„Auf in den Kampf, mir juckt die Säbelspitze! Auf Wiedersehen auf dem Boulevard!“ Die Parolen auf den Güterwagen, mit denen im Spätsommer 1914 deutsche Soldaten in Höchststimmung in den Krieg zogen, zeugen von der totalen Ahnungslosigkeit dessen, was sie an der Front erwartete. Dies einte sie mit dem Kaiser und der politischen und militärischen Führungsriege – von einem „Stahlbad“ war die Rede, an dem Europa gesunden werde, von einem „Schützenfest“, das den frechen Franzmann Mores lehren sollte.
Kein Wort zu hören war dagegen von einem maschinellen Sterben, von einer ganzen Volkswirtschaft, die es wegen des Krieges nicht mehr schaffen sollte, Hungersnöte zu vermeiden, von ungezählten körperlichen Krüppeln und Seelen, die den Leib ihrer Besitzer nur noch zittern ließen. Vermutlich ist es dieser Schock, in unvorstellbares Grauen hineingeraten zu sein, ohne es kommen gesehen zu haben, der den Mythos des Fliegers Manfred von Richthofen (1892–1918) erst zu voller Blüte verhalf. Bis ihn die Briten am 21. April 1918 abschossen, war er der Gegenentwurf zum Industriekrieg – ein Mann, der allein in seinem Flugzeug saß wie ein Ritter auf einem Pferd, persönliche Duelle en masse gewann und durch seinen Mut und seine kühnen Manöver selbst den Feind beeindruckte.
Geboren in einem Vorort Breslaus, wuchs Richthofen auf Schloss Romberg auf und später in einer Villa in Schweidnitz. Beim Spielen im Freien glänzte er durch besondere Abenteuerlust, liebte auch alles, was mit Pferden zusammenhing. Er besuchte die Kadettenanstalt Lichterfelde, 1911 trat er als Fähnrich einem Kavallerie-Regiment bei. Zu Kriegsbeginn ein Nachrichtenoffizier an der Westfront, trieb ihn sein Tatendrang 1915 zur Fliegertruppe. Dort begegnete er Oswald Boelcke, selbst ein legendärer Jagdflieger und Ausbilder, der sich um Richthofen kümmerte.
Die Waffengattung stand 1915 noch am Anfang, das Elitebewusstsein war entsprechend. Das neuartige Unterbrechergetriebe, das das MG-Feuer durch den Propeller ermöglichte, verschafften den kaiserlichen Fliegern zunächst die Luftüberlegenheit. Doch die Entente holte auf. 1917 kamen auf eine deutsche Maschine drei feindliche.
Auch die Ausrüstung hatte Nachteile. Die von Richthofen bevorzugte Fokker Dr.I, ein Dreidecker, war mit 160 Stundenkilometer Spitzengeschwindigkeit 15 Stundenkilometer langsamer als die britische Sopwith Camel. Allerdings glänzte das Modell durch eine überlegene Manövrierfähigkeit: „Sie sind wendig wie die Teufel und klettern wie die Affen“, lautete Richthofens Urteil.
Zu diesen artistischen Fähigkeiten passte die Bezeichnung, die die Darbietungen des Piloten und seiner Mitstreiter bald erlangten; der „Fliegende Zirkus“ wurde zum feststehenden Begriff, der umso besser passte, als von Richthofen von Frontabschnitt zu Frontabschnitt eilte und die Maschinen in Signalfarben anmalen ließ. Das Rot seiner Fokker war eine Geste der Überlegenheit Richtung Gegner, die bis in die Comicwelt der Gegenwart überlebt hat: Charlie Browns Hund Snoopy kämpft mit seiner Sopwith Camel gegen einen deutschen Adligen in einem roten Flugzeug, wenn er sich auf seiner Hütte liegend in die Rolle des „Fliegerasses im Ersten Weltkrieg“ hineinfantasiert.
Die 80 Luftkämpfe, die Richthofen für sich entschieden hatte – mehr als jeder andere –, nützten ihm im Frühjahr 1918 nichts mehr. Unweit der Gemeinde Corbie flog er über britische Linien, als eine Kugel ihn traf. Ob diese von einem gegnerischen Piloten stammte – in der Regel wird der Kanadier Arthur Roy Brown genannt – oder vom Boden, ist nie abschließend geklärt worden. Seine fast unbeschädigte Fokker konnte der Pilot noch auf den Boden bringen, doch er erlag seinen Verletzungen.
Souvenirjäger zerlegten augenblicklich das Flugzeug, seinen Leib beerdigte der Gegner mit allen militärischen Ehren. Um in den Genuss dieser ritterlichen Geste zu kommen, muss der Held sein Leben lassen. Manfred von Richthofen lebte schnell und starb jung. Er wurde keine 26 Jahre alt.
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