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Plakatmotiv: Armee im Schatten (1969)

Puristisches Drama über Ethik und
Moral unter feindlicher Besatzung

Titel Armee im Schatten
(L'armée des ombres)
Drehbuch Jean-Pierre Melville
nach einem Roman von Joseph Kessel
Regie Jean-Pierre Melville, Frankreich, Italien 1969
Darsteller

Lino Ventura, Paul Meurisse, Jean-Pierre Cassel, Simone Signoret, Claude Mann, Paul Crauchet, Christian Barbier, Serge Reggiani, André Dewavrin, Alain Dekok, Alain Mottet, Alain Libolt, Jean-Marie Robain, Albert Michel, Denis Sadier, Georges Sellier, Marco Perrin, Hubert de Lapparent u.a.

Genre Drama, Krieg
Filmlänge 145 Minuten
Deutschlandstart
20. Januar 1978
Inhalt

Frankreich, 1942: Die Mitglieder der Résistance kämpfen gegen die deutschen Besatzer, aber auch gegen Kollaborateure aus den eigenen Reihen. Einer von ihnen muss Philippe Gerbier verraten haben, der als zentrales Mitglied des Widerstandes für den Kampf gegen die Nazis unentbehrlich ist.

Gerbier wird von der Gestapo in Gewahrsam genommen, kann aber mit Mühe und Not entkommen. Bei der Suche nach dem Denunzianten unterstützen ihn Félix Lepercq und Guillaume Vermersch, zwei weitere Mitglieder der Résistance. Aber die Überführung des Verräters ist nur ein kleiner Schritt, denn die Gefahr lauert überall und die Nationalsozialisten gehen unbarmherzig gegen die Widerstandskämpfer vor …

Was zu sagen wäre

Jean-Pierre Melville gibt der Action keinen Raum. Der strenge Stilist des jungen französischen Kinos (Der eiskalte Engel – 1967) dreht mit "Armee im Schatten" die Antithese zu jenen Filmen, mit denen Hollywood seit einigen Jahren den Krieg erzählt, etwa in Die Kanonen von Navarone (1961), Die Panzerschlacht in den Ardennen (1965), Das dreckige Dutzend (1967) oder auch in Agenten sterben einsam (1968). Dort tun sich Männer mit dem Mut des Unausweichlichen zusammen, um irgendeinen den Krieg entscheidenden Auftrag zu erfüllen, unter Umständen auch sehr laut.

Die "Armee im Schatten" erfüllt keine Aufträge, schon gar nicht laut. Melville beobachtet eine Zelle der französischen Résistance über eineinhalb Jahre in streng formalistischen Bildern, häufig schaut die Kamera auf das Geschehen wie auf einer Bühne – links ein Mensch, rechts ein Mensch, in der Mitte ein Tisch und ein Stuhl mit einem Handtuch darüber. Die Menschen reden leise. Wenn sie etwas planen, dann, einen der ihren aus der Gefangenschaft der Deutschen zu befreien. Heldenhafte Einsätze, Gegenspionage gegen die Deutschen? Nicht in diesem Film. Was die Hauptfiguren persönlich antreibt – außer einem allgemein gültigen Widerstandsgeist gegen einen Besatzer – beantwortet der Film nicht, persönliche Verhältnisse untereinander deuten kleine Gesten nur an, formuliert der Film aber nie aus. Die Regie konzentriert sich auf die Darstellung der Untergrundarbeit sowie auf den Umgang miteinander. Vor drei Jahren hat René Clément mit Weltstarbesetzung dem französischen Widerstand in Brennt Paris? ein knapp dreistündiges Epos inklusive Bombenanschläge und französischer Überfälle auf offener Straße gesungen. Plakatmotiv: Armee im Schatten (1969) Alle Momente tauchte ein neuer Filmstar auf, der für ein paar Minuten Held oder Unterstützer – oder Gestapo – spielen durfte. Melville konzentriert sich auf ein paar wenige Männer und Frauen im Untergrund und je länger seine Kamera diesen Menschen folgt, desto beklemmender wird die Situation. Eben, weil es keine Heldentaten gibt, weil Hauptfiguren elend und furchtbar zugerichtet zugrunde gehen. Wer sich für den Widerstand entscheidet, lebt ein gefährliches Leben in einer Diktatur, in der Menschen ohne Grund angehalten, durchsucht und auch ohne Grund eingekerkert werden.

Manchmal lebt jemand im Untergrund auch ein gräßlich banales, lächerlich morbides Leben. Als die Männer in ihrer Widerstandszelle einen Verräter entlarven, ist der ein junger Mann, kaum erwachsen, alles andere als der klassische Verrätertyp, den wir vielleicht aus dem Kino kennen, und vielleicht unter der Folter eingeknickt. Er soll erschossen werden in einem abgelegenen Haus auf einem Hügel. Weil aber in der Nacht zuvor jemand ins Nachbarhaus eingezogen ist, können die Männer den jungen Verräter, der sich auch gar nicht wehrt, nicht einfach erschießen. Der Krach. So entscheiden sie, ihn zu erwürgen. Es ist eine grausige Szene, in der drei Männer angewidert einen der ihren töten, stumm, sich der Unausweichlichkeit bewusst – bis dies auch der Zuschauer ist. Der gar nicht kaltblütige Mord, der ein Es-geht-halt-nicht-anders-Mord ist, überstrahlt den weiteren Film, weil er früh den Ton setzt: Das hier ist kein Heldenlied, kein Spaß. Das ist ernst. Moralvorstellungen, die in Friedenszeiten wohl Gültigkeit haben, sind in dieser Welt fehl am Platze und können tödlich sein.

Von Oktober 1942 bis Februar 1944 folgen wir der Widerstandszelle aus Marseille, wie sie sich neu formiert, Vertrauen aufbaut, Strukturen schafft und versucht, einen in Gestapo-Haft sitzenden Freund zu befreien, der dort unter Folter die Namen seiner Mitstreiter nennen soll. Hier hat der Film eine Schwachstelle in seiner Erzählung. Melville gibt seinen vier Hauptfiguren biografische Daten, lässt aber offen, ob sie historisch verbürgt, oder Platzhalter historischer Charaktere sind. In diesem von den Deutschen so engmaschig besetzten Frankreich, in dem Philippe Gerbier per Steckbrief und Foto inklusive zahlreicher Alias-Namen gesucht wird, gerät eben dieser von Lino Ventura gespielte Charakter (Die Abenteurer – 1967; Einer bleibt auf der Strecke – 1965; Taxi nach Tobruk – 1961; Der Panther wird gehetzt – 1960; Tatort Paris – 1959; Fahrstuhl zum Schafott – 1958) zweimal in deutsche Gefangenschaft. Anders aber, als andere Aktivisten aus dem französischen Untergrund, die sofort der Folter unterzogen und verhört werden, sitzt Gerbier unberührt in einer Zelle. Erkennt den Mann, der eine führende Rolle im Untergrund spielt, denn niemand bei den deutschen Sicherheitsbehörden?

Das bleibt die einzige Schwachstelle in diesem intensiven, klaustrophobischen Drama, in dem es keine Heldentat gibt, keinen Platz für den befreiten Lacher zwischendurch. Die kantigen One-Liner des tapferen Widerstandsaktivisten auf dem Folterstuhl, um die Stimmung zu lockern, gibt es nur im US-Kino. In Melvilles Kino ist der Ausnahmezustand mit entsprechend rigiden Moralvorstellungen die Norm. Die Männer des französischen Widerstands stellen alle ethischen Entscheidungen ausschließlich in den Dienst der Résistance, und wenn es das Leben eines engen Freundes oder gar das eigene kostet. Manchmal spricht eine Figur über das, was sie „wenn der Krieg vorbei ist“ machen möchte, aber das bleibt eine Floskel für den Smalltalk am Tresen.

Der Nihilismus, der die Figuren und deren Handlungen durchströmt, macht "Armee im Schatten" zu einem beklemmenden Drama, das in seinem puristischen Stil einer Dokumentation nahe kommt, deren Realismus keine humanistischen Einwürfe aus dem Kinosessel in Friedenszeiten gelten lässt.

Wertung: 7 von 8 D-Mark
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