Bodo Ramelow: Wir reden uns in eine Kriegsbesoffenheit hinein

Interview mit Bodo Ramelow: „Wir reden uns in eine Kriegsbesoffenheit hinein“

Der Thüringer Ministerpräsident und Linken-Politiker über Waffenlieferungen an die Ukraine, den Kurs von Olaf Scholz und das Straucheln seiner eigenen Partei.

Bodo Ramelow mit seinem Hund Attila
Bodo Ramelow mit seinem Hund AttilaBerliner Zeitung/Markus Wächter

In dieser Woche war Landtagssitzung in Erfurt. Ministerpräsident Bodo Ramelow empfängt die Berliner Zeitung daher in seinem Büro im Parlament. In Thüringen führt er eine Minderheitsregierung aus Linkspartei, SPD und Grünen, unter mehr oder weniger missmutiger Billigung der CDU. Das ist aber nicht sein einziges Problem.

Herr Ramelow, was macht Ihnen zurzeit mehr Sorgen, der Krieg in der Ukraine oder der Zustand Ihrer Partei?

Ramelow: Die kriegerische Entwicklung auf der Welt macht mir Sorgen. Wir sehen den russischen Krieg gegen die Ukraine. Aber was mich sehr bedrückt, ist, dass tatsächlich gleichzeitig die Kurden von den Türken angegriffen werden, einem Nato-Partner. Und dass die irakische Armee gegen die Jesiden vorgeht. Von dem Krieg im Jemen reden wir nicht, von Äthiopien reden wir nicht. Und ich merke, dass ich im Moment ziemlich bedrückt darüber bin, dass wir in eine Spirale von martialischer Gewalt geraten, und wie hilflos die Welt damit umgeht.

Geprägt von Willy Brand und Egon Bahr

Wie meinen Sie das?

Die einen ducken sich ab, und da rede ich jetzt noch gar nicht von meiner Partei. Ich rede wirklich vom Weltgefüge. Ich bin 66, eigentlich ist die überwiegende Zahl meiner Lebensjahre eher von Optimismus für eine friedlichere Welt geprägt gewesen. Es gab immer Konflikte beziehungsweise Ungerechtigkeiten, aber man hatte den Eindruck, es gab viel Bewegung. Ich bin natürlich sehr geprägt von Willy Brandt und Egon Bahr, der ja aus Thüringen stammte. Und nun wird heute gesagt, Wandel durch Annäherung sei Illusion.

Ist es aber doch auch, oder?

Nein, das kann ich überhaupt nicht erkennen. Ohne Wandel durch Annäherung hätte es die Öffnung der Türen zur deutschen Einheit nicht gegeben. Ohne Wandel durch Annäherung und den Kniefall von Warschau hätte es die Überwindung des Ost-West-Konfliktes gar nicht gegeben. Ich rede von einer Zeit, in der kein Mensch wusste, wie das wirklich ausgeht und in der diese Politik sehr mutig war. Dass ich heute als Westdeutscher hier in Thüringen als Ministerpräsident tätig sein darf, hat was damit zu tun, dass die Politik von Brandt und Bahr Erfolg hatte. Und ich bin nicht bereit, dass man die Ostpolitik jetzt einfach entsorgt, nur weil Wladimir Putin imperiale Kriege führt und weil man jahrzehntelang mit der russischen Seite keine konsequente Agenda zu einer friedlichen postsowjetischen Welt entwickelt hat. Die Europäische Gemeinschaft hat gemeinsam nicht deutlich gemacht, was man eigentlich will.

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Berliner Zeitung/Markus Wächter
Bodo Ramelow
ist seit 2014 Ministerpräsident von Thüringen – mit einer denkwürdigen Unterbrechung von mehreren Wochen im Februar/März 2020. Damals war der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD kurzzeitig zum Regierungschef gewählt worden, was eine innenpolitische Krise auslöste.

Ramelow war vor seiner Zeit in Thüringen für die Bundespartei tätig. Es saß im Bundestag und war 2005 Chefunterhändler der damaligen PDS bei den Gesprächen zur Verschmelzung mit der westdeutschen WASG.

Sie meinen die einseitige Abhängigkeit von den russischen Energielieferungen?

Meine Kritik an Nord Stream 2 war allerdings nie die Erpressbarkeit durch Wladimir Putin, sondern es war immer meine Kritik, dass fossile Energie zu verbrennen ein Frevel an diesem Globus ist. Ich habe das Gefühl, dass wir zu Lasten der Gefährdung unseres Planeten den Kompass verloren haben. Vor zehn Jahren hätten wir die Weichen stellen können und müssen. Vor zehn Jahren haben wir uns verpflichtet, welche Klimaziele wir erreichen wollen. Und wir haben nichts dafür getan, um uns von der fossilen Erpressbarkeit, die Putin jetzt als Waffe benutzt, zu befreien. Es gibt aber noch einen zweiten Teil, der mich bitter macht.

Bodo Ramelow ist verbittert über die Erpressbarkeit durch Abhängigkeiten von Rohstoffen.
Bodo Ramelow ist verbittert über die Erpressbarkeit durch Abhängigkeiten von Rohstoffen.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Welchen meinen Sie?

Niemand redet heute in Deutschland darüber, wie viel energetische Infrastruktur bei uns unter direkter bzw. verdeckter russischer Kontrolle steht. Wie viele Extraprofite macht Russland genau mit dieser unsichtbaren Steuerung im Moment? Auch oder gerade weil sie wussten, dass sie in den Krieg ziehen. Ich vermute mal, die Hälfte der Primärenergie in Deutschland ist direkt oder indirekt unter russischer Kontrolle und Russland streicht aus der Preisexplosion viel Geld ein.

Das ist dann aber ein Versagen der Aufsichtsbehörden und damit der Politik, weil die Kontrolle fehlte, oder?

Man wollte es nicht, weil man sich Illusionen hingegeben hat. Es gab ja nicht nur den Satz „Wandel durch Annäherung“ von Bahr. Bahr und Brandt haben auch auf feste Verträge und darin auch verankerte Kontrollen gesetzt. Es war ein sehr genaues Hinschauen. Das hat man in den letzten Jahren alles weggelassen. Herr Schröder als der große Aufsichtsratsvorsitzende ist ein Beispiel. Dass Rosneft oder Gazprom aufkaufen, was sie kriegen können. Wenn die TUI mittlerweile mit 42 Prozent in der Hand eines Oligarchen ist, und genau diese Anteile dann schnell „verschoben“ werden, dann hat irgendjemand wohl nicht richtig hingucken wollen. Die Energie-Erpressung ist eben auch ein Verschulden von uns selbst.

In dem Moment, in dem man der Thüringer Glasindustrie das Gas auch nur reduziert, sind 7000 Arbeitsplätze weg

Dann sind Sie also für ein sofortiges Embargo, bei Gas und Erdöl?

Bei Öl passiert ja gerade viel und bei Holz sowie Kohle ist schon einiges in Gang gesetzt worden. Aber was heißt das konkret bei Gas? Heißt es, dass wir sofort die gesamte Chemie- und auch Glasindustrie kaputtgehen lassen? Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen darüber reden und überhaupt nicht wissen, dass man eine Gaspipeline nicht so einfach abstellen kann wie einen Stromkreislauf. In dem Moment, in dem man der Thüringer Glasindustrie das Gas auch nur reduziert, sind 7000 Arbeitsplätze weg. Die Glasindustrie kann nicht angehalten werden. Man muss auch technisch-physikalisch wissen, wovon man spricht. Aber alle reden irgendwie rum und sagen, das geht schon, wir müssen eben alle ein bisschen sparen, das wird schon alles werden.

Was wäre denn Ihr Vorschlag?

Wir sollten nicht den Gashahn abdrehen, sondern den Geldhahn. Das heißt, wir kündigen Herrn Putin an, dass die Summe, die wir für Energielieferungen zahlen, jeden Tag um fünf Prozent reduziert wird. Das zahlen wir auf ein Treuhandkonto ein, zum Wiederaufbau der Ukraine. Wir bekommen 80 Prozent unseres derzeitigen Gasvolumens über die Ukraine und die kriegt dafür im Gegenzug auch Durchleitungsgebühren. Und von allen osteuropäischen Ländern hat die Ukraine den höchsten Anteil an Durchleitungsgebühren. Sollen wir das jetzt abstellen? Ich würde außerdem die gesamte Energieinfrastruktur in Deutschland, die unter direkter oder indirekter russischer Kontrolle steht, komplett unter staatliche Aufsicht stellen.

Ramelow fordert die Zahlungen für Gaslieferungen auf ein Treuhandkonto für die Ukraine einzuzahlen.
Ramelow fordert die Zahlungen für Gaslieferungen auf ein Treuhandkonto für die Ukraine einzuzahlen.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Sie wollen enteignen?

Nein, nicht enteignen, aber dem Zugriff der Eigentümer entziehen. In dem Kontext hat Herr Habeck mit dem Gasspeicher-Füll-Gesetz einen ersten richtigen Schritt gemacht. Möglicherweise jetzt mit Schwedt einen zweiten Schritt, aber das reicht alles noch nicht aus. Wir müssen das gesamte unter russischem Einfluss stehende Energienetz unter staatliche Aufsicht stellen. Und der dritte Schritt, den ich gleichzeitig mit einleiten würde: Ich würde tatsächlich von der Bundesregierung verlangen, dass sie eine konsequente Preiskontrolle macht, dass sie also nicht mehr sagt, wir geben den Menschen, die Geld für Energie brauchen, ein bisschen dazu und dann vergessen sie die Rentner. Die sind dann zu Recht sauer und fühlen sich nicht gut behandelt.

Was schlagen Sie vor?

Der Punkt ist, dass der Gas- oder der Energiemarktpreis mit den Gestehungskosten überhaupt nichts mehr zu tun hat. Da stimmt die ganze Marktrelation überhaupt nicht mehr. Die Preise sind nach oben geknallt, um damit Sonderprofite abzuräumen in enormen Größenordnungen. Und das kann man unterbinden, indem man sagt, fossile Energie wird als Waffe eingesetzt. Als Finanz-Waffe, als Erpressungsmittel. Und um sich dem zu entziehen, müssen wir die Infrastruktur, also Gasleitungen, Gas, Tanks, Öltanks, Ölleitungen, Raffinerien, alles das, was direkt oder indirekt unter russischer Kontrolle steht, komplett dieser Kontrolle entziehen.

Das ist die Energiefrage. Wie sieht es aus mit der militärischen Unterstützung der Ukraine? Teilen Sie den Kurs, den Olaf Scholz fährt, indem er doch auf eine gewisse Bedächtigkeit setzt und die Diskussion um schwere Waffen erst einmal versucht hat, auszusitzen?

Das ist Ihre Meinung? Ich habe diese Auffassung gar nicht. Ich habe weder das Gefühl, dass er zögerlich ist, noch, dass er etwas ausgesessen hat. Stattdessen nehme ich wahr, dass die veröffentlichte Meinung da was ganz anderes abbildet als das, was ein Verantwortungsträger alles mit abwägen muss.

Nach seiner Rede zur Zeitenwende hörte man von Olaf Scholz erst mal nichts mehr Konkretes dazu.

Ich weiß nicht, was danach zögerlich gewesen sein soll. Wer Waffen kauft, der bestellt sie. Und dann gibt es ein Kriegswaffenkontrollgesetz und der Kauf muss genehmigt werden. Und das hat der Deutsche Bundestag zu entscheiden. Die Instrumente sind alle da, aber jeden Abend wird im Fernsehen über immer größere zu liefernde Waffen schwadroniert. Ich habe das Gefühl, und das macht mir wirklich Angst, dass wir uns in eine Kriegsbesoffenheit hineinreden, bei der die Ebenen völlig durcheinandergeworfen werden. Wenn die Ukraine Waffen kaufen möchte, um sich zu verteidigen, steht das Völkerrecht auf der Seite der Regierung der Ukraine. Der Aggressor ist Wladimir Putin und der Bruch des Völkerrechts ist von ihm zu verantworten. Durch diese völkerrechtliche Beurteilung muss die Ukraine auch in Deutschland Waffen beziehen können. So habe ich den Bundeskanzler und die Bundesregierung verstanden. Wenn es aber Waffen aus den Beständen der Bundeswehr sein sollen, ist das doch ein völlig anderes Thema.

Die am lautesten rufen, möchten, dass wir in diesen Krieg als aktive Kriegspartei reingehen.

Die anderen Länder liefern auch aus ihren Beständen. Sollte das Deutschland nicht auch machen?

Frau Lambrecht hat ja versucht, zum Beispiel mit der Slowenien zu klären, dass sie die deutschen Marder-Panzer kriegen und dafür die slowenischen Panzer aus russischer Provenienz an die Ukraine gehen. Das schien mir ein logischer Plan zu sein, weil Slowenien ein Nato-Partner ist, die Ukraine aber nicht. Die Ukraine ist auch nicht in der EU, so dass wir auch nicht in einer europäischen Beistandspflicht sind. Und jetzt kommt die entscheidende Frage, und so verstehe ich den Bundeskanzler, dass er an der Stelle sehr sorgsam abwägen will, ab wann wir formell und offiziell mit eigenen militärischen Kräften Teil des Krieges werden. Geht es darum, dass die Bundeswehr mit in den Krieg hineingezogen werden soll? Dann muss man das auch so klar sagen. Dann muss man sagen, dass die, die am lautesten rufen, eigentlich möchten, dass wir in diesen Krieg als aktive Kriegspartei reingehen.

Sie sprachen eben davon, dass andere Kriege derzeit kaum Beachtung finden. Der Ukraine-Krieg ist doch deshalb von besonderer Brisanz, weil hier immer wieder von einem möglichen Gebrauch von Atomwaffen die Rede ist, finden Sie nicht?

Ich widerspreche Ihnen ungerne, aber auch dieser kleine Diktator in Nordkorea – über den wir uns dann jedes Mal wundern – der spielt jeden Tag mit Atomwaffen. Ich sage mal, das würde ganz unangenehm, wenn China sich mit ihm in irgendeiner Form militärisch arrangieren würde und mal so nebenher die Taiwan-Frage abgeräumt werden würde.

Heißt das, wir sollten, wenn wir über die Möglichkeit reden, dass Russland Atomwaffen gebraucht, immer auch dazu sagen, dass auch Nordkorea Atomwaffen hat und sie einsetzen könnte?

Es geht hier doch um die Frage, ob eine atomwaffenfreie Welt überhaupt noch ein Ziel ist. Es gibt die Initiative einiger Friedensnobelpreisträger, die sagen, es braucht eine atomwaffenfreie Welt. Das ist ein aktueller Aufruf, aber das hören wir schon gar nicht mehr.

Kommen wir mal zu einem anderen Konfliktherd. In Ihrer Partei kriselt es und das nicht erst seit dem Rücktritt von Susanne Hennig-Wellsow.

Ja, es ist ziemlich ernüchternd.

Was läuft falsch?

Ich habe diese Partei als Beauftragter für die Fusion von WASG und PDS vor 15 Jahren gewissermaßen als Architekt entworfen. Meine Aufgabe war es, einen Rohbau zu erstellen, um mal in dem Bild zu bleiben. Diesen Rohbau habe ich auch abgeliefert und dann habe ich meinen Helm abgesetzt und bin zurück nach Thüringen gegangen, um hier politisch zu arbeiten. Danach hatte ich gehofft, dass diejenigen, die den Rohbau beziehen, den Innenausbau betreiben. Aber man hat leider nur verschiedene Zimmer bezogen, nicht aber das gemeinsame Haus. Es ist eine Vielstimmigkeit in dieser Partei. Die ist aber keine Pluralität, sondern ein Strukturfehler.

Eine Partei, die auf jede gesellschaftliche Frage mindestens drei verschiedene Antworten gibt, ist für die Wählerinnen und Wähler nicht mehr erkennbar.

Inwiefern?

Eine Partei, die auf jede gesellschaftliche Frage mindestens drei verschiedene Antworten gibt, ist für die Wählerinnen und Wähler am Ende nicht mehr erkennbar. Es geht nicht darum, dass man unterschiedliche Meinungen nicht aushalten könnte, das meine ich ausdrücklich nicht. Aber wir haben einen Bundesausschuss, einen Parteivorstand und eine Bundestagsfraktion, die nebeneinander agieren. Dieses Konstrukt ist ein Strukturfehler. Ich habe das damals schon gesagt.

Warum ist er nicht vermieden worden?

Er ist damals unter dem zeitlichen Druck der Vereinigung von PDS und WASG entstanden. Die Satzung ist am Ende von mir erzwungen worden, damit wir sie vor einer möglichen Wahlanfechtung fertig haben. Dafür bin also ich verantwortlich. Das schiebe ich niemandem anderen in die Schuhe.

Wir stellen also fest: Bodo Ramelow ist an allem Schuld.

(lacht) Ja, diese Satzung ist damals im Wesentlichen von mir geprägt worden, und sie war der Preis dafür, dass wir rechtzeitig die Fusion hinbekommen haben. Ich habe damals schon gesagt, das nicht alles so optimal geregelt sei. Das dann zu ändern, müssten aber später andere umsetzen.

Bodo Ramelow wünscht sich Veränderungen, um die Linkspartei zu erhalten.
Bodo Ramelow wünscht sich Veränderungen, um die Linkspartei zu erhalten.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Was muss konkret geändert werden?

Es braucht eine einheitliche Führung der Partei, die das auch nach außen repräsentiert. Da darf nicht die Bundestagsfraktion als einzelne Kraft stehen, weil sie kein Gremium der Partei ist. Es stehen leider im öffentlichen Raum drei Akteure: der Parteivorstand, der Bundesausschuss und daneben noch die Bundestagsfraktion. Wenn eine Partei Vorsitzende als verlässliche Repräsentanten auf dem Parteitag wählt, dann sollten diese auch führen können.

Man weiß aber auch nicht so recht, wofür die Linke inhaltlich steht, oder?

Es braucht eine Grundsatzdebatte darüber, wie wir das Erfurter Programm überarbeiten. Wie stehen wir als Linke zu den Themen Völkerrecht, Sicherheitspolitik, Landesverteidigung, dem Gewaltmonopol des Staates, Europäischer Vertrags-und Friedenspolitik. Die Frage des Völkerrechts und der EU sind Themen, die meine Partei nie richtig zu Ende debattiert hat. Meine Position ist klar. Ich stehe zum Gewaltmonopol des Staates, zu einer gut ausgerüsteten Landverteidigungsarmee, zu einem Europäischen Vertragssystem mit dem Ziel, Europa von Portugal bis zum Ural zu denken und Friedens-Beistandspolitik auf Basis vom KSZE-Prozess zu vereinbaren, dabei aber endlich wieder Abrüstung und Atomwaffenfreiheit als Ziele zu formulieren. Ich empfehle da die Rede von Willy Brandt zur Verleihung des Friedensnobelpreises.

Und die Haltung der Linken zu Waffen für die Ukraine?

Ich bin gegen Krieg und für Frieden, aber wer wäre das eigentlich nicht? Der Ukraine jedoch die Lieferung von Waffen zu verweigern, weil man selber gegen Waffen ist, damit können wir keinen Friedensplan entwickeln und glaubwürdig wäre es auch nicht. Denn mit der Lieferung von Hightech-Ausrüstung für ein Gefechtsübungszentrum (GÜZ) im russischen Mulino, etwa 330 Kilometer östlich von Moskau, hat der deutsche Konzern Rheinmetall für 100 Millionen Euro auch den Aggressor ausgerüstet.

Eier gehören in die Pfanne als Omelett und sind kein politisches Stilelement.

Im Juni ist Parteitag, passenderweise hier in Erfurt. Was erhoffen Sie sich davon?

Das Einzige, was ich mir von diesem Parteitag erwarte, ist, dass es ein Aufbruchssignal gibt. Wir brauchen eine Grundsatzdiskussion. Also die Debatte, die ich gerade angemahnt habe. Das habe ich auch gegenüber der verbliebenen Parteivorsitzenden Janine Wissler und anderen Akteuren klar formuliert. Wir brauchen auch rechtliche Veränderungen. Das Beispiel des Berliner Jugendverbandes ist ja ein alarmierendes.

Der hat sich am 1. Mai gerade wieder mit Eierwürfen auf die Berliner Regierende Bürgermeisterin hervorgetan. Meinen Sie das?

Eier gehören in die Pfanne als Omelett und sind kein politisches Stilelement. Ich finde es aber noch alarmierender, dass Vertreter des Berliner Jugendverbandes formulieren: Lasst die Partei doch endlich in die Asche gehen und aus der Asche entsteht was Neues. Alleine so ein Satz führt dazu, dass ich frage, warum wir nicht in der Lage sind, solchen Leuten den Zugang zu Funktionen zu verwehren. Denen empfehle ich den Film „Das Leben des Brian“, in dem die Volksfront von Judäa gegen die Judäische Volksfront kämpft.

Wer sind denn Ihrer Meinung nach die Hoffnungsträger in der Partei?

Jeder, der sich aufmacht, zu sagen: Ich will an diesen Baustellen arbeiten. Namen werden Sie von mir nicht hören.

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