„Bedingt abwehrbereit“: Das Dilemma des Pazifismus

„Bedingt abwehrbereit“: Das Dilemma des Pazifismus

In den 80er-Jahren verschaffte es vielen ein gutes Gefühl, der Friedensbewegung anzugehören. Der innere Feind schien dabei wichtiger als die äußere Bedrohung. Und heute?

Zur großen Friedensdemonstration versammelten sich 1981 mehr als 300.000 Menschen im Bonner Hofgarten.
Zur großen Friedensdemonstration versammelten sich 1981 mehr als 300.000 Menschen im Bonner Hofgarten.imago stock&people

Die dunkle Ahnung, in Vorkriegszeiten zu leben, rief zuletzt die großen Demonstrationen im Bonner Hofgarten vor mehr als 40 Jahren in Erinnerung. Mehr als die Versammlung gleichgesinnter Pazifisten waren sie eine gesellschaftliche Manifestation des Dagegenseins. Das gute Gefühl, viele zu sein, bewegte damals alle, die dabei waren, und die Lieder von BAP („Zehnter Juni“) und Joseph Beuys („Sonne statt Reagan“) wirkten als Signaturen der Zeit lange nach.

Waren wir naiv? War der Pazifismus jener Jahre kaum mehr als Selbstverklärung? Die Formel von der Kriegstüchtigkeit, die der Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius als neue Selbstverständlichkeit propagiert, wäre in den 80er-Jahren vermutlich als rhetorische Zumutung eines unverbesserlichen Bellizismus zurückgewiesen worden. Mit solch einer Sprache und dem ihr zugrunde liegenden Denken mochte man nichts zu tun haben. Lieber ließ man die kindliche Weltsicht eines Udo Lindenberg („Wozu sind Kriege da?“) und Nenas teenagerhaften Utopismus („99 Luftballons“) über sich ergehen. Es ist vielleicht nicht ganz abwegig, die in Songs der Neuen Deutschen Welle zum Ausdruck kommende Infantilität als Reaktion auf die weltpolitische Bedrohungslage zu interpretieren. Wie auch immer: In der apokalyptischen Geräuschproduktion der Einstürzenden Neubauten kehrte diese dann lärmend als Verdrängtes zurück.

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„Schwäche ihre Kampfmoral“

Die vermeintliche Leichtigkeit der NDW und die ambitionierten Avantgardesounds schienen gleichermaßen eine Abkehr von der strengen Diktion der Liedermacherjahre, in denen der kommunistische Barde Franz-Josef Degenhardt die „Befragung eines Kriegsdienstverweigerers“ in ein musikalisches Lehrstück verwandelte. Tatsächlich habe ich die absurde Gesprächssituation, in die junge Männer gezwungen wurden, die beabsichtigten, den Wehrdienst zu verweigern, im Kreiswehrersatzamt meiner Region erlebt – exakt so, wie von Degenhardt besungen. Die Vorstellungen vom Krieg, so kommt es mir heute vor, wurden auf paradoxe Weise mit den Mitteln der Bürokratie eingehegt.

Von Degenhardt gab es ein weiteres Lied, das weniger parodistisch daherkam. Den kampfbereiten Genossen riet er ganz ausdrücklich, den Wehrdienst zu absolvieren, um die Strategien des Klassenfeindes kennenzulernen. „Aber wenn du mich fragst, Junge, soll ich gehen in die Armee? Kann ich dir nur raten, Junge, wenn du stark genug bist, geh.“ Von Pazifismus keine Spur, Degenhardt machte sich mit verspielten Melodien auf zur großen Unterwanderung. „Lern mit ihren Waffen kämpfen, wir gebrauchen sie einmal / Lerne ihre Schwächen kennen. Schwächе ihre Kampfmoral“, lautete die verschwörerische Parole.

Geistige Mobilmachung

Was die Bonner Demonstrationen mit Degenhardts geistiger Mobilmachung verband, war die Fokussierung auf einen inneren Feind. Die Friedensbewegung der 80er-Jahre richtete sich gegen den sogenannten Nato-Doppelbeschluss und die damit verbundene Aufstellung von Pershing-II-Raketen des eigenen Bündnisses in Westeuropa. Wenn nicht alles täuscht, wiederholen sich dieser Tage die Schwierigkeiten, die Absichten des Feindes und die Bedrohungen als solche zu erkennen. „Bedingt abwehrbereit“, hieß es in den Anfangsjahren der Bundeswehr. Die Formel trifft auch auf eine mit sich selbst hadernde Gesellschaft zu.