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Kopf des Tages Sklavenaufstand auf Haiti

„Wir brauchen die Haut eines Weißen als Pergament, seinen Schädel als Tintenfass“

In der französischen Karibikkolonie Saint-Domingue lebten 30.000 Weiße – und 500.000 afrikanische Sklaven. Der Versuch Napoleon Bonapartes, ihren Aufstand niederzuschlagen, führte im Januar 1804 zur Unabhängigkeitserklärung Haitis.
The slave revolt in the French colony of Saint Domingue (Haiti) - La revolte des esclaves de Saint Domingue : Massacre des Blancs par les Noirs lors de l'incendie de la Plaine du Cap, le 23 Aout 1791. Gravure du 19eme siecle. ©Bianchetti/Leemage The slave revolt in the French colony of Saint Domingue (Haiti) - La revolte des esclaves de Saint Domingue : Massacre des Blancs par les Noirs lors de l'incendie de la Plaine du Cap, le 23 Aout 1791. Gravure du 19eme siecle. ©Bianchetti/Leemage
1. Januar 1804: Mit der Ernennung des ersten "Kaisers von Haiti" Jean-Jacques Dessalines endete der Sklavenaufstand auf Saint-Domingue
Quelle: picture alliance / Bianchetti/Le

Für die einen war die Karibikinsel Hispaniola im späten 18. Jahrhundert eine gigantische Schatzkammer, für die anderen der Vorhof zur Hölle, mindestens. Die 8000 Plantagen auf Saint-Domingue (Haiti), wie der westliche französische Teil der Insel hieß, produzierten unter anderem 1,6 Millionen Zentner Zucker und 682.000 Zentner Kaffee, was 60 Prozent der Exporte Frankreichs ausmachte. Erwirtschaftet wurde dies von 40.000 Weißen, 30.000 freien Schwarzen und Mulatten, inzwischen „biracial“ oder „multiracial“ genannt, und 500.000 Sklaven, die aus Afrika importiert worden waren.

Einer von ihnen war Jean-Jacques Dessalines (1758–1806). Seine Eltern waren vermutlich in West- oder Zentralafrika Opfer von Sklavenjägern geworden. Das Geschäft mit der Ware Mensch boomte, denn die auf Effizienz getrimmte Großproduktion des Luxusgutes Zucker verlangte Jahr für Jahr nach neuen Arbeitskräften, die in der schweren Arbeit buchstäblich verheizt wurden. Allein seit 1783 waren 230.000 Sklaven über den Atlantik verschifft worden, um Saint-Domingue zur „Perle des französischen Kolonialreichs“ zu machen.

Desalines
Jean-Jacques Dessalines (1758–1806) machte sich als Jacques I. zum ersten Kaiser von Haiti
Quelle: picture-alliance / /HIP

Weil seine Eltern und er einem Herrn namens Duclos gehörten, trug auch Dessalines diesen Namen. Er überlebte die mörderische Arbeit auf den Zuckerrohrfeldern und an der Zuckermühle, diente sich sogar zum Vorarbeiter hoch, bis er Ende der 1780er von einem freien Schwarzen mit Namen Dessaline gekauft wurde. Damit lernte der etwa 30-jährige Sklave eine andere Facette der Kolonialgesellschaft kennen. Nicht nur die Weißen, sondern auch die freien Farbigen hatten ein großes Interesse an der Sicherung der Besitzverhältnisse, die von Soldaten durch drakonischen Strafen für mögliche Erhebungen der versklavten Bevölkerungsmehrheit geschützt wurden.

Dass der Aufstand im August 1791 losbrach, hing nicht allein mit den unmenschlichen Lebensbedingungen zusammen. Die Parolen der Französischen Revolution hatten auch die Karibik erreicht. Und im Mutterland hob eine heftige Debatte an, welche Rechte den Bewohnern der Kolonien zugestanden werden sollten. Als nicht nur die weißen Herren, sondern auch die freien Farbigen volle Bürgerrechte erhielten, setzten erstere ihre Machtposition in der Verwaltung ein, um eine Umsetzung zu verhindern.

Revolte auf Haiti, 1791 / Holzstich Haiti (Westindien) / Unruhen auf Fran- zoesisch-Haiti, 1791. / - "Revolte des noirs a Saint-Domingue, sous le comman- dement de Toussaint Louverture" (Revolte der Schwarzen unter Toussaint l'Ouvertu- re, August 1791).- / Holzstich n. Zchng. von Jean Edouard Dargent, gen. Yan'Dar- gent (1824-1899). Aus: A. Thiers, "La Revolution Française", 1860.
Die Kämpfe wurden mit großer Brutalität geführt
Quelle: picture-alliance / akg-images

Daraufhin verschworen sich freie Schwarze zum Aufstand, der schnell und brutal niedergeschlagen wurde. Im nächsten Schritt erhoben sich zunächst im Norden die Sklaven. 1000 Plantagen gingen in Flammen auf, 2000 Weiße und 10.000 Schwarze verloren ihr Leben. Auch Dessalines begehrte auf und machte sich bald als Führer eines Trupps einen Namen.

Nachdem Spanien 1793 dem Ersten Koalitionskrieg gegen Frankreich beigetreten war, fanden die Aufständischen in der spanischen Kolonie Santo Domingo im Osten der Insel einen Verbündeten. Dort pflegten die 125.000 Einwohner, davon die Hälfte Weiße, einen „extensiv-lässigen Wirtschaftsstil“ (so der Historiker Wolfgang Reinhard), der wenig mit der rationalen Gewinnmaximierung der Franzosen, Engländer und Niederländer in der Karibik zu tun hatte.

Diese undurchsichtigen Frontstellungen klärten sich erst, nachdem der Nationalkonvent in Paris die Sklaverei abgeschafft hatte. Nun wechselte einer der bekanntesten Führer der Aufständischen, Toussaint Louverture, vom spanischen ins französisch-republikanische Lager. Dessalines folgte ihm und galt bald als einer wichtigsten Unterführer, der nach dem Motto kämpfte: „Keine Gefangenen!“ 1799 war er General.

Dessalines große Stunde schlug, als Toussaint Louverture vier Jahre später mit Frankreich brach, festgenommen und ins Mutterland geschafft worden war. Denn erneut hatte sich die Lage grundlegend verändert. 1801 hatte Toussaint Louverture, inzwischen zum stellvertretenden Gouverneur aufgestiegen, eine Verfassung verkündet, die Saint-Domingue weitgehende Autonomie bescheren sollte. Darauf mochte sich Napoleon Bonaparte als Erster Konsul der Französischen Republik nicht einlassen. Nicht zuletzt wegen seiner Frau Joséphine de Beauharnais, die aus einer Pflanzerfamilie stammte, ergriff er Partei für die weißen Plantagenbesitzer und schickte ein Expeditionskorps von 44.000 Mann auf die Insel. Zugleich wurde die Sklaverei in Teilen restituiert.

Toussaint L'Ouverture (1843-1803) leader of the Haitian independence movement during the French Revolution, established a short lived independent constitutional government in 1801. A year later, he was defeated by another French invasion and ultimately died in 1803 in a prison in France.
Toussaint Louverture (1843–1803) war der charismatische Anführer der Aufständischen
Quelle: picture alliance / Everett Colle

Der anschließende Krieg wurde mit außerordentlicher Brutalität geführt. Die ist vor allem mit dem Namen des französischen Generals Donatien-Marie-Joseph de Rochambeau verbunden, der eigens aus Frankreich herangeschaffte Bluthunde auf Farbige losließ, die auch Frauen und Kinder nicht verschonten. „Die Grausamkeiten stärkte den Widerstandswillen der Afroamerikaner“, schreibt der Historiker Stefan Rinke.

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Skrupelloses Taktieren hatte Dessalines inzwischen den Oberbefehl über die Truppen der Aufständischen eingebracht. Sein Charisma illustriert folgende Episode: Bei der Verteidigung einer Stadt stellte sich der General mit einer Fackel in der Hand neben ein Pulverfass und drohte, es für den Fall zu zünden, dass seine Leute nicht bis zum Äußersten kämpfen würden.

Das taten sie auch. Dabei half ihnen das Gelbfieber, dem Tausende Franzosen erlagen, darunter ihr Oberbefehlshaber Charles Victoire Emmanuel Leclerc. Als schließlich die britische Flotte den Nachschub aus Frankreich kappte, flohen die demoralisierten Überlebenden in die wenigen Hafenfestungen. Ganze 7000 Mann konnten sich schließlich in englische Gefangenschaft retten.

Haiti; Revolution, 1791-1804. Haitians hanging French officers; revenge taken by the Black Army for the cruelties practised by the French
Hinrichtung eines französischen Offiziers
Quelle: picture alliance / United Archiv

Am 1. Januar 1804 rief Dessalines die Unabhängigkeit von Saint-Domingue aus, das von nun an „Haiti“ heißen sollte, nach dem Indigenen-Wort für Hochland. Es folgte der Schwur: „Wir schwören vor dem ganzen Universum, vor der Nachwelt, vor uns selbst, uns für immer von Frankreich loszusagen und lieber zu sterben, als unter seiner Herrschaft zu leben. Wir schwören, bis zum letzten Atemzug für die Unabhängigkeit unseres Landes zu kämpfen.“

Was das bedeutete, mussten die überlebenden Weißen umgehend erfahren, machte sich Dessalines doch daran, seine revolutionäre Rhetorik in die Tat umzusetzen: „Wir brauchen die Haut eines Weißen als Pergament, seinen Schädel als Tintenfass, sein Blut als Tinte und ein Bajonett als Feder.“ In diesem Sinn befahl der selbst ernannte „Rächer der Neuen Welt“ einen Genozid an den ehemaligen Sklavenhaltern. Dafür wurde er im Oktober 1804 zu Jacques I., Kaiser von Haiti, ernannt. Zwei Jahre später ermordeten ihn seine eigenen Offiziere.

Man schätzt, dass der einzige erfolgreiche Sklavenaufstand der neueren Geschichte 200.000 Menschen das Leben gekostet hat.

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