Gefährliche Brandung | Kritik | Film | critic.de

Gefährliche Brandung – Kritik

Die erste Wunschkritik unserer Abonnenten: Mit jedem Sprung die Reißleine später ziehen – oder der human spirit als Dauerausschüttung körpereigener Drogen. Statt auf die Seite des Guten oder Bösen schlägt sich Kathryn Bigelow in Gefährliche Brandung auf die Seite des Adrenalins.

Mein liebster Moment in Gefährliche Brandung (Point Break) ist ein Close-up auf Patrick Swayzes melancholische blaue Augen in der Ronald-Reagan-Maske. Der Bankräuber auf der Flucht klammert sich an die stacheldrahtbewehrte Spitze eines Zauns und blickt auf seinen verletzt auf dem Asphalt liegenden Verfolger zurück, einen Seelenverwandten, der sich erst kurz vorher als Undercover-Agent entpuppt hat. Nun ist Bodhi (Swayze) schutzlos in dessen Schusslinie, und nach dem bis hierhin zurückgelegten Weg meint man es in seinen Augen zugleich enttäuscht, flehend, prüfend, mahnend, herausfordernd schimmern zu sehen. FBI-Agent Utah (Keanu Reeves) jedenfalls ist, von diesem Blick im Gegenschuss getroffen, außerstande, den Brudermord / Vatermord / Präsidentenmord zu begehen – stattdessen verballert er seine Munition wütend in die Luft und lässt den uneingestanden längst geliebten Feind entkommen. Und von hier an steht eigentlich schon fest, dass er ihm am Ende am australischen Strand die Handschellen aufschließen und ihn zum letzten Ritt auf der Welle des Jahrhunderts entlassen wird.

Gegenwelten

In manchen Inhaltsbeschreibungen heißt es, je mehr Utah von Lebensstil und Philosophie von Bodhis Surfer-Gang vereinnahmt werde, umso stärker beginne er an seiner Cop-Tätigkeit zu zweifeln. Dabei ist er dem Zauber dieser Welt, in die er von seiner Surf-Lehrerin und baldigen Geliebten Tyler (Lori Petty) eingeführt wird und wo man sich am Strand, in den Wellen und im mit Kerzenlicht illuminiertem Hippie-Anwesen dem hedonistischen Rausch hingibt, fast augenblicklich erlegen; bald marschiert er mit Surfbrett unterm Arm ins Revier, halb schon ein Besucher aus der Gegenwelt. Andererseits treibt er als Cop die Ermittlungen gegen Bodhi bis zuletzt mit dem immer gleichen Hyperehrgeiz weiter, wird allerdings, als infiltriere die eine Welt zuverlässig die andere, stets im rechten Moment außer Gefecht gesetzt, mal durch ein schmerzendes Knie, mal durch die hirnverbrannte Idee seines Vorgesetzten, ihm ausgerechnet im Augenblick der Zugriffsmöglichkeit vorm Bankgebäude ein Sandwich holen zu lassen – eine Aktion, die man kaum noch mit Dummheit und fast nur noch mit dem Eingriff höherer Mächte erklären kann. Überhaupt ist Pappas (Gary Busey), seinem Namen zum Trotz, als Vaterfigur Bodhi kaum ebenbürtig: Ein Cop mit Bauchansatz, der mault, weil er für eine Tauchübung in den Pool springen soll, und ein gegens Sonnenlicht gefilmter muskulöser und langmähniger Männerkörper, der eine Pazifikwelle reitet – selten war ein Gefälle zwischen zwei potenziellen spiritus rectors gleich nach dem je ersten Auftritt größer. Und selten hat man in einem Film, der nicht als Komödie gemeint ist, ein dilettantischeres Ermittlerduo gesehen als Utah und Pappas.

Vor der Ironie-Welle des 90er-Jahre-Kinos

Eine Surfer-Gang, die sich ihren Lebensstil mit in Präsidenten-Masken durchgeführten Banküberfällen finanziert: Roger Ebert lästerte in seiner – sonst wohlgesinnten – Rezension, dass es sich hierbei auch um den Plot von Die nackte Kanone 3 1/2 handeln könnte. Point Break, Kathryn Bigelows vierter Spielfilm, stieß bei der zeitgenössischen Kritik auf verhaltene Resonanz. „Pretty but dumb“, watschte ihn TIME-Kritiker Richard Corliss durchaus repräsentativ ab. Und noch das bis heute anhaltende cult following gibt sich gerne mal ironisch – in einer beliebten Theater-Parodie namens Point Break Live! darf ein aus dem Publikum ausgewählter Darsteller den Part von Johnny Utah von Karten ablesen und sorgt jedes energisch rausgehauene „Definitely!“ – das Lieblingswort des strebsamen jungen Cops mit den Super-Abschlüssen – für einen Lacher.

Mir selbst ist eine solche Attitüde von früher nicht fremd; als ich Point Break Anfang der 1990er erstmals im Keller eines Freundes in Bong-geschwängerter Luft auf Video sah, waren wir in der kritischen Phase der cinephilen Sozialisation, in der wir die Vielfalt des Films jenseits von Hollywood gerade so zu entdecken begannen und deshalb eben jenem als „Mainstream“ abgestempelten Kino mit demonstrativer Geringschätzung meinten begegnen zu müssen. Die Fallschirmsprungszenen: ziemlich abgefahren; Anthony Kiedis’ kurzer Auftritt als Mitglied einer Nazisurfer-Gang: very weird; der Film im Ganzen: völliger Schwachsinn, eh klar. Man tat abgezockt, um zu überspielen, wie gerne man sich mit den beiden verwegenen Helden in die Wellen und in die Wolken stürzte. Und auf Patrick Swayze war man, sofern man ein paar Jahre früher von seinem Schwarm zigmal in Dirty Dancing geschleppt wurde und dann doch einen Korb bekam, ohnehin nicht gut zu sprechen.

Gegen das System

Als ich den Film 25 Jahre später und mit einem Marianengraben an ironisch gebrochenem Genrekino dazwischen – Point Break ist im Produktionsjahr 1991 noch knapp auf der anderen Seite – im Rahmen einer Bigelow-Retro erstmals im Kino sehe, empfinde ich es dagegen als Wohltat, wie bruchlos er sich seinem Sujet anverwandelt, wie angenehm ernst die Regisseurin die Prämissen eines gewiss formalhaften Genrefilms nimmt, ganz ungerührt von den Spott-Steilvorlagen, die das Gebaren und die Sprüche seiner virilen Hauptfiguren fraglos bieten. Auch wenn es schwerfällt, Bodhis comic-philosophische Ausführungen über den Kampf „gegen das System“ und für die Wiedererweckung des „human spirit“ allzu ernsthaft als subversiv zu verstehen. Wenn er „human spirit“ sagt, meint er vor allem die Dauerausschüttung körpereigener Drogen, ob beim 90-Sekunden-Heist, beim Wellenritt oder beim Fallschirmsprung, eine Freiheit, für die Bodhi, trotz in fast 30 Überfällen durchgehaltener Gewaltlosigkeit, bald auch einen hohen Blutzoll in Kauf nehmen wird und die schließlich in reine Todessehnsucht umschlägt.

Doch dem Film geht es mit einiger Energie darum, diese sicherlich fragwürdige Freiheitsvorstellung ins Bild zu setzen und sie das Publikum an der Seite von Utah miterleben zu lassen. Und der Abgezocktheit lange überdrüssig, nehme ich das Angebot gerne an, sich mit den moralisch gleichermaßen ambivalenten Figuren auf die Seite weder des Guten noch des Bösen, sondern des Adrenalins zu schlagen – bis sich mir dann wirklich die Eingeweide zusammenziehen, wenn sich Utah in dem irrwitzigen Showdown ohne Fallschirm aus dem Flugzeug stürzt. Doch noch vor den fraglos spektakulären Surf- und Sprungszenen ist eine per Handkamera eingefangene Verfolgungsjagd zu Fuß, quer durch Vorgärten, Gassen und Reihenhauswohnungen, mit umgeworfenen Gartentischen und zugeworfenen Pitbulls, eine der durchbeutelndsten Actionszenen, die ich je im Kino erlebt habe.

Die Reißleine immer später ziehen

Die Aufklärung eines Verbrechens ist nie das Spannungsmoment, die Kriminalstory nur der Rahmen für das mythische Duell der beiden Hauptfiguren, das bereits im Vorspann mit einer Surfer-Schießstand-Parallelmontage angedeutet wird. Ein moralischer Konflikt ist dabei nicht der erste Antrieb, weder in einem der beiden Protagonisten noch zwischen ihnen: Es geht vor allem um ein Kräftemessen, bei dem Runde um Runde die Reißleine später gezogen werden muss. Diese zielstrebige Konsequenz beider Hauptfiguren bekommt nicht nur die weibliche Hauptfigur Tyler zu spüren, Exfreundin des einen und Neu-Geliebte des anderen, von einem belogen und vom anderen als Köder in einer Erpressung eingesetzt – darüber hinaus interessiert sich Bigelow in der zweiten Filmhälfte kaum noch für sie –, und auch einige weitere Figuren werden auf beiden Seiten geopfert, bis der finalen Konfrontation am Strand die Bühne bereitet ist. Wenn Utah am Ende seine Dienstmarke wegwirft wie Callahan in Dirty Harry, dann vielleicht weniger aus Abscheu vor einem korrumpierenden System als aus der Einsicht, dass er darin nie etwas Gleichartiges erleben wird.

Trailer zu „Gefährliche Brandung“


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Kommentare


Short Cut

Vielen Dank für diese tolle (Wunsch)Kritik, die den Film in etlichen Facetten wiedergibt. Besonders schön der Einstieg in diesen Text, mit dem Hinweis auf die tolle Szene (Berührung-Blickwechsel) innerhalb der irren Verfolgungsjagd. Wirklich ein sehr, sehr schöner Text !


Moinet

Die großartige Verfolgungsjagd beginnt auch mit einem Blickkontakt der beiden, sie ist also dadurch gerahmt. Ab dieser Szene erhält der Film eine gewisse Bewegungsenergie, eine Rastlosigkeit (eine Rastlosigkeit, die vielleicht auch Benjamin Heisenbergs Der Räuber interessiert): Die Verfolgung, später der Überfall (Bewegung Autofahrt–Rein–Raus), dann der Fallschirm (der freilich noch am ehesten auch ein stationäres Moment aufweist), überhaupt die offene Auseinandersetzung ab hier. Die "Action" war vorher irgendwie mehr gesettelt (Football, Party, Schlägerei, Zugriff im falschen Haus). Das Surfen, das dann bezeichnenderweise bis zum Schluß in den Hintergrund tritt, ist im Film vielleicht die größtmögliche stationäre Bewegung, was erklärt, warum Bodhi diese Erfahrung mit seinem Jahrhundertsturm maximieren will – entweder wenigstens maximieren, weil der adrenalingeschwängerte Surfmoment ohne ein adäquates Danach ihm eben doch nie ausreichend intrinsische Bewegung und damit Lebensenergie bietet, oder endlich maximieren, weil der "human spirit" eigentlich Schutztarnung der eigenen, individualistischen, psychologisierbaren Todesangst/Todessehnsucht ist und fließend darin übergeht. So wundert es dann auch nicht, wenn der Film mit Bodhis letztem australischen Wellenritt wieder zum Stationären, Sanfteren zurückkehrt (ähnlich und ganz anders bei Heisenberg: dort ist die Bewegung zu Ende, hier ist das Ende eine Bewegung). Dann wäre die weggeworfene Marke auch Utahs eigene, quasi psychotherapeutische Erkenntnis, Bodhi und sich selbst nach wie vor täglich surfend so gut verstanden zu haben, daß er, Mitte 20, ihm bewußt nicht in die Kategorien der Negation von Leben folgen möchte, womit wir wieder beim Ende der Verfolgungsjagd wären. Auch ein "human spirit". Danke für Wunsch und Text.






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