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Zweiter Weltkrieg Archiv-Fund

Der wahre Grund für Hitlers gestörtes Sexleben

Zwei Tage nach seinem gescheiterten Putsch 1923 wurde Hitler vom Gefängnisarzt der Festung Landsberg untersucht. Erst jetzt wird sein Bericht ediert. Danach litt der NS-Führer an Kryptorchismus.
Leitender Redakteur Geschichte
Bevor Hitler 1923 seine Zelle in der Festung Landsberg bezog, wurde er von Anstaltsarzt Josef Brinsteiner am ganzen Körper untersucht Bevor Hitler 1923 seine Zelle in der Festung Landsberg bezog, wurde er von Anstaltsarzt Josef Brinsteiner am ganzen Körper untersucht
Bevor Hitler 1923 seine Zelle in der Festung Landsberg bezog, wurde er von Anstaltsarzt Josef Brinsteiner am ganzen Körper untersucht
Quelle: pa/akg-images/Everett Colle

Manchmal kann sich sogar Schmähpropaganda bestätigen: Im Zweiten Weltkrieg sangen britische Soldaten gern auf die Melodie des bekannten „Colonel Bogey March“ einen Schmähtext mit dem Refrain: „Hitler has only got one ball“.

Im Englischen ist es ein gängiges, wenngleich primitives Lob, einem Mann zu sagen, er habe „balls“. Daher war die Unterstellung, jemand habe nur einen Hoden, eine schwere Beleidigung und Entehrung. Vielleicht deshalb griff 2008 auch der Entertainer Harald Schmidt das Thema auf. Ein Einspielfilm seiner Late Night Show unterstellte, Hitler habe den Zweiten Weltkrieg begonnen, um seine fehlende „Klöte“ finden zu lassen.

Harald Schmidts Witz mit Hitlers Hoden

Eine jetzt in München vorgestellte wissenschaftliche Dokumentenedition jedoch beweist: Adolf Hitler litt tatsächlich unter einer angeborenen Missbildung an seinen Genitalien – medizinisch korrekt bezeichnet einem „rechtsseitigen Kryptorchismus“. So nennen Ärzte es, wenn ein Hoden nicht im embryonalen Stadium oder im Säuglingsalter in den Hodensack wandert, sondern im Hodenkanal bleibt.

Genau diese Diagnose vermerkte Josef Brinsteiner, Anstaltsarzt im Gefängnis Landsberg, bei der Aufnahme des Untersuchungshäftlings Adolf Hitler in der Nacht vom 11. auf den 12. November 1923 in seiner Kladde. Dessen Putschversuch am 8./9. November war in München kläglich gescheitert. Zwei Tage später hatte man den flüchtenden Führer der NSDAP in Uffing am Staffelsee verhaftet. Sein Zustand wurde als desolat beschrieben.

Hitlers Putsch in München

Im Bürgerbräukeller proklamiert der Demagoge Adolf Hitler eine neue Regierung und ruft zum Marsch nach Berlin auf. Mehrere tausend Gefolgsleute schließen sich an. Die Polizei stoppt die Putschisten.

Quelle: STUDIO_HH

Die Kladde des Landsberger Gefängnisarztes war jahrzehntelang verschollen. Dann tauchte sie bei einer Versteigerung 2010 wieder auf, wurde umgehend vom Freistaat Bayern beschlagnahmt und ins zuständige Staatsarchiv München gebracht.

Dort hat Peter Fleischmann, seinerzeit Archivchef in München und inzwischen in gleicher Funktion in Nürnberg tätig, dieses Dokument wiederentdeckt. Die wesentlichen Auszüge aus Brinsteiners Kladde erscheinen jetzt, zum ersten Mal überhaupt korrekt gelesen, zusammen mit anderen aus dem beschlagnahmten Konvolut und ergänzenden Papieren in einer beispielhaften Edition. Der 552 Seiten starke Band wurde jetzt im Staatsarchiv München vorgestellt.

Peter Feischmann: „Hitler als Häftling in Landsberg am Lech 1923/24: Der Gefangenen-Personalakt Hitler nebst weiteren Quellen aus der Schutzhaft-, Untersuchungshaft- und Festungshaftanstalt Landsberg“. (Ph. C. W. Schmidt, Neustadt an der Aisch. 552 S., 59 Euro)
Quelle: Ph. C. W. Schmidt

Der Befund spricht nach Ansicht medizinischer Fachleute, die Fleischmann zu Rate gezogen hat, eindeutig für eine angeborene Anomalie. Das Gerücht, Hitler habe bei seiner ersten Verletzung an der Westfront 1916 seinen rechten Hoden verloren, ist damit gegenstandslos – es hatte Harald Schmidt 2008 zu seinem Scherz veranlasst.

Als der Gefängnisarzt Brinsteiner (1857-1944) seine Notiz machte, war Hitler eine zwar in Bayern bekannte Person, aber keineswegs mächtig, im Gegenteil: Nach dem gescheiterten Putsch war er deprimiert und körperlich angeschlagen. Der Arzt hatte Mitleid mit dem Patienten, zumal sich Brinsteiner als Nationalist verstand, also Hitlers politische Ziele durchaus teilte.

In diesem Fall erhöht diese Sympathie ausnahmsweise die Zuverlässigkeit der Notiz. Wäre (was allerdings im Jahr 1923 in Bayern praktisch unmöglich gewesen wäre) ein politisch links eingestellter Mediziner Anstaltsarzt gewesen, dann hätte man möglicherweise eine perfide Diffamierung vermuten können. Aber bei einem Nationalisten? Kaum vorstellbar.

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Durch die neue Quellenlage ist auch das sehr sorgfältig recherchierte Buch „War Hitler krank? Ein abschließender Befund“ von Hans-Joachim Neumann und Henrik Eberle überholt, jedenfalls in Hinsicht auf Hitlers Genitalien. Die beiden kenntnisreichen Forscher hatten dargelegt, warum die Geschichte von Hitlers Hodenverlust 1916 unglaubwürdig ist.

Sie führten auch die Aussage des ehemaligen Hausarztes der Familie Hitler aus Linzer Zeit an, Eduard Bloch. Der gläubige Jude hatte nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 unter dem Schutz der Gestapo weiter praktizieren können, war aber im November 1940 in die USA ausgewandert – er traute mit Recht der von oben angeordneten Ruhe nicht.

In seiner Vernehmung in den USA bestätigte Bloch 1943, an Hitlers Hoden sei nichts Außergewöhnliches – er war wohl danach gefragt worden, weil auch die Ermittler die Version des „Colonel Bogey March“ kannten. Bloch antwortete, gestützt ausschließlich auf sein Gedächtnis, über Hitlers Genitalien: „Allerdings, sie waren völlig normal.“

Doch höchstwahrscheinlich hatte Bloch Hitler das letzte Mal knapp 40 Jahre zuvor untersucht, als er nichts anderes als der jugendliche Sohn einer todkranken Patientin war. Klara Hitler hatte an Brustkrebs gelitten und war daran Ende 1907 qualvoll gestorben. Angesichts dessen sowie der Tatsache, dass Bloch seither sicher mehrere Zehntausend Menschen untersucht hatte (er engagierte sich als Armenarzt), ist sein Zeugnis nicht geeignet, den Befund seines Kollegen Josef Brinsteiner zu widerlegen.

Theodor Morell (1886-1948) war von 1936 bis 1945 Hitlers Leibarzt
Theodor Morell (1886-1948) war von 1936 bis 1945 Hitlers Leibarzt
Quelle: picture alliance / Heritage-Imag

Das Gleiche gilt für die weiteren Mediziner, die Hitler konsultierte. In den erhaltenen Notizen seines Leibarztes Theodor Morell, eines echten Quacksalbers, gibt es keine eindeutige Anamnese von Hitlers Genitalien. Er hat sich auch nach 1945 dazu nicht geäußert – da stand er allerdings schon unter dem (berechtigten) Verdacht, mit seinen seltsamen Hormonspritzen der Gesundheit von „Patient A“, wie er Hitler in seinen Unterlagen nannte, mehr geschadet denn genutzt zu haben.

Von Hitlers Begleitärzten überlebte Ludwig Stumpfegger den Krieg nicht; er nahm sich in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai 1945 zusammen mit Martin Bormann in Berlins Mitte das Leben. Aufzeichnungen von ihm sind nicht erhalten.

Sein direkter Vorgänger Karl Brandt war von Hitler noch am 16. April 1945 wegen Hochverrats zum Tode verurteilt worden, bald darauf aber in US-Gefangenschaft geraten. Er wurde in Nürnberg wegen seiner Rolle beim NS-Krankenmord, beschönigend „Euthanasie“ genannt, angeklagt und 1948 hingerichtet. Hätte er aus der Todeszelle heraus über fehlgebildete Genitalien Hitlers berichtet, wäre ihm kaum geglaubt worden; vielleicht ließ er es deshalb.

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Der vierte Arzt, der Hitler in dessen Regierungszeit mit Sicherheit körperlich vollständig untersucht hatte, war Hanskarl von Hasselbach, von 1935 bis 1944 stellvertretender Chirurg im Führerbegleitkommando. Er galt als unbelastet und ehrenhaft – und hielt sich, was seinen bekanntesten Patienten anging, an die ärztliche Schweigepflicht, die auch über den Tod hinaus gilt. Hasselbach starb 1981, im Alter von 78 Jahren.

Was bedeutet nun die erstmals quellenmäßig und nicht nur gerüchteweise greifbare Missbildung von Hitlers Hoden? Regelmäßig führt eine solche angeborene Fehlbildung zur Unfruchtbarkeit. Häufig sterben Patienten mit Kryptorchismus zudem an Hodenkrebs.

Nicht signifikant ist ein Zusammenhang zwischen der Anomalie und Impotenz: Beides kann parallel auftreten, doch gibt es ebenso Gegenbeispiele.

Im Ergebnis spricht doch aber viel dafür, dass hier mindestens ein, wenn nicht der entscheidende Grund für Hitlers ohne Zweifel gestörtes Geschlechtsleben liegt. So ist nicht gesichert, dass er überhaupt sexuelle Beziehungen hatte. Die Scham über die leicht erkennbare Missbildung könnte diese Folge gehabt haben.

Darüber jedoch enthält das Aufnahmebuch des Landsberger Anstaltsarztes Josef Brinsteiner keine Erkenntnisse. Fest steht dank der Edition von Peter Fleischmann jetzt allerdings, dass es tatsächlich diese Fehlbildung gab. 70 Jahre nach dem Tod des Diktators lassen sich noch unentdeckte Puzzleteile seines Lebens finden.

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