Neurogenes Zittern: So baust du Stress ab | SOUL SISTER

Neurogenes Zittern
Crazy, aber klappt: So entspannst du durch Zittern

Verspannungen, Ängste und Stress ganz einfach abschütteln: Was so einfach klingt, soll mit dem neurogenen Zittern tatsächlich funktionieren. Unsere Autorin probiert es hier für dich aus
Frau fasst ihre Haut an
Foto: Shutterstock.com/BAZA Production

Langsam und gleichmäßig atme ich ein und aus, während ich eine tiefe Ruhe und ein Gefühl der Befreiung verspüre. Normalerweise würde ich dieses Gefühl nach einer intensiven Yogastunde oder einer besonders bereichernden Meditationssitzung erleben.

Doch dieses Mal war es anders: Ich habe absichtlich gezittert, nicht vor Angst oder Kälte, sondern als bewusste Methode, um mich zu entspannen.

Was vielleicht im ersten Moment ein wenig – nun ja – sonderbar klingt, ist tatsächlich eine anerkannte Technik, die ursprünglich aus der Traumatherapie kommt und Anspannungen und Blockaden auflösen soll: neurogenes Zittern.

Was ist neurogenes Zittern?

Zittern zum Entspannen? Wie genau das funktioniert und warum regelmäßiges Zittern auch im Alltag beim Stressabbau helfen kann, hat mir Bewusstseinstrainerin Beata Korioth in ihrer Praxis in Köln gezeigt. Sie hat das neurogene Zittern vor einigen Jahren in den USA selbst kennengelernt und baut es seitdem in ihre Arbeit als Yogalehrerin und Atemtherapeutin mit ein.

Mit "neurogen" ist beim neurogenen Zittern ein unkontrollierbarer Zustand des Körpers gemeint. Dieser wird durch das Einnehmen einer bestimmten Position hervorgerufen und zugelassen. Die Schwierigkeit besteht darin, die Kontrolle abzugeben. Erst so lösen sich Anspannungen.

Helle Farbverläufe
Shutterstock.com/ganjalex

Zittern ist etwas ganz natürliches und kann bewusst eingesetzt werden.

Dass viele Menschen dem Zittern erst mal skeptisch gegenüberstehen, ist für Korioth leicht nachvollziehbar: "Wir haben oft Angst vor uns und dem, was in uns ist, dabei ist das eigentlich nur eine angeborene Antwort auf Anspannung und eine innere Entladung."

Eine völlig natürliche Reaktion also, die man sogar von Tieren kennt. Sie zittern zum Beispiel nach einer bedrohlichen Situation, um Spannung abzubauen. Und auch Kinder zittern manchmal ganz intuitiv, etwa wenn sie sich erschrecken oder sehr hungrig sind. Korioth ist es wichtig, dass wir im Erwachsenenalter wieder lernen, dass Zittern etwas sehr Heilsames sein kann – wenn wir es nur zulassen.

Die Übungen, die sie mir zeigt, entspringen der Technik "Tension & Trauma Releasing Exercises“, die der US-amerikanische Bioenergetiker und Psychotherapeut David Berceli entwickelt und zu denen er auch Studien veröffentlicht hat. Berceli hatte bei seiner Arbeit mit stark traumatisierten Menschen immer wieder festgestellt, dass seine Patient:innen unmittelbar nach Schockerlebnissen gezittert haben, offenbar, um Anspannungen abzubauen. Deshalb kam ihm die Idee, spezielle Übungen zu entwickeln, die das Zittern bewusst auslösen und die Heilung so unterstützen. Er testete die Technik u. a. in einer Studie mit Mitarbeitern eines SOS-Kinderdorfs.

Wie geht neurogenes Zittern?

Um das neurogene Zittern auszuprobieren, habe ich mich auf eine Yogamatte gelegt, denn gerade beim ersten Mal sollte man sich einen rutschfesten Untergrund suchen und die Übung außerdem barfuß machen. Das ist wichtig, um genügend Halt zu haben und die Übung richtig ausführen zu können.

Ich habe unter Anleitung der Expertin meine Fußsohlen aneinander gestellt, das Becken leicht vom Boden gehoben und die Beine zur Seite fallen lassen. Und tatsächlich: Schon nach ein paar Augenblicken haben meine Beine angefangen zu vibrieren. Es war ein sehr sanftes und angenehmes Vibrieren, das mit der Zeit immer intensiver wurde und letztlich sogar auf meinen Oberkörper übergegangen ist.

„Das ist ganz normal“, erklärt mir die Trainerin, „denn wir haben mit der Übung zuerst den sogenannten Psoas-Muskel aktiviert.“ Der Psoas ist ein extrem starker Muskel. Er läuft von den Oberschenkelknochen durch die Hüfte an die untere Wirbelsäule und zieht sich in angespannten Situationen zusammen. Daher wird er auch als „Angst-Muskel“ bezeichnet, der sowohl körperliche als auch emotionale Belastungen abspeichert. Genau diese gespeicherten Blockaden können durch das Zittern gelöst werden, der Psoas-Muskel kann sich dadurch entspannen.

Für den Zittereffekt ist es notwendig, dass man auf das hört, was der Körper signalisiert. „Wenn der Körper beim neurogenen Zittern irgendetwas anderes machen möchte, sollte man das zulassen. Manchmal möchte der Körper Bewegungen jenseits des Zitterns machen, zum Beispiel mit dem Becken hüpfen oder sich wie eine Schlange schlängeln. Auch das kann dann Teil des neurogenen Zitterns sein“, erklärt die Expertin.

Was bewirkt neurogenes Zittern?

Mit der Zeit konnte Berceli nachweisen, dass das neurogene Zittern nicht nur bei schweren Traumata hilft, sondern auch generell beim Abbau von Stress im Alltag. Forschungen haben gezeigt, dass regelmäßiges Zittern zum Beispiel bei der Behandlung von starken Kopfschmerzen oder Schlafproblemen unterstützend wirken kann.

Denn durch das Zittern wird die Durchblutung deutlich angeregt, und die Muskeln und das fasziale Gewebe werden wieder gelockert. Gleichzeitig fördert es die Ausschüttung der Wohlfühl-Hormone Dopamin, Serotonin und Oxytocin. Da der Körper nach dem Zittern nicht mehr unter Daueranspannung steht, können sich Blockaden lösen, und es stehen wieder mehr Energie-Kapazitäten zur Verfügung.

Wie kann ich mit dem neurogenen Zittern anfangen?

Du kannst es einfach ausprobieren. Um diese positiven Effekte des neurogenen Zitterns auch effektiv nutzbar zu machen, rät Expertin Korioth, zum Einstieg mit 2 Zitter-Einheiten pro Woche für je 15 Minuten zu beginnen.

„Das ist die perfekte Einheit, um sich erst mal daran zu gewöhnen, dass das Zittern sein darf und der Körper weiß, dass er jetzt loslassen kann. Übt man regelmäßig, bekommt man schnell ein Gefühl von Sicherheit. Und das ist notwendig, damit der Körper sich wirklich vollkommen entladen kann.“ Das geht besonders gut vor dem Zubettgehen oder nach dem Sport, denn dann wurde die Muskulatur schon beansprucht, und es fällt leichter, in die Bewegung hineinzukommen.

Ist neurogenes Zittern gefährlich?

An sich kannst du bei der Einstiegs-Übung zum neurogenen Zittern nichts falsch machen. Da die Methode von Berceli aber zur Traumata-Behandlung genutzt wird, solltest du vorsichtig sein, wenn du stark traumatische Erfahrungen in dir trägst, die dadurch getriggert werden könnten. In diesem Fall empfiehlt es sich, die Übungen zuerst unter professioneller Aufsicht durchzuführen.

So lernst du das neurogene Zittern

Du möchtest das Zittern gern am eigenen Leib spüren? Kannst du haben. Diese Übungen sind ideal für den Einstieg und das Ausprobieren:

Übung: Zitter den Stress weg

Neurogenes Zittern Übung
Lizzy Thomas
Mit dieser Übung zitterst du den Stress weg.

Lege dich bequem mit dem Rücken auf den Boden oder eine Matte. Die Arme liegen locker links und rechts ausgestreckt, die Knie sind angewinkelt, die Füße stehen eng beieinander. Presse nun die Fußsohlen aneinander, spanne Bauch-, Rücken- und Pomuskulatur fest an und hebe den Po vom Boden ab, bis Oberkörper und Oberschenkel eine gerade Linie bilden.

Lasse dann die Oberschenkel nach außen fallen. Halte diese Position, spüre, wie dein Körper zu zittern beginnt, und senke das Becken nach circa einer Minute wieder auf die Matte ab. Beginne von vorn und versuche, die Position beim nächsten Mal noch etwas länger zu halten.

Alternative Übungen

Wenn dir die Hüfthebe-Übung für den Anfang zu fortgeschritten erscheint, kannst du auch Übungen im Stehen praktizieren. Viele passende Beispiele gibt es zum Beispiel auch von unserer Expertin Beata Korioth als Videosequenz auf YouTube. Und das Üben lohnt sich. Denn je häufiger und routinierter du das neurogene Zittern praktizierst, desto leichter fällt es dir, es auch in kleinen Stresssituationen unmittelbar zuzulassen.

Du musst das Zittern ja nicht jedes Mal mit voller Intensität praktizieren. Oft reicht schon ein ganz feines, leichtes Entladen. So lässt sich jede noch so kleine aufkommende Spannung direkt abbauen, ohne dass sie sich überhaupt erst im Körper aufstauen kann. Und so kannst du lernen, diese Körpergabe für dich zu nutzen und den Stress in Zukunft wortwörtlich einfach abzuschütteln.

Zittern als Methode zur Stressbewältigung? Ja, das geht. Probiere es doch einfach mal aus! Obwohl es auf den ersten Blick seltsam erscheinen mag, zeigt es bei vielen erstaunlich positive Wirkungen. Gute Entspannung!

Erwähnte Quellen:

Berceli D, Salmon M, Bonifas R, Ndefo N. Effects of Self-induced Unclassified Therapeutic Tremors on Quality of Life Among Non-professional Caregivers: A Pilot Study. Glob Adv Health Med. 2014 Sep;3(5):45-8. doi: 10.7453/gahmj.2014.032. PMID: 25568824; PMCID: PMC4268601.

Berceli D, Salmon M, Bonifas R, Ndefo N. Effects of Self-induced Unclassified Therapeutic Tremors on Quality of Life among Non-professional Caregivers: A Pilot Study. Global Advances in Health and Medicine. 2014;3(5):45-48. doi:10.7453/gahmj.2014.032