Das englische Strafrecht setzte im 18. Jahrhundert vor allem auf Abschreckung. Bereits für kleine Diebstähle konnte man mit dem Tode bestraft werden. Dabei wuchs die Zahl derer ständig, die in prekären Verhältnissen lebten und oft genug auf illegalen Broterwerb angewiesen waren. Die beginnende Industrialisierung beschleunigte das Bevölkerungswachstum, zerstörte traditionelle Gewerbe und bot entsetzliche Arbeitsbedingungen.
Da besann sich die Regierung eines Vorschlags, den Sir William Petty, einer der Begründer der Nationalökonomie, bereits Generationen zuvor gemacht hatte: Um Platz in den Gefängnissen zu schaffen, sollten Häftlinge zur Zwangsarbeit in die Kolonien gebracht werden. Auf diese Weise würde „das Gemeinwesen zwei Männer dazugewinnen, statt einen zu verlieren“.
Vor allem die Kolonien in Nordamerika boten sich als Abnehmer für diesen Menschenexport an. Dorthin waren ab 1717 rund 50.000 Sträflinge als Sklaven auf Zeit verkauft worden, bis der Aufstand der Siedler ab 1775 dem einen Riegel vorschob. Auf der Suche nach einer Alternative verfiel man auf eine Entdeckung, die Kapitän James Cook auf seiner Südsee-Expedition 1770 gemacht und für England in Besitz genommen hatte: Neuholland, das spätere Australien.
Der Mann, dem die Ehre zuteilwurde, Cooks Entdeckung für die britische Krone zu erschließen, war Arthur Phillips (1738 bis 1814). Der Sohn eines Frankfurter Buchhändlers und einer Engländerin hatte zunächst in der Royal Navy den Siebenjährigen Krieg mitgemacht, versuchte sich anschließend und ohne Erfolg als Farmer, um dann in der Marine Portugals die Erfahrungen zu sammeln, die ihm in Australien nützlich sein sollten: Er transportierte Häftlinge nach Brasilien.
Vielleicht war es dieser Hintergrund, der Phillips 1787 das Kommando über die „First Fleet“ eintrug. Unter dieser Bezeichnung wurde ein Geschwader formiert, das aus zwei Kriegs- und drei Versorgungsschiffen sowie sechs Transportern bestand, die für den Transport möglichst vieler Menschen geeignet waren. Darin wurden 568 Männer und 191 Frauen zusammengepfercht. Hinzu kamen etwa genauso viele Matrosen, Soldaten und Bewacher sowie Unmengen an Material, das zum Aufbau einer Kolonie gebraucht wurde. Als erster Gouverneur war Philipps ausersehen, der dafür mit beinahe unumschränkten Vollmachten ausgestattet wurde.
Im Mai 1787 lichtete die „First Fleet“ in Portsmouth die Anker und nahm Kurs auf Rio de Janeiro. Von dort ging es weiter nach Kapstadt. Wiederholt wurden die Schiffe von Stürmen heimgesucht. Daneben kam es zu Meutereien und Aufsässigkeiten, die brutal geahndet wurden. Allerdings lässt die Zahl von 23 gestorbenen Häftlingen den Schluss zu, dass sowohl die Lebensverhältnisse an Bord einigermaßen erträglich waren und die Unruhen verhältnismäßig glimpflich verliefen, verglichen mit späteren Transporten.
In Kapstadt teilte Phillips seine Flotte und fuhr mit den schnellsten Schiffen voraus, um einen geeigneten Landungsplatz zu erkunden. Als Ziel war die von Cook entdeckte Botany Bay in Neusüdwales vorgegeben, doch musste Phillips nach acht Wochen Fahrt bei seiner Ankunft feststellen, dass an der geplanten Stelle Wasserversorgung und Bodenqualität wenig geeignet für eine Siedlung waren. Daher segelte er weiter in eine Bucht, die sich als großartiger Naturhafen entpuppte. Heute erhebt sich dort das Opernhaus von Sydney.
Das war der Name des damaligen englischen Innenministers Lord Sydney, zu dessen Ehren Phillips seine Kolonie benannte, nachdem seine übrigen Schiffe Ende Januar eingetroffen waren. Am 26. des Monats wurde die britische Fahne gehisst und das Land im Namen König Georgs III. in Besitz genommen. Die mitgekommenen freien Farmer und die ihnen zugeteilten Häftlinge begannen mit der Kolonisation, während sich die indigenen Aborigines ins Hinterland zurückzogen.
War seine Landung noch von Hunderten Menschen beobachtet worden, blieben die Engländer bald allein in ihrer Kolonie. Anders als zuvor in Nordamerika kam es in dieser frühen Phase nur selten zu einem Austausch zwischen Siedlern und Eingeborenen, schreibt der Australien-Spezialist Gerhard Leitner. Das machte es für Phillip nicht leichter, den Auftrag der britischen Regierung durchzuführen und ein Zusammenleben „in Freundschaft“ anzustreben.
Krankheitsbedingt verließ Phillips 1792 seinen Posten und kehrte nach England zurück, wo er als Admiral in den Kriegen gegen Frankreich kämpfte. Derweil wuchs seine Kolonie zu einer gepflegten Stadt mit Schule, Zeitung und Theater heran. 1810, kurz vor seinem Tod, zählte man in Australien 11.942 Weiße, nämlich 6332 Männer, 2519 Frauen und 3091 Kinder, davon waren 1701 Sträflinge, 1368 Männer, 175 Frauen und 158 Kinder. Das Militär war 1559 Mann stark, mit Angehörigen 2291, dazu kamen 64 Amtsträger und 80 Familienangehörige, summiert der Historiker Wolfgang Reinhard. Der Anteil der Deportierten, die noch ihre Strafe zu verbüßen hatten, belief sich damit auf 14,1 Prozent.
157.000 Häftlinge sollten im 19. Jahrhundert folgen. Mit dem Zuzug von mehr als einer Million freier Weißer, die als Schafzüchter oder Goldsucher ihr Glück suchten, veränderte sich das Verhältnis zu den Aborigines, die bald zum Opfer brutaler Übergriffe wurden.
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Dieser Artikel wurde erstmals im Januar 2022 veröffentlicht.