Berlin-Tatort „Am Tag der wandernden Seelen“ – Die Verlorenen
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Berlin-Tatort „Am Tag der wandernden Seelen“ – Die Verlorenen

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Dr. Müller (v.l.) mit Karow und Bonard.
Dr. Müller (v.l.) mit Karow und Bonard. Britta Krehl/Provobis/rbb © rbb/PROVOBIS/Britta Krehl

„Am Tag der wandernden Seelen“, ein harter Tatort, in dem der Funke nicht überspringt.

Der Tatort „Am Tag der wandernden Seelen“ hat sich in die Idee verliebt, wie interessant es sein müsste, einen Krimi in der vietnamesischen Gemeinschaft von Berlin spielen zu lassen. Das ist auch interessant, wer ihn noch nicht kennt, lernt den Tag der wandernden Seelen kennen, auch ist einiges über vietnamesische Hierarchien zu erfahren, über einen vorsichtigen, respektvollen Umgang miteinander (was die schlimmsten Verbrechen wie so oft nicht verhindert, sondern eher begünstigt).

Die schönste Szene des Films ist vielleicht die, in der der Ermittler Robert Karow, Mark Waschke, von einem vietnamesischen Weisen etwas zu Essen angeboten bekommt. Seine vietnamesischstämmige Begleitung, eine straffe Kollegin vom LKA, Trang le Hong, pfeift ihn an, er solle gefälligst essen, denn sie kennt Karow bereits gut genug, um zu wissen, dass er ein Rüpel ist. Nun nimmt er dieses Essen mit sehr ordentlicher Stäbchentechnik (die Respektsperson ist beeindruckt) und mit Tränen des Glücks zu sich. Tränen des Glücks, man fasst es nicht, es liegt auch nicht am guten Essen allein. Karow ist in dieser Folge nah am Wasser gebaut. Am Tag der wandernden Seelen begegnen die Lebenden ihren lieben Toten, und es ist erst der dritte Fall nach dem Tod Rubins und der zweite mit Susanne Bonard, Corinna Harfouch.

Kritisch muss man nun sagen, dass Karow auch Zeit hat zu weinen und nachzudenken und schmackhafte Gemüsekügelchen oder etwas Ähnliches zu sich zu nehmen. Der Fall ist hart, aber er ist nicht kompliziert, er ist sogar so wenig kompliziert, dass „Am Tag der wandernden Seelen“ etwas zu viel Zeit hat für melancholische Blicke, lange Einstellungen und das bedeutungsvolle Zelebrieren der Polizeiarbeit. Merkwürdig, dass das hier nicht optimal aufgeht, denn an sich wollen wir doch genau das sehen. Es entsteht diesmal aber eine Fallhöhe zwischen dem Aufwand und dem angespannten Emotionshaushalt vor allem des Karow, aber auch der Bonard einerseits und einem Verbrechen, bei dem gerade wegen seiner Schrecklichkeit und rigorosen Überraschungslosigkeit außer Konzentration und Spürnase nicht viel erforderlich ist. Das Verbrechen tritt in seiner blanken Form auf. Dass es sich beim anfänglichen Tötungsdelikt um Notwehr handelt, da eines der Opfer einen der Täter getötet hat, klingt verwickelter, als es ist.

Da mehrere Frauen zu Tode gefoltert worden sind, kommt dazu, dass die Autorinnen Josefine Scheffler und Mira Thiel, die auch Regie geführt hat, erneut in der Situation sind (denken Sie an den München-Tatort „Schau mich an“), fürchterlichste Gewalt nicht zu zeigen, aber doch deutlich zu machen, wie fürchterlich sie ist. Thiel ist noch zurückhaltender, als es die Münchner waren, verzichtet nicht auf einschlägige Geräusche, wählt aber vor allem das Mittel der entsetzten Gesichter, in denen sich widerspiegelt, was auf dem Bildschirm zu sehen ist.

Denn auch diesmal gibt es Aufnahmen und zwar auf VHS. „Willkommen in den 90ern“, scherzt Karow, als im Hause des erstochenen Mannes auch ein Schnurtelefon steht. Das haut einen um, wenn man mit seinem Schnurtelefon sehr zufrieden ist. Da hat es aber auch noch den Anschein, als könnte sich die Geschichte locker entwickeln. Kann sie nicht.

Schreckliches ist also Frauen angetan worden, die als Pflegekräfte nach Deutschland gekommen sind. Eine mysteriöse Tierärztin namens Müller, Mai-Phuong Kollath, hat mit der Arbeitsvermittlung offenbar etwas zu tun, gerne sieht man ihrer Selbstherrschtheit zu, während die Polizei schon bei der ersten Tatort-Begehung anfängt, die Nerven zu verlieren. Bonard geht schlotternd zu Boden (sehenswert die Reaktion der Berlinerinnen von nebenan), Karow, wenn er gerade keine feuchten Augen hat, wird im Büro eines Verdächtigen randalieren. Eines extrem Verdächtigen, man kann schon sagen: des Mannes, der es getan haben muss. Trotzdem geht das nicht. Es spielt dann keine Rolle, weil der Mann bereits einer Form nicht-tödlicher Lynchjustiz anheimgefallen ist. Das waren die Geister (Tag der wandernden Seelen!), da ist man sich schnell einig.

Beim Zuschauen müssen das große, starke Momente sein, in denen man sieben mit pochendem Herzen gerade sein lässt. Wenn der Funke aber nicht überspringt, kommt einem die Polizei unprofessionell und labil vor.

Ja, und wie läuft es zwischen Karow und Bonard? Man siezt sich, hält Abstand. Er sei nicht so der soziale Typ, damit müsse sie klarkommen, sagt er. Da höre sie sich nicht nein sagen, sagt sie. So läuft es zwischen ihnen.

„Tatort: Am Tag der wandernden Seelen“, ARD, So., 20.15 Uhr.

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