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1 Einleitung

„Achieve gender equality and empower all women and girls“ haben die Vereinten Nationen (UN) als fünftes von insgesamt 17 Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goal 5, SDG 5) festgelegt. Bis 2030 sollen die Ziele erreicht werden. Auch sind für die Gleichstellung und Selbstbestimmung aller Frauen und Mädchen bereits seit vier Jahrzehnten wirkungsvolle Instrumente bekannt (Allmendinger 2020). Diese Instrumente, zu denen eine höhere Tarifvergütung von Berufen mit hohem Frauenanteil oder das Ende des Ehegatten-Splittings zählen, werden jedoch bislang politisch nicht so umgesetzt, dass z. B. in Deutschland das SDG 5 erreicht wäre. Neben der Politik wenden sich vermehrt auch Unternehmen der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele der UN zu, um die nötigen Veränderungsprozesse voranzutreiben. Bereits 2015 bekräftigten über 70 % der Unternehmen in Deutschland, dass sie in den nächsten fünf Jahren die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen in ihre Geschäftsmodelle integrieren wollen (PWC 2021). Dabei ergänzen Unternehmen ihren Existenzgrund Profit um Aufgaben der gesellschaftlichen Entwicklung. Unternehmenswerte, Daseinsberechtigung und Unternehmenszweck werden neu abgesteckt. Das SDG 5 lässt sich folglich auch als normativer Bezugspunkt für unternehmerische Strategien verstehen, die sich auf strategischer und operativer Ebene u. a. in der Marketingkommunikation auswirken.

Wenn das SDG 5 durch das Marketing Management unterstützt wird, praktiziert das Unternehmen Gender Equality Marketing (GEM) (Böhmer/Griese 2020). Offen ist bislang, wie Unternehmen die Wirkung ihres Marketing Managements auf die Gleichstellung der GeschlechterFootnote 1 und die Selbstbestimmung von Frauen im Sinne von SDG 5 messen und bewerten können. Denn dies kann eine wichtige Grundlage sein, um GEM Management zu realisieren.

Auf nationaler und internationaler Ebene wurden von Staaten oder durch Selbstregulierungsinstitutionen bereits Instrumente entwickelt, um z. B. diskriminierende Werbung zu identifizieren und zu vermeiden. Im Rahmen dieses Beitrags wird entlang der Teilziele des SDG 5 mit einer Fallstudienanalyse überprüft, welche Ansatzpunkte diese Instrumente Unternehmen bieten, um die Etablierung des GEM zu messen und voranzutreiben. Dabei werden Lücken in den bisherigen Instrumenten identifiziert. Insgesamt entwickelt der Beitrag die wissenschaftliche Diskussion hinsichtlich der Instrumente zur Beförderung der SDG in Unternehmen mit besonderem Fokus auf Gleichstellung weiter.

Der Beitrag ist folgendermaßen aufgebaut: Zunächst wird ein aus der Literatur die Schnittstelle zwischen Marketing und Gleichstellung im Hinblick auf GEM beleuchtet. Anschließend werden die landesspezifischen Rahmenbedingungen der Marketingkommunikation anhand einer Fallstudienanalyse hinterfragt. Die Ergebnisse werden dargelegt und diskutiert, um abschließend einen Ausblick auf künftige anwendungsorientierte Forschung aufzuzeigen, die zu einer verbesserten Messbarkeit von GEM beitragen kann.

2 Gleichstellung im Marketing und Marketing Management

Als Grundlage für die weiteren Überlegungen werden zunächst mögliche Beiträge des Marketings zur Erreichung von SDG 5 und Instrumente einer Standortbestimmung geklärt. Der Begriff des Marketings hat sich in den letzten rund 120 Jahren stetig weiterentwickelt (Meffert et al. 2019). Im Folgenden orientiert sich dieser Artikel am Grundverständnis der American Marketing Association (2021), wonach Marketing Management eine organisatorische Funktion (a) und eine Reihe von Prozessen und Institutionen (b) zur Schaffung (c), Kommunikation (d) und Bereitstellung (e) sowie zum Austausch von Angeboten umfasst, die für Stakeholder wie Kunden, Klienten, Partner und die Gesellschaft von Wert sind. Gleichstellung ließe sich damit als ein Wert ansehen, den Stakeholder durch das Marketing Management erfahren. Dabei geht es weniger darum, für Männer wie Frauen gleiche Bedingungen zu schaffen. Gleichstellung strebt danach, sicher zu stellen, dass alle Geschlechter gleichermaßen die Chance haben, ihre Bedürfnisse und Interessen im Leben zu befriedigen (Lindner 2018).

Um Gleichstellung differenzierter mit dem Marketing Management zu verknüpfen, kann die obenstehende Definition konkretisiert werden. Grundlage ist das SDG 5, das auf die Gleichstellung sowie die Stärkung von Frauen und Mädchen abzielt. Die Tab. 1 zeigt die Teilziele des SDG 5.

Tab. 1 United Nations Sustainable Development Goals Nr. 5 (SDG 5) (Auszüge gemäß der Schweizerischen Eidgenossenschaft 2020)

Aufbauend auf dem SGD 5 umfasst GEM eine organisatorische Funktion (a) und eine Reihe von Prozessen und Institutionen (b) zur Schaffung (c), Kommunikation (d) und Bereitstellung (e) sowie zum Austausch von Angeboten, die für Stakeholder wie Kunden, Klienten, Partner und die Gesellschaft von Wert sind, in dem sie auch zur Erreichung des SDG 5 beitragen. Aus der Verbindung von Unternehmenszielen und SDG 5 lassen sich im GEM geschlechter-sensible Marketing-Strategien und -Aktivitäten entwickeln. GEM beinhaltet auch, die eigenen Rück- und Nebenwirkungen auf die Umwelt und Gesellschaft, z. B. auf die dortigen Genderstereotype, zu überprüfen, um Anpassungen für die Zielerreichung vorzunehmen (Böhmer/Griese 2020).

In Unternehmen und im Speziellen in der Unternehmensfunktion Marketing zeigt sich in den letzten Jahren eine Vielzahl von Beispielen, wie Gleichstellung als gesellschaftliche Normalität aufgegriffen und unterstützt wird. Auch geben Marketing-Aktivitäten oftmals die als gesellschaftliche Normalität wahrgenommenen Geschlechterrollen wider. Andere Marketing-Aktivitäten können Geschlechterrollen verändern oder verstärken (Holtz-Bacha 2019). Je nach Herangehensweise spiegeln oder formen daher Marketing-Aktivitäten Geschlechterrollen (Eisend 2010, Kosunen et al. 2017).

Studien zufolge vergleichen sich Frauen oftmals hinsichtlich der körperlichen Attraktivität mit den Figuren in der Marketingkommunikation, während Männer ihren sozialen Status vergleichen. Mögliche Folgen sind jeweils Unzufriedenheit oder ein verringertes Selbstwertgefühl (Heiden/Wersig 2018). Zu Beginn des Jahrhunderts berücksichtigt zudem Gender Marketing verstärkt geschlechtsspezifische Unterschiede in Verhalten und Bedürfnissen zielgruppengerecht im Marketing-Mix (Holtz-Bacha 2019). Dabei werden Erkenntnisse über Unterschiede für die wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen genutzt, um z. B. Frauen als ein Marktsegment mit wachsender Kaufkraft zu gewinnen. Geschlechterunterschiede werden betont und es besteht die Gefahr, dass diese Unterschiede als Normalität zementiert werden (Holtz-Bacha 2019), wenngleich in dem noch wenig erforschten Gebiet des Gender Marketings der Erfolg nicht nachgewiesen ist (Heiden/Wersig 2018). Hingegen werden im Femvertising gezielt Gleichstellungsthemen und Empowerment von Frauen angesprochen sowie gesellschaftliche Veränderungsprozesse mit Marketingkommunikation assoziiert (Sterbenk et al. 2022). Oftmals verknüpfen Femvertising Marketing-Aktivitäten durchschnittliche Frauen, statt überdurchschnittlich schöner Personen, die selbstbewusst ihre Weiblichkeit als Botschaft von Stärke und Authentizität übermitteln, mit Werbebotschaften (Holtz-Bacha 2019).

Die skizzierte Breite an unterschiedlich ausgerichteten Marketing-Aktivitäten beim Umgang mit Gender-Aspekten und SDG 5 lässt sich durch die bisherig vorliegende wissenschaftliche Diskussion kaum systematisieren oder vereinfachen. So zeigt eine Literaturanalyse von 1004 Artikeln hochrangiger internationaler Marketing Journals über die letzten 30 Jahre kaum inhaltliche Bemühungen zum SDG 5 (Böhmer/Griese 2020). Bisherige empirischen Studien stehen der Gleichstellungsdebatte überwiegend neutral gegenüber. So bietet die wissenschaftliche Diskussion bislang den Unternehmen wenig Ansatzpunkte, wie sie aus den festgestellten geschlechtsspezifischen Unterschieden Marketing-Aktivitäten ableiten können.

3 Identifikation von Messinstrumenten für Gleichstellung im Marketing

In der Literatur existiert bisher keine systematische Diskussion der Messinstrumente, mit denen sich GEM operationalisieren lässt. Um diese Lücke zu schließen, werden in diesem Abschnitt verschiedene Quellen als mögliche „Lieferanten“ für Erfolgsfaktoren und Kriterien analysiert. Dazu werden die politischen und rechtlichen Institutionen in Deutschland, Großbritannien und Norwegen herangezogen.

3.1 Methodik: Fallstudienanalyse

Um die spezifischen Institutionen umfassend zu beschreiben wurde eine Analyse in Form einer multiplen instrumentellen Fallstudienanalyse durchgeführt (Creswell 2012). Mit dieser Methode ist es möglich eine ganzheitliche Charakterisierung eines jeweils abgegrenzten Untersuchungsgegenstands zu erreichen (Yazan 2015). Die Datensammlung für die Fälle erfolgte in Sekundärquellen wie Selbstbeschreibungen, Gesetzestexten und Studien. Die Stichprobe der Fälle wurde auf den europäischen Raum eingegrenzt (purposeful sampling). Die Autor:innen entwickelten das Forschungsinteresse aus vorhergehender Forschung und stehen nicht in Abhängigkeit zu den untersuchten Fällen bzw. Institutionen. Daten wurden parallel analysiert und gesammelt, um schrittweise durch Reduktion und Interpretation das Gewinnen von Bedeutungen zu befördern (Yazan 2015).

3.2 Operationalisierung in politischen und rechtlichen Institutionen in der EU

Die folgenden Ausführungen beschreiben ausgehend von der europäischen Perspektive die Institutionen in Deutschland, Großbritannien und Norwegen, die als Kriterienlieferanten für Marketing-Aktivitäten bei der Umsetzung des SDG 5 dienen können. Die Institutionen sind für die jeweiligen Länder von zentraler Bedeutung: Denn zum einen handelt es sich um langjährige Anlaufstationen für Personen bei Beschwerden, wenn z. B. Marketing-Aktivitäten als diskriminierend wahrgenommen werden. Zum anderen unterstützen diese Institutionen Unternehmen mit Richtlinien zur gesellschaftlich akzeptablen Kommunikation.

Die Umsetzung auf individualstaatlicher Ebene erfolgt landesspezifisch. So wurden in einigen Ländern Gesetze und staatliche Organisationen und in anderen Selbstregulierung als Handlungsmaxime etabliert. Dabei wird jeweils eine Balance zwischen der Verhinderung von sozialer, ökonomischer und kultureller Abwertung bzw. Benachteiligung eines Geschlechts auf der einen Seite und Freiheitsrechten auf der anderen Seite angestrebt.

3.2.1 Deutschland und der Deutsche Werberat

Die Entwicklung der SDG wird in Deutschland politisch im Rahmen der nationalen Nachhaltigkeitsstrategien vorangetrieben, überprüft und gemessen. Die abgeleiteten Schlüsselindikatoren für die Zielerreichung wurden im März 2021 weiterentwickelt (Deutsche Bundesregierung 2022, Sachs et al. 2022). Hinsichtlich des SDG 5 sind (I) der Verdienstabstand zwischen Frauen und Männern, (II) Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst, (III) die stärkere Beteiligung von Vätern am Elterngeld und (IV) berufliche Qualifizierung von Frauen und Mädchen durch deutsche entwicklungspolitische Zusammenarbeit fixiert. Spezifische Indikatoren für das Marketing Management existieren nicht und lassen sich nur begrenzt ableiten. Die aktuellen politischen Schwerpunkte sind eingebettet in die nationale Kultur. Deutschland zählt zu den Ländern mit recht hoch ausgeprägter Maskulinität. Damit einher geht u. a. die hohe Bedeutung von Statussymbolen aber auch eine vergleichsweise deutliche Abweichung zwischen den Geschlechterrollenstereotypen (Hofstede/Hofstede 2011).

Der rechtliche Rahmen, der Indikatoren für die Marketingkommunikation bieten kann, wird neben dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichheit von Mann und Frau (Art. 3 GG) und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) durch das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb gesetzt. Gleichzeitig ist Werbung als kommerzielle Kommunikation durch die Meinungs- sowie Kunstfreiheit geschützt. Die Abwägung dieser Rechte führt zu der Frage, was eine Person „in einer offenen Gesellschaft aushalten“ (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags 2016) muss. Diese Frage wird insbesondere bezüglich sexistischer und diskriminierender Werbung diskutiert. Wenn Werbung durch perpetuierte Rollenstereotypen Personen latent unter Druck setzt, den damit verbundenen Erwartungen zu entsprechen, kann dieser Druck zu einer Fremdbestimmung führen. Diese Fremdbestimmung würde die freie Persönlichkeitsentfaltung einschränken. Aufgrund dieser Ambiguitäten zwischen Meinungs- und Kunstfreiheit einerseits und Persönlichkeitsentfaltung andererseits wurde bisher von einer weiteren Regulierung abgesehen (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags 2016).

Die freiwillige Kontrolle durch den Deutschen Werberat ergänzt die rechtlichen Institutionen als Anlaufpunkt bei Beschwerden sowie bei Empfehlungen an Unternehmen. Der Deutsche Werberat ist eine Einrichtung zur Selbstkontrolle und nicht unter staatliche Aufsicht gestellt, sondern wird seit der Gründung 1972 vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft getragen. Die Aufgabe des Werberates ist es zu prüfen, ob rechtlich zulässige Werbung die ethischen Grenzen überschreitet (Deutscher Werberat 2023a).

Die betrachteten ethischen Grenzen konzentrieren sich auf Diskriminierungen, die seit 2013 mit in den Fokus genommen werden. Seit 2014 wird die Kategorie „Geschlechterdiskriminierende Werbung“ statistisch vom Werberat separat erfasst. Wenn „vermittelt wird, dass eine Person oder Personengruppe weniger wert sei als andere“, liegt nach Werberat eine Diskriminierung vor. „Eine Herabwürdigung besteht, wenn Personen in ihrer Würde verletzt oder verächtlich gemacht werden“ (Deutscher Werberat 2023b). In der Werbung dürfen Personen daher z. B. aufgrund ihres Aussehens nicht abwertend dargestellt werden (siehe Tab. 2). Auf der Internetseite des Werberats sind zum besseren Verständnis konkrete Beispiele hinterlegt. Die Beispiele illustrieren die Anwendung dieser Regeln und machen verständlicher, in welchen Fällen der Werberat die Unternehmen für ihre Marketingkommunikation rügt.

Tab. 2 Diskriminierende Aussagen und Darstellungen (Deutscher Werberat 2023b, o.S.)

3.2.2 Großbritannien und Committee of Advertising Practice (CAP)

Großbritanniens Landeskultur ist, wie die deutsche, maskulin ausgeprägt (Hofstede/Hofstede 2011). Das Land hat sich ebenfalls den SDG verpflichtet und berichtet über Fortschritte in fast allen Teilzielen des SDG 5 (Sachs et al. 2022). Der allgemeine nationale rechtliche Rahmen gegen Diskriminierungen wurde im Equity Act 2010 neu geregelt und spricht Gender-Zuschreibungen explizit an.

Bereits seit 1961 unterliegt die Marketing-Kommunikation auch einer Selbstregulierung. Federführend ist dabei ein Komitee, dessen Arbeit auf den Prinzipien der Internationalen Handelskammer aufbaut. Die Selbstregulationsprinzipien wurden über die Jahrzehnte stetig aktualisiert. 2012 wurden Genderstereotype aufgenommen. Seit 2018 werden besser ausbalancierte Gender-Darstellungen in der Marketingkommunikation angestrebt (Antoniou/Akrivos 2020). Zielsetzung ist es, die Integrität der Marketingkommunikation möglichst gut im Interesse von Konsumenten und Unternehmen zu gewährleisten. Das Grundprinzip fordert, dass Marketingkommunikation legal, anständig, ehrlich und wahrheitsgemäß sein soll. „All marketing communications should be prepared with a sense of responsibility to consumers and society and should reflect the spirit, not merely the letter of the Code“ (Committee of Advertising Practice 2018).

Für die Marketingkommunikation ist besonders die 2019 hinzugefügte Regel relevant, dass Werbung keine Genderstereotypen beinhalten darf, die schädigend oder vorwiegend beleidigend für breite Personenkreise sind (Committee of Advertising Practice 2018). In der Tab. 3 sind konkrete Beispiele von verbotenen Stereotypen zusammengestellt. Seitens des Selbstregulationskomitees wird Wert darauf gelegt, dass die zu einem bestimmten Zeitpunkt vorherrschenden Standards der Gesellschaft und somit der Kontext, in dem die Marketingkommunikation erfolgt, beachtet werden. So werden Marketing-Praktiker:innen angehalten, in ihrem Handeln die öffentliche Sensibilität stets abzuwägen. Aktuelle Entscheidungen deuten auf ein Bewusstsein des Komitees für die Sensibilität von Zielgruppen hin, sodass beispielsweise Marketingkommunikation in Zeitschriften für ältere Zielgruppen weniger strikt bewertet werden als für Plakate, die von allen Bevölkerungsteilen gesehen werden (Antoniou/Akrivos 2020).

Tab. 3 Verbotene Stereotypen in Großbritannien übersetzt nach CAP’s Guidelines (2020)

3.2.3 Norwegens gesetzlicher Rahmen

Im Ranking der den SDG verpflichteten Staaten nimmt Norwegen eine Spitzenposition ein, die u. a. im Erreichten und in seinen Fortschritten beim SDG 5 begründet ist (Sachs et al. 2022). Der norwegische Kulturraum gehört zu denen mit hoher Femininität, womit u. a. eine geringe Abweichung der geschlechtsspezifischen Rollenstereotype einhergeht (Hofstede/Hofstede 2011). Der im internationalen Vergleich hohe Stellenwert der Gleichstellung in Norwegen zeigt sich auch im von der Regierung 2014 verabschiedeten Aktionsplan, mit dem u. a. Stereotype in der Marketingkommunikation bekämpft werden sollen (Kosunen et al. 2017).

Seit 1978 gibt es mit dem Marketing-Kontroll-Gesetz ein präzises, ausformuliertes Gesetz, das genderbezogene Diskriminierungen verbietet. Das Gesetz wurde über die Jahrzehnte angepasst und moderat verschärft. Wesentliches Kriterium ist, dass die Marketingkommunikation nicht konfligierend zur Gleichstellung der Geschlechter sein darf. Damit geht das Gesetz über das Verbot von Beleidigungen und Ausbeutung des (schwächeren) Geschlechts hinaus. Genderstereotype dürfen nur dargestellt werden, solange sie nicht tradiert, einseitig oder erniedrigend sind (Kosunen et al. 2017). Der gesetzlich installierte Konsumenten-Ombudsmann hat ausführliche Richtlinien entwickelt, die in der Tab. 4 zusammengestellt sind und den Marketing-Praktikern Hilfestellung geben (Consumer Ombudsman Norway 2023). Die Richtlinien konkretisieren die Gesetzesauslegung und illustrieren sie mit der diesbezüglichen Rechtsprechung zu Werbekampagnen.

Tab. 4 Auszug der Richtlinien in Norwegen (in Anlehnung an Consumer Ombudsman Norway 2023, o.S.)

Zudem gehen in Norwegen einzelne Kommunen mit ihren Regulierungen über den allgemein geltenden Rahmen hinaus. So hat die Stadt Trondheim 2016 leicht gekleidete Personen in der Werbung mit der Begründung verboten, dass die damit transportierten Schönheitsideale die psychische Gesundheit von Kindern gefährden (Kosunen et al. 2017).

4 Diskussion

Die analysierten Institutionen tangieren verschiedene Bereiche der SDG 5 und ermöglichen unterschiedliche Operationalisierungsansätze zur Messung von GEM. Die folgende Tab. 5 gleicht diese Befunde mit den SDG 5-Teilzielen anhand von Beispielen ab. Dabei wird zum einen deutlich, dass die den Unternehmen aus den untersuchten Ländern zur Verfügung stehenden Kriterien nur zum Teil die Teilziele des SDG 5 abdecken. So wird u. a. das Teilziel 5.6 durch keine der betrachteten Institutionen tangiert. Die umfangreichste Abdeckung findet sich beim Teilziel 1. Dieses Ergebnis erklärt sich möglicherweise zum einen dadurch, dass die Marketingfunktion im Unternehmen auf einige Teilziele wie z. B. die Beseitigung schädlicher Praktiken wie Zwangsverheiratungen (5.3) grundsätzlich nur wenig Einfluss hat. Zum anderen ist denkbar, dass im Rahmen der Länder und deren Institutionen diese Teilziele bislang nicht thematisiert wurden.

Tab. 5 Die SDG und exemplarische Indikatoren aus Deutschland, Großbritannien und Norwegen mit direkten Zitaten oder Übersetzungen vom Deutschen Werberat (2014), CAP (2018) und Consumer Ombudsman Norway (2023)

Neben der Reduzierung von Diskriminierungen und Herabwürdigungen in SDG 5.1 und der in SDG 5.2 angestrebten Beseitigung von Gewalt, werden durch die landesspezifischen Regelungen indirekt auch das Detailziel Chancengleichheit bei der Übernahme von Führungsaufgaben in SDG 5.5 und die gleichmäßigere Teilung der Verantwortung und Arbeiten innerhalb des Haushalts und der Familie in SDG 5.4 gefördert, denn die Institutionen helfen, in diesen Bereichen eine Verschlechterung zu vermeiden. Durch die öffentliche Kommunikation der (Selbst-)Regulierungsinstitutionen werden Unternehmen für die Teilziele sensibilisiert und können ihre Marketingkommunikation entsprechend anpassen.

Darüber hinaus liegt der Schwerpunkt auf der Marketingkommunikation, während andere Elemente des Marketings (Preis, Distribution und Produkt) weitgehend unbeachtet bleiben. Prävention oder Sensibilisierung für eine positive Begleitung der Erreichung des SDG 5 durch die Marketingkommunikation lassen sich kaum feststellen. Auch erscheinen die angelegten (Selbst-)Regulationsansätze teilweise unscharf sowie subjektiv in der Anwendung. Eine Messung von Fortschritten im GEM ist auf der Basis der analysierten bestehenden Institutionen daher bislang nur begrenzt möglich.

Die landesspezifischen Regelungen zeigen jeweils eigene Herangehensweisen, die im kulturellen Kontext verankert sind. Diese Herangehensweisen bieten kontextspezifisch Raum für Interpretationen, die es ermöglichen den Zeitgeist in Entscheidungen der (Selbst-)Regulierungsorganisationen einfließen zu lassen. In Großbritannien wird diese explizite Orientierung an den Standards der Gesellschaft unterstrichen. Der aktuelle Beispielkatalog legt einen Schwerpunkt auf die Behandlung des äußeren Erscheinungsbilds aber auch auf die stereotyp geschlechtsspezifisch zugeordneten Handlungen und Eigenschaften, wie z. B. das Äußern von Emotionen. In Deutschland legt der Werberat die Meinungs- und Kunstfreiheit in seinen Operationalisierungsbeispielen vergleichsweise weit aus. In Norwegen wird aktuell die psychische Gesundheit der nachwachsenden Generation fokussiert.

Besonders schwierig ist die Messbarkeit auch daher, weil die mögliche Beförderung oder Schwächung der SDG, z. B. durch die Wirkung von Marketingkommunikation auf das Selbstbewusstsein, die Gesundheit und die berufliche Entwicklung von Personen, oftmals von der Person und Wahrnehmung der Marketing-Aktivitäten abhängen. Je nach Landeskultur kann dies in maskulineren oder feminineren Kontexten unterschiedlich wahrgenommen werden. Die Wirkung ist somit kontextabhängig und subjektiv einzustufen.

Die Wirkung und Durchsetzungskraft der Selbstregulierungsorganisationen sind dabei schwächer einzustufen als die gesetzlich normierten Sanktionsmöglichkeiten in Norwegen. In Deutschland ist die Durchsetzung des SDG 5c, in dem es um eine solide Politik und durchsetzbare Rechtsvorschriften zur Förderung der Gleichstellung und Selbstbestimmung geht, niedriger ausgeprägt als in Norwegen mit seinen Gesetzen und Politikprogrammen.

Insgesamt wird durch die dargestellten landesspezifischen Prozesse jeweils ein zeitgemäßer und kulturspezifischer Dialog mit Unternehmen angestoßen, die kritisch einzustufende Marketingkommunikation betreiben. Das Ziel ist zunächst eine Sensibilisierung und eine freiwillige Einigung auf eine kontextspezifisch nicht-diskriminierende Marketing-Praxis. Für Unternehmen, deren Marketing-Aktivitäten diesen Rahmen nicht tangieren, bieten sich keine weiteren Orientierungspunkte, die als Kriterien für die strategische Entwicklung des GEM nutzbar wären.

Darüber hinaus wird in der Analyse deutlich, dass sich in einer wandelnden Gesellschaft stetig der Bewertungsrahmen für GEM verändert. So hängt z. B. die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung von diskriminierender Werbung mit der generellen Sensibilität für Geschlechterunterschiede und dem Selbstwertgefühl in einer Gesellschaft zusammen (Kosunen et al. 2017). Beispiele für die Weiterentwicklung sind die Diskussion um Intersektionalität und nichtbinäre Genderdarstellungen. Diese Transformation betrifft u. a. geschlechtersensible Muster und die selbstverursachten Nebeneffekte der Marketingpraxis auf die Evolution des Zielmarktes und damit der gesamten Gesellschaft.

Praktische Implikationen für die Unternehmen können darin liegen, die eigene Marketing-Praxis im Hinblick auf SDG 5 sowie die derzeitigen Beispiele der (Selbst-) Regulierungsinstitutionen zu reflektieren. Darauf kann eine gezielte Aufnahme der relevanten Aspekte in die Key Indikatoren der unternehmensspezifischen Marketingkommunikation folgen. Die (Selbst-) Regulierungsinstitutionen, die aus ihren Erfahrungen eine hohe Kompetenz in der Einschätzung der aktuellen landesspezifischen Marketing-Aktivitäten entwickelt haben, könnten für Unternehmen weiterhin Trainingsangebote aufbauen. So kann die Reflexion der eigenen Marketingkommunikation befördert werden und damit für Bereiche sensibilisiert werden, in denen Unternehmen einen Beitrag zur Erreichung von SDG 5 leisten wollen und können.

Aufgrund der aufgezeigten Lücken bieten sich für die weitere Forschung verschiedene Ansätze. Zunächst wäre eine Interviewstudie mit Vertretern der untersuchten landesspezifischen Institutionen und den von deren Handlung betroffenen Unternehmen relevant, um die praktischen Auswirkungen der aktuellen Institutionen aus verschiedenen Akteurperspektiven zu erforschen. Weiterhin könnten andere Institutionen innerhalb, aber auch außerhalb von Europa in die Analyse einbezogen werden, um einen repräsentativeren Überblick zu gewinnen. Künftige Forschung kann zudem die schrittweise Umsetzung von GEM in Unternehmen wissenschaftlich begleiten, um Herausforderungen, Erfolgsfaktoren und weitergehende Implikationen abzuleiten.

5 Fazit und Ausblick

Im Beitrag wurde der Frage nachgegangen, wie ein Unternehmen, das Gleichstellung im Marketing Management einbezieht, messen und bewerten kann, ob und wieweit es SDG 5 durch seine Marketing-Aktivitäten fördert. Dazu wurde im ersten Schritt das Grundverständnis von GEM sowie der Zusammenhang zwischen SDG 5 und der Marketingkommunikation in Unternehmen herausgearbeitet. Im zweiten Schritt wurden mögliche Kriterienlieferanten für die Messung von Fortschritten des GEM betrachtet. Dabei handelt es sich um Ansätze, die der unternehmerischen Marketingpraxis in Deutschland, Großbritannien und Norwegen derzeit institutionell im Sinne der Gleichstellung Orientierung geben. Hier zeigten sich Indikatoren für die Grenzen der gesellschaftlich akzeptablen Marketingkommunikation. Ein konsistentes, passgenaues Set von Erfolgskriterien, um SDG 5 und GEM zu fördern, konnte nicht identifiziert werden. Auch vor dem Hintergrund einer sich ständig verändernden Gesellschaft und neuer Anforderungen an eine gelungene Marketingkommunikation ist folglich eine flexible sowie unternehmensspezifische Herangehensweise erforderlich, um GEM im Spannungsfeld der vielfältigen Stakeholder ggf. landesspezifisch zu operationalisieren.