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Glaubensfrage – Kritik

Aus einem Theaterstück, das uns den Zweifel am Eindeutigen lehren möchte, wurde ein überdeutliches Kriminalkammerspiel mit Meryl Streep als dogmatischer Nonne auf Pädophilenjagd.

Glaubensfrage

Die Priester genießen Wein und Witze zum roten Fleisch, die Nonnen schweigen sich im separaten Esszimmer zu einem Glas Milch an. In der Adaption seines Bühnenstückes Doubt (2004) setzt Autor und Regisseur John Patrick Shanley (Joe gegen den Vulkan, Joe Versus the Volcano, 1990) auf starke Kontraste und auf unmissverständliche Metaphern: Der Wind politischer Umbrüche und kirchlicher Reformen weht 1964 durch eine katholische Schule in der New Yorker Bronx, und jemand öffnet immer wieder die Jalousien im Zimmer der strengen Direktorin Aloysius Beauvier (Meryl Streep), die die frische Liberalisierungsbrise lieber aussperren möchte. Das Auge Gottes schaut als Fenstermalerei auf Pater Flynn (Philip Seymour Hoffmann) herunter, der von Schwester Aloysius verdächtigt wird, einen Schüler missbraucht zu haben. Eine Krähe stattet der symbolbeladenen Szenerie einen ebenso bedeutungsvollen Besuch ab wie eine Maus, die von einer Katze gejagt wird. Zum Showdown stürmt es und die Kamera kippt mit dem Gemütszustand der Figuren in die Schräglage. Wortgefechte werden mehrfach von durchknallenden Glühbirnen kommentiert – anders als die meisten Inszenierungsideen mag das (hoffentlich) als Scherz gemeint sein.

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Der Film ist wie das mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Theaterstück eine Parabel über Glauben und Zweifel. Mit der Moral von der Geschicht’: Eine endgültige Gewissheit, ein letztes Wort, gibt es im Leben nicht. Shanleys Umsetzung verstärkt allerdings ausgerechnet die Schwächen der Vorlage, was sich in noch mehr plumper Wetter- und Tiersymbolik und in noch weniger subtilen Charakterzeichnungen niederschlägt. Manche überhöhte Darstellung oder aufdringliche Kameraperspektive rückt die Protagonisten dabei nah an die Grenze zur Karikatur. Der „Drachen“ Schwester Aloysius wird als Körper ohne Gesicht eingeführt, der sich von hinten an einen ungehörigen Schüler heranschleicht. In einer anderen Szene wird sie von Kameramann Roger Deakins (Zeiten des Aufruhrs, Revolutionary Road, 2008) aus extremer Untersicht gefilmt (später folgt fast die gleiche Einstellung von Pater Flynn). In Kombination mit ihrem putzigen Nonnenhäubchen, einer unvorteilhaften Glubschaugenbrille und Meryl Streeps ausgiebiger Gesichtsakrobatik (für den Oscar nominiert) wirkt das entworfene Bild von ihr aber eher grotesk als gefährlich.

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Die Feuer speiende Aloysius wird zur Bedrohung für Pater Flynns Ruf und Karriere, als die blauäugige Schwester James (Amy Adams) ihr berichtet, der Priester würde „Interesse“ an dem ersten schwarzen Schüler der Gemeinde zeigen und der Junge sei nach einem Treffen mit Flynn verstört und mit Alkoholfahne in ihr Klassenzimmer zurückgekehrt. Nicht nur ist der weltoffene Pater trotz seines jüngeren Alters Aloysius’ Vorgesetzter und darum bemüht, ihr striktes Regiment an der Schule aufzulockern, zudem okkupiert er einmal dreist ihren Schreibtischstuhl und trägt überdurchschnittlich lange Fingernägel, benutzt Kugelschreiber statt Füllfederhalter und trinkt seinen Tee mit gleich drei maßlosen Stücken Zucker – der Mann ist suspekt, der Kreuzzug einer intoleranten Nonne kann beginnen.

Shanleys tendenzielle Überzeichnung seiner Filmfiguren lässt den potentiellen Kinderschänder noch einige Nuancen homosexueller, in diesem Kontext also verdächtiger erscheinen als im Bühnenstück. Wo der kumpelhafte Priester dort den Jungen beim Basketballspiel lediglich die richtige Atmung vorführt, demonstriert er ihnen hier einen hilfreichen Hüftschwung für den Korbwurf und hält ihnen die weiblich manikürten Nägel unter die angewidert gerümpften Nasen. Sein vermeintliches Opfer bleibt in der Vorlage durchweg im Off, hier sehen wir es unter anderem von Flynn umarmt. Zur Dramatiksteigerung funktioniert Shanley einen weiteren Jungen zu einem möglichen zweiten Opfer um, dessen Blicke und Verhaltensweisen ein Geheimnis und stellenweise sogar Eifersucht auf den „Konkurrenten“ suggerieren.

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Bildsprache und Figurenbeschreibung geben sich häufig zu offensichtlich als vorgebliche Indizien einer Verbrechensaufklärung aus und scheinen unsere Meinung ins eine und dann wieder ins andere (Vor-)Urteil lenken zu wollen, um uns schließlich eine Lektion zu erteilen, die weder besonders tiefsinnig noch sehr überraschend ist. Dass die Protagonisten in erster Linie Demonstranten einer Zeit oder Geisteshaltung sind, einer Geschlechtszugehörigkeit oder Rasse, und sonst wenig individuelle Eigenschaften besitzen, weckt nur begrenztes Interesse an ihnen und dem Handlungsverlauf. Ron Howards Theaterverfilmung und Schauspielduell Frost/Nixon (2008) bietet da deutlich unterhaltsameres Mainstream-Kino und lebendigere Dialogschlachten als Shanleys Glaubensfrage (Doubt), da Howard und sein Drehbuchautor Peter Morgan ihren Charakteren mehr Dimensionen verleihen und sie über ihre Parabelfunktion hinaus definieren.

Dass manche Zwischentöne und Ambivalenzen von Shanleys Dialogen vermutlich durch die Synchronisation verloren gegangen sind, kann man dem Autor und Regisseur nicht vorwerfen. Wohl aber, dass er sein eigenes Stück, das gerade die Grauzonen und Uneindeutigkeiten von Kommunikation und Wahrheitsfindung thematisiert, in eine allzu plakative Leinwandpredigt verwandelt hat.

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