Der Schriftsteller Peter Handke und der WDR-Redakteur Friedhelm Maye kannten sich seit Anfang der 1970er-Jahre. Im 1971 entstandenen, schwarz-weiß gedrehten Fernsehfilm mit dem Titel „Chronik der laufenden Ereignisse“ war Maye von Handke als Regieassistent eingesetzt worden. In dem Film dekonstruierten sie die Sprach- und Bildphrasen des Mediums Fernsehen in mehr als 40 Szenen. Die Zusammenarbeit der beiden setzte sich 1977 bei „Die linkshändige Frau“ fort, der Verfilmung von Handkes gleichnamiger Erzählung. Auch hier führte Handke Regie.
Der später mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnete Film wurde weitgehend in Handkes damaligem Haus in Clamart bei Paris gedreht. Fortan duzten sich die beiden und machten sich im Juli 1977 auf den Weg nach Alaska, wo unsere Szene spielt:
Seit Monaten schon beschäftigt sich Handke mit einer Erzählung über den fiktiven Geologen Valentin Sorger, den es nach Alaska verschlagen hatte, um die „Vorzeitformen“, wie der Arbeitstitel lautet, zu entdecken und der nun vor der Rückkehr „Ins tiefe Österreich“ steht (auch ein Arbeitstitel).
Peter Handke in Alaska
Handke und Maye landen in Anchorage und mieten ein Auto. Es geht immer den Highway lang. Mehr noch als in seinem Notizbuch hält Handke die Eindrücke in bisweilen launigen Polaroids fest. Neben Sehenswürdigkeiten wie dem Mount McKinley, der heute Denali heißt, fotografiert er auch sich selber beim Fotografieren im Außenspiegel des Autos. Am 8. Juli wird der Yukon River erreicht. Man übernachtet in Circle City. Ein kleines Nest, einst von Goldgräbern angelegt, die irrtümlich glaubten, sie hätten den Polarkreis erreicht. Dort leben vielleicht 100 Menschen. Der Highway endet hier offiziell, aber die beiden fahren am nächsten Tag weiter über unbefestigte Straßen. Ein bestimmtes Ziel haben sie nicht. Handke ist übermütig. Er hat zwar keinen Führerschein, aber übernimmt das Steuer, lässt sich lenkend fotografieren.
Was soll hier schon geschehen? Die beiden sind nicht angeschnallt. Plötzlich gibt es einen Stoß, Maye greift Handke ins Lenkrad, aber es ist zu spät. Der Wagen driftet ab in den Wald und zerschellt an einem Baum. Totalschaden. Maye blutet leicht an der Stirn. Sonst ist nichts passiert. Aber die beiden sind buchstäblich am Ende der Welt. Mobiltelefone gab es damals noch nicht. Wer soll hier entlangfahren? Handke bleibt zuversichtlich.
Und tatsächlich: Nur wenig später kommt eine amerikanische Familie mit einem Wohnwagen vorbei. Sie nehmen die beiden wieder mit, zurück nach Circle City. Dort wird Maye notdürftig ärztlich versorgt. Man informiert die Autovermietung, die sich mehr um die beiden Insassen sorgt als um den Wagen. Zweimal pro Woche kommt ein Postflugzeug vorbei. Am nächsten Tag fliegen die beiden mit der kleinen Propellermaschine ins 260 Kilometer entfernte Fairbanks. Handke hat vorerst genug von Alaska. Es geht per Flieger weiter nach Seattle, von dort mit dem Auto nach Billings, Montana, dann per Flugzeug nach New York. Dort trennt man sich.
Im Notizbuch Handkes wird der Unfall als Rückkehr-Mythos modifiziert. Aus den „Vorzeitformen“ wurde nach einer großen Schreibkrise 1979 die Erzählung „Langsame Heimkehr“. Die Episode der Rückkehr zum Ursprungsort findet als Flugzeugpanne verfremdet Berücksichtigung. Eine geplante Verfilmung mit Wim Wenders gab es nicht. Friedhelm Maye diente dem Regisseur Handke 1992 im Film „Die Abwesenheit“. Nach Billings kehrte Handke 34 Jahre später zurück und schrieb bei den Great Falls seine Erzählung „Der Große Fall“.
Alles Schriftstellerleben sei Papier, heißt es. In dieser Reihe treten wir den Gegenbeweis an.