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Kopf des Tages „Sklaven auf Zeit“

Wie England seine männlichen und weiblichen Sträflinge entsorgte

Weil die aufständischen Kolonien in Nordamerika keine Verurteilten mehr aufnahmen, suchte England nach neuen Möglichkeiten, seine Gefängnisse zu leeren. Im Januar 1788 landete die erste Flotte mit Hunderten Häftlingen in Australien.
Freier Autor Geschichte
circa 1890: Caged prisoners below deck on a transport ship bound for Australia. (Photo by Hulton Archive/Getty Images) circa 1890: Caged prisoners below deck on a transport ship bound for Australia. (Photo by Hulton Archive/Getty Images)
26. Januar 1788: Kapitän Arthur Phillips erreicht mit dem ersten Sträflingstransport Australien
Quelle: Getty Images
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Das englische Strafrecht setzte im 18. Jahrhundert vor allem auf Abschreckung. Bereits für kleine Diebstähle konnte man mit dem Tode bestraft werden. Dabei wuchs die Zahl derer ständig, die in prekären Verhältnissen lebten und oft genug auf illegalen Broterwerb angewiesen waren. Die beginnende Industrialisierung beschleunigte das Bevölkerungswachstum, zerstörte traditionelle Gewerbe und bot entsetzliche Arbeitsbedingungen.

Da besann sich die Regierung eines Vorschlags, den Sir William Petty, einer der Begründer der Nationalökonomie, bereits Generationen zuvor gemacht hatte: Um Platz in den Gefängnissen zu schaffen, sollten Häftlinge zur Zwangsarbeit in die Kolonien gebracht werden. Auf diese Weise würde „das Gemeinwesen zwei Männer dazugewinnen, statt einen zu verlieren“.

UNITED KINGDOM - JUNE 10: Engraving by W Sherwin after a painting by F Wheatly, of Phillip (1738-1814) who, in 1787, commanded the ?First Fleet? carrying convicts to Australia. The day of his landing at Botany Bay, 26 January 1788, was later celebrated as Australia Day. Phillip founded a penal colony at Sydney Cove, Port Jackson, and was made Governor (colonial administrator) of New South Wales. Illustration from Phillip?s ?The voyage of Governor Phillip to Botany Bay?, published in London in 1789. (Photo by SSPL/Getty Images)
Arthur Phillip (1738–1814), Kommandeur der "First Fleet"
Quelle: SSPL via Getty Images

Vor allem die Kolonien in Nordamerika boten sich als Abnehmer für diesen Menschenexport an. Dorthin waren ab 1717 rund 50.000 Sträflinge als Sklaven auf Zeit verkauft worden, bis der Aufstand der Siedler ab 1775 dem einen Riegel vorschob. Auf der Suche nach einer Alternative verfiel man auf eine Entdeckung, die Kapitän James Cook auf seiner Südsee-Expedition 1770 gemacht und für England in Besitz genommen hatte: Neuholland, das spätere Australien.

Der Mann, dem die Ehre zuteilwurde, Cooks Entdeckung für die britische Krone zu erschließen, war Arthur Phillips (1738 bis 1814). Der Sohn eines Frankfurter Buchhändlers und einer Engländerin hatte zunächst in der Royal Navy den Siebenjährigen Krieg mitgemacht, versuchte sich anschließend und ohne Erfolg als Farmer, um dann in der Marine Portugals die Erfahrungen zu sammeln, die ihm in Australien nützlich sein sollten: Er transportierte Häftlinge nach Brasilien.

Some of the First Fleet - eleven British Navy ships under the command of Captain Arthur Phillip, which took 750 British convicts to Botany Bay, where they established the first European settlement in Australia, 1788. (Photo by Hulton Archive/Getty Images)
Die "First Fleet" bestand aus elf Schiffen
Quelle: Getty Images

Vielleicht war es dieser Hintergrund, der Phillips 1787 das Kommando über die „First Fleet“ eintrug. Unter dieser Bezeichnung wurde ein Geschwader formiert, das aus zwei Kriegs- und drei Versorgungsschiffen sowie sechs Transportern bestand, die für den Transport möglichst vieler Menschen geeignet waren. Darin wurden 568 Männer und 191 Frauen zusammengepfercht. Hinzu kamen etwa genauso viele Matrosen, Soldaten und Bewacher sowie Unmengen an Material, das zum Aufbau einer Kolonie gebraucht wurde. Als erster Gouverneur war Philipps ausersehen, der dafür mit beinahe unumschränkten Vollmachten ausgestattet wurde.

Im Mai 1787 lichtete die „First Fleet“ in Portsmouth die Anker und nahm Kurs auf Rio de Janeiro. Von dort ging es weiter nach Kapstadt. Wiederholt wurden die Schiffe von Stürmen heimgesucht. Daneben kam es zu Meutereien und Aufsässigkeiten, die brutal geahndet wurden. Allerdings lässt die Zahl von 23 gestorbenen Häftlingen den Schluss zu, dass sowohl die Lebensverhältnisse an Bord einigermaßen erträglich waren und die Unruhen verhältnismäßig glimpflich verliefen, verglichen mit späteren Transporten.

Die Harbour Bridge vor der Skyline von Sydney (r.) mit der weltberühmten Oper (hinter der Brücke), aufgenommen im März 2000. Die Olympischen Sommerspiele werden am 15. September in der australischen Metropole eröffnet und dauern bis zum 1. Oktober 2000 an. Sydney, die Hauptstadt von New South Wales, ist die älteste (gegründet 1788) und mit 3,6 Millionen Einwohnern zugleich größte Stadt des australischen Kontinents. (Luftaufnahme)
Phillips' Landesplatz: der Hafen von Sydney mit dem berühmten Opernhaus
Quelle: picture-alliance / dpa

In Kapstadt teilte Phillips seine Flotte und fuhr mit den schnellsten Schiffen voraus, um einen geeigneten Landungsplatz zu erkunden. Als Ziel war die von Cook entdeckte Botany Bay in Neusüdwales vorgegeben, doch musste Phillips nach acht Wochen Fahrt bei seiner Ankunft feststellen, dass an der geplanten Stelle Wasserversorgung und Bodenqualität wenig geeignet für eine Siedlung waren. Daher segelte er weiter in eine Bucht, die sich als großartiger Naturhafen entpuppte. Heute erhebt sich dort das Opernhaus von Sydney.

Das war der Name des damaligen englischen Innenministers Lord Sydney, zu dessen Ehren Phillips seine Kolonie benannte, nachdem seine übrigen Schiffe Ende Januar eingetroffen waren. Am 26. des Monats wurde die britische Fahne gehisst und das Land im Namen König Georgs III. in Besitz genommen. Die mitgekommenen freien Farmer und die ihnen zugeteilten Häftlinge begannen mit der Kolonisation, während sich die indigenen Aborigines ins Hinterland zurückzogen.

1788 : Captain L Phillip, later Governer Phillip, inspecting convicts at Sydney Cove during the foundation of Australia's oldest city. Original artist R Caton Woodville - 1903. (Photo by Hulton Archive/Getty Images)
So stellte man sich die Landung von Arthur Phillip und seinen Passagieren vor
Quelle: Getty Images

War seine Landung noch von Hunderten Menschen beobachtet worden, blieben die Engländer bald allein in ihrer Kolonie. Anders als zuvor in Nordamerika kam es in dieser frühen Phase nur selten zu einem Austausch zwischen Siedlern und Eingeborenen, schreibt der Australien-Spezialist Gerhard Leitner. Das machte es für Phillip nicht leichter, den Auftrag der britischen Regierung durchzuführen und ein Zusammenleben „in Freundschaft“ anzustreben.

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Krankheitsbedingt verließ Phillips 1792 seinen Posten und kehrte nach England zurück, wo er als Admiral in den Kriegen gegen Frankreich kämpfte. Derweil wuchs seine Kolonie zu einer gepflegten Stadt mit Schule, Zeitung und Theater heran. 1810, kurz vor seinem Tod, zählte man in Australien 11.942 Weiße, nämlich 6332 Männer, 2519 Frauen und 3091 Kinder, davon waren 1701 Sträflinge, 1368 Männer, 175 Frauen und 158 Kinder. Das Militär war 1559 Mann stark, mit Angehörigen 2291, dazu kamen 64 Amtsträger und 80 Familienangehörige, summiert der Historiker Wolfgang Reinhard. Der Anteil der Deportierten, die noch ihre Strafe zu verbüßen hatten, belief sich damit auf 14,1 Prozent.

Geschichte Australiens: Englische Sträflingskolonien 1788–1851. “Gruppe von Sträflingen auf einer Stelle, die urbar gemacht wird”. Stahlstich, 1835, von Lohse. Aus: Jules S.C. Dumont d’Urville, Malerische Reise um die Welt, Tafelband, Leipzig (Industrie-Comptoir), 1835. Spätere Kolorierung.
Unter Bewachung gingen die "Siedler" daran, das Land urbar zu machen
Quelle: picture alliance / akg-images

157.000 Häftlinge sollten im 19. Jahrhundert folgen. Mit dem Zuzug von mehr als einer Million freier Weißer, die als Schafzüchter oder Goldsucher ihr Glück suchten, veränderte sich das Verhältnis zu den Aborigines, die bald zum Opfer brutaler Übergriffe wurden.

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Dieser Artikel wurde erstmals im Januar 2022 veröffentlicht.

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