Die Doppelmonarchie: Zwei Staaten in einem Reich | Der Erste Weltkrieg

Die Doppelmonarchie: Zwei Staaten in einem Reich

Der Österreichisch-Ungarische Ausgleich 1867 verwandelte die Habsburgermonarchie in eine Verbindung zweier souveräner Staaten. Österreich-Ungarn stellte ein dualistisches System dar, in dem jede Reichshälfte mit einer eigenen Verfassung, Regierung und Volksvertretung ausgestattet war. Auch die Bürger und Bürgerinnen der einen Reichshälfte wurden in der anderen als Ausländer angesehen.

Von den 676.615 km², die das Territorium der Habsburgermonarchie umfasste, entfielen auf die österreichische Reichshälfte 300.004 km² und auf die ungarische Reichshälfte 325.411 km². Bosnien und Herzegowina, die keiner der beiden Reichshälften zugeordnet waren, hatten eine Fläche von 51.200 km².

In Wien tagte der Reichsrat im Parlamentsgebäude an der Ringstraße, während der ungarische Reichstag in Budapest über einen imposanten Bau am Ufer der Donau verfügte. Fragen der Innenpolitik wurden von den jeweiligen Regierungen autonom entschieden, wobei durchaus recht unterschiedliche Lösungsansätze entwickelt wurden. Behörden und staatliche Organe, die die Belange der österreichischen Reichshälfte administrierten, trugen die Bezeichnung „k. k.“ für „kaiserlich-königlich“, wodurch die verschiedenen Titel, beginnend mit Kaiser von Österreich, König von Böhmen, von Galizien, Dalmatien etc., über die Franz Joseph als Regent verfügte, zusammengefasst wurden. Ungarische Behörden wurden hingegen als „königlich-ungarisch“ bezeichnet.

Die beiden Teilstaaten waren sehr verschiedenartige Partner. Die österreichische Reichshälfte, oft auch mit dem etwas sperrigen Namen „Cisleithanien“ („Gebiete diesseits der Leitha“ – die Leitha ist der historische Grenzfluss zwischen Niederösterreich und Ungarn) bezeichnet, bestand aus 17 historischen Kronländern. Die Versuche, diese unterschiedlichen Länder nach zentralistischen Gesichtspunkten zusammenzufassen, scheiterten an deren heterogenem Charakter. Auch in der Verfassung von 1867 definierte sich die cisleithanische Reichshälfte der Habsburgermonarchie als Vielvölkerstaat, der den einzelnen Nationalitäten zahlreiche Rechte einräumte. Die Heterogenität ist auch am Fehlen eines eindeutigen Namens für die westliche Reichshälfte ersichtlich. Korrekt wurde diese in einer Art Verlegenheitslösung als „die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“ bezeichnet. Umgangssprachlich bürgerte sich hierfür rasch der Name „Österreich“ ein, der jedoch erst 1915 offiziell als staatsrechtliche Bezeichnung eingeführt wurde. Die Regierung wollte dadurch die patriotische Einheit des sich im Kriegszustand befindlichen Staates durch das Bekenntnis zum Österreichertum betonen und zentrifugale Kräfte bannen.

Eindeutiger war der innere Aufbau der ungarischen Reichshälfte, auch „Transleithanien“ genannt: Unter den „Ländern der ungarischen Krone“ war das Königreich Ungarn unbestritten der dominante Teil neben dem seit dem Mittelalter mit Ungarn unierten Königreich Kroatien und Slawonien, in dem die Kroaten über eine gewisse Autonomie verfügten, und der administrativ eigenständigen Freistadt Rijeka (kroat.)/Fiume (italien.), einer Hafenstadt an der oberen Adria.

In Ungarn nahmen die Magyaren die Rolle des Staatsvolkes ein, obwohl Ungarn ebenso wie die österreichische Reichshälfte ein multiethnisches Gebilde darstellte, wo die Magyaren nur knapp die Mehrheit (1910: 54,5 %) gegenüber den anderen Sprachgruppen behaupten konnten. Dennoch wurde hier den nicht-magyarischen Ethnien nur der Status von Minderheiten eingeräumt. Viele dieser Volksgruppen, die in ihrer sozialen und ökonomischen Entwicklung durch die Realverfassung des Landes massiv benachteiligt waren, standen erst am Beginn der Nationswerdung und verfügten nur über eine schwache politische Vertretung. Die rücksichtslose Magyarisierungspolitik der national-feudalen ungarischen Eliten führte zu einer zunehmenden Entfremdung der anderen Nationalitäten von den Zielen des ungarischen Staates. 

Bibliografie 

Stourzh, Gerald: Die dualistische Reichsstruktur, Österreichbegriff und Österreichbewusstsein 1867–1918, in: Stourzh, Gerald: Der Umfang österreichischer Geschichte. Ausgewählte Studien 1990–2010 (=Studien zu Politik und Verwaltung 99), Wien u. a. 2011, 105–124

Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Wandruszka, Adam (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band VII: Verfassung und Parlamentarismus. Teil 1: Verfassungsrecht, Verfassungswirklichkeit und zentrale Repräsentativkörperschaften, Wien 2000

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Das Reich der Habsburger

    Österreich-Ungarn war ein äußerst vielfältiges Staatsgebilde. Eine ‚Bestandsaufnahme’ der Habsburgermonarchie am Vorabend des Ersten Weltkriegs zeigt eine Großmacht im Niedergang. Soziale und politische Probleme sowie die alles überschattenden Nationalitätenstreitigkeiten rüttelten an den Fundamenten des Reiches. Jedoch stellte die Monarchie auch einen enorm lebendigen Kulturraum dar, dessen Vielfalt sich als befruchtend auf kulturellem Gebiet erwies, wo das Reich der Habsburger trotz der politischen Stagnation eine Blütezeit durchlebte.

Personen, Objekte & Ereignisse

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Die Doppelmonarchie: Cisleithanien & Transleithanien

    Die Österreichisch-Ungarische Doppelmonarchie war durch den Ausgleich von 1867 entstanden. Die Habsburgermonarchie hatte nun zwei Hauptstädte: Wien und Budapest. Die beiden Reichshälften waren durch eine gemeinsame Armee und eine gemeinsame Außenpolitik verbunden. Stärkstes Bindeglied war der Monarch, der die Einheit des Reiches verkörperte.