Jeder hat einen Plan | Kritik | Film | critic.de

Jeder hat einen Plan – Kritik

Aus dem Leben eines Selbstmörders nach seinem Selbstmord.

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Das lateinamerikanische Kino hat im Zuge seiner gegenwärtigen Hochkonjunktur einen neuen, sehr sonderbaren Realismus hervorgebracht oder besser: erforscht. Populäre Beispiele wie etwa Alejandro González Iñárritus Biutiful (2010), Juan José Campanellas In ihren Augen (El secreto de sus ojos, 2009) oder Fernando Meirelles Die Stadt der Blinden (Blindness, 2008), erscheinen, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise realisiert, wie durchaus lebensnahe Sozialstudien, durchsetzt von einer Spur des Gespenstischen. Der lateinamerikanische Wirklichkeitssinn konfrontiert in ungewohnter Weise das, was man empirische Tragik nennen könnte, mit Elementen des Dämonischen, des Mystischen, des namenlos Bedrohlichen oder des übernatürlich Jenseitigen.

Mit ihrem ersten Spielfilm Jeder hat einen Plan (Todos tenemos un plan, 2012) schreibt sich Regisseurin Ana Piterbarg nuanciert in diese Tradition ein, wenn sie auch die metaphysische Dimension zugunsten eines widerspruchsvollen Psychogramms der Hauptfigur eher auf eine inszenatorische Randerscheinung reduziert.

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Dennoch lohnt es sich, auf diesen Aspekt zu achten, weil sich dort, zumindest noch ein bisschen, die Hoffnung nach dem Reibungsvollen, dem Reizvollen erfüllt, die zuvor von einer uninspirierten und tranigen Story enttäuscht wurde. Augustín (Viggo Mortensen) ist Kinderarzt in Buenos Aires, er ist ein matter Charakter, verschlossen und hochgradig depressiv. Eines Tages taucht sein krebskranker Zwillingsbruder Pedro (ebenfalls Viggo Mortensen) an seiner Haustüre auf und hofft bei ihm untertauchen zu können. Pedro lebt zurückgezogen im Sumpfland, abseits der Hauptstadt, wo die beiden Brüder einst aufwuchsen. Er arbeitet als Imker, verdient sein Geld jedoch hauptsächlich mit kriminellen Umtriebigkeiten.

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Einen Schauspieler in zwei Rollen innerhalb derselben Szene dabei zuzusehen, wie er gleichzeitig mit und gegen sich selbst spielt, ist, obgleich gewiss nichts Neues, fraglos ein zuverlässiger filmischer Attraktionswert. Freilich ist dieser Schlüsselmoment in Jeder hat einen Plan inhaltlich wie stilistisch zwiespältig geraten. Pedro bemerkt gleich zu Beginn ihres Aufeinandertreffens, dass sein Bruder nun neuerdings einen Vollbart trägt, einen Vollbart von gleichem Wuchs wie sein eigener, versteht sich. Nun sagt diese beiläufige Bemerkung Pedros einiges darüber aus, was der Film leistet und worin er enttäuscht: Auf der einen Seite wirkt es geradezu misslich, wie Piterbarg eine mäßig motivierte Verwahrlosungsgeschichte für den sonst so adretten Augustín schustert, um hier die filmtechnischen Hürden, die eine solche Doppelszene mit sich bringt, zu umschiffen. Durchaus ein Zeichen für die kreative Genügsamkeit, die an etlichen Stellen eines wurmstichigen Drehbuchs durchschimmert. Auf der anderen Seite erfordert diese mimetische Angleichung einen umso präziseren Schauspielstil, eine Kunstfertigkeit, die Mortensen fraglos und auf beeindruckende Weise beherrscht.

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Von dieser Ambivalenz lebt der Film und wird gleichzeitig von ihr folgenschwer gezeichnet. In einer spektakulären Szene tötet Augustín seinen verwilderten Bruder, nimmt dessen Identität an und setzt seinen gescheiterten Lebensweg fort. Das ist, wenn man so will, die Erfüllung einer Utopie des Selbstmords: sich selbst töten und dennoch weiterleben dürfen. Und an eben solchen Stellen, an denen etwas Unmögliches möglich wird, ohne dabei die filigrane Membran eines düsteren Realismus zu zerdehnen, erzeugt Piterbarg diese doppelbödige Aura, die südamerikanische Filmautoren, gleichsam als Erbgemeinschaft des großen Vaters Buñuel, maßgeblich erproben. Das Sumpfgebiet, an das Augustín, fortan als Pedro, nach Jahren zurückkehrt, ist Ausdruck dieses Fluidums. Es wirkt beinahe exterritorial, es oszilliert irgendwo zwischen knallharter Armutsempirie und archaisch verklärtem Mystizismus. Kameramann Lucio Bonelli findet dafür die entsprechenden Bilder. Düster und undurchsichtig ist diese Welt aus Schlamm und Morast, und eine bedrohliche Eigengesetzlichkeit geht von ihr aus, sodass sie jederzeit den Horror kommuniziert, es ließe sich in dieser Welt tiefer in die Schattenseiten ihrer Seelen blicken, als einem lieb sein mag.

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Piterbarg darf sich glücklich zeigen, dass ihr Kameramann und ihre Darstellerriege dort noch ehrgeizig und wirkmächtig an der Rettung arbeiten, wo sich die Narration längst an die einfallsärmste Oberfläche emporgeplantscht hat. Die großen Wörter, um die herum Piterbarg ihre Geschichte erdichtet, die Flucht, die Liebe, die Krankheit, der Tod, alle sie ordnen sich letztlich nach den Direktiven des großen Hollywoodbruders, und überall dort, wo sie sich mit dem Muster nicht decken, künden sie noch eher von einem Verfehlen der Klassik als von einer emanzipierten Gegenidee. Was eint das Menschengeschlecht mit den Bienenvölkern?, so der metaphorische Teppichboden des Films. Nun: Jede Biene hat eine Aufgabe, jede Biene hat einen Plan. Hübsch hört sich das an, aber am ehesten erinnert es dann doch an die erkenntnistheoretische Emsigkeit eines Abreißkalenders.

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