brechts sind verwischt. Im Herbst 1919 entstehen zwar die Einakter �Die Hochzeit� und �Er treibt einen Teufel aus�, er verfasst Kindergedichte, die Caspar Neher (der sp�ter ber�hmte B�hnenbildner) illustriert, die Originale sind verloren.
Paula folgt Brecht nach M�nchen, wo aber die Liebe rasch abk�hlt. 1922 heiratet er Marianne, zieht jedoch kurz danach mit Helene nach Berlin. Paula heiratet 1924 einen Augsburger Kaufmann, der nicht bereit ist, Paulas voreheliches Kind aufzunehmen. Als Brecht, nunmehr mit Marianne Zoff verheiratet, von Banholzers Heiratsabsichten erf�hrt, schickt er Helene Weigel nach Augsburg, um �Bi� nach Berlin zu holen, die aber nicht kommt.

Franks Passionsgeschichte beginnt.
Paula darf ihren Sohn nicht zu sich nehmen, er bleibt zun�chst in Kimratshofen im Haus der Hebamme, bei der Frank geboren ist. Dann finden sich andere Pflegeeltern, seine Mutter hat zwischenzeitlich in M�nchen Arbeit gefunden. Sie verbringt mit Brecht im K�nstlermilieu gl�ckliche Zeiten, wird abermals schwanger, kann sich jedoch im November 1920 �selbst behelfen� - so nennt Brecht die Abtreibung.
W�hrend seiner Beziehung zu Paula hat er weitere Leibschaften: die Augsburgerin Maria Amman, die M�nchner Studentin Hedda Kuhn und Marianne Zoff, sp�tere erste Ehefrau.
Frank w�chst in seine unruhige Kindheit hinein, gepr�gt durch h�ufige Wechsel der Orte und Bezugspersonen. In Kimratshofen wohnen die Pflegeeltern, Marianne in M�nchen, ihre Eltern in Wien, Brechts verwitweter Vater in Augsburg, Helenes Eltern und ihre Schwester auch in Wien und weitere Pflegeeltern in Friedberg bei Augsburg.

Nirgends ist Frank auf Dauer zu Hause und oft krank. Seinen Vater sieht er kaum. Jedenfalls aber schickt dieser Briefe, bescheidene Geschenke zu Festtagen, hin und wieder Geld. �ber Franks Entwicklung geben ihm Paula und sein Vater Bericht.
1926 verurteilt das Amtsgericht Charlottenburg Bert Brecht, f�r seinen Sohn 9 Jahre lang Unterhalt von 480 Mark zu zahlen. Als Paula Brecht 1935 um finnazielle Unterst�tzung f�r Franks Berufsausbildung bittet, lehnt Brecht das ab, sagt aber monatlich 50 Mark zu.

Briefzitate
1935 nach D�nemark: "Lieber Papa, liebe Tante Helli! H�rte von dem Ungl�ck, dass Ihr aus Deutschland verbannt wurdet, und hoffe, dass es hier bald anders wird und Ihr zur�ckkommen k�nnt."
Kommt in diesen kindlich-naiven Worten des 16j�hrigen Schmerz zum Ausdruck? Frank will sich f�r 50 Mark bedanken, die Brecht ihm f�r den Kauf eines Anzuges schickte, damit er sich um eine Lehrstelle bewerben kann. Darin ersch�pft sich die ganze Unterst�tzung, die er vom Vater erwarten kann.
Ende 1936: "Aber am meisten hat es mir Freude gemacht, dass ich von Dir einen Brief erhalten habe. Zeigt es mir doch, dass Du auch zuweilen an mich denkst!" - ein Dankesbrief f�rs Weihnachtsgeschenk, �ber das er sich sehr gefreut habe. Unterdr�ckter Hilferuf in der anschlie�enden Frage nach dem Befinden von Steffen und Barbara, den zwei Kindern Vaters mit Helene? Etwa der geheime Wunsch, selbst zur Familie zu geh�ren?
Franks Schulzeugnisse sind schlecht. Sein Berufswunsch Dentist ist zu teuer.

Zwei Jahre ist er in Friedberg gemeldet. Dann Reichsarbeitsdienst, ab Oktober 1939 Wehrdienst im Bodenpersonal der Luftwaffe, bis 1943 in der N�he von Paris.
Um seine tats�chliche Herkunft zu verschleiern, gibt er als Vater "Bert Banholzer" an, und auch den Vornamen der Mutter verf�lscht er von Paula in Berta. Die Vorgesetzten beurteilen ihn - 1,67 Meter gro�, schlank, leichte Brille - als Soldaten ohne Ehrgeiz, ohne sonderliche k�rperliche und geistige F�higkeiten. Tarnung?
Oft genug wurde er ausgegrenzt, nun grenzt er sich selber aus.

Anfang September 1943 Versetzung an die Ostfront. Am 13. November 1943 stirbt er bei einem Sprengstoffanschlag auf das Wehrmachtskino in Porchow. Sein Vater wei� vom Milit�rdienst des Sohnes. Von dessen Tod erf�hrt er wohl erst nach dem Krieg. 1949 geht Brecht nach Ostberlin und es hei�t, er habe daran gedacht, Paula dorthin zu holen, von der Helene Weigel sagt, es sei die einzige Frau gewesen, die Brecht wirklich geliebt habe.
Bert Brecht stirbt 1956 mit 58, Paula 1989 mit 87.





2. Hanne (1923-2009) Mutter: Marianne Zoff

1923: Hanne wird geboren, die Ehe ihrer Eltern Marianne Zoff und Bert Brecht 1927 geschieden, Marianne heiratet Theo Lingen.
Hanne wird T�nzerin und Schauspielerin, arbeitet in Salzburg, heiratet 1948 den Berliner Arzt Joachim Hiob.
Ende 1920 hat Marianne Bert Brecht am Stadttheater Augsburg kennengelernt. Nach einer Auff�hrung kommt er in ihre Garderobe, macht ihr Komplimente und bietet sich als Liebhaber an; sie l�sst sich darauf ein, obwohl beide zu dieser Zeit mit anderen Partnern (Paula und Oskar) liiert sind. Marianne ist seit 1917 in einer losen Verbindung mit dem wesentlich �lteren, gut situierten, �halbj�dischen� M�nchner Verleger und Gesch�ftsmann Oskar Camillus Recht liiert, von dem sie sich finanziell aushalten l�sst. Ein Kind, das sie von Recht erwartete, lie� sie abtreiben. Marianne f�hrt ihre Liebesbeziehungen zu Recht und Brecht (recht so!) parallel fort - sie schwankt zwischen ihren Liebhabern; einen Heiratsantrag Rechts lehnt sie Anfang 1921 zun�chst ab, Ende April 1921 will sie ihn dann schlie�lich doch heiraten. Mehrfach kommt es zu Auseinandersetzungen, Eifersuchtsszenen und Aussprachen zwischen den M�nnern. Ostern 1921 verpr�gelt Recht seine Geliebte schwer, nachdem sie ihm gestanden hat, dass sie ihre Beziehung zu Brecht nicht aufgegeben habe. 1921 wird Marianne von Brecht schwanger, verliert das Kind jedoch bei einem Abgang.

1921 s�hnen sich Marianne und Brecht aus: Liebesurlaub in M�nchen, Possenhofen und Tutzing am Starnberger See. 1922 ist Marianne ein zweites Mal schwanger, sie heiraten in M�nchen, damit das Kind nicht unehelich zur Welt kommt, Hanne kommt auf die Welt und wird auf Wunsch Brechts katholisch getauft. Die Ehe aber zerr�ttet sich zusehends, Brecht lernt Helene Weigel kennen, die er Anfang 1924 schw�ngert.
Ende 1925 lernt Marianne den 10 Jahre j�ngeren Theo Lingen kennen, der sich ab da auch um Tochter Hanne k�mmert. Als Brecht dies erf�hrt, droht er eifers�chtig mit Aufk�ndigung aller finanziellen Zahlungen und versucht mehrfach, die Tochter Hanne zu Mariannes Eltern nach Baden bei Wien zu bringen, um sie dem Einfluss Lingens zu entziehen. Ende M�rz 1926 droht Marianne mit einer Klage, sollten Geldzahlungen weiterhin ausbleiben, worauf Brecht schlie�lich die Scheidung einreicht. Im Scheidungsurteil f�hren die Richter aus, beide Parteien tr�gen Schuld an der Scheidung. 1928 heiratete Marianne Theo Lingen.
Tochter Hanne w�chst bei Marianne und Theo Lingen auf. 1935 stimmt Brecht ihrer Adoption durch Theo Lingen zu. Die Popularit�t Lingens, der seit dem Beginn der Naziherrschaft haupts�chlich komische Rollen spielt, was Joseph Goebbels gef�llt, sch�tzt Marianne, - gem�� den geltenden Rassengesetzen als �Halbj�din� (Mischling 1. Grades) - und ihre T�chter Hanne und Ursula vor einer Verfolgung durch die Nazis.
Nach R�ckkehr aus dem Exil nimmt Brecht zu Marianne brieflich Kontakt auf, der bis zu Brechts zu seinem Tod im Hinblick auf Familien- und Erbangelegenheiten (Erhaltung des v�terlichen Landhauses in Utting am Ammersee f�r die gemeinsame Tochter Hanne) anh�lt.
In der Urauff�hrung von Brechts heiliger Johanna der Schlachth�fe spielt Hanne Hiob 1959 unter Gustaf Gr�ndgens in Hamburg die Titelrolle der Johanna. Neben unz�hlingen Engagements am Theater spielt sie auch in Filmen und Fernsehspielen mit. 1976 beendet sie ihre B�hnenlaufbahn, ist aber noch aktiv bei Brechtlesungen und Stra�entheaterprojekten. Sie stirbt 2009.





3. Stefan (1924-2009) Mutter: Helene Weigel

1924: Helene Weigel bringt Sohn Stefan zur Welt, der nach dem 2. Weltkrieg nicht mit seiner Familie aus dem amerikanischen Exil nach Deutschland zur�ckkehrt, sondern an der University of California und der Harvard University studiert und in Philsophie promoviert.

1944 eingezogen, aber nicht mehr in den Krieg geschickt.
Er arbeitet an der Pariser �cole pratique des hautes �tudes, dann als Dozent an der University of Miami. Seit den 1960ern schreibt Brecht zahlreiche B�cher und Gedichtb�nde. In New York ist er Kritiker und Historiker des Avantgarde-Theaters. Gedichte schreibt er sein ganzes Leben, 1975 ver�ffentlicht er sein erstes Buch "Poems".
Stefan Brecht schrieb �ber es und trat im neuen revolution�ren Theater auf, das in den 1960er und fr�hen 70er Jahren in New York explodiert. Er schreibt Serien �ber 'The Original Theater of the City of New York'. 2001 zerst�rt seine Parkinsonerkrankung die F�higkeit zu schreiben und zu sprechen.
Seine Ziel ist, f�r sp�ter in stark ver�nderten Zeiten Lebenden so viel wie m�glich ein Gef�hl daf�r zu bewahren, wie es in den 60er und 70er Jahren in New York war. Sein Schreiben reicht von detaillierten Vor-Ort-Beschreibungen �ber Analysen bis hin zu Dokumentationen der Szene, aus der das radikal Neue hervorging.

Abgeschlossen hat er die Titel: "Queer Theatre", mit Schwerpukt auf Jack Smith und Charles Ludlams Ridiculous Theatrical Company, dann "The Theatre of Visons": Robert Wilson, der gemeinsam mit Byrd Hoffman die Spektakel �Nothing happens" der '69er und '70er Jahre produziert; und "Bread and Puppet Theatre" mit lebendigen Berichten �ber das Protesttheater in den '60's streets und die ersten Zirkusse in Vermont. Sein Bericht �ber Richard Foremans Ontological Hysteric Theatre erscheint 2010.
Dazu kommen Gedichte und "Eighth Avenue Poems" zusammen mit einem Fotobuch "of the street pavements, 8th Avenue."
Aus einem Nachruf in der New York Times:
"Wir lernten Stefan erst in den letzten Jahren kennen, als er schon an Parkinson litt, und wir w�nschten, wir h�tten ihn schon gekannt. Obwohl er manchmal als Misanthrop r�berkam, hatte Stefan ein Herz aus Gold. Stefan war nie Bewohner des Chelsea Hotels, aber er hatte hier �ber zwei Jahrzehnte ein Studio und hat im Laufe der Jahre hier viele Freunde gefunden. Er reiste t�glich zwischen dem Chelsea und seiner Wohnung in Greenwich Village hin und her, fotografierte den B�rgersteig und hielt die Stimmung der Nachbarschaft in seinen Gedichten fest, die die Unterschicht von Chelsea abbilden, ohne sie im geringsten zu romantisieren. Ich habe zwei von Stefans B�chern gesichtet und dabei ihn und seine charmante Frau Rena Gill kennengelernt. Im April 2007 versammelten sich Stefans viele Freunde in der Markuskirche in der Bowery, um die Ver�ffentlichung seiner beiden B�cher zu feiern und sich an Stefans langes Leben und seine ber�hmte Karriere im Theater zu erinnern. Wir sind alle traurig �ber seinen Tod."
Mit dem Tod der Mutter 1971 treten Stefan und seine Geschwister Barbara Brecht-Schall und Hanne Hiob in die Rechte am Erbe ihres Vaters ein. Er ist Erbenbevollm�chtigter und k�mmert sich insbesondere um die Rechtewahrnehmung im englischsprachigen Raum. Stefan Brecht hat mit der Kost�mbildnerin Mary McDonough die Kinder Sarah und Sebastian.
Er stirbt 2009.




4. Barbara (1930-2015) Mutter: Helene Weigel

1930: Das vierte Kind Brechts kommt auf die Welt - Barbara.

Seit 1961 mit dem Schauspieler Ekkehard Schall verheiratet tr�gt sie den Namen Brecht-Schall, wird Schauspielerin, seit den 1950er Jahren geh�rt sie dem Berliner Ensemble an. Als Inhaberin aller Rechte an den Brecht-St�cken hat sie h�ufig Streit �ber das Urheberrecht. Regisseure und Intendaten kritisierten ihre restriktive Vergabepraxis von Auff�hrungsrechten, Barbara Schall legt besonderen Wert auf eine von ihr als originalgetreu bewertete Wiedergabe. Nach dem Tod Heiner M�llers erwirbt sie dessen Anteile am Berliner Ensemble.

Barbara Brecht-Schall bewohnt mit ihrem Mann bis zu seinem Tod das Gartenhaus ihres Vaters am Scharm�tzelsee in Buckow. Das angrenzende Wohnhaus von Brecht/Weigel verkauft sie 1975 an die DDR, die dort 1977 ein Museum errichtet.
Sie stirbt 2015 im Alter von 84 Jahren.

Matthias Matussek schildert eine "Tortenschlacht" aus dem Jahr 1997:
"Sie darf entscheiden, wer ihren Papa inszeniert:
Brecht-Tochter Barbara Schall ist zur Zielscheibe von Theatermachern geworden, denen zum Erbe des deutschen Jahrhundertdichters nur noch Gezeter einf�llt.
Ungeheuer ist viel, doch nichts ist dem Feuilleton ungeheurer als diese Frau, die - wie erwartet - schwere Gesch�tze auff�hrt. An diesem Morgen ist es Kirschrolle, ein cremiges s��es Ding und auf alle F�lle ein sauberer K. o. schon in der ersten Runde. "Na, schmeckt''s?" fragt Barbara Schall.
Sie tr�gt ihre grauen Haare kurz, mit einem Rattenschwanz, der sich �ber ihren Nacken schl�ngelt. Dickb�uchige Buddha-Statuen l�cheln vom Fenstersims her�ber, venezianische Mohren reichen unger�hrt Glasperlenkram auf Samtkissen, schwere Putten st�rzen von der Zimmerdecke, und alle glotzen anerkennend auf die Cremetorte. So was macht ihr keiner nach.
Den Rest aber auch nicht. Barbara Schall, 66, ist Hausfrau und Unternehmerin. Ihre Branche? Nicht Stahl, sondern Brecht. Sie ist die Tochter des Dichters und auf pr�chtige Art unw�rdig und unsentimental wie er.

"Ach", dichtete der Vater einst, "was soll des roten Mondes Anblick
Auf dem Wasser, wenn der Zaster fehlt?"

Ihre rosa Badewanne hat Pool-Gr��e. Sie sammelt Flohmarktbroschen und Badekannen, sie liegt Commander James Kirk aus der "Star Trek"-Serie zu F��en, sie schenkt ihrem Mann Bibeln, und zur Weihnachtszeit verschickt sie selbstgebackene Christstollen und h�rt Heintje.
Zwischendurch telefoniert sie mit Kenneth Branagh und liest Vertragstexte von Suhrkamp.
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Nachwort: Brecht und die Frauen

Mit dem Thema besch�ftigen sich neuerdings nicht nur Germanisten, auch Genderforscher haben hier ihr Bet�tigungsfeld.
Und Boulevard-Bl�ttern bietet sich das unersch�pfliche Thema geradezu an.
Die erste - und wohl wichtigste - Frau im Leben Brechts, Paula Banholzer beschreibt ihre Beziehung zu Brecht sp�ter so:
"Ich war sein pers�nliches Eigentum, und er lie� mich das durchaus f�hlen."
Wahrscheinlich h�tten viele Frauen, mit denen Brecht verbunden war, diesen Satz unterschreiben k�nnen. Obwohl sich sp�ter Helene Weigel nicht anders f�hlte, wollte sie neben Brecht begraben werden.
Zwar wollte Brecht seine Jugendliebe Paula schon fr�h heiraten, doch konnte er schon ihr nicht treu bleiben, hatte neben dem unehelichen Kind mit ihr schon bald zwei weitere Kinder mit zwei weiteren Frauen.
Sein Kommentar:
"Lass sie doch wachsen, die jungen Brechts!" Der egozentrische Satz macht deutlich, dass Herr Brecht in seinen Kindern etwas v�llig Nat�rliches sah, das keinen Bezug zu moralischen Fragen beinhaltete.
1922 heiratet Brecht Marianne Zoff, beginnt aber schon kurz darauf eine Beziehung zu Helene Weigel, l�sst sich nach zwei Ehejahren von Marianne scheiden, um 1929 Helene Weigel zu heiraten, seine langj�hrige Geliebte. Sie ist ihm bis zu seinem Tod als Frau verbunden, litt aber sowohl unter Brechts Untreue wie auch unter seinem �bersteigerten Selbstbewusstsein.
Warum konnte er keiner Frau treu sein? Eine Antwort ist wohl Brechts Einstellung zur Sexualit�t, die von Bindungen gel�st zu sehen sei. Dazu kommt, dass er seine Geliebten k�nstlerisch "ausgebeutet" hat, wie seine Beziehungen zu Margarethe Steffin, Ruth Berlau oder Elisabeth Hauptmann zeigen. Neben sexuellen Beziehungen waren die Beziehungen meist Arbeitsbeziehungen, die ihm das kreative Milieu brachten, in dem er etwas schaffen konnte.
Der Anteil der meisten Frauen im Leben Brechts geht eben �ber das Dasein einer Muse hinaus. Sie arbeiteten mit ihm und f�r ihn. Manche waren ihm regelrecht h�rig. Den Anteil seiner Geliebten an seinem Werk im Einzelnen kl�ren zu wollen ist kaum m�glich. Die Ideen anderer zu �bernehmen geh�rte f�r Brecht immer zu seinem Schaffensprozess, er nutzte bewusst Gruppenarbeit, um sein Werk voranzutreiben. Und dabei ist sicher, dass sein eigener Anteil nicht immer der entscheidende war.




Eine Enkelin - Johanna Schall - schreibt 2012 in der "Welt" �ber das vorbildliche Liebesleben ihrer Gro�eltern:

Gro�v�ter und Gro�m�tter haben in den Augen ihrer Enkel kein Liebesleben, �berhaupt kein eigenes Leben, sie sind hauptberuflich alte, zur Familie geh�rige Leute, die man mag oder nicht, die schon immer alt waren und sich um einen k�mmern. Und dann lese ich, die Enkelin, dieses Postskriptum in einem Brief aus dem Jahr 1946 von meinem Gro�vater an meine Gro�mutter:

Ich k�sse Dich vorsichtig und
unvorsichtig, sorgf�ltig und
fl�chtig, schnell und langsam,
Heli.

Frau Helene Weigl und Herr Eugen Berthold Friedrich Brecht lernen sich 1923 bei der Arbeit an �Trommeln in der Nacht� am Deutschen Theater in Berlin kennen. Sie, eine Wiener J�din, die gerade beginnt, sich als Schauspielerin einen Namen zu machen, und er, ein schw�bischer Dichter mit enormem Talent und ebenso gro�en Ambitionen. Sie und er schreiben einander �ber die Jahre immer wieder, voneinander getrennt durch Arbeit und Arbeitssuche, Hunderte, meist kurze Briefe. Wobei von ihren leider nur wenige erhalten geblieben sind. �berm��ig viele Umz�ge und einige undurchsichtige Geschehnisse haben ihre Zahl stark dezimiert.
Und doch entsteht beim Lesen das Bild einer intensiven Beziehung zwischen zwei interessierten, tief miteinander verbundenen Leuten. Und beide waren eigenwillige Dickk�pfe, eine Eigenschaft, die meiner ganzen Familie eigen zu sein scheint. Jetzt hat Erdmut Wizisla den erhaltenen Briefwechsel zwischen 1923 und 1956 mit beeindruckend detaillierten Kommentaren herausgegeben.

Dies ist der erste Brief, Ende Dezember 1923 schreibt Brecht an Weigel:

1
Zweite H�lfte Dezember
starke Langeweile
90% Nikotin
10% Grammophon
offensichtlicher Mangel
an B�dern
Jahresende:
Auf nach Mahagonny
bevorzugt!

2
HW
zu deutsch:
Havary

Zum Zeitpunkt der �Havary� ist Bertolt, wie er sich jetzt nennt, wohl weil es h�rter klingt, frischverheiratet und bereits Vater zweier Kinder.
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Zoff Weigel

�Menschenfresser� nannte ihn Lion Feuchtwanger.
Ein Urteil, das sich durch Brechts Leben zieht.
So viel Scherben Brecht durch seine zahllosen,
oft willk�rlich anmutenden Aff�ren auch hinterlassen hat,
so viel er seinen k�nstlerischen Mitstreitern
durch seinen Perfektionismus
auch abverlangte: Am Ende bleibt seine Kunst.
Er nahm in Anspruch, aber er hat auch enorm viel gegeben.

Kommentar in Youtube zum Breloer-Film:
Brecht hat sich selten gewaschen, stank unter seine Lederkutte wie die Sau!
- die Weiber, die mit dem h�sslichen, stinkenden Vogel ins Bett gegangen sind,
m�ssen pervers gewesen sein.
Max Frisch hat ihm die von ihm konzipierten sch�nen
Arbeiterwohnungen gezeigt, Brecht hat es nicht interessiert,
es entsprach nicht seinen Vorstellungen vom anst�ndigen Arbeiterelend,
das Begr�bnis seiner Mutter hat er verlassen, die Kollegen in Moskau verraten;
Liebesbrief an Stalin geschrieben usw. Genialer Regisseur, Menschenausbeuter,
cleverer Urheberrechtsverletzer, Plagiateur.
Um es mit Marcel R. Ranicki zu sagen: Brecht war kein Brechtianer.