Ionescos Stück „Die kahle Sängerin“ wird von Johan Simons am Schauspielhaus Bochum inszeniert
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Johan Simons inszeniert am Schauspielhaus Bochum Eugène Ionescos „Die kahle Sängerin“

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Stefan Hunstein (von links), Stacyian Jackson, Marius Huth, Konstantin Bühler und Jele Brückner im Stück „Die kahle Sängerin“ am Schauspielhaus Bochum.
Irgendwie vereint: Stefan Hunstein (von links), Stacyian Jackson, Marius Huth, Konstantin Bühler und Jele Brückner im Stück „Die kahle Sängerin“ am Schauspielhaus Bochum. © Birgit Hupfeld Rottstr.5 44793 Bochum

Mit „Die kahle Sängerin“ 1950 setzte Eugène Ionesco absurdes Theater auf die Spielpläne der Nachkriegszeit. In Bochum unternimmt Johan Simons eine amüsante Neuinszenierung.

Bochum – Mrs. Smith löffelt das Gläschen in aller Ruhe leer. Ganz bei sich zelebriert sie vergnüglich ihre Leckerei in der ersten Reihe im Schauspielhaus Bochum. Dann erklimmt sie mit einem weinerlichen Klageton die Bühne und beschwert sich selbstbezogen, dass das auch so Alltägliche ins Groteske kippt. Diese Entwertung ist ein Solo für Stacyian Jackson. Im roten eng anliegenden Abendkleid ist sie eine Erscheinung. Elegant, sensibel und mit Sexappeal kabbelt sie sich mit ihrem Mann, der bei allem Streit vor allem ihre Nähe sucht („mein kleines Brathühnchen“). Stefan Hunstein gibt ihm im blauen Hausrock mit Zauselhaaren die Hilflosigkeit eines Pantoffelhelden.

Mrs. Smith ist eine Figur von Eugène Ionesco, der mit seinem Stück „Die kahle Sängerin“ 1950 das absurde Theater in die Welt setzte. Sein Anti-Stück reagierte auf die orientierungslose Nachkriegszeit, auf verunsicherte Menschen und ignorante Bürger mit einem Sprachschwall, der vor allem den Unsinn des Lebens aufdeckte. Ein Amüsement voller Erkenntniswillen.

Am Schauspielhaus Bochum bringt Intendant und Regisseur Johan Simons Ionescos Figuren zurück in die 50er Jahre. Karge Feldbetten sind wie in einem Auffanglager gereiht (Bühne Sascha Kühne, Johan Simons). Was bringt den Überlebenden die neue Zeit? Eine Uhr tickt laut. Auf Monitoren flackern Jubelbilder zum Waffenstillstand. Einzelne Spotlichter in Schwarz-Weiß erinnern an Luft- und Bombenkrieg. Rauch steigt aus einer Luke, die der Dienstmann schließt. Konstantin Bühler spielt auch Sherlock Holmes mit Kopfverband. Es sind nur Momente, die das Trauma der Vergangenheit antippen. Dagegen wird ein junges Paar von einem französischen Chanson erweckt, spricht über einander, sich zugewandt und voller Neugier. Mr. und Mrs. Martin entdecken ihre Ehe, ihre gemeinsame Vater- und Mutterschaft zu ihrer Tochter. Bei Ionesco noch als tragisches Paar angelegt, vereinsamte jeder für sich. In Johan Simons Inszenierung wird die Zeit geradezu heilsam zurückgedreht. Jele Brückner spielt Mrs. Martin mit einer flirrenden Lust, die Beziehung durch retrospektive Fragen zu revitalisieren. Ein herrlicher Kunstgriff, der ihr neben aller Verwunderung („Wie sonderbar“) wonnige Gefühlsschübe verpasst. Marius Huth als Mr. Martin lässt sich schnell mitreißen und rutscht ihr auf der Bühnenkante entgegen. Ein Slapstick der Liebe, der mit den Pärchenmustern des Boulevard-Theaters spielt. Ionesco stellte sich mit dem Text zu „Die kahle Sängerin“ auch der formelhaften Konversationskomödie entgegen.

In Bochum passen die Martins mit salbeifarbenem Kleid und beigefarbener Hose locker wie luftig in unsere Zeit (Kostüme Britta Brodda, Sophia Deimel). Zurück bei den Smith, die die Martins als ihre Gäste erwarten, nimmt das Stück Tempo auf. Die Übersetzung von Serge Stauffer ist leicht aktualisiert. Mrs. Martin schnauzt ihre Gäste an und schlägt mit ihrer Schleppe ums sich. Worte entgleisen, Vokale verrutschen und die Konversation demaskiert Einfalt und Überdruss. Großartig wie Danai Chatzipetrou als Feuerwehrfrau einen Brand sucht und den Geschlechterstreit bei den Smiths kommentiert. Absurde Erzählung, banale Gedichte, Zungenbrecher, Zeitgeistsprüche und schräge Fabeln sind ein Vergnügen. Die Menschen, die sich zeitweise schütteln vor Entsetzen, finden am Ende erschöpft zueinander – als Chor, das tröstet und vereint. Viel Applaus.

5., 11., 30.5., 12., 30.6.,

Tel. 0234/3333 5555, www.

schauspielhausbochum.de

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