Ein Erwachsener, dem es schwer f�llt, Verantwortung zu �bernehmen, und zwei Kids, die freiwillig die erwachsene Rolle annehmen – das ist die Geschichte hinter der Geschichte der ARD-Dram�die „Die Kinder meines Bruders“. Der Film von Ingo Rasper ist reich an psychologischen Nuancen, redet die Probleme trotz Freitagssendeplatz nicht klein und ist zugleich in einer angenehm unaufdringlichen Tonlage erz�hlt – ist stimmig & stimmungsvoll. Besonders �berzeugend sind David Rott, Max Hegewald und das gute Gesp�r f�r visuelle Metaphern. Allein den Abgesang auf das Sorgenkind „Milchquote“ hat die ARD etwas zu sp�t im Programm platziert. Dem hohen Unterhaltungsfaktor aber tut das keinen Abbruch.
Foto: Degeto / Conny KleinEs dauert ziemlich lange, bis der 16j�hrige Nico (Max Hegewald) und Onkel Erik (David Rott), der aus der Hauptstadt, so entspannt miteinander umgehen k�nnen.
Eric (David Rott) liebt sein unabh�ngiges Leben in Berlin ohne Verpflichtungen. Von einer gemeinsamen Zukunft haben er und seine Freundin Verena (Anna Thalbach) unterschiedliche Auffassungen. „Vater sein, das kann ich nicht, daf�r bin ich nicht geschaffen“, das ist bei dem Enddrei�iger nicht nur ein Spruch. Als sein Bruder (Roman Knizka) stirbt und ihm zwei Kinder „hinterl�sst“, f�hlt sich Eric in seiner �berzeugung best�tigt – sprich: sofort �berfordert. Der 16j�hrige Nico (Max Hegewald) behandle ihn wie den M�rder seines Vaters und die 11j�hrige Leonie (Cosima Schroeder) sei im Hungerstreik, bringt der Vormund die Lage ironisch auf den Punkt. Erschwert wird der famili�re Verlust durch die unsichere Zukunft. Der Hof ist verschuldet, die Molkerei zockt alle Milchbauern der Gegend weiter ab und die Mauscheleien, um EU-F�rderungsgelder zu bekommen, sind ein offenes Geheimnis. Der sture Nico versucht, mit Stallarbeit den Schock zu verdauen, will auf dem Hof bleiben und auf keinen Fall von seiner Schwester getrennt werden. Eric will den unrentablen Hof eigentlich so schnell wie m�glich abwickeln, doch dann erwacht das (K�mpfer-)Herz in ihm.
Foto: Degeto / Conny KleinSzene mit Ausblick. Onkel Eric (David Rott) will so schnell wie m�glich wieder nach Berlin. Das wird aber nicht so bald m�glich sein. Die Kinder brauchen ihn, also ist jetzt erst mal Landleben angesagt. Das Szenenbild deutet das schon mal dezent an.�
Ein Erwachsener, dem es schwer f�llt, Verantwortung zu �bernehmen, und ein Kind sowie ein Halbw�chsiger, die freiwillig die erwachsene Rolle annehmen – das ist die Geschichte hinter der Geschichte von „Die Kinder meines Bruders“, die das Autorenduo Josephin und Robert von Thayenthal problemorientiert und doch unaufdringlich erz�hlt. Ein Sohn, der dabei zusehen muss, wie sein Vater vor dessen Augen vors�tzlich in den Tod f�hrt – das ist eine B�rde, die der Film trotz ARD-Freitagssendeplatz nicht klein redet. Der Schmerz der Kinder, der Held, der ein wenig nachdenklich wird, was das Nicht-Verh�ltnis zu seinem Bruder und dessen Kindern in den letzten Jahren angeht und aus dem erst bei der Beerdigung die Gef�hle herausbrechen, seine heutige Berliner Anti-Haltung zum Thema Familie: Die psychologischen Nuancen finden ausreichend und vielschichtig Platz in den 90 Filmminuten. Dass die Hauptfigur nicht nur stellvertretend die Vaterrolle einnehmen muss, sondern auch noch biologisch Vater wird, geh�rt offenbar zur Semantik einer solchen Geschichte, die doppelt „aufgeladen“ sein muss, besitzt aber selbstredend auch eine dramaturgische Funktion: Jener Eric bekommt gleich zwei Mal die M�glichkeit, die Ver�nderung seines Lebensstils zum Ausdruck zu bringen. Da das aber in einer sympathischen Offenheit in Szene gesetzt wird, die auch ganz diesem locker-liebenswerten Helden entspricht, ist das alles andere als ein Manko.
Soundtrack: u.a. Johnny Cash ("Aloha Oe" / "Country Trash"), Emerson Lake & Palmer ("Lucky Man"), Steppenwolf ("Born To Be Wild")
Foto: Degeto / Conny KleinNico (Hegewald) ist emotional �berfordert. Erik (Rott) am Anfang auch, doch er findet in seine Verantwortung & kann dem Jungen viel von seiner Last abnehmen.
„Die Kinder meines Bruders“ findet von Anfang an einen stimmigen Erz�hlton, in dem die Landschaft, das Landleben, das Leichte, das Schwere und die h�here Politik gleicherma�en aufgehen. Die Schauspieler treffen die entsprechenden Tonlagen perfekt: David Rott als eigensinniger Schwiegermutter-Schwarm besticht vor allem durch den hohen „Nat�rlichkeitsfaktor“ seiner Kommunikation und Max Hegewald macht als Problembursche eine gewohnt gute Figur. Selbst die Nebenfiguren, diese bunte Dorfmischpoke, verstehen es, ihre Stichwortgeberrollen recht markant zu f�llen. Und dann ist da ja noch die Inszenierung. Im Zweifelsfall setzt Regisseur Ingo Rasper („Reine Geschmackssache“) auf ein starkes Bild: eine Umarmung zwischen Onkel und Neffe zur rechten Zeit; der traurige Abschied der Nichte in Richtung Heim; die Milch, die aus den ge�ffneten Milchtanks sprudelt, eine eindringliche Metapher f�r den Widerstand, f�r den Preiskampf zwischen Molkereiwirtschaft und Milchbauern und zugleich ein ironisches Sinnbild f�r die prophezeiten „bl�henden Landschaften“, hier quasi biblisch umgem�nzt zum „Land, darin Milch und Honig flie�t“. Sch�nste und sinnlichste Szene des Films: Der langsam erwachsen werdende Eric und der viel zu pragmatisch denkende Nico auf dem Heimweg vom Leichenschmaus; in einer einzigen Einstellung schlendern sie nebeneinander durch die Landschaft – es ist der Versuch einer Ann�herung, ein Gedankenaustausch �ber Tr�ume, in dem sich das Weltbild des 16-J�hrigen erschreckend spiegelt: Sein Traum ist es, genug Geld zu haben, um einen Melker einzustellen.�
Foto: Degeto / Conny KleinIn Berlin wartet Verena (Anna Thalbach) auf den Lebensk�nstler Erik (Rott), f�r den ein Leben mit Kindern nicht infrage kommt. Eine gemeinsame Zukunft der beiden ist deshalb ungewiss. Und der Film bietet auch keine billigen Happy-End-L�sungen...
Das Solidarit�tsszenario, der Milchkampf, findet in dieser ARD-Degeto-Produktion erfreulicherweise ein eher realistisch deutsches als von amerikanischem Pioniergeist und knalliger Heldenepos-Mentalit�t bestimmtes Ende. Zum Ausgleich gibt es daf�r die passenden Country-Kl�nge aus dem Repertoire von Johnny Cash. Kleiner Wermutstropfen: Die im Film verhandelte problematische „Milchquote“, von der EG 1984 ins Leben gerufen und von der EU 1993 �bernommen, wurde im Fr�hjahr 2015 abgeschafft. „Die Kinder meines Bruders“ als eine Art Abgesang auf die Milchquote h�tte – ausgestrahlt noch vor der neuen EU-Regelung – �ber die Unterhaltsamkeit hinaus auch (wirtschafts)politisch Aktualit�t und Relevanz gehabt. Der prophetische Film wurde bereits im Fr�hsommer 2014 gedreht. Die ARD-Programmplanung hat da mal wieder eine Chance verschlafen. (Text-Stand: 13.4.2016)
Foto: Degeto / Conny KleinUnd dann rebellieren Eric, Nico & die anderen Milchbauern der Gegend gemeinsam gegen die Machenschaften der Gro�molkerei. Auch das ohne wohlfeiles Happy End.
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
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