Stoffsammlung mit Gral: „Parsifal“ am Staatstheater Nürnberg
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Stoffsammlung mit Gral: „Parsifal“ am Staatstheater Nürnberg

Patrick Zielke
Karfreitagsaue der anderen Art: Patrick Zielke als Gurnemanz in der Inszenierung von David Hermann. © Ludwig Olah

Drei Akte, drei Perspektiven: Regisseur David Hermann nähert sich Wagners „Parsifal“ in Nürnberg auf ungewöhnliche Art. Das geht nicht auf. Dafür gibt es Eindrückliches zu hören.

Irgendwann geht ihr der lächelnde Typ auf den Geist. Stellt sich einfach ins Rampenlicht (was doch eigentlich ihr gebührt), sondert ungerührt Heldisches ab, kümmert sich nicht mehr um den Kollegenkreis auf der Bühne. Kundry ruft also nach dem Inspizienten. Der eilt mit dem Regiebuch herbei, beschwichtigt – und spätestens jetzt haben es alle verstanden: Nicht direkt um Richard Wagners „Parsifal“ geht es hier, sondern um eine Aufführung desselben. In diesem Fall aus dem Jahre 1925, das hat die Vorhangschrift zu Beginn des zweiten Akts signalisiert. Vor allem aber geht es, Erweckungskuss hin, Verführung her, um einen Solisten-Krieg zwischen der Kundry-Sängerin und dem von Eitelkeit beseelten Titelrollen-Tenor.

So hätte das Opernhaus Nürnberg einst sein können, das zeigen dabei die Jugendstilprojektionen auf dem Portal und auch das Bühnenbild – bevor Adolf Hitler dem Bau den Garaus machte und auf Neoklassik trimmte. Was das alles mit Wagners letztem Bühnenwerk zu tun hat? Es ist kompliziert. David Hermann nähert sich dem Stück aus drei verschiedenen Richtungen, tut so, als habe das Staatstheater drei Regieteams gebucht. Was andernorts (wie vor einiger Zeit in der Stuttgarter „Walküre“) tatsächlich passiert, erledigt hier also ein Mann allein.

Zwischen Monty Python und Adolf Hitler

Der Grundgedanke ist gar nicht so falsch. Wagners letztlich ungreifbarer, dauer-raunender, zu-vieldeutiger „Parsifal“ verführt zum Konzeptüberschuss. Und Hermann (der 2025 an der Bayerischen Staatsoper mit Mozarts „Don Giovanni“ debütiert), will Maximales unterbringen. Der erste Akt ist also eine Mixtur aus farbgrellem Mittelalter, Monty Python und Eso-Trip. Man trägt Toga, Mütze, Rotstrümpfe oder Heidi-Klum-Gedächtnisperücke (Kostüme: Bettina Werner). Gurnemanz taucht erst im Parkett auf, nachdem er eine Dame in Reihe eins auf die Stirn geküsst hat. Und der alte Titurel spukt als Lear-Karikatur durch die Gralsburg, die hier ein hölzernes Zeltgerüst ist, in deren Innerem sich allerlei Wunderzeug tut.

Akt zwei spielt in besagtem historischem Nürnberg (Bühne: Jo Schramm). Parsifal wird am Ende zur Hitlerfigur – womit David Hermann etwas zu dicht und plagiatös an Stefan Herheims legendärer Bayreuther Inszenierung vorbeischrammt. Der nihilistische Akt drei, laut Schriftprojektion ein „Endspiel“, deutet wahlweise auf einen verheerenden, alle und alles erfassenden Giftunfall hin oder gleich auf einen Krieg. Der verschollene Parsifal kehrt mit stummen Kumpanen, alle in weißen Schutzanzügen und mit Teilen des Gralsspeers bewaffnet, zu Gurnemanz zurück. Die finale Gralsenthüllung ist ein Spiegelzauber: Zu Wagners musikalischen Erlöser-Beschwörungen spielen alle mit Lichtreflexionen. Und für die anfängliche Frage des Titelhelden („Wer ist der Gral?“) gibt es wie in Akt eins – dies eine der wenigen szenischen Klammern – die Antwort: Nur Licht spendet Leben.

Hochklassige musikalische Fraktion

Auf dem Papier, passagenweise auch live birgt David Hermanns Triple-Konzept durchaus Schlüssiges. Auf den ganzen Abend gesehen wird jedoch zu viel angerissen und aufgefahren. Ein Kaleidoskop an Gedankenbröckchen und Rätseln, das mehr erscheinen will, als es ist. Als habe da einer eine Stoffsammlung zu „Parsifal“ zusammengetragen, um sie nun ungeordnet, aber mit hintergründigem Lächeln über dem Abend auszuschütten. Ob Hermann das Stück brechen, ironisieren, verheutigen oder alles zusammen will, man weiß es nicht. Manchmal wirken die Figuren wie abgestellt, immer wieder hängt die Aufführung durch.

Szenisch ist dieser Nürnberger „Parsifal“ ein bisschen wie des Kaisers neue Kleider, musikalisch dagegen hochklassig. Als Roland Böer die erste Phrase kilometerweit spannt, fürchtet man noch um die Sache und sieht sich bis Mitternacht in der Premiere sitzen. Doch dann entwickelt der Generalmusikdirektor mit der Nürnberger Staatsphilharmonie eine tief erfühlte, in ihrer Tempo-Architektur und dramatischen Bedürfnissen sehr logische Deutung.

In den Konversationsstrecken zieht Böer an, auch übrigens in den hier flott marschierenden Verwandlungsmusiken. Und dann gibt es Momente, in denen sich Wagners Zaubermelos entfalten darf, ohne dass gleich alles auf der Stelle tritt. Die Klangbalance im akustisch heiklen Haus ist vorbildlich. Details werden behutsam emanzipiert und eingepasst, in den Fortissimo-Passagen klingt nichts überreizt. Es ist die Selbstverständlichkeit auch im Dramatischen, alles mit kundigem Kapellmeisterhandwerk hergestellt, was so überzeugt. Einzig die Höhenchöre im ersten Akt tönen zu robust und unausgeglichen – da schwebte Wagner etwas Indirekteres, Körperloseres vor.

Ein Gurnemanz zum Abhängen an der Bar

Vom Solo-Potenzial her ist die Besetzung ein Fest für jede Regie. Doch Hermann nutzt die Eigenheiten und Charakterzüge nur bedingt. Patrick Zielke zum Beispiel ist ein Anti-Klischee-Gurnemanz. Mit prächtigem, durchgebildetem, perfekt im Körper verankerten Bass. Aber eben auch offensiv gelaunt: kein beseelter Ritter, sondern ein Gralskumpel, mit dem man an der Bar mit Messwein abhängen möchte. Was Zielke, aber das ist Kritteln auf hohem Niveau, etwas fehlt: das Phrasenfinish, die Legatokultur. Würde er da noch mehr riskieren, er stieße sofort in die Minispitzengruppe deutschsprachiger Bassisten vor.

Tadeusz Szlenkier singt die Titelrolle mit Metall und breitem Tenorstrahl. Jochen Kupfer als Amfortas ist ein stimmdarstellerisch intensiver Schmerzensmann. Und obwohl Anna Gabler sonst als Salome oder Chrysothemis aktiv ist, müsste sie umdenken: Ihre Kundry, mit resonanzreicher Mittellage und viel Textbewusstsein gestaltet, aus der sie klug abgesicherte Höhenflüge wagt, deutet hin aufs dramatische Mezzofach. Wie mittlerweile üblich, muss Wagners rätselhafteste Frauenfigur nicht „entseelt“ zu Boden sinken. Kundry überlebt. Und steht wie in anderen Inszenierungen vor ihrer schwersten Aufgabe: Wie bringt man die Kerle weg vom Gralsgetue und in die Realität?

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