„Wir wollen einen realistischen Weg hin zu einer gewaltfreien Politik aufzeigen“

Stefan Maaß im forumZFD-Interview

Bergpredigt von Rudolf Yelin der Ältere
© Rudolf Yelin der Ältere (Public Domain), via Wikimedia Commons

Wo kann ich den Friedensauftrag in der Bibel finden?

Stefan Maaß: Die Bergpredigt ist für mich Zentrum meines christlichen Friedensbegriffs. Darin werden wir aufgefordert, Frieden zu stiften. Besonders gefällt mir die Stelle: „Wenn dich einer auf die rechte Wange hin haut, dann halte ihm auch die andere dar.“ Ich meine, es steckt viel mehr in diesem Satz, als es auf den ersten Blick den ersten Anschein hat. Es geht eben nicht darum, sich ein-
fach schlagen zu lassen, sondern gewaltfrei Widerstand zu leisten. Ich setze diesen Vers immer ein, um mit Jugendlichen oder Erwachsenen über Frieden ins Gespräch zu kommen. Die Bibel ist für mich voller weiterer Lehren, die uns in Konflikten helfen.

Zum Beispiel?

Stefan Maaß: Nehmen wir die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin. Früher war sie für mich reduziert auf den Satz „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“. Wenn man sich aber mal den Text genau durchliest, dann kommen praktisch die Leute zu Jesus und fordern ihn heraus. Sie wollen ihn auf die Probe stellen, und er bückt sich erst einmal auf den Boden. Das finde ich hochinteressant. Denn bei einem Streit versucht normalerweise jeder, höher zu kommen über den anderen. Doch Jesus geht in die Knie, was eigentlich der Situation unangemessen ist. Durch seine Geste löst er eine Irritation aus und verändert damit die Dynamik der angespannten Situation. Und so meine ich, gibt es noch mehr Texte.

Wann haben Sie das Thema Frieden für sich entdeckt?

Stefan Maaß: Schon in meiner Jugend in den 80er-Jahren in der Zeit der Proteste gegen die Aufrüstung der NATO. Mein christlicher Glaube spielte schon damals eine Rolle, genauso wie die Auseinandersetzung mit anderen Christinnen und Christen, die in Friedensfragen
eine andere Haltung hatten.

Und später haben Sie das Thema Frieden zum Beruf gemacht?

Stefan Maaß: Ich habe Sozialarbeit studiert und mich zunächst mit Gewalt in Familien beschäftigt, war Ansprechpartner für Kinder und Jugendliche, die von Gewalt betroffen sind. Politisch aktiv für den Frieden bin ich erst wieder Anfang der 90er-Jahre zur Zeit des Irakkriegs geworden. Ich merkte damals, wie viele Menschen, die in den Achtzigern noch gegen Krieg auf die Straße gegangen sind, plötzlich mit Hussein eine Ausnahme machten. In der Friedensbewegung habe ich damals wieder Gleichgesinnte gefunden, konkret in der Werkstatt für gewaltfreie Aktionen in Baden.

Seit einigen Jahren sind Sie nun in der Badischen Landeskirche der Ansprechpartner für das Thema Frieden. Ist das Thema in der Kirche inzwischen wieder wichtiger geworden?

Stefan Maaß: Früher hat das Thema tatsächlich eine geringere Rolle gespielt. Der Anlass für die Veränderung kam aus einem Kirchenbezirk, dessen Mitglieder die Friedensdenkschrift der EKD von 2007 kritisierten. Sie forderten von der Landeskirche, die christliche Friedensethik noch einmal zu hinterfragen. Ihre Überzeugung: Die biblische Friedensethik kennt nur eine Option in
Konflikten, nämlich die Gewaltfreiheit. Die Evangelische Kirche bekannte sich zwar zum Vorrang für Gewaltfreiheit, jedoch zugleich zur Legitimität Recht erhaltender Gewalt. Das stieß bei pazifistischen Christinnen und Christen auf Kritik.

Wie ist die Landeskirche mit diesem Konflikt umgegangen?

Stefan Maaß: Die Landeskirche startete mit einem pazifistischen Positionspapier einen intensiven Diskussionsprozess in den Kirchenbezirken und der Landessynode. Am Ende stand der Beschluss „Kirche des gerechten Friedens werden“. Damit machte sich die Kirche auf den Weg des Friedens und formulierte das Ziel, die Option des Einsatzes von Gewalt in Konflikten durch gewaltfreie
Bearbeitung der Konflikte zu ersetzen.

Was hat sich seitdem getan?

Stefan Maaß: Inzwischen hat Frieden eine viel höhere Bedeutung bei uns in der Landeskirche. Wir beziehen Stellung zu aktuellen Friedensthemen. Es gibt ein stärkeres Bewusstsein, dass wir als Christinnen und Christen eine Verantwortung haben und die auch wahrnehmen müssen. Und wir haben eine ganze Reihe konkreter Projekte auf den Weg gebracht. Zum Beispiel haben wir eine Studie zum Thema „Just Policing“ in Auftrag gegeben. Wir haben einen neuen Kollegen, der zum Thema Rüstungskonversion und -exporte arbeitet. Außerdem haben wir ein Szenario für eine zivile Sicherheitspolitik ausgearbeitet. Natürlich gibt es auch andere Bereiche, bei denen ich gerne schon weiter wäre.

Zum Beispiel?

Stefan Maaß: Zum Beispiel das Thema Gewaltfreie Konfliktbearbeitung und Methoden der Friedensarbeit in die Ausbildungen reinzubringen. Ich wünsche mir für die nächsten fünf Jahre, dass wir das stärker in den kirchlichen Ausbildungen verankern können.
Ich hätte das Thema gerne noch stärker in den Gemeinden verankert. Das ist uns noch ein besonderes Anliegen. Es muss letztlich auch an der Basis Bewusstsein dafür wachsen. Da sehe ich uns noch auf einem weiten Weg.

Schon John Lennon sang von seiner Vision einer Welt ohne Kriege. Eine Arbeitsgruppe der Badischen Kirche hat darüber nachgedacht, wie diese Vision Realität werden könnte.

Wie kann man mehr Gemeinden oder auch Jugendliche für das Thema Frieden interessieren?

Stefan Maaß: Viele Menschen in den Gemeinden fragen sich, wie sie mit der Polarisierung durch die AFD umgehen sollen. Ebenso viele engagieren sich für Geflüchtete, auch das wirft neue Fragen nach Konflikten auf. Seit dem letzten Jahr wächst das Interesse an weltpolitischen Ereignissen.
Viele Jugendliche spricht besonders das Thema gewaltfreier Protest an. Sie beschäftigen sich zudem stark mit aktuellen Fragen wie zum Beispiel: „Greift man jetzt in Syrien ein oder nicht?“ Über solche konkreten Fragen kann man ins Gespräch kommen.

Die Landeskirche hat sich auch mit ganz grundsätzlichen Zukunftsfragen beschäftigt und ein Szenario für eine zivile Sicherheitspolitik entwickelt? Woher kam diese kühne Idee?

Stefan Maaß: Uns Pazifistinnen und Pazifisten wird immer vorgeworfen, wir seien nur dagegen. Also wollten wir uns der Frage stellen, wie unser Vorstellung einer gewaltfreien Politik denn konkret aussehen könnte. Für die Durchsetzung des Atomausstiegs brauchte es schließlich auch eine konkrete, realistische Vision, dass wir ohne Atomenergie leben können. Daraus erwuchs die Überzeugung „Wir brauchen ein Szenario, dass einen realistischen Weg zu einer gewaltfreien Politik aufzeigt.

Welche Reaktionen gab es bisher auf das Szenario?

Stefan Maaß: Zu Anfang haben wir noch vom Ausstieg aus dem Militär gesprochen. Doch allein diese Formulierung stieß bei vielen sofort auf Ablehnung. Also haben wir den Fokus verändert: Nicht die Frage „Wie können wir aus der militärischen Sicherheitspolitik aussteigen?“, sondern „Wie erreichen wir eine zivile Sicherheitspolitik?“ haben wir fortan ins Zentrum gestellt. Es geht uns darum, den Sicherheitsbegriff praktisch neu zu definieren, der bisher so stark vom Militär besetzt ist. Wir müssen den Mythos, Gewalt schaffe Sicherheit, entlarven.

Wie geht es nun damit weiter? Wie kann das Szenario Realität werden?

Stefan Maaß: Wir wollen das Szenario nun jenseits der Landeskirche bekanntmachen und suchen dafür Kooperationspartner, die die Idee mit uns weitertragen wollen. Gerne würden wir daraus eine größere Kampagne machen, um in der Bevölkerung über eine zivile Sicherheitspolitik als realistischen Weg zu informieren. Dafür brauchen wir Partner.

Werden die Vorschläge aus Baden in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aufgenommen?

Stefan Maaß: Das ist unser Ziel, aber noch schwer zu sagen, ob uns das gelingt. Wir freuen uns, dass viele Landeskirchen inzwischen ähnliche friedensethische Beschlüsse gefasst haben wie wir in Baden. Auch die EKD wird das Thema „Frieden und Kirche des gerechten Friedens“ im nächsten Jahr wieder aufgreifen. Das sehen wir durchaus als Erfolg, auch wenn es noch viele kritische Stimmen gibt nach dem Motto „Gewaltfreiheit ist gut, aber im Notfall brauchen wir das Militär“. Es wäre schon ein großer Fortschritt, wenn die EKD ihr Bekenntnis zum „Vorrang für Gewaltfreiheit“ ernst nähme. Dann würde es nämlich einen Hauptamtlichen Friedensbeauftragten mit einem entsprechenden Etat geben. So gibt es aber lediglich einen hauptamtlichen Militärbischof.

Die Positionen aus der innerkirchlichen Debatte findet man so ähnlich in der ganzen Gesellschaft.
Wie können denn mehr Menschen für Engagement gewonnen werden?

Stefan Maaß: Ich setze große Hoffnungen auf den Staffellauf „Frieden geht“ von Oberndorf nach Berlin in diesem Sommer, den wir als Landeskirche unterstützen. Wir wollen damit ein klares Zeichen gegen Rüstungsexporte setzen. Wir hoffen, damit viele Kirchengemeinden mobilisieren zu können.Wie ist die Landeskirche mit diesem Konflikt umgegangen?

 

Stefan Maaß ist Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Baden und Leiter der Arbeitsstelle Frieden mit Sitz in Karlsruhe. Die Landeskirche beschloss im Jahr 2013, Kirche des gerechten Friedens zu werden. Wir sprachen mit ihm über Schritte auf dem Weg dorthin, die innerkirchlichen Friedensdiskussionen und über Zukunftsentwürfe für eine gewaltfreie Politik.


Kirche des gerechten Friedens
Die Badische Landeskirche stellt ihre Aktivitäten und Beschlüsse zum Thema Frieden auf einer Website vor.
Hier finden Sie den friedensethischen Beschluss aus dem Jahr 2013 und das Szenario für eine zivile Sicherheitspolitik.
www.kirche-des-friedens.de