Vor die Muffe gebufft - ein Sprachbild aus Thüringen: Kirche im HR
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Vor die Muffe gebufft
Pixabay/Klaus Hausmann

Vor die Muffe gebufft

Ein Beitrag von Dr. Christine Lungershausen, Evangelische Pfarrerin, Eschborn
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Mein Mann kommt von der Arbeit und regt sich auf: „Ich habe vorhin drei Schlösser gebaut und dann stellt sich raus, dass der Kollege den Auftrag parallel schon abgewickelt hat. Das war voll vor die Muffe gebufft!!“ Ich schaue ihn nur fragend an. Bitte was ist „vor die Muffe gebufft“?

Unterschiedliche Sprachbilder

Mein Mann arbeitet bei der Bahn und kommt aus Thüringen. Dort gibt es Sprachbilder, die mir als Rheinländerin verschlossen bleiben. „Vor die Muffe gebufft“ kommt, so erklärt er mir, aus den Erfahrungen der Bahn: Stillgelegte Gleise enden mit Muffen. Wenn ein Zug fälschlich auf dieses stillgelegte Gleis fährt, muss er umkehren. Der Zug ist vor die Muffe gebufft. Das war vergebens, umsonst.

Ich liebe solche Sprachbilder. Sie machen das Leben bunter. Seit ich meinen Mann kenne, lerne ich immer neue Ausdrücke. Ihm plautzen die einfach so raus. Für die Arbeit am nächsten Tag macht er sich abends noch eine Bemme, bei großem Hunger isst er einen Ohnmachtsboffen und im Mai sehen wir Mutschekübchen fliegen.

Auch der vertrauteste Mensch bleibt ein Geheimnis.

Man würde ja meinen, dass ich irgendwann jeden thüringischen oder familiären Spezialausdruck von ihm kenne. Aber einen Menschen gut kennen zu lernen, hört nie auf. Ich weiß zwar inzwischen genauer, bei welchem Stimmklang mein Mann enttäuscht ist, Trauer runterschluckt oder irritiert ist. Trotzdem liege ich auch mal falsch und er unterbricht mich, wenn ich zu genau zu wissen meine, was er denkt und fühlt. Auch der vertrauteste Mensch bleibt ein Geheimnis.

Geheimnis heißt nicht Rätsel. Denn Rätsel kann man auflösen. Geheimnisse aber kann man nie ganz erforschen. Geheimnisse vertiefen sich, je länger man sich mit ihnen befasst. Ich glaube: Das Geheimnisvolle gehört zu uns Menschen. Es steht noch nicht fest, wer wir sein werden. Wir haben Tiefen, die wir selbst nicht beherrschen, die aber voller Phantasie und Kraft sein können.

Der Mensch ist Gottes Geheimnis

Dem einen ist das Klavierspielen in die Wiege gelegt, der andere bringt es sich selbst bei, obwohl sein Umfeld nur auf Fußball und Computer steht. Uns selbst sind wir noch offen und entwickeln uns: ein sich entwickelndes Geheimnis. Wir können auch noch anders werden.

Es vertieft meine Beziehungen, den anderen als Gottes Geheimnis anzusehen: entwicklungsfähig, offen und bereit, auch noch anders zu werden. Ohne diesen Blick aufs Geheimnis würde ich den anderen festlegen und verrechnen. Der Versuch, ihn kennenzulernen, wäre vor die Muffe gebufft: Vergebens, weil man irgendwann an die Grenzen des Erkennens käme. Stattdessen wachsen wir aneinander und in das eigene Geheimnis hinein.