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Sicherheitsdiskussion

Nano ist nicht gleich Nano

06.06.2017  14:49 Uhr

Von Dagmar Fischer und Paul Warncke / Obwohl »Nano« ­allgegenwärtig ist, wird es in der täglichen Apothekenpraxis oft kaum wahrgenommen. Dabei haben Nanotechnologien als ­Arzneistoffträger oder in Medizinprodukten vielfältige Vorteile. Allerdings stellt sich auch immer die Frage nach der ­Nanosicherheit.

2011 hat die Europäische Kommission Nanomaterialien als natürliche, bei Prozessen anfallende oder hergestellte ­Materialien definiert, die Partikel im ungebundenen Zustand, als Aggregat oder Agglomerat enthalten und bei denen mindestens 50 Prozent der Partikel in der Anzahlgrößenverteilung ein oder mehrere Ausmaße im Bereich von einem bis hundert Nanometer (10-9 m) haben. Die 50-Prozent-Grenze kann in begründeten Fällen heruntergesetzt werden, wenn dies für den Schutz der Umwelt oder des Patienten notwendig ist (1).

Bei Kosmetikprodukten (EU-Kosmetik-Verordnung (EG) 1223/2009) (2) und Lebensmitteln (Lebensmittel-Informations-Verordnung (EU) 1169/2011) (3) ist die Erkennung von Nanomaterialien einfacher, da eine Kennzeichnungspflicht besteht. Nano-Bestandteile ­wer­den in der Liste der Inhaltsstoffe mit dem Wort »Nano« in Klammern hinter dem jeweiligen Bestandteil aufgeführt. Dies gilt jedoch nur für Komponenten, die unlöslich, biologisch ­beständig und absichtlich (Kosmetika) oder technisch (Lebensmittel) hergestellt wurden. 

Das heißt, dass beispielsweise für bestimmte nanoskalige ­Mizellen oder Eiweiße keine Kenn­zeichnung erforderlich ist. Anders verhält es sich dagegen bei nanohaltigen Textilien, zum Beispiel Funktionskleidung mit nano­ska­ligem Silber. Diese unterliegen der Bedarfs­gegenständeverordnung und müssen nach derzeitigem Stand nicht speziell gekenn­zeich­net werden (4). Nach der EU-Chemikalien­ver­ord­nung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) müssen Nanomaterialien, von denen in Europa mindestens eine Tonne pro Jahr hergestellt oder verwendet wird, bei der Europäischen Chemikalien­agentur (ECHA) in Helsinki registriert werden (5).  

Für Arzneimittel und Medizinprodukte gibt es keine spezielle gesetzlich vorgeschriebene Nano-Deklaration. Nach Meinung von Fachleuten sollte eine solche Kennzeichnung vermieden werden, damit Patienten Nanomaterialien per se nicht als Risiko wahrnehmen und der Behandlungserfolg nicht beeinträchtigt wird (6). Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) begegnet den Herausforderungen durch die neu eingerichtete interdisziplinäre Arbeitsgruppe Nanomedizin, wo Nanoprodukte den üblichen strengen Anforderungen unterliegen. 

Der Nanoaspekt per se spielt derzeit keine Rolle bei der Bewertung der Wirtschaftlichkeit von Arzneimitteln oder der Erstattung durch die Krankenkassen.


Kleine Dimension in großer Vielfalt

 

Die Welt der Nanopartikel ist äußerst divers: von Partikeln aus harter Materie, zum Beispiel Silica, Eisenoxid, Gold oder Silber, bis hin zu Partikeln aus weicher Materie wie Liposomen, Polymerpartikeln, Mizellen oder Dendrimeren. Zudem können Nanopartikel ganz unterschiedliche Formen annehmen, unterschiedlich beschaffene Oberflächen aufweisen und mit verschiedenen Ladungen oder Liganden zum Targeting, zum Beispiel Zuckern, Antikörpern oder auch Stealth-Polymeren, funktionalisiert sein. Alle diese Strukturmerkmale beeinflussen die Eigenschaften der Partikel und führen zu unzählig vielen ­unterschiedlichen Systemen.

 

Das heißt: »Den einen« Nanopartikel gibt es nicht. Daher ist die oft in den Medien generalisierte Aussage »Nano ist schädlich« so nicht haltbar und muss spezifiziert werden. Zudem muss eine solche Aussage immer in Bezug zur Art der Exposition (Aufnahmeweg, Dosierung und Dauer der Applikation) gesetzt werden. Die Berücksichtigung dieser Diversität macht die Entwicklung von Vorhersagemodellen über das biologische Verhalten von Nanomate­rialien sowie Klassifizierungsmodelle zur Einteilung der Nanomaterialien aufwendig und schwierig.

Publikationen kritisch ­betrachten

 

Das Thema Nanosicherheit wird kon­trovers diskutiert. Laut einer Studie von 2014 sind zahlreiche Studien aufgrund von ungenügenden Materialcharakterisierungen und unzureichenden Kon­trollen als nicht valide zu bewerten (7). Zudem erschwere die »babylonische Diversität« der verwendeten Methoden die Vergleichbarkeit der Daten, und häufig entspreche das Studiendesign nicht den wissenschaftlichen Qualitätsansprüchen und führe gegebenenfalls zu Fehlinterpretationen. Sogenannte »No effect«-Studien, die keine unerwünschten Effekte der Nanopartikel beschreiben, sind kaum publizierbar. Umso wichtiger ist es, die verfügbare Literatur kritisch zu hinterfragen. Was ist zu beachten?

 

Alle in einer Studie bewerteten Nanomaterialien sollten bezüglich ihrer physikochemischen Eigenschaften wie Morphologie, Größenverteilung oder Oberflächenladung weitreichend charakterisiert sein. Aufnahme in Zellen, Transport über Körperbarrieren und Eliminationsprozesse hängen beispielsweise von der Partikelgröße ab. Nanopartikel, die unzureichend im Testmedium dispergiert werden oder agglomerieren, zum Beispiel viele kationische Systeme in Zellkulturmedien, verhalten sich wie größerskalige Systeme; sie werden in viele Zellen schlechter aufgenommen als die jeweiligen Einzelpartikel (8). Für stäbchenförmige Nanopartikel wurden im Vergleich zu sphärischen Systemen längere Zirkulationszeiten im Blut, langsamere Zellaufnahme und renale Clearance sowie eine geringere Aktivierung von Makrophagen und toxischen Effekten beschrieben (9-11). Berücksichtigt werden müssen zudem Verunreinigungen aus der Synthese oder biologischer Natur. Zum Beispiel können Endotoxine falsch-positive Effekte in Entzündungs-Assays hervorrufen (12).

 

Bei Kontakt mit proteinhaltigen Körperflüssigkeiten und Zellkulturmedien bildet sich zudem durch Auflagerung von Proteinen eine sogenannte Proteincorona an der Partikeloberfläche, die die Identität der Partikel massiv verändert. An diesem dynamischen Prozess, der innerhalb von 30 Sekunden nach Kontakt mit dem proteinhaltigen ­Medium abläuft, sind teilweise mehr als 300 verschiedene Proteine beteiligt (13). Die Bildung der Proteincorona kann zu einer Vergrößerung des Partikeldurchmessers und Veränderung der Ober­flächenladung führen, wodurch Wechselwirkungen der Nanopartikel mit Blutbestandteilen und Zellober­flächen wie auch pathophysiologische Effekte verändert werden (14).

 

Besonderes Augenmerk muss bei der Bewertung von Veröffentlichungen auf die Relevanz für den Patienten gelegt werden. Die Veränderung des Erbguts von Rettichpflanzen und ihres Wuchses durch nanoskalige Kupferoxid-Teilchen (15) geisterte zwar durch die Medien, muss aber bezüglich der Übertragbarkeit auf den Menschen kritisch hinterfragt werden. Dies gilt generell für die Übertragbarkeit zwischen verschiedenen Spezies. Zudem arbeiten einige Studien mit therapeutisch nicht relevanten, sondern massiv überhöhten Konzentrationen, woraus oftmals zwar spektakuläre toxikologische Berichte resultieren, die aber keine praktische Relevanz haben. In Zellkultur können hohe Konzentrationen an Nanomaterial die Zellen unspezifisch »ersticken« (7). Die pulmonale Verabreichung einer Nano-Überdosis im Tierversuch kann zum Verschluss der Atemwege und zum Erstickungstod der Tiere führen (16).

 

Weiterhin ist die korrekte Auswahl von In-vitro-Testmethoden entscheidend, da viele Assays mit den Nanopartikeln interagieren und Fehlinterpretationen verursachen (17, 18).

Tabelle 2: Beispiele von Nanomaterialien und ihre Verwendung als Medizinprodukt

Nanomaterial Mögliche Verwendung
Nanosilber Wundverbände, OP-Bekleidung, Stützstrümpfe, Katheter- und Implantat-Beschichtung
Nanokeramik Zahnfüllungen
Nanodiamant Oberflächenbeschichtung für chirurgische ­ Instrumente
Kohlenstoff-Nanoröhrchen in Knochenzement
Eisenoxid-Nanopartikel Diagnostika, Thermoablation, Hyperthermie
Hydroxylapatit und Tricalciumphosphat in Knochenersatzmaterialien
Nanokomposite Beschichtung von Stents

Nano in Arzneimitteln und ­Medizinprodukten

 

Derzeit befinden sich 43 als »Nano« eingestufte Arzneimittel weltweit auf dem Markt; mehr als 70 Prozent davon sind für die parenterale Anwendung, bevorzugt intravenös, seltener intramuskulär oder subkutan konzipiert (19-21). Aufgrund des EPR-Effekts (Enhanced Permeability and Retention), das heißt des passiven Targetings von Nanomaterialien in Tumorgeweben, kann deren intravenöse Verabreichung vor allem bei Krebserkrankungen oder Infektionen therapeutische Vorteile bieten und steht daher im Fokus der Anwendungen (lesen Sie dazu auch Nanomedizin: Potenzial besser nutzen). Andere Darreichungsformen zur topischen, oralen und nasalen Applikation spielen eine untergeordnete Rolle, da Haut und Schleimhaut eine wirksame Barriere für den Eintritt von Nanomaterialien darstellen.

Nanopartikel werden bevorzugt eingesetzt, wenn Wirkstoffe schwer löslich sind, sich leicht zersetzen oder toxisch sind (insbesondere durch unspezifische Effekte), wenn sie biologische Barrieren nicht überwinden können oder sich unspezifisch anreichern. Tabelle 1 gibt einen Überblick über ­unterschiedliche Formen von marktrelevanten Nanocarriern und typische Beispiele. Als ein Beispiel sei Abraxane® genannt, das nanoskaliges (50 bis 150 nm) Albumin-gebundenes Paclitaxel enthält und im Körper zu Arzneistoff beladenen Albuminmolekülen dissoziiert. Damit umgeht man die ­Problematik der unerwünschten Wirkung des Emulgators Cremophor®, der bis­her zur Löslichkeitsverbesserung des ­lipophilen Paclitaxels verwendet ­wurde (22).

 

Ein weiteres Beispiel für eine nano­skalige Formulierung ist AmBisome®, das Amphotericin B in unilamellaren Liposomen (100 nm) enthält und bei systemischen Mykosen angewendet wird. Neben einer Verlängerung der Zirkulationszeit in der Blutbahn führt die Formulierung zu einer Anreicherung im Target-Gewebe und zur Reduktion der Nebenwirkungen (vor allem Nierenschädigung) im Vergleich zum freien Wirkstoff (23). Eisenoxid-Nanopartikel, die bisher vor allem als Diagnostikum in der Magnetresonanztomografie (MRT) zur Kontrastverstärkung eingesetzt wurden, erleben derzeit eine Renaissance als Wirkstoffträgersystem zum magnetischen Drug Targeting oder zur Hyperthermie-kontrollierten Freisetzung (24, 25).

 

Im Bereich der Medizinprodukte sind Nanomaterialien bereits weit verbreitet, um gezielt Zellwachstum auf Oberflächen zu fördern oder zu verhindern, mikrobizide, antibiotische oder photokatalytische Effekte zu erzeugen oder Langzeitstabilität zu erreichen (Tabelle 2). Die Anwendungsgebiete für Medizinprodukte fokussieren vor allem auf In-vitro-Testsysteme, Imaging-Tools wie Kontrastmittel, Coatings für Knochenersatzmaterialien, Zahnprodukte oder Wundauflagen (21). Zunehmend begegnet man Nano in Form von »Lab-on-a-chip«-Systemen, das heißt miniaturisierten Mikroarrays, die die parallele Analyse tausender Einzelnachweise von biologischen Probenmaterialien und damit zum Beispiel Blut- oder Urinuntersuchungen im Hochdurchsatzverfahren ermöglichen (26).

 

Eintrittspforten in den ­Körper


Im pharmazeutischen Bereich werden Nanopartikel im Wesentlichen dermal, pulmonal, oral oder parenteral nach Injektion in den Körper aufgenommen. Die intakte Haut stellt eine sehr effiziente Barriere gegen das Eindringen von Nanopartikeln dar (7). Es gibt derzeit keine Veröffentlichung, die eine effektive therapeutische Dosis nach Aufnahme über die Haut beschreibt (27, 28). Eine Penetration von Nanopartikeln in lebendes Hautgewebe konnte nur nach größeren Verletzungen, mechanischem Stress oder intensiver Lösungsmittelbehandlung erreicht werden (7, 29). Die Aufnahme über die Haare erscheint aufgrund der geringen Gesamtfläche (weniger als 0,1 Prozent der Hautoberfläche) vernachlässigbar (30). In der Beratung ist dies insbesondere für Titandioxid in Sonnenschutzpräparaten relevant, die laut Hersteller nur auf intakter Haut anzuwenden sind.

 

Im Gegensatz dazu können Nano­partikel die Lunge und den Darm durchaus als Eintrittspforte nutzen. Ein geringer Anteil kann resorbiert werden, der größte Anteil wird durch Makrophagen prozessiert oder mit den organrelevanten Ausscheidungsprozessen eliminiert (7). Bei der pulmonalen Applikation ist darauf zu achten, dass Instillationsstudien (direkte Applikation in die tiefen Atemwege) im Gegensatz zur Inhala­tion oftmals technisch bedingt mit Überdosierungen arbeiten und unspezifische Aspekte anzeigen können, die sich nicht immer durch Inhalationen bestätigen lassen (31). Generell kann eine Inhalation zu partikel- und damit nanounspezifischen transienten Entzündungen der Lunge führen, die einer Feinstaubbelastung ähnlich sind (7).

 

Titandioxid-haltige Sonnenschutzsprays arbeiten daher als Pumpsprays, die relativ große Tröpfchen bilden, die bei unbeabsichtigtem Einatmen durch Impaktion bereits im Rachenraum abgeschlagen werden (32). Außerdem sollten diese Produkte nicht direkt in das Gesicht gesprüht werden. Als durchaus kritisch müssen sogenannte »high aspect ratio«-Nanopartikel (HARN, zum Beispiel steife Kohlenstoff-Nanoröhrchen) betrachtet werden, die asbestähnliche toxikologische Effekte in Abhängigkeit von ihrer Morphologie verursachen können (33).

 

Am häufigsten wurden systemische Übertritte in die Blutbahn nach oraler Aufnahme von Nanopartikeln beschrieben. Dies betrifft vor allem lösliche Partikel wie Zinkoxid (ZnO) oder Silber (Ag), die daher kaum in oral anwend­baren Produkten zu finden sind. Oft wurde in diesen Studien auch mit deutlichen Überdosierungen gearbeitet. Bei löslichen Nanopartikeln sind toxische Effekte möglicherweise auf die stoff­lichen und nicht die nanospezifischen Effekte zurückzuführen; ein direkter Nachweis der Partikel per se fehlt oftmals (7).

Eine Anfang 2017 veröffentliche Studie sorgte für Aufsehen, da sie zeigte, dass die tägliche orale Gabe von Titandioxid-Dispersionen bei Ratten Immunzellen stimuliert und das Risiko von chronischen intestinalen Entzündungen und Karzinogenese erhöht (34). Zuvor war die Unbedenklichkeit von Titandioxid in zahlreichen Studien gezeigt worden. Wie relevant diese Daten sind und inwieweit sie sich auf den Menschen übertragen lassen, muss noch geklärt werden.

 

Unzählige Studien finden sich zu akuten Effekten von Nanopartikeln im Organismus. Viele Zelltypen nehmen Nanopartikel vorwiegend endozytotisch auf und prozessieren diese intrazellulär vergleichbar zu Feinstaubpartikeln. Eine Aufnahme in den Zellkern ist vermutlich selten (7). Nach systemischer Injektion werden Nanopartikel innerhalb von etwa 30 Minuten aus dem Blut entfernt und in den Organen des retikuloendothelialen Systems (80 Prozent Leber, 5 bis 20 Prozent Milz, 1 bis 2 Prozent Knochenmark) abgelagert. Der Abbau von Eisenoxid-Nano­partikeln beispielsweise kann mehrere Wochen oder Monate dauern, wobei die Toxikologie der Abbauprodukte und der gealterten Partikel ebenfalls berücksichtigt werden muss. Insbesondere die Art der Partikelhülle (meist natürliche oder synthetische Polymere) ist für den Abbau von Bedeutung (35).

 

Systematische Informationen über Langzeiteffekte sind nur bedingt zu finden und derzeit Schwerpunkt in verschiedenen EU- und BMBF-Projekten. Die Frage, ob Nanopartikel die Blut-Hirn-Schranke oder Blut-Plazenta-Schranke passieren können, ist bislang nicht eindeutig zu beantworten, zumal in der Entwicklung von Wirkstofftransportern viele Anstrengungen unternommen werden müssen, um nano­partikuläre Systeme überhaupt die Blut-Organ-Schranken gezielt passieren zu lassen. Es gibt bislang wenige bekannte Partikel, die diese Barrieren von selbst in relevanten Mengen überwinden (36).

 

Nano als Hilfsstoffe

 

Nanoskalige Hilfsstoffe in Nanopharmazeutika und Kosmetika gehören zum Standardrepertoire. Häufig ein­gesetzte Nanomaterialien sind neben Titandioxid vor allem Siliciumdioxid, Silber oder Zinkoxid. 

Während Nano-Titandioxid bei Applikation auf der intakten Haut keine erhöhte Gefahr für Anwender und Hersteller birgt, da es die lebenden Zellschichten nicht erreicht, zeigten Studien bei wiederholter pulmonaler Applikation sehr hoher Dosen ein potenzielles karzinogenes Potenzial. Die bisherigen Untersuchungen reichen aber nicht aus, um die Relevanz beim Menschen einzuschätzen (37). Zudem zeigt Nano-Titandioxid eine Tendenz zur Bildung größerer Agglomerate mit verändertem Verhalten in Organismus und Umwelt. Als Alternative, zum Beispiel in Sonnenschutzmitteln, wird ZnO vor allem aufgrund seiner Löslichkeit forciert.

Bei SiO2 ist zwischen kristalliner und amorpher Form zu unterscheiden. Für die kristalline Form (Quarzstaub) wurden Silikosen der Lunge, irreversible Entzündungsreaktionen und chronische Atemwegserkrankungen beobachtet (38). Die amorphe Form, die in Rezepturen Anwendung findet, zeigt nach heutigem Kenntnisstand diese Effekte nach inhalativer und oraler Aufnahme nicht. Nach oraler Aufnahme wird der Stoff über den Magen-Darm-Trakt ausgeschieden (38). Wie bei Nano-Titandioxid bilden sich stabile Aggregate bis hin zu einem dreidimensionalen Sphärokolloid, die nur erschwert in den Organismus aufgenommen und transportiert werden können (Grafik).

 

Von Nanosilber in Lebensmitteln und Produkten des täglichen Bedarfs rät das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ab (39). Dagegen hat Nanosilber für medizinische Zwecke, zum Beispiel bei der Wundbehandlung, durchaus eine Berechtigung. Die häufigste unerwünschte Wirkung ist die dunkle Verfärbung von Haut und Schleimhäuten (Argyrie beziehungsweise Argyrose), die ausschließlich nach lang anhaltender oder hoch dosierter Anwendung zu beobachten war. Die Aufnahme von Nanosilber in das Stratum corneum ist geringer als 1 Prozent, eine Hautpenetration ist nicht nachweisbar (40).

Zuverlässige ­Informationsquellen

 

Die Fülle an Informationen über Nanomaterialien ist immens, oft unübersichtlich und widersprüchlich. Im Internet stößt man auf eine Vielzahl von Datenbanken, deren Nutzen kritisch hinterfragt werden muss. Häufig handelt es sich um eher unsystematische Sammlungen von Sicherheitsinformationen, die aufgrund unterschiedlicher Versuchsdesigns kaum miteinander vergleichbar sind.

 

Empfehlenswert vor allem für die Beratungspraxis ist die »DaNa« (Daten und Wissen zu Nanomaterialien, www.nanopartikel.info), die eine Wissens­basis über Nanomaterialien bezüglich Materialeigenschaften, Anwendungen sowie Verhalten in Körper und Umwelt schafft. Zur Auswahl der Daten wurde ein Qualitätssicherungssystem angelegt, bei dem Veröffentlichungen anhand von definierten Kriterien bewertet und nur bei Erfüllung der Kriterien in die »DaNa« aufgenommen werden. Die Datenbank bietet sowohl auf Laien- und Patientenebene verständliche Informationen über Nanomaterialien als auch tiefergehende Informationen für Fachkreise. Weitere aktuelle Informationen bietet das BfR, unter anderem zur Produktsicherheit von Nanomaterialien (www.bfr.bund.de). Um den Kontakt zu einem Experten herzustellen, hilft die Forschungslandkarte Nanotechnologie (Nano-Map, www.nano-map.de); sie ermöglicht die Suche nach Institutionen, die sich mit Nanomaterialien befassen.

 

Und die Zukunft?

 

Das Potenzial der Nanotechnologie in der Medizin und Pharmazie ist immens und ausbaufähig. Die strukturelle Vielfalt der Nanomaterialien lässt viele Ideen zu, zum Beispiel zu zielgerichteten Therapien und personalisierten Applikationen. Aber: Nano ist nicht gleich Nano! Generalisierte Aussagen zur Nanosicherheit sind daher schwierig; es sind immer wieder Einzelfallbetrachtungen notwendig. Klassifizierungen und Gruppierungen von Nanopartikeln werden derzeit als Vorhersage-Tools für die Sicherheitsbewertung interna­tional angestrebt. Dafür sind jedoch standardisierte Testverfahren, Ring­versuche und harmonisierte Testprotokolle nötig – ein Prozess, der in der EU mit verschiedenen Fördermaßnahmen vorangetrieben wird. /

Danksagung

Wir danken dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für die finanzielle Unterstützung (»NanoBEL«, 03XP0003).

Die Autoren

Dagmar Fischer ist approbierte Apothekerin und Diplompharmazeutin. 1997 folgten die Promotion und 2004 die Habilitation in Pharmazeutischer Technologie und Biopharmazie an der Universität Marburg. Von 2004 bis 2008 leitete sie die präklinische Forschung und Entwicklung bei der Antisense Pharma GmbH in Regensburg. Seit 2008 ist sie Professorin für Pharmazeutische Technologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena mit dem Forschungsschwerpunkt der Entwicklung nanopartikulärer Drug-Delivery-Systeme auf der Basis von natürlichen und synthetischen Polymeren als Trägersysteme für innovative Wirkstoffe. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf Nanosicherheitsaspekten. Sie ist Generalsekretärin der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft, Vizedirektorin des Jena Center for Soft Matter und in zahlreichen Gremien aktiv.

 

Paul Warncke studierte Pharmazie in Jena. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Deutschen Universität in Kairo und dem Erlangen der Approbation 2015 begann er eine Promotion in der Arbeitsgruppe von Professor Dr. Dagmar Fischer. In seiner Arbeit beschäftigt er sich mit Eisenoxid-Nano­partikeln als Kontrastmittel und der ­Etablierung von präklinischen Testmodellen als Alternative zum Tierversuch im Rahmen des 3R-Konzeptes.

 

Professor Dr. Dagmar Fischer, Diplompharmazeut Paul Warncke

Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Pharmazie

Lehrstuhl für Pharmazeutische Technologie

Otto-Schott-Straße 41

07745 Jena

E-Mail: dagmar.fischer@uni-jena.de

Email: paul.warncke@uni-jena.de

Literatur 

  1. Empfehlungen der Kommission vom 18. Oktober 2011 zur Definition von Nanomaterialien (2011/696/EU).
  2. Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über kosmetische Mittel
  3. Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel.
  4. Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB). Inkrafttreten am 7. September 2005.
  5. Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH).
  6. FachDialog Nanomedizin – Bericht des BMU zur Nanomedizin, einschließlich der Diskussionergebnisse des FachDialogs Nanomedizin 2013.
  7. Krug, H. F., Nanosicherheitsforschung – sind wir auf dem richtigen Weg? Angew. Chem. 126, 46 (2014) 12502-12518.
  8. Schlenk, F., et al., Comprehensive analysis of the in vitro and ex ovo hemocompatibility of surface engineered iron oxide nanoparticles for biomedical applications. Arch. Toxicol. (2017)
  9. Chithrani, B. D., et al., Determining the Size and Shape Dependence of Gold Nanoparticle Uptake into Mammalian Cells. Nano Lett. 6, (2006)
  10. Champion, J. A., Mitragotri, S., Shape induced inhibition of phagocytosis of polymer particles. Pharm. Res. 26, 1 (2009) 244-249.
  11. Huang, X., et al., The shape effect of mesoporous silica nanoparticles on biodistribution, clearance, and biocompatibility in vivo. ACS nano 5, 7 (2011) 5390-5399.
  12. Schulze, C., et al., Not ready to use – overcoming pitfalls when dispersing nanoparticles in physiological media. Nanotoxicology 2, 2 (2008) 51-61.
  13. Tenzer, S., et al., Rapid formation of plasma protein corona critically affects nanoparticle pathophysiology. Nat. Nanotechnol. 8, 10 (2013) 772-781.
  14. Docter, D., et al., The nanoparticle biomolecule corona: lessons learned – challenge accepted? Chem. Soc. Rev. 44, 17 (2015) 6094-6121.
  15. Atha, D.H., et al., Copper oxide nanoparticle mediated DNA damage in terrestrial plant models. Environ. Sci. Technol. 46, 3 (2012) 1819-1827.
  16. Warheit, D. B., et al., Comparative pulmonary toxicity assessment of single-wall carbon nanotubes in rats. Toxicol. Sci. 77, 1 (2004) 117-125.
  17. Bahring, F., et al., Suitability of viability assays for testing biological effects of coated superparamagnetic nanoparticles. IEEE Trans. Magn. 49, 1 (2013) 383-388.
  18. Kroll, A., et al., Current in vitro methods in nanoparticle risk assessment: limitations and challenges. Eur. J. Pharm. Biopharm. 72, 2 (2009) 370-377.
  19. Weissig, V., Guzman-Villanueva, D., Nanopharmaceuticals (part 2): products in the pipeline. Int. J. Nanomed. 10, (2015) 1245.
  20. Weissig, V., et al., Nanopharmaceuticals (part 1): products on the market. Int. J. Nanomed. 9, (2014) 4357.
  21. Etheridge, M. L., et al., The big picture on nanomedicine: the state of investigational and approved nanomedicine products. Nanomedicine: NBM 9, 1 (2013) 1-14.
  22. Green, M., et al., Abraxane®, a novel Cremophor®-free, albumin-bound particle form of paclitaxel for the treatment of advanced non-small-cell lung cancer. Ann. Oncol. 17, 8 (2006) 1263-1268.
  23. Boswell, G., et al., AmBisome (liposomal amphotericin B): a comparative review. J. Clin. Pharmacol 38, 7 (1998) 583-592.
  24. Laurent, S., et al., Magnetic fluid hyperthermia: focus on superparamagnetic iron oxide nanoparticles. Adv. Colloid Int. Sci. 166, 1 (2011) 8-23.
  25. Laurent, S., et al., Superparamagnetic iron oxide nanoparticles for delivery of therapeutic agents: opportunities and challenges. Expert Opin. Drug Deliv. 11, 9 (2014) 1449-1470.
  26. Mark, D., et al., Microfluidic lab-on-a-chip platforms: requirements, characteristics and applications. Chem. Soc. Rev. 39, 3 (2010) 1153-1182.
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  30. Alvarez-Román, R., et al., Skin penetration and distribution of polymeric nanoparticles. J. Control. Release 99, 1 (2004) 53-62.
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  32. Hagendorfer, H., et al., Size-fractionated characterization and quantification of nanoparticle release rates from a consumer spray product containing engineered nanoparticles. J. Nanopart. Res. 12, 7 (2010) 2481-2494.
  33. Donaldson, K., et al., Identifying the pulmonary hazard of high aspect ratio nanoparticles to enable their safety-by-design. Nanomedicine 6, 1 (2011) 143-156.
  34. Bettini, S., et al., Food-grade TiO2 impairs intestinal and systemic immune homeostasis, initiates preneoplastic lesions and promotes aberrant crypt development in the rat colon. Sci. Rep. 7 (2017).
  35. Rabel, M., et al., Simulation of the biodegradation of iron oxide and iron oxide-silica nanoparticles in artificial body fluids. DPhG Jahrestagung 2016.
  36. Saraiva, C., et al., Nanoparticle-mediated brain drug delivery: Overcoming blood–brain barrier to treat neurodegenerative diseases. J. Control. Release 235, (2016) 34-47.
  37. Stellungnahme Nr. 005/2011 des BfR und des UBA vom 15. April 2010: Beurteilung eines möglichen Krebsrisikos von Nanomaterialien und von aus Produkten freigesetzten Nanopartikeln.
  38. International Agency for Research on Cancer (IARC) Working Group on the Evaluation of Carcinogenic Risks to Humans: Silica, Some Silicates, Coal Dust and Para-Aramid Fibrils, 1997.
  39. Stellungnahme Nr. 024/2010 des BfR vom 28. Dezember 2009 : BfR rät von Nanosilber in Lebensmitteln und Produkten des täglichen Bedarfs ab.
  40. Kokura, S., et al., Silver nanoparticles as a safe preservative for use in cosmetics. Nanomedicine: NBM 6, 4 (2010) 570-574.

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