Missbrauchsanklage gegen Grundschullehrer: Seit 15 Jahre Thema
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Missbrauchsanklage gegen Grundschullehrer: Schulaufsicht seit 15 Jahren im Thema

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Jacken hängen in einer Grundschule in Stuttgart an einer Garderobe. An Altenaer Grundschulen soll es jahrelang zu sexuellem Missbrauch von Mädchen gekommen sein. Jetzt stellen sich Fragen nach Verantwortlichkeiten.
Jacken hängen in einer Grundschule in Stuttgart an einer Garderobe. An Altenaer Grundschulen soll es jahrelang zu sexuellem Missbrauch von Mädchen gekommen sein. Jetzt stellen sich Fragen nach Verantwortlichkeiten. © DPA

Der wegen 160 Fällen sexuellen Missbrauchs von Grundschülerinnen angeklagte Lehrer steht schon seit 15 Jahren im Blick von Schulaufsicht und Schulleitung.

Altena – Das erklärte die Schulaufsicht. Dazu hat sich eine Frau aus dem Förderverein der Schule gemeldet, sie macht dem Leiter der Grundschule schwere Vorwürfe. Er habe über Jahre an der Schule ein restriktives Klima geschaffen, das keine Kritik zugelassen und vertrauensvolle Zusammenarbeit verhindert habe. Die Schulaufsicht erklärte in dem Zusammenhang, dass der Schulleiter noch 2020 versichert habe, dass es keine Auffälligkeiten im Verhalten der Lehrkraft gegeben habe.

Missbrauchsanklage gegen Grundschullehrer: Schulaufsicht seit 15 Jahren im Thema

Vor Beginn der Verhandlung (Freitag, 3. Mai, 9.30 Uhr, Landgericht Hagen) gegen einen Hagener, der als Lehrer, Sportlehrer und Klassenlehrer in insgesamt 160 Fällen Mädchen sexuell missbraucht haben soll, hat sich auf Nachfrage unserer Zeitung die Schulaufsicht bei der Bezirksregierung Arnsberg geäußert. Dem Mann wird, wie bereits berichtet, in sechs Fällen im Zeitraum von Mai 2005 bis Juli 2008 und in 154 Fällen im Zeitraum von September 2013 bis Juli 2014 vorgeworfen, Mädchen sexuell missbraucht zu haben. Die zentrale Frage an die Schulaufsicht war, ab wann man dort von den Vorfällen wusste und ob dienstrechtliche Konsequenzen gegen den Angeklagten gezogen wurden. Für die Schulaufsicht bei der Bezirksregierung antwortete Pressesprecher Christoph Söbbeler.

Die Bezirksregierung erklärte schriftlich, dass bei erheblichen Tatvorwürfen gegen beim Land beschäftigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie Lehrkräfte prinzipiell der Ausgang staatsanwaltlicher Ermittlungen abgewartet werde. Erhebliche Tatvorwürfe seien solche, die in der Folge zugleich ein disziplinarrechtliches Verfahren und ein polizeiliches oder staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren auslösten. Die Ergebnisse der staatsanwaltlichen Ermittlungen würden in einem danach folgenden Disziplinarverfahren einbezogen und entsprechend gewertet.

Erstes Ermittlungsverfahren von 2009 eingestellt

Nach Auskunft von Söbbeler weiß die Schulaufsicht von der Einstellung eines ersten Ermittlungsverfahrens gegen den Mann in 2009. Dieses Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hagen sei im Jahre 2009 gemäß § 170 Absatz 2 der Strafprozessordnung eingestellt worden. Söbbeler dazu: „Es bestand keinerlei Tatverdacht. Dienstrechtliche Maßnahmen kamen danach nicht in Betracht.“ Und weiter: „Bereits eingeleitete Maßnahmen wurden aufgehoben.“

Söbbeler schreibt: „In einem weiteren eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen weiterer Vorfälle aus den Jahren 2005 bis 2009, von dem die Bezirksregierung durch einen Anruf der Staatsanwaltschaft Hagen am 22. Juni 2020 erfahren hatte, haben die staatsanwaltlichen Ermittlungen einen langen Zeitraum in Anspruch genommen.“

Auf die Frage, welche Konsequenzen folgten, antwortet Söbbeler schriftlich: „Für disziplinarische Maßnahmen war auch in diesem Fall der Ausgang der staatsanwaltlichen Ermittlungen abzuwarten.“ Nach Informationen der Bezirksregierung, so der Sprecher der Arnsberger Behörde, werde auch durch das Polizeipräsidium Hagen ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen diese Lehrkraft geführt.

Schulaufsicht: Schulleiter hat 2020 keine Auffälligkeiten im Verhalten der Lehrkraft bemerkt

Auf die Frage, seit wann die Schulaufsicht und damit auch die Altenaer Schulleitung aktiv mit den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und den Vorwürfen gegen den nach 2009 weiterhin an der Schule beschäftigten Lehrer bekannt gemacht worden ist, nannte Söbbeler das Jahr 2020. Seit dem 22. Juni habe sich die Schulaufsicht „intensiv mit der Situation an der Schule“ befasst. Söbbeler: „In mehreren Gesprächen mit der Schulleitung wurde immer wieder festgehalten, dass es aus dortiger Sicht aktuell keine Auffälligkeiten im Verhalten der Lehrkraft gab, und dass es auch keine entsprechenden Hinweise der Schülerinnen und Schüler beziehungsweise deren Eltern gab.“

Seit Bekanntwerden des erneuten Ermittlungsverfahrens von 2021 am 4. März 2022 habe die Bezirksregierung sichergestellt, dass die Lehrkraft nicht mehr in der Schule unterrichte. Richterin Dr. Kuhn-Pfeil, die für das Landgericht Hagen auf Presseanfragen antwortet, hatte dazu Folgendes gegenüber unserer Redaktion gesagt: „Der Angeklagte ist wegen einer Erkrankung für dienstunfähig erklärt worden.“ Die Dienstunfähigkeit stehe allerdings nicht im Zusammenhang mit dem gerichtlichen Verfahren.

„Mittlerweile“, so Söbbeler, sei die Schulpflegschaft zunächst über die Vorsitzenden der Elternvertretungen eingebunden worden. Im Gespräch mit der Schulpflegschaft „werde die Situation mit den Eltern vor dem Hintergrund bestehender Sorgen und Fragen“ besprochen. Das Krisenteam der Bezirksregierung unterstütze die Schule, die schulpsychologische Beratungsstelle des Märkischen Kreises sei ebenfalls eingebunden.

Der Vorsitzende der Schulpflegschaft, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sieht sich im Spagat zwischen zwei Interessen: Denen der Eltern und denen der Schulleitung. Er sei durch sein Ehrenamt beiden verpflichtet. Die Situation sei für ihn sehr schwierig, sagte der Mann im Gespräch mit der Redaktion, er sei verunsichert.

Vollversammlung der Schulpflegschaft

Er bestätigte, dass zu Beginn kommender Woche zu einer Versammlung der gesamten Schulpflegschaft eingeladen wurde. Dazu seien durch die Schulleitung alle Vorsitzenden und deren Vertretungen sämtlicher Klassen der beiden Schulen gebeten worden. Die Versammlung solle in erster Linie dazu dienen, den Sorgen und Fragen der Eltern Raum zu geben. Der Vorsitzende der Schulpflegschaft: „Ich habe auf diese Fragen keinerlei Antworten. Ich weiß nicht, was uns in der kommenden Woche berichtet wird.“

Die Einladung zu der Versammlung, die durch den Schulleiter unterschrieben ist, gelangte auf anderen Wegen in die Redaktion. Dort schreibt der Schulleiter: „Aus der Presse konnten Sie erfahren, dass gegen eine Lehrkraft der Grundschule ein Prozess wegen des sexuellen Missbrauchs von schutzbefohlenen Kindern stattfinden soll. In ersten Reaktionen suchten einige Eltern Kontakt zu den Klassenlehrkräften. Dabei wurde deutlich, dass bei Ihnen die gleiche Betroffenheit und Fassungslosigkeit herrscht, wie bei uns Lehrerinnen und Lehrern.“ In einem weiteren Satz schreibt der Schulleiter an die Pflegschaftsvorstände: „Bringen Sie bitte die Sorgen der Eltern mit, die bei Ihnen eingegangen sind. Gemeinsam mit Ihnen möchten wir auch überlegen, wie Schule (Eltern und Lehrer) sich aufstellen können, um unsere (!) Kinder zukünftig noch besser schützen zu können, und was bereits auf den Weg gebracht wurde.“

Vorwürfe gegen Schulleiter: „System der Einschüchterung“

Ganz erhebliche Vorwürfe gegen die Schulleitung kommen indes von einer Frau, die im Vorstand des Fördervereins der Schule aktiv ist und enge Beziehungen zu anderen Eltern und zur Pflegschaft gleichermaßen unterhält. Ihre eigenen Kinder sind nicht mehr an der Schule. Sie ist in einem Beruf tätig, der ihren Worten in besonderer Weise Gewicht verleiht.

Diese Frau sagt ganz unverblümt, dass sie das persönliche System des Schulleiters für ein wenig vertrauensvolles Klima an der Schule verantwortlich mache. Auch der Schulaufsicht macht sie Vorwürfe. „Wie kann man als Schulaufsicht sagen, dass es keine weiteren Verdachtsmomente gibt, wenn man nicht die Eltern nach möglichen Hinweisen befragt?“ Soweit sie es wisse, habe sich die Schule nie bei den Eltern nach möglichen Verdachtsfällen erkundigt. „Wenn ich niemanden frage, kann ich auch keinen Verdacht ermitteln“, schlussfolgert die Frau.

Die Eltern hätten von der Anklage gegen den ehemaligen Lehrer erst aus dieser Zeitung erfahren. Der Schulleiter habe ein System auch von Einschüchterung geschaffen, in dem nur seine eigene Meinung zähle. Die Frau ist sich der Schwere ihrer Anschuldigungen gegen den Schulleiter vollumfänglich bewusst. Sie sagt trotzdem: „In diesem Klima war es vor allen den Frauen und Müttern schlecht möglich, über Verdachtsmomente, Ängste und Sorgen zu sprechen.“

Die Frau formuliert ihre Worte mit Bedacht: „Das System des Schulleiters hat begünstigt, dass kein offenes Klima herrscht, in dem man sich traut, Kritik zu üben.“ Diese eigenen Erfahrungen habe sie mit dem Schulleiter als Mutter von Kindern an der Schule und später als Mitglied im Vorstand des Fördervereins der Grundschule gemacht. Sie geht mit ihren Vorwürfen darüber hinaus auch die Schulaufsicht an: „Es ist meiner Meinung nach nicht intensiv genug nachgeforscht worden. Man hat vielleicht auch gehofft, dass sich nichts ergibt.“

Mutter berichtet von Übergriffen auf ihre Tochter: „Schöner Popo“

Eine Mutter, deren Tochter im vergangenen Schuljahr die Grundschule zur weiterführenden Schule verließ, meldete sich in der Redaktion. Nachdem sie in dieser Zeitung von den Missbrauchsvorwürfen gelesen hatte, habe sie behutsam bei ihrer Tochter nachgefragt. Das Mädchen habe lediglich Sportunterricht bei dem angeklagten Lehrer gehabt. Ob im Nachhinein etwas komisch gewesen sei an dem bei allen Kindern äußerst beliebten Lehrer? Ja, der habe wohl ihren Popo sehr schön gefunden und ihn auch mal angefasst. Die Mutter wird den Prozessauftakt am Landgericht besuchen.

Der Schulleiter, von unserer Redaktion auf die Stellungnahme der Bezirksregierung und die Vorwürfe aus dem Fördervereinsvorstand angesprochen, möchte sich nach wie vor nicht zu der Angelegenheit äußern.

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