Alles nur Legende: Die Wahrheit über die Meuterei auf der Bounty - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Geschichte
  4. Alles nur Legende: Die Wahrheit über die Meuterei auf der Bounty

Geschichte Alles nur Legende

Die Wahrheit über die Meuterei auf der Bounty

Es ist der berühmteste Aufstand in der Geschichte der Seefahrt. Doch was die wenigsten wissen: Vieles davon stimmt überhaupt nicht.

Es gehörte 1789 zu den alltäglichen Bildern auf dem Segelschiff Bounty: Eine Peitsche pfeift durch die Luft, Schmerzensschreie gellen, das Blut fließt in Strömen vom Rücken. Ausgemergelte Seeleute müssen sich die Szenerie anschauen, belauert von ihrem satanisch grinsenden Kapitän William Bligh.

Endlich macht ein edelmütiger Meuterer namens Fletcher Christian diesem unmenschlichen Treiben ein Ende. Doch all dies, was uns Clark Gable, Marlon Brando oder Mel Gibson so überzeugend im Kino vorspielten, gehört ins Reich der Legenden.

Die Bounty, zu Deutsch Mildtätigkeit, war kein stolzer Segler, sondern nur ein schwerfälliges, kaum 25 Meter langes Handelsschiff mit 45 Mann Besatzung. Im Marineregister wurde es als Kutter geführt, weshalb Kommandant Bligh lediglich den Rang eines Leutnants bekleidete.

Kapitän Bligh sorgte väterlich für seine Mannschaft

Die Anrede „Kapitän“ erfolgte aus reiner Höflichkeit. Weitere Offiziere oder Seesoldaten befanden sich nicht an Bord, was Blighs Autorität später schadete.

Der stets als „Erster Offizier“ bezeichnete John Fryer war tatsächlich Steuermann und Fletcher Christian dessen Maat, eine bescheidene Unteroffiziers-Charge. Die Männer der Besatzung, die am 23. Dezember 1787 in Spithead an Bord gingen, waren allesamt Freiwillige.

Weil das pazifische Inselparadies Tahiti lockte, wo man Brotfruchtbäume als Ladung empfangen sollte, brauchte die Admiralität keine Männer gewaltsam zum Dienst zu pressen. Die drei später meuternden Kadetten Peter Heywood, George Stewart und Edward Young stammten sogar aus der britischen High Society.

Zehn Monate dauerte der Törn nach Tahiti. Während jener Zeit sorgte der angebliche Sadist Bligh so väterlich für seine Besatzung, wie er es von seinem Mentor, dem Weltumsegler James Cook, gelernt hatte.

Auch dessen lautstarke Wutanfälle kopierte er gern, wandte aber die damals durchaus übliche Bestrafung durch die Peitsche nur selten an. Erst drei Monate nach Beginn der Mission verurteilte Bligh einen „gefährlich unzufriedenen Unruhestifter“ zu zwei Dutzend Hieben mit der „Neunschwänzigen Katze“.

Blight demütigte Fletcher Christian vor versammelter Mannschaft

Eher zwiespältig war das Verhältnis zwischen Bligh und Christian. Beide kannten sich schon aus früheren Zeiten und Christian wurde anfangs vom Kapitän durchaus bevorzugt. Allerdings enttäuschte er ihn mehrfach durch laxe Befehlsausführung und Schlendrian.

Anzeige

So brachte er es nicht fertig, auf der Südsee-Insel Anamuka das dringend benötigte Trinkwasser zu fassen, weil einige bedrohlich aussehende Eingeborene sich in der Nähe aufhielten.

Der cholerische Bligh explodierte daraufhin vor versammelter Mannschaft und nannte Christian einen „feigen Schuft, der sich vor einem Haufen halbnackter Wilder fürchtet“.

Diese öffentliche Zurechtweisung empfand Christian als schwere Demütigung und fortan nagten Wut und Hass an ihm. Nach der Landung auf Tahiti Ende Oktober 1788 ließ er sich jedoch nichts zuschulden kommen.

Nur 18 Mann schlossen sich der Meuterei an

Die gescheiterte Desertion von drei Matrosen seines Kommandos ist unverzichtbarer Bestandteil aller Bounty-Filme, fiel aber in Wirklichkeit unter die Verantwortung eines Seekadetten, der auf seinem Posten eingeschlafen war.

Nachdem die Übernahme der empfindlichen Brotfruchtbäume Monate in Anspruch genommen hatte, stach das Schiff am 5. April 1789 wieder in See.

Unterwegs Richtung Westen kam es zu einem weiteren Zerwürfnis wegen unerklärlich verschwundener Kokosnüsse aus der Ladung. Nach einer durchzechten Nacht entschloss sich Fletcher Christian am 28. April zur Meuterei.

Es war „ein schwacher Moment in einer einzigen grauen Morgenstunde, ein kurzzeitiges, verhängnisvolles Versagen der Selbstdisziplin eines Gentleman“, schreibt die US-Marinehistorikerin Caroline Alexander, eine der kundigsten Experten im Fall Bounty.

Bligh und 21 Seeleute wurden in einem winzigen Boot ausgesetzt

Anzeige

Kapitän Bligh wurde gegen 5 Uhr im Schlaf überrascht und angetan mit einem Nachthemd an Deck geschleppt. Hier musste Christian feststellen, dass nur 18 Mann der Besatzung sich der Meuterei anschlossen. Doch das schwerste auf See denkbare Verbrechen war geschehen und nicht mehr rückgängig zu machen.

Bligh, Fryer und 21 weitere Seeleute wurden in einem winzigen Beiboot in der Nähe der Tonga-Inseln ausgesetzt.

Dies war zumindest versuchter Mord, denn niemand konnte damit rechnen, dass William Bligh in einer nautischen Bravourleistung ohne Seekarten seine halbverhungerten Leute binnen zwei Monaten über 6.000 Kilometer ins sichere Timor steuern würde.

Nach Blighs Rückkehr wurden Suchexpeditionen ausgerüstet, um die Meuterer aufzuspüren und exemplarisch zu bestrafen.

Die meisten wurden tatsächlich gefasst, Christian war allerdings nicht unter ihnen. Es wurden drei Todesurteile vollstreckt.

Großbritanniens Admiralität hat indes die Ursachen des Bounty-Debakels niemals untersucht. Meuterei galt zu jener Zeit als unentschuldbares Verbrechen, einerlei welche Details dazu geführt hatten.

Das Kriegsgerichtsverfahren von 1792 besaß ein ganz profanes Anliegen: Die Lords wollten sich versichern, ob nach Ausbruch der Revolte nichts unversucht geblieben war, sie niederzuschlagen.

William Bligh befand sich während der Verhandlungen schon wieder auf hoher See. Diesmal als echter Kapitän, was er bis zu seinem Tod 1817 auch blieb.

Die "99 Geschichten" sind im Kai Homilius Verlag erschienen

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema