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Nicola Beer – gestolpert, aber nicht gefallen

Nicola Beer, Generalsekretärin der FDP, nach ihrer Ernennung zur Kandidatin für die Wahl zum Europäischen Parlament Nicola Beer, Generalsekretärin der FDP, nach ihrer Ernennung zur Kandidatin für die Wahl zum Europäischen Parlament
Nicola Beer, Generalsekretärin der FDP, nach ihrer Ernennung zur Kandidatin für die Wahl zum Europäischen Parlament
Quelle: picture alliance/dpa
Ein Bericht über ihre angeblich zu große Nähe zur ungarischen Regierung bringt die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer in Erklärungsnot. Trotzdem wird sie auf dem Parteitag mit respektablem Ergebnis zur Spitzenkandidatin für die Europawahl ernannt.

An diesem Sonntag haben Nicola Beer und die EU eines gemeinsam. Die Europäische Union habe ein Glaubwürdigkeitsproblem, stellt die FDP-Politikerin vor den Fernsehkameras fest. Deshalb müsse Europa nach innen und außen für Bürgerrechte und Freiheit eintreten, so Beer vor Beginn des Parteitages zur Europawahl, bei der sie als Spitzenkandidatin für die FDP antreten will. Dass auch sie selbst neuerdings ein Glaubwürdigkeitsproblem hat, liegt an einer Recherche des „Spiegel“.

Dieser hatte vor einer Woche mutmaßliche Verwicklungen von Nicola Beer und ihrem Ehemann mit der autoritären ungarischen Regierung Viktor Orbáns enthüllt – und die Politikerin damit in Erklärungsnot gebracht. Denn die FDP will sich im Europawahlkampf eigentlich als liberale Alternative zu den konservativen und rechten Kräften inszenieren; damit sind explizit auch Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei gemeint.

Seit Tagen versucht Beer, Zweifel an ihrer Distanz zu dem ungarischen Regierungschef zu zerstreuen. Das ist ihr vorerst gelungen. Die Delegierten wählten sie am Sonntag mit fast 86 Prozent zur Spitzenkandidatin. Selbstverständlich ist dieses Ergebnis nicht.

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Sie habe „keinerlei Sympathien für die illiberale Demokratie von Herrn Orbán oder auch für Herrn Orbán selber“ lautet die Sprachregelung, mit der Beer die massiven Vorwürfe zu kontern versucht. Die EU dürfe nicht tatenlos zusehen, wie durch Rechte die Freiheit bedroht werde, wie das zurzeit etwa in Ungarn und Polen passiere.

Der „Spiegel“ hatte vor einer Woche einen dreiseitigen Artikel über Nicola Beers Verhältnis zur ungarischen Regierung veröffentlicht. Sie soll dem Bericht zufolge unter anderem 2018 versucht haben, ihre Parteikollegin Nadja Hirsch vor einer Abstimmung über Ungarn zu beeinflussen. Wegen fehlender Rechtsstaatlichkeit in dem Land hatten die EU-Parlamentarier die Wahl über ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages in die Wege geleitet. Dieses kann den Entzug von Mitgliedsrechten nach sich ziehen. Beer soll Hirsch damals gesagt haben, sie solle ihre Entscheidung für eine Zustimmung noch einmal überdenken. So erinnert sich jedenfalls Hirsch. Außerdem soll Beer einen Anti-Orbán-Protest vor der FDP-Parteizentrale in Berlin verhindert haben. Auch ihr Ehemann geriet in den Fokus der Kritik. Er soll Lobbyarbeit für die ungarische Regierung betreiben.

Nun hat sich Beer dafür entschieden, in die Offensive zu gehen. Bei ihrer Rede auf dem Parteitag in Berlin spricht sie über Versuche mancher Medien, sie „in die rechte Ecke zu stellen“. Ihre Sympathien gälten nicht Orbán, aber sehr wohl der ungarischen Bevölkerung.

Ein kleiner Patzer unterläuft ihr dabei allerdings doch noch. Sie habe große Sympathien für den ehemaligen polnischen Gewerkschafter und späteren Präsidenten Lech Walesa, sagt Beer. Der Friedensnobelpreisträger hatte 2013 mit der Äußerung für Empörung gesorgt, homosexuelle Abgeordnete sollten im Parlament in der letzten Reihe oder gleich draußen sitzen, „nahe der Mauer oder sogar hinter der Mauer“. Natürlich dürfte Beer eher Lech Walesas Verdienste für den demokratischen Wandel im Kopf gehabt haben als diese Äußerungen, die auch langjährige Weggefährten Walesas verwundert haben.

Mit ihren Vorwürfen gegen Beer ist die Europaabgeordnete Hirsch, die am Sonntag für den Listenplatz zwei kandidiert, ein Risiko eingegangen. Zwar sorgten ihre Äußerungen innerhalb der FDP für Irritationen. Offene Kritik von aktiven Politikern an der scheidenden Generalsekretärin Beer ist allerdings nicht zu vernehmen. Der wohlwollende Applaus im Saal für ihre Rede und ein Wahlergebnis, das fast so hoch ist wie das von Alexander Graf Lambsdorff fünf Jahre zuvor, zeigen, dass sie weiterhin großen Rückhalt in der Partei genießt.

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Als Hirsch ans Rednerpult tritt, trägt sie eine Lederjacke, was ihr inmitten der unzähligen Anzugträger etwas Kämpferisches verleiht. Und kämpferisch ist auch ihre Rede. Sie hebt ihre Erfahrung und Erfolge im EU-Parlament hervor. Freizügigkeit sei eine der größten Errungenschaften Europas. Die Rückkehr zu innereuropäischen Grenzkontrollen setze das Wirtschaftswachstum aufs Spiel. „Das ist doch Irrsinn!“ Dann kommt sie auf Orbán zu sprechen. Stolz erinnert sie ihre Parteifreunde daran, dass sie für das Verfahren gegen Orbán gestimmt habe. Den eigenen moralischen Kompass, sagt Hirsch, werfe man nicht einfach über Bord. Auch wenn es einem zum persönlichen Nachteil gereiche.

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Das ist offenbar eingetroffen. Im Kampf um den Listenplatz zwei unterliegt Hirsch ihrer Mitbewerberin Svenja Hahn deutlich: Hahn erreicht 72,7 Prozent, Hirsch nur 20,8 Prozent. Die Machtverhältnisse sind geklärt.

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Nach diesem Parteitag dürfte auch Christian Lindner wieder besser schlafen. Der Parteichef hatte ein Interesse daran, Beer möglichst geräuschlos – also mit einem gesichtswahrenden Ergebnis ausgestattet – nach Brüssel zu komplimentieren. Das Verhältnis der beiden gilt als abgekühlt. Als Parteivorsitzender hat er das Vorschlagsrecht für Beers Nachfolger. Für den Posten wünscht er sich jemanden, mit dem die Zusammenarbeit harmonischer abläuft. Über diese Personalie wird auf dem Bundesparteitag Ende April befunden.

Die FDP will den Europawahlkampf zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron bestreiten. Die Fraktion der liberalen Parteien im EU-Parlament, Alde, hat mit Macrons Partei En Marche eine Kooperation verabredet. Er sei stolz, an der Seite Macrons in den Wahlkampf zu gehen, rief Lindner Anfang Januar beim politischen Jahresauftakt in den Saal, „und nicht wie die CDU an der Seite von Viktor Orbán!“

Die FDP hat Nicola Beer ihr Vertrauen ausgesprochen und ihre Widersacherin abgestraft. Nun ist es an Beer, das liberale Versprechen für Europa mit Leben zu füllen.

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