Bernd Michael Lade über "Der Zeuge": Ein Protokoll des Schreckens | Abendzeitung München
Interview

Bernd Michael Lade über "Der Zeuge": Ein Protokoll des Schreckens

Bernd Michael Lade erzählt in seinem Film "Der Zeuge" von einem sehr ambivalenten KZ-Überlebenden, der als Kronzeuge gegen seine Peiniger aussagt.
| Margret Köhler
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Carl Schrade (Bernd Michael Lade) bei seiner Zeugenaussage.
Carl Schrade (Bernd Michael Lade) bei seiner Zeugenaussage. © Neue Visionen

AZ-Interview mit Bernd Michael Lade: Er wurde am Weihnachtstag 1964 in Ost-Berlin geboren. Mit 15 gründete er mit ein paar Kumpels die erste Punkband der DDR, später war er Schlagzeuger bei der Punkband "Planlos" und ärgerte die Stasi. Bis 2007 spielte er insgesamt 45 Mal den "Tatort"-Kommissar Kain. Film, Theater, Fernsehen: Er ist überall zu Hause.

Basierend auf realen Gerichtsprotokollen inszenierte Bernd Michael Lade den Film "Der Zeuge" und übernahm die Hauptrolle des Schweizer Juweliers Carl Schrade, der als einstiger KZ-Häftling als Kronzeuge der Anklage gegen NSDAP-Funktionäre und SS-Schergen auftritt.

Bernd Michael Lade: "Ungewöhnliche Sicht auf das Konzentrationslager"

AZ: Herr Lade, Sie muten uns ein hartes Stück Kino zu...
BERND MICHAEL LADE: Das ist mir bewusst, aber die Ernsthaftigkeit des Themas hat mich ein Leben lang begleitet, schon vor der Schauspielschule und der späteren Regieausbildung an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam.

Carl Schrade ist nicht das übliche KZ-Opfer, weder Jude, Sinti oder Homosexueller, sondern ein "Kleinkrimineller". Was mochten Sie an dieser ambivalenten Figur?
Ich habe eine Menschlichkeit bei ihm gespürt. Als ich mich mit den improvisierten Prozessen nach der Befreiung beschäftigte, fiel mir der Name Carl Schrade auf, nach dem Lesen seiner unglaublichen Geschichte, wollte ich unbedingt einen Film über ihn machen. Ich kann mir vorstellen, dass er vielleicht bei Konflikten zwischen Kommunisten in der einen und Kriminellen in der anderen Baracke vermittelte. Er bietet eine ungewöhnliche Sicht auf das Konzentrationslager. Als Häftlingsvorsteher und so genannter "Grüner Kapo" war er nicht nur Täter, sondern auch Opfer. Ich wollte mir auch nicht anmaßen, über Juden einen Film zu drehen. Mich interessierte der neue Aspekt, das System fast kriminalistisch aufzuarbeiten und der Aspekt der Geschäftemacherei in den Lagern. Einer der Angeklagten sagt ganz klar "Jeder hat sein Geschäft gemacht".

Lade: "Wir besuchten als Kinder mit der Klasse oft ein KZ"

Wie haben Sie sich durch Originalprotokolle und Aktenberge gewühlt?
Es lag jede Menge Archivmaterial vor. Ich war kein Jungpionier, aber ich erinnere mich an eine Veranstaltung mit Wolfgang Langhoff, einem der Schreiber des Liedes "Die Moorsoldaten", das im KZ Börgermoor im Emsland entstand. Er hat uns viel erzählt, von der Arbeit und vom furchtbaren Zwang zum Singen. Die Menschen im KZ haben gelitten, wurden ermordet, ihnen verdanke ich, dass ich mit 59 Jahren auf diesem Planeten ein cooles Rock'n'Roll-Leben führen konnte. Mit meinem Film möchte ich ihnen ein filmisches Denkmal setzen.

War in der DDR die Aufarbeitung des Dritten Reichs und auch die Aufklärung intensiver und zielgerichteter als in der BRD?Absolut. Wir besuchten als Kinder mit der Klasse oft ein KZ und lernten viel über die schrecklichen Bedingungen in den Lagern. Antisemitismus wurde selbst bei Jugendlichen bestraft. Es gab vielleicht mal antisemitische Spitzen auf hoher Ebene, aber wer sich öffentlich antisemitisch äußerte, landete im Knast. Aber das ist nach der Wende alles wieder hochgekommen, das war ja nur unterdrückt. In der BRD ging man vorsichtiger mit Aufklärung um, das lag an den Amerikanern, die waren "kulanter" und wussten die Alt-Nazis gut einzusetzen.

Bernd Michael Lade: "Ich bin ein absoluter Maniac"

Trotz Regiestudium an der Hochschule Konrad Wolf haben Sie nur wenige Filme gedreht, "Der Zeuge" ist ihr vierter. Woran liegt das? An mangelnder Förderung?
Ich liebe verfilmtes Theater, und meine Drehbücher fallen aus dem üblichen Rahmen, wenn da der Fernsehredakteur nicht mitmacht, fühle ich schon mich beschnitten. Drehbücher sind für mich der Angelpunkt. Und mit der Förderung ist das so eine Sache ohne Sender im Rücken. Da nützte mir auch der kleine Erfolg von "Das Geständnis" nichts. Ein anderer Film über Kindersoldaten im Dritten Reich ist aus Geldgründen noch nicht fertig.

Sie übernahmen das Drehbuch und die Regie, sind als Hauptdarsteller in "Der Zeuge" ständig präsent, war das nicht eine wahnsinnige Anspannung?
Ich bin ein absoluter Maniac. Je größer die Verantwortung, um so mehr laufe ich zur Höchstform auf, steigt der Adrenalinspiegel. Mein Traum wäre es, mal einen "Tatort" zu inszenieren und mit Schauspielern zu arbeiten, den Fernsehkrimis mal so richtig Feuer unterm Hintern zu geben.

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Bernd Michael Lade: "Ich steuere auf die Pleite zu"

Nach 45 Folgen "Tatort"-Kommissar Kain, wie denken Sie an diese Zeit zurück?
Ich habe gutes Geld verdient und mein Regiestudium dadurch finanziert, bin nach Amerika gegangen, um englisch zu lernen, musste für meine Kinder sorgen. Ich habe das Geld für Bildung ausgegeben. Aber wenn man alles auf Anweisung machen und parat stehen muss, fehlt mir der Spaß. Man fühlt sich immer unter Druck, aber trotzdem würde ich wieder einen "Tatort"-Kommissar als zentrale Figur spielen, es ist toll, Freunde und Kollegen zu treffen. Seit Corona mangelt es mir an Aufträgen, ich steuere auf die Pleite zu. Vielleicht bin ich aus der Mode oder die haben Schiss vor mir. Ich weiß es nicht.

Vielleicht schätzt man in Redaktionsstuben "geschmeidige" Leute, weniger Ex-Punks mit eigenem Kopf. Sie haben mal gesagt, Punk sei die "Vormusik auf den Untergang der DDR". Was denken heute darüber? Kommt Nostalgie auf?
Total. Ich bin immer noch Punk, Punkrocker. Punk war auch eine Art Zugang zur Kunst, zur Malerei, das hat mich fasziniert.

Ist Punk ein Lebensstil? Einmal Punk, immer Punk?
Es kommt darauf an, man gerät in gesellschaftliche Zwänge, sollte sich aber nie unterkriegen lassen. Und immer gerade aus sein, das gehört dazu. Schleimen hat bei mir nie funktioniert. Jemanden in den Arsch zu kriechen oder mich anzupassen, nur um etwas zu erreichen, das geht gar nicht. Da sterbe ich tausend Tode. Und diese Haltung wird im Alter immer stärker.


Kino: Monopol (am Wochenende); Drehbuch, Regie, Schauspiel: Bernd Michael Lade (Deutschland, 93 Minuten)

 

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