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Panorama Sechs Oscar-Nominierungen

Gabourey Sidibe – 168 Kilogramm pures Talent

Sie war eine Unbekannte, als sie zum Casting ging. Nun ist ihr erster Film "Precious" für sechs Oscars nominiert – sie selbst als beste Schauspielerin. Das hätte die 168 Kilogramm schwere Zufallsstar niemals erwartet. Ein Gespräch mit Gabourey Sidibe über Ausgrenzung, Glück und den Preis des Ruhms.

Es ist eine Geschichte, wie sie keine Castingshow schreiben kann. Vor drei Jahren wurde die Studentin Gabourey „Gabby“ Sidibe für die Hauptrolle des aufreibenden Sozialdramas „Precious – Das Leben ist kostbar“ (Start am 25.3.) entdeckt. In der Romanverfilmung spielt sie ein übergewichtiges, missbrauchtes Mädchen, das sich trotz des Psychoterrors ihrer Mutter, zweier eigener Kinder und einer Aids-Erkrankung ein selbstbestimmtes Leben erkämpft. Nach einem Siegeszug bei internationalen Filmfestivals wurde „Precious“ für sechs Oscars nominiert – darunter Sidibe für den Oscar als beste Hauptdarstellerin.

WELT ONLINE: Wollten Sie schon immer für einen Oscar als beste Schauspielerin nominiert werden?

Gabourey Sidibe: Ach du meine Güte. Ich hatte nie an eine Karriere im Showbusiness gedacht, wollte es auch gar nicht. Eigentlich bin ich nur ein Fan und verfolge alles, was in den Medien vor sich geht. Aber ich hatte so kaum etwas mit kreativen Dingen am Hut. Abgesehen davon, dass meine Mutter Sängerin ist und ich in ein paar Schultheateraufführungen wie „Peter Pan“ kleine Rollen hatte – aber das war zum Spaß, und da habe ich in erster Linie gesungen und nicht schauspielerisch geglänzt. Ich war ein totaler Außenseiter, was die Branche angeht. Als ich die Rolle in „Precious“ angeboten bekam, studierte ich in New York Psychologie und arbeitete in einem Callcenter. Mein Fan-Dasein war die einzige Vorbereitung für die Rolle.

WELT ONLINE: Aber Sie müssen doch um dieses Schauspieldebüt gekämpft haben.

Sidibe: Eigentlich gar nicht. Regisseur Lee Daniels tut immer so, als hätte er mich mitten in Harlem an einer Straßenecke gefunden. Das klingt immer so dramatisch – als hätte ich dort in einer Kühlbox gelebt und er wäre zufällig auf mich gestoßen. Eigentlich lief es ganz einfach. Ich liebte „Push“, die Romanvorlage der Autorin Sapphire, die mir meine Mutter mal empfohlen hatte, und ein Freund rief mich an, dass man eine Darstellerin für die Verfilmung suchte und im Lehman College in der Bronx ein Vorsprechen stattfand. Erst wollte ich gar nicht, weil ich deshalb den Unterricht schwänzen musste. Aber dann entschloss ich mich spontan. Schließlich gab es nicht viele Leute am College, die den körperlichen Erfordernissen der Rolle entsprachen.

WELT ONLINE: Dass Sie das tun, hat Sie das in Ihrem Leben zur Außenseiterin gemacht?

Sidibe: Klar bin ich ausgegrenzt worden. Und ich habe mir von Menschen Unterstützung erhofft, die mir keine gaben. Aber jedem von uns ist das zu irgendeiner Phase im Leben passiert. Eigentlich hatte ich die größten Probleme wegen meines Vornamens – Gabourey, das stammt aus dem Senegalesischen. Meine Mitschüler machten sich ständig darüber lustig, bis ich ihn zu „Gabby“ verkürzte. Und von da an war alles gut. Aber ich will mich nicht zum Opfer machen, ich habe selbst auch andere Menschen ausgegrenzt und vernachlässigt, woran ich nur noch mit Schuldgefühlen zurückdenke.

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WELT ONLINE: Aber sonst gibt es hoffentlich keine Parallelen zwischen Ihrem Leben und dem der traumatisierten Titelheldin?

Sidibe: Abgesehen davon, dass ich auch aus Harlem komme – nein. Meine Mutter und mein Vater lieben mich, das ist der entscheidende Unterschied. Deshalb hatte ich auch ein ganz anderes Leben.

WELT ONLINE: Wie bekommt man als absoluter Anfänger eine so große Rolle – neben Stars wie Lenny Kravitz, Mariah Carey oder der Komikerin Mo'Nique, die jetzt ebenfalls für einen Oscar nominiert wurde?

Sidibe: Lenny Kravitz war mir eigentlich kein Begriff, nur Mariah Carey habe ich vorher angebetet. Aber ich habe gar nichts Besonderes gemacht. Vor dem Vorsprechen las ich die erste Seite des Romans noch einmal – so versetzte ich mich wieder in die Gefühlswelt von Precious hinein, und beim Termin spielte ich die kurze Version einer Szene. Am nächsten Tag wurde ich zurückgeholt – diesmal für ein längeres Vorsprechen, und eine Stunde später bekam ich einen Anruf, dass Regisseur Lee Daniels mich sehen wollte. Ich traf ihn am nächsten Tag und unterhielt mich mit ihm eine Dreiviertelstunde lang – über alle möglichen Themen, nicht über den Film. Dann meinte er, dass ich sehr smart sei, und fragte mich, ob ich bei seinem Film mitmachen wollte. Da begann ich zu weinen.

WELT ONLINE: Befürchteten Sie, dass Sie mangels Erfahrung nicht für die Rolle geeignet sein könnten?

Sidibe: Oh Mann – vor dem Dreh hatte ich solche Angst, dass ich keine Ahnung haben würde, was ich tun sollte. Und ich hatte es auch nicht.

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WELT ONLINE: Wie haben Sie das Problem gelöst?

Sidibe: Lee Daniels hat mir eine Unmenge beigebracht, offenbar lebt er in vollem Einklang mit seiner weiblichen Seite. Denn er versteht eine Unmenge von weiblichen Teenagern. Und auch von jedem meiner Kollegen habe ich gelernt. Ich saß die ganze Zeit da, war total offen für Vorschläge, saugte alles in mich auf wie ein Schwamm. Und jeder hatte vollstes Vertrauen in mich. Und so bekam ich das Gefühl, dass ich alles spielen konnte. Beim Dreh war ich dann überhaupt nicht mehr nervös – keinen einzigen Moment. Es war ein ganz normaler Job für mich.

WELT ONLINE: Sie tauchen in dieser Rolle in tiefste psychologische und soziale Abgründe. War das nicht eine sehr aufreibende Erfahrung?

Sidibe: Es war sehr intensiv, und wenn ich gegenüber Mo'Nique, die meine Mutter spielt, meinen Hass herauslassen sollte, dann habe ich sie in dem Moment wirklich gehasst. Jede Szene war wie das wahre Leben. Aber zwischen den einzelnen Einstellungen haben wir Scherze gemacht, herumgetanzt und uns umarmt. Und einmal, als sie mich in einer Szene heftig beschimpfte, musste ich die ganze Zeit kichern, wenn die Kamera nicht auf mich gerichtet war. Mo'Nique ist eine wahnsinnig liebevolle Person, und deshalb hatte ich nie das Gefühl, dass ich seelisch verletzt worden war. Sobald wir nicht mehr drehten, bin ich sofort wieder in meine eigene Haut zurückgeschlüpft.

WELT ONLINE: Welche Szene war am schwierigsten?

Sidibe: Das war die Schlusskonfrontation zwischen mir, Mo'Nique und Mariah Carey, die die Sozialarbeiterin Miss Weiss spielt. Du konntest förmlich spüren, wie den beiden das Herz schlug. Wir haben zwei oder drei Wiederholungen gedreht, und wenn der Regisseur „Schnitt“ sagte, saßen wir einfach nur schweigend da. Aber nicht alles war so heftig. Die Traumsequenzen, wo ich den roten Teppich herunterlaufe oder ein Musikvideo drehe, waren ein Riesenspaß. Denn da konnte ich so sein, wie ich wirklich bin. Ich posiere nun mal gerne im Make-up vor dem Spiegel.

WELT ONLINE: Jetzt sind Sie in Realität zum Star geworden. Oder fühlt sich das manchmal noch traumhaft an?

Sidibe: Doch, ich komme mir immer noch vor, als würde ich in einem Traum leben. Der rote Teppich, die Oscarnominierung – das ist der reine Irrsinn.

WELT ONLINE: Wie haben Sie sich persönlich durch diesen Wahnsinn verändert?

Sidibe: Ich bin reifer und stärker geworden. Früher hatte ich keine hohe Meinung von mir, ich traute mir nicht viel zu. Schon gleich gar nicht, eine Rolle in einem Film zu bewältigen. Jetzt habe ich gespürt, dass in mir eine ganz andere Person steckt – von der ich nicht mal wusste, dass es sie gibt. Als ich meinen Namen im Vorspann und dann mein Gesicht auf der Leinwand sah, war ich total stolz. Früher ist es mir immer wieder passiert, dass mich die Leute wegen meines Äußeren anstarrten. Und ich habe mir natürlich gewünscht, normal auszusehen. Aber jetzt sind mir die Meinungen der anderen endgültig egal.

WELT ONLINE: Obwohl Sie jetzt erst so wirklich im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Das muss doch für enormen Druck sorgen.

Sidibe: Ja, aber du passt dich dem nur an, wenn du innerlich unsicher bist. Aber ich empfinde mich als schön, und ich sehe keine Notwendigkeit, mich zu ändern. Und mit meinem Beispiel zeige ich jetzt anderen, dass sie das Gleiche schaffen können, so wie sie sind.

WELT ONLINE: Gibt es für Sie jetzt einen Weg zurück ans College? Oder muss der Traum der Schauspielkarriere weitergehen?

Sidibe: Wie ich schon sagte, ich wollte nie Schauspielerin werden. Aber nachdem mir dieser Film in den Schoß gefallen war, musste ich einfach weitermachen. Ich habe seither in einer Fernsehserie und einer unabhängigen Produktion mit Lenny Kravitz' Tochter gespielt, und ich möchte noch mehr Filme machen. Das macht mich glücklich. In mein normales Leben kann ich nicht mehr zurückkehren, schließlich bin ich jetzt berühmt (lacht schallend). Im Ernst, ich möchte schon noch meine Ausbildung abschließen, denn eigentlich wollte ich fast mein ganzes Leben lang Psychologin werden. Aber Gott hat mich jetzt auf diesen Weg geschickt. Und ich schaue jetzt, wie weit ich darauf gehen kann.

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