Horst Zuse: Die Berliner Pioniermaschine

Die Berliner Pioniermaschine

Nicht im Silicon Valley oder bei der Nasa begann das Computerzeitalter, sondern in Berlin-Kreuzberg, in der Methfesselstraße 7. Dort baute der Ingenieur Konrad Zuse 1941 den ersten funktionsfähigen Digitalrechner der Welt. Sein Sohn, Horst Zuse, präsentiert den Nachbau des Rechners einmal im Monat im Deutschen Technikmuseum.

Berlin-Sohn, nicht Nachfolger. So einfach ist das“, sagt Horst Zuse mit Nachdruck in der Stimme, als wieder mal einer der Besucher des Deutschen Technikmuseums ehrfürchtig fragt, ob er denn der Nachfolger von Konrad Zuse sei. Eigentlich wollte der 68-jährige Herr mit der randlosen Brille gerade seinen Laptop abräumen, der auf einem Tischchen neben drei schmalen, hohen Truhen aus schwarzem, spiegelnden Material steht.

Sie sehen ein bisschen aus wie Kühlvitrinen im Supermarkt. Aber hinter den Plexiglas-Scheiben erblickt man keine Tiefkühlkost, sondern eine für den Laienblick verwirrende Komposition aus lauter Reihen, die aussehen, als hätte jemand Keyboards mit blauen Tasten auseinandergenommen und ihre Klaviaturen übereinander geschraubt. Dazwischen quellen gelbe, blaue und grüne Drähte hervor.

Horst Zuse ist 1945 geboren und somit nur vier Jahre jünger als die Maschine, vor deren Nachbau er steht. Die Rechenmaschine mit dem prosaischen Namen Z3 – das Z steht für Zuse – war der erste funktionsfähige Digitalrechner der Welt und ist somit der Prototyp des modernen Computers, der heute mit seiner nahezu unsichtbaren Technik den Alltag durchdringt.

Der Bauingenieur und Erfinder Konrad Zuse hatte den Rechner 1941 gemeinsam mit dem Fernmeldefachmann Helmut Schreyer gebaut. Zuses Werkstatt lag in der Kreuzberger Methfesselstraße. Das Computerzeitalter begann also in Berlin, nicht weit vom heutigen Technikmuseum entfernt.

Vom Rechnen genervt, ohne Ende

Vor fast vier Jahren hatte Horst Zuse, eines von fünf Kindern des 1995 im Alter von 85 Jahren verstorbenen Ingenieurs, die Idee, die Rechenmaschine nachzubauen. Das Ergebnis ist nun im Deutschen Technikmuseum zu sehen, und Zuse erklärt Interessierten ein Mal im Monat die Maschine. Sie steht ganz vorn im Ausstellungsraum, am Geländer der Galerie des ersten Obergeschosses, die seit dem 100. Geburtstag Konrad Zuses ganz dem Andenken des Computerpioniers gewidmet ist.

Viele Technikbegeisterte sind an diesem Sonntag zu Horst Zuses Vortrag gekommen. Eine Traube von Menschen drängt sich vor dem Nachbau von Z3. Ganz vorne einige Kinder. Zuse deutet über die Köpfe der Zuschauer in die Mitte des Raumes. Wenige Meter von Z3 entfernt steht das Modell von Z1, dem vielleicht noch bekannteren, rein mechanisch operierenden Vorgängermodell von Z3. Konrad Zuse stellte es bereits 1937 fertig, und sein Sohn erzählt die Geschichte, als wäre er dabei gewesen. Konrad Zuse soll die Rechenmaschine nämlich in seinem Wohnzimmer gebaut haben, weil ihm während seines Ingenieur-Studiums die langwierigen Rechenoperationen im Bereich der Statik zu mühsam waren: „Das hat ihn genervt, ohne Ende“, sagt Horst Zuse. Konrad Zuse baute die Z1 in den 80er-Jahren für das Museum nach. Dass die beiden Nachbauten, deren Originale im Krieg zerstört wurden, jetzt so nah beieinander stehen, ist für technikgeschichtlich Interessierte eine kleine Sensation.

Lange Nase für den PC

Horst Zuse ist Privatdozent für Elektrotechnik und Informatik, aber man kann ihn sich auch gut als Informatiklehrer am Gymnasium vorstellen. Er erklärt den Besuchern das binäre System, welches ja bekanntermaßen darauf beruht, dass sämtliche Rechenvorgänge in Einsen und Nullen codiert werden.

Wie viele Finger brauche man, um bis zehn zu zählen, fragt er ins Publikum. Zehn? Die Antwort ist natürlich falsch. Er fordert die Zuschauer auf, seine Handbewegungen nachzuahmen. Rechte Hand. Den Daumen hoch, die restlichen Finger runter: Eins. Jetzt wieder alle Finger unten lassen, außer dem Zeigefinger: Zwei. Dann ist der dritte Finger dran: Drei? Nein, natürlich falsch. Das Rechensystem funktioniert über die Verdoppelung. Der dritte Finger wäre demnach eine Vier, und so geht es immer weiter.

Auf einer schwarzen Konsole mit runden weißen Zahlenknöpfen gibt Zuse die Zahl Zwanzig ein. Entlang der blauen Klaviaturreihen blinken gespenstisch grüne und rote LED-Lämpchen, die Maschine rechnet. Schließlich leuchten in einer der unteren Reihen zwei Tasten auf, die durch eine weitere getrennt sind: die Vier und die Sechzehn, der Mittel- und der kleine Finger also.

Zuse will nicht Nachfolger seines Vaters sein, das wird aus vielem, was er sagt, deutlich. Er hat eine eigene Karriere. Das Verwalten des erfinderischen Erbes seines Vaters ist dennoch Teil seiner Lebensaufgabe, er schreibt an Konrad Zuses Mythos mit, verteidigt ihn gegen den Vorwurf der bequemen Gleichgültigkeit gegenüber dem NS-Regime: „Z1 war kein Auftrag der Naziregierung“, sagt er im Vortrag.

Freaks der digitalen Welt, wie es heute so viele gibt, waren Vater und Sohn nie. Horst Zuse besitzt kein Smartphone, sondern ein einfaches Handy, von dem aus er nach dem Vortrag beim Kaffee in der Kantine seine Frau anruft, um ihr zu sagen, dass es später wird. Das letzte Foto der Bildschirmpräsentation zum Leben Konrad Zuses hatte übrigens ein Bild gezeigt, auf dem der gealterte Erfinder am Schreibtisch vor einem PC sitzt, wie wir ihn heute kennen. Konrad Zuse zeigt dem Gerät eine lange Nase.