Trailer&Kritik: „Die dunkle Seite des Mondes“ von Stephan Rick - WELT
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Film Suter-Verfilmung

Moritz Bleibtreu – der Werwolf, der weinen will

Redakteur Feuilleton
Die dunkle Seite des Mondes

In „Die dunkle Seite des Mondes“ spielt Moritz Bleibtreu einen Wirtschaftsanwalt, dessen Leben perfekt scheint. Erst nach einem herben Schicksalsschlag fängt die Figur an ihr Leben in Frage zu stellen.

Quelle: Alamode

Autoplay
Martin Suter hatte nicht viel Glück mit Verfilmungen seiner Bestseller. Mit Stephan Ricks „Die dunkle Seite des Mondes“ ändert sich das. Moritz Bleibtreu isst darin einen Pilz. Soll man nicht tun.

Das Safrangelbe Samthäubchen (Conocybe caesia) sieht wahrscheinlich eigentlich ganz niedlich aus. Klein, ein bisschen schleimig am Hut, feiner Stiel. Interessant an diesem Pilz aus der Familie der Mistpilze, der auf der Nordhalbkugel der Erde gern auch in lichten Laubwäldern wächst, vom Schweizer Schriftsteller Martin Suter wohl erfunden wurde und in nicht unerheblichem Maß das Nervengift Psilocin enthält, ist, dass er höchst unterschiedlich wirkt.

Je nachdem in welchem Jahrzehnt er eingenommen wird und ob der Probant es in einem Roman oder einem Film gegessen hat, entfaltet er eine ziemlich andere Wirkung. Mal verwandelt das Samthäubchen seinen Esser in das abgrundtief Böse, mal macht er, dass der Mensch das zwar Böse tut, aber eigentlich das Gute will. Mal Miesepeter ist dieser Pilz also, mal Moralkeule. Das ist ja mal ein Unterschied.

Auf der Jagd nach dem heilenden Pilz: Moritz Bleibtreu als verwerwolfender Wirtschaftsanwalt Urs Blank in „Die dunkle Seite des Mondes“
Auf der Jagd nach dem heilenden Pilz: Moritz Bleibtreu als verwerwolfender Wirtschaftsanwalt Urs Blank in „Die dunkle Seite des Mondes“
Quelle: Alamode Film

Womit wir bei dem Fusionsspezialisten und Wirtschaftsanwalt mit dem sprechenden Namen Urs Blank wären, der sowohl im Roman „Die dunkle Seite des Mondes“, Martin Suters finsterem Bestseller aus dem Jahr 2000, als auch in dessen Verfilmung von Stephan Rick mehr oder weniger zufällig in den Genuss einer Portion Samthäubchen kommt.

Vor gut 15 Jahren war Urs Blank in der Versicherungswirtschaft tätig. Er wickelte Fusionen ab. Der bissigste Hai im Becken der Schweizer Hochfinanz. Schicke Frau, schicker Ausblick, Mittvierziger, skrupellos im makellosen Anzug. Es kann nur nach oben gehen. Und dann geht gar nichts mehr.

Ein Werwolf unter Wölfen

Ein Mann erschießt sich vor des Geldhais Zähnen. Blank bricht aus, verliebt sich, isst Pilze, mordet eine Katze, mordet einen Menschen, geht in den Wald. Ein Wolf unter Wölfen, das war zwar schon immer so. Jetzt ist es existentiell.

„Mit jedem Tag“, steht dann da, „den er im Wald verbrachte, wuchs in ihm die Erkenntnis, dass nichts zählte, außer ihm selbst.“

Ein giftiger Gesellschaftsroman ist „Die dunkle Seite des Mondes“, das Samthäubchen diente Suter als Spaltpilz inmitten der Wirtschaftskrise. Der Mensch wird des Menschen und der Wirtschaft Wolf in Suters Roman, er wird es (nur?) als Stellvertreter einer Gesellschaftsordnung.

Ein Mann geht verloren, entdeckt das Böse und was es mit ihm machen kann in sich. Moritz Bleibtreu im deutschen Mischwald
Ein Mann geht verloren, entdeckt das Böse und was es mit ihm machen kann in sich. Moritz Bleibtreu im deutschen Mischwald
Quelle: Alamode Film

Fünfzehn Jahre und eine Reihe eher unerfreulicher Verfilmungen Suterscher Romane später haben Stephan Rick und seine Drehbuchkollegen Catharina Junk und David Marconi das Beste getan, was sie konnten. Sie wahrten den Geist des Suterschen Romans, folgten dem groben Gang der Geschichte und machten ansonsten, was sie wollten und was angesichts der inzwischen reichlich vorhandenen Krisenfilme das einzig Sinnvolle war.

„Die dunkle Seite des Mondes – der Film“ ist weniger die Abfuhr an ein System als die blutige und späte Coming-of-Age-Geschichte eines mittelalten Lebensverschwenders, der unter Pilzeinfluss eben nicht nur lernt, welch mörderisches Wesen er doch ist, sondern auch, welch moralisches Wesen er sein könnte.

Mit dem deutschen Wald verändert sich die Welt

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Die Wesensveränderung des Suterschen Romans (den Titel hat er natürlich vom unter Einfluss diverser Pilze entstandenem Psychedelic-Klassiker von Pink Floyd) geht schon damit los, dass Moritz Bleibtreu, der für die Suter-Verfilmung die grandios dunkle Seite jenes Anwalts spielt, den er ebenso großartig in den Schirach-Verfilmungen für das ZDF gegeben hat, dass Moritz Bleibtreu sein wölfisches Wesen im deutschen, nicht im Schweizer Wald entdeckt.

Rick hat – was wahrscheinlich eher pekuniäre Gründe hat und sich auch den Zwängen der Filmförderung verdankt – Suters Roman nach Frankfurt verlegt. Und nutzt es als Reibefläche, Spiegelung.

Ein Mann verwächst mit dem Wald

Rick lässt Film und Figur changieren zwischen der ultracoolen, inzwischen auch schon mystisch aufgeladenen gläsernen Wirtschaftsarchitektur und dem ohnehin immer schon romantisch aufgeladenen Hochwald. Immer mehr löst sich Blank von den Häusern, immer mehr verwächst er mit dem Wald, von dessen Ausläufern aus immer wieder auf Mainhattan in der Ebene geschaut wird.

Wie Bleibtreu das hinkriegt, dieses Verwolfen, dieses Auflösen der Figur in ein wehrhaftes Gespenst, diese Verwandlung in einen Werwolf, der – und das steht so nicht im Buch – verzweifelt weinen will, weil er wie ein Tier leidet unter dem, was der Pilz und eigentlich die Welt – das Samthäubchen ist ja eigentlich bloß der Katalysator, ein Wesensbrandbeschleuniger – aus ihm gemacht hat, ist ziemlich großartig.

Man beachte die dunkle Seite des Gesichtes: Moritz Bleibtreu als Wirtschaftsanwalt Urs Blank in dessen alter, glatter, kalter Welt
Man beachte die dunkle Seite des Gesichtes: Moritz Bleibtreu als Wirtschaftsanwalt Urs Blank in dessen alter, glatter, kalter Welt
Quelle: Alamode Film

Deswegen großartig, weil Bleibtreu inzwischen eben beides kann, den schnöseligen Chauvi mit dem Jaguar und das vertierte Wrack mit dem Pilzkörbchen unterm Arm und alle Übergänge dazwischen. Und man ihm inzwischen alles glaubt. Weil er tatsächlich mehr ist als ein Genredarsteller.

Apropos Genre. Gibt’s ja nicht viel von im deutschen Kino. „Die dunkle Seite des Mondes“ ist natürlich auch kein reinblütiger Thriller. Er ist Gesellschaftspanorama, schwarzromantische Legende, Mords- und Moralgeschichte.

Die Moral kommt durch eine Seitentür in den Rickschen Wolfswald. Wohl auch, damit man dem Pharmafusionär Urs Blank leichter ins Unterholz folgt als dem kalten, empathielosen Versicherungsfusionär gleichen Namens, nimmt Rick seinem Helden nämlich relativ früh die Entscheidung zwischen Verstand und Instinkt ab, zeigt ihm einen dritten Weg.

Gib dem Haifisch eine Chance

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Blank darf so etwas ähnliches wie Intuition, Bauchgefühl entwickeln, bekommt die Möglichkeit, etwas richtig zu machen im Falschen. Stephan Rick gibt dem Guten im Haifisch (respektive im Wolf) eine Chance.

Das hat mit dem Pharmariesen zu tun, den Blank zusammenfusionieren soll im Auftrag seines zunehmend ins Mefistofelische kippenden Chef Pius Ott (Jürgen Prochnow als großer, düsterer Versucher und Jäger). Und mit einer Verschwörung, die ein bisschen dick aufgetragen ist und gefährlich.

Die Gemeine Moralkeule ist ja bekanntermaßen ein ziemlich gefährlicher Pilz. „Die dunkle Seite des Mondes“ kommt trotzdem mit lediglich leichten Vergiftungserscheinungen davon.

Das Mädchen vom Wald (Nora von Waldstätten) verführt Urs Blank (Moritz Bleibtreu) zu Liebe und zu Pilzen. Beides wirft ihn aus der Bahn
Das Mädchen vom Wald (Nora von Waldstätten) verführt Urs Blank (Moritz Bleibtreu) zu Liebe und zu Pilzen. Beides wirft ihn aus der Bahn
Quelle: Alamode Film

Was auch damit zu tun hat, dass sich Rick um Urs Blank herum von Felix Cramer und Stefan Ciupek ein unheimliches, dunkel lockendes Netz an Bildern und von Gast Waltzing an Klängen hat bauen lassen. Die mehr sind als Hinter- und Untergründe, die Kommentare abliefern, Geschichten erzählen und Gegengeschichten, sich einmischen, verdichten. Die eine manchmal ziemlich halluzinogene Geschichte zweier Dunkelheiten erzählen.

Vor allem der Hörfilm des Luxemburgers Waltzing, ein Anklangsspektakel im Geiste von, aber fast vollkommen ohne Pink Floyd, ist in seiner herrlichen Ausgetüfteltheit und erzählerischen Eigenständigkeit zumindest für den deutschen Genrefilm geradezu eine Offenbarung.

„Die dunkle Seite des Mondes“ ist der ideale Fluchtpunkt nach Fußgängen durch neblige, nasskalte Februarabende, an denen alles brandig riecht. Ein prima Psychotrip der deutschen Art. Der beste Suter-Film aller Zeiten.

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