Mörder als gütige Richter

Taxi Driver
Der ursprünglich hochladende Benutzer war El Tarantiniese in der Wikipedia auf Italienisch, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

Der Rachefilm ist vielleicht so beliebt wie nie. In einer Welt, in der die Schlechten dauernd obsiegen, scheint es eine tiefe Sehnsucht nach Retourkutschen zu geben.

Aktuell läuft auf Netflix der dritte Teil der Equalizer-Reihe. Wieder tritt Denzel Washington an, dem Bösen den Garaus zu machen. Diesmal in Italien, in einem fiktiven Städtchen nahe Neapel. In malerischer Kulisse geht er gegen die Camorra vor. Regisseur Antoine Fuqua zeigt diese mafiöse Vereinigung ohne menschliche Attribute. Er inszeniert sie als Tiere, die die italienische Politik im Griff haben. Als die Camorra die netten Menschen des pittoresken Ortes belästigen, kümmert sich der Racheengel gespielt von Denzel Washington um sie.

Der Ausgleicher

Er ist der Equalizer, der Angleicher. Und er sorgt für gleiche Verhältnisse, indem er die Schwachen beschützt oder sich wenigstens in ihrem Namen rächt. Mit der Camorra geht er nicht zimperlich um. Er mordet blutig, brutal und mit Zynismus. Fuqua lässt den Equalizer in einigen wenigen Szenen nachdenklich erscheinen. Als fragte er sich, ob so viel Gewalt die Lösung sein könne. Und als wundere er sich, dass er so gewalttätig aufzutreten vermag. Aber diese Einstellungen gelingen nicht, Equalizer 3 ist keine Sozialanalyse und schon gar keine Psychoanalyse. Der Film ist brutales Rachekino. Kein besonders meisterhaftes Machwerk, eher im Gegenteil. Aber er ist unterhaltsam, es fällt schwer, nicht doch hinzusehen.

Die Equalizer-Reihe erfreut sich seit fast einem Jahrzehnt großer Beliebtheit beim Filmpublikum. Washington spielt einen aus dem Dienst ausgeschiedenen Nachrichtendienstler, der im Nahkampf geschult ist. Diese Qualitäten setzt er nun im Alltag ein. Aber nur gegen böse Menschen. Die Reihe ist eine Trilogie des Kampfes Gut gegen Böse. Und vermutlich deshalb so erfolgreich an den Kinokassen.

Rachefilme sind keine Neuheit. Es gibt sie seit einer langen Zeit. Früher waren sie besonders in Western integriert. Der einsame Rächer durchritt die Prärie und sorgte für Gerechtigkeit. Nicht selten wird dabei ein Mord gesühnt. Gerechtigkeit meint hier ein Konzept, das Gleiches mit Gleichem vergilt. Es ist nicht die Gerechtigkeit, die der Rechtsstaat exekutieren sollte. Dabei geht es also nicht um Angemessenheit und Resozialisierungsgedanken. Die Beseitigung von Menschen, die Böses tun ist gemeint. Der Rechtsstaat indes setzt die von ihm interpretierte Gerechtigkeit auch nicht immer durch. Oft wirkt er schwach und handlungsunfähig. Er ist von Korruption durchsetzt, Anwälte tricksen, Gerichte treffen lausige Deals. Am Ende kommt das Böse davon. Und gerät es doch in die Fänge der Justiz, wird es zu rücksichtsvoll behandelt.

Immer wieder ist das anfällige Rechtssystem Ausgangspunkt von Rachefilmen. Der Rächer nimmt das Recht in die Hand. Das wirkliche Recht. Und nicht etwa eines, das zu moderat ist und um das sich eine juristische Industrie formiert hat, die Ausflüchte wie am Fließband produziert und ohne Moral und Skrupel durchsetzt. Natürlich wird in solchen Produktionen das Böse isoliert betrachtet. Denn dass auch dem Bösen etwas Menschliches innewohnt, beleuchtet der Rachefilm nicht. Auch der Equalizer tut das nicht. In keinem der drei Teile.

Gut und Böse

Die Vereinigten Staaten sind eine dualistische Gesellschaft. Der Manichäismus ist tief in die Syntax eingeschrieben. Hört man Politikern zu, erklären sie einem reichlich, wie sie dem Guten zum Sieg über das Böse verhelfen wollen. Das Böse ist je nach politischer Haltung immer etwas Anderes. Grautöne und Schattierungen kommen dort eher nicht vor. Möglicherweise ist das die Urproblematik der USA. Die Nation entstand aus flüchtigen Religionssplittergruppen, die dem Bösen entkommen wollten. Und der Westen lag als unentdecktes Land voller böser Überraschungen vor den Siedlern. Nur eine strikte Selbstdiagnose als das Gute gab emotionale und letztlich auch physische Stabilität.

In der amerikanischen Kinokultur hat sich dieser Dualismus verselbständigt. Schon frühe Hollywood-Filme glänzten durch schablonenhafte Bösewichte und gute Gegenspieler, die keinen Makel aufwiesen. Das Genre des Rachefilmes treibt das auf die Spitze. In ihm sind die Rollen eindeutig vergeben. Nur so ködert er die Zuschauer. Differenziertheit führte sein Anliegen nur ad absurdum.

Er ist gemeinhin blutig und zelebriert exzessive Gewalt. Der Equalizer 3 beginnt schon mit einem solchen Exzess. Denzel Washington mordet sich in Italien durch ein Anwesen, bringt final den örtlichen Capo um. Seine Tötungsart ist nie kühl und effektiv, sondern zielt auf Grausamkeit. Dennoch gilt er als der good guy, auch brutale Hinrichtungen sind Ausdruck des Guten. Seine Kontrahenten sind holzschnittartige Bösewichte. Sie sind bis an die Zähle bewaffnet, Schränke von Männern. Ihnen haftet nichts Menschliches an. Man kann sie töten wie Ungeheuer in alten Sagen. Mitleid ist da nicht. Denn das sind keine Menschen, das ist Kanonenfutter für den Furor eines guten Typen. Obgleich an dieser Stelle Gut und Böse verwischen müssten, solidarisiert sich das Publikum mit dem blutrünstigen Massenmörder.

Rache als Gerechtigkeitsersatz

Wie bereits thematisiert, gibt es das Genre des Rachefilmes schon immer. Er kommt in verschiedenen Gewändern daher. Das Publikum schätzt solche Filme, denn sie stillen ein Bedürfnis nach einer gerechteren Welt. In solchen Filmen ist die Welt, wie sie sein sollte. Bestien werden unschädlich gemacht, Verbrecher enden mit dem Tode. Das Gute rächt sich. Es überdauert Gewalt und Unrecht.

Es gibt Rachefilme, in denen die Rächer Gewissensbisse plagen. Sie hadern mit ihrer Rolle, wollen aber tätig werden, wo das Gemeinwesen versagt hat. Mel Gibson spielt in Edge of Darkness einen solchen Rächer. Dieser Typus Rächer will nicht töten, stellt sich aber der Aufgabe. Der Equalizer deutet solche Menscheleien bestenfalls an. Er ist kein Nobody, der jetzt etwas tun muss, was für ihn vorher unvorstellbar war. Für die Rolle, die Washington spielt, ist die Rache einfach nur die Ausübung spezieller Tötungskenntnisse. Dabei spritzt viel Blut. Washington spielt einen Massenmörder mit ethischem Antrieb. In der realen Welt fürchteten wir einen solchen Menschen dennoch. Aber im Kino fasziniert uns diese Illusion eines allmächtigen Mörders, der seine Tötungslust in den Dienst des Richtigen, des Schönen, Wahren und Guten stellt.

Vielleicht mehr denn je betrachten wir die Rache im Film als etwas Positives. Wir erleben das Versagen staatlicher Strukturen. Westliche Nationen enttarnen sich zunehmend als failed states. Die Justiz dient den Reichen, sie wirkt behäbig und an Gerechtigkeit desinteressiert. Der Equalizer befriedigt die Sehnsucht nach funktionierenden Strukturen und füllt das Vakuum aus, das entstanden ist durch den Staatsrückzug. Das staatliche Gewaltmonopol wird gegen die Guten oder Unbedarften eingesetzt. Daher gucken wir dem Equalizer wohlwollend beim Morden zu. Er reißt das Monopol an sich und erledigt, was Gerichte unterlassen. Egal wie maßlos er tötet, als Zuschauer ist uns eine solche Gerechtigkeit lieber als keine. Und das nur, weil der Staat mehr und mehr wie eine Bande von Räuber sein will.

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19 Kommentare

      1. Ja, der Trick ist, dass das, was SIE nun überhaupt nicht wollen, erst gar nicht auf dem Wahlzettel steht.

        Trotzdem seltsam, wie gut das funktioniert.

    1. Hej, in Südwestrussland sieht’s grade nicht so aus, als ob die Schlechten siegen. Jedenfalls sind sie im Moment klar auf dem Rückzug. Hoffen wir, dass der Rückzug bis zum 9. Mai zur Flucht wird!

  1. Die Filmindustrie ist ein Abbild der Gesellschaft, in der sie wirkt. Das kann man schon daran sehen, worüber die Filme handeln. Entweder die Atomwaffenfrage oder Barby, entweder so ein Rachefilm oder Independence Day … Immer ein dualistisches Weltbild, indem es nur das absolut Böse und das absolut Gute gibt. Kaum mal Grautöne, von Selbstreflexion und Selbstkritik kaum die Spur. Die Hauptwerke, die sogenannten Blockbuster, sind durchsetzt von dieser Weltsicht. Und immer im Hintergrund die USA als der Hort der Demokratie, des Guten, der Schönheit und der Freiheit. Das ist die Realität. Die Tatsache, dass es gut ohne böse nicht geben kann, und natürlich umgekehrt, und dass Handlungen grundsätzlich beides beinhalten, ist bei Hollywood kaum denkbar. Und um das zu transportieren, muss unbedingt das Böse als unmenschlich dargestellt werden. Sei es der brutale Wehrmachtssoldat, der gnadenlos ein Kind ermordet, sei es der emotionslose Alien, der ganze Planeten vernichtet usw. Oder sei es der emotionslose und fanatische Russe, der ganze Dörfer platt macht. Es ist, als ob das Lied, meinst Du, die Russen wollen Krieg, nicht existieren würde. Das Lied könnte man auf andere „Bösewichte“ 1 zu 1 übertragen.
    Aber der Rachegedanken funktioniert ja nicht, wenn das zukünftige Racheopfer ein ganz normaler Mensch ist. Also muss sein Böse sein totalitär überzeichnet sein

    1. – Immer ein dualistisches Weltbild, indem es nur das absolut Böse –
      Vielleicht funktioniert es deshalb so gut als Unterhaltung, weil man die ganzen Zwischentöne nicht mühsam erkennen muss. Vielen gefällt das so gut, das sie dies im Alltag beibehalten.

    2. Schon bei Geschichten wie Till Eulenspiegel oder Wilhelm Tell werden Sondermenschen präsentiert, die sich gegen die Selbstverständlichkeit der Machtverhältnisse auflehnen. Diese Geschichten wirken angenehm ablenkend, weil sie die persönliche Sehnsucht nach befreiendem Widerstandskampf behandeln und häufig delegieren, was die Rezipienten durchaus zu erkennen in der Lage sind, wenn es wie bei den Sieben Samurai oder augenzwinkernd wie bei Otto Waalkes mit seinem „Rächer der Enterbten, dem Beschützer von Witwen und Waisen“ geschieht.

      Tatsächlich politisch sind diese Geschichten/Filme nur, wenn sie sich gegen die eigenen Vorgesetzten/Regierung wenden und das sind dann genau die Filme, die das Equalizer-Publikum eher nicht goutiert.

      Dass es meist gegen imaginierte Bösewichter geht, fällt deswegen eher in die Rubrik „Brot und Spiele“.

  2. Filme, wie „Der Equalizer“, dienen der herrschenden Klasse als ein Ventil, in denen sich der Protagonist, hier ganz im Zeichen der Zeit als Schwarzer durch die Bösen mordet.
    Rein psychoanalytisch betrachtet, erfüllen diese Art Filme, das Begehren einer immer größer werdenden Gemeinschaft, den für sie meist immer noch diffusen Konglomerat der Bösen in Form von Regierungen, Sekten, oder auch terroristischen Attentätern zu beseitigen.
    Wenn dem nicht der Fall wäre, würden solche Filme gar nicht mehr gedreht werden.
    Die Leute brauchen einen „Dirty Harry“ der mit dem Pöbel fertig wird.
    Und so schauen die Menschen in Ermangelung einer echten Revolution dem Equalizer, oder auch Superman und die ganzen Marvelsuperheldensubstituten zu, die sich in diesem Genre seit nun fast 2 Dekaden breitmachen, denn die werden’s schon richten.
    Eine Differenzierung findet sowieso nicht statt, da die meisten Rezipienten das gar nicht wollen, oder auch auf der intellektuellen Ebene, gar nicht können, respektive, einer genaueren Betrachtungsweise eher widerwillig gegenüberstehen.
    Es gab im Übrigen auch mal eine Serie in den 80ern, gleichen Titels mit Edward Woodward, die sich dieser Thematik durchaus auch differenzierter näherte.

    Those were the days…..

      1. Gerne.
        Allerdings war die Serie aus dem Bereich „ganz und gar nicht billiger Gewaltporno“, welche nicht nur mir wirklich richtig Spaß gemacht hat (liebe Pädagogen bitte jetzt die Augen zu!), die US-Superheldensatire „The Boys“, kennst du aber wahrscheinlich schon.

  3. Ist doch eigentlich nichts anderes als klassische Märchen? Im täglichen Leben, das über Jahrhunderte hinweg, erlebt das entrechtete und wehrlose Subjekt seine vollkommene Hilflosigkeit. Und im Märchen, und auch wirklich nur da, wird es für die Dauer der Erzählung aufgehoben: Das Gute siegt, das Böse wird bestraft, der Arme wird reich und bekommt die Prinzessin. Für einen Augenblick der Wirklichkeit entronnen, in der er nicht nur keine Prinzessin bekommt, sondern nicht mal ohne Erlaubnis heiraten oder das Dorf verlassen darf und kaputt geschunden wird im Dienste des Bösen, das immer siegt. In der Realität.

    Aber es gibt bei den Amis, wo das Böse der Geschichte kulminiert, auch etwas Neues, was es zuvor nur in Ansätzen gab. Vor allem bei uns in Deutschland. Das Propagandamärchen, wo vorher, also am Anfang das Böse inszeniert wird, möglichst so, dass selbst der durchschnittlich blöde Ami es sicher identifizieren kann. Sadam, der Russe, der Commi. Der muss dann unsagbar schlimme Dinge machen. Zum Beispiel amerikanische Kriegsgefangene, die heldenhaft mit Napalm und Gift für Vietnams Freiheit kämpften, foltern. Und wenn das klar ist, gibt es nichts mehr, was zur Bekämpfung dieser Pest ausgeschlossen werden muss.
    Und am Ende alle glücklich.

  4. Richter waren schon immer die Vasallen der Politik. Oder glaubt irgendwer ernsthaft, dass jemand durch Leistung zum Richter wird? Und ist die Politik ein Mordsgesindel, sind ihre Richter Henker.

  5. „Denn dass auch dem Bösen etwas Menschliches innewohnt, beleuchtet der Rachefilm nicht.“
    Goebbels gilt doch als Böser – ist das richtig? Das Menschliche bei Goebbels wäre dann wohl, dass er Familienmensch war. So sehr, dass er, als das (leider nur) vorübergehende Ende der Naziherrschaft absehbar war, seine Familie vergiftet hat. Ist das menschlich?
    Und da nun die Konsorten von Goebbels wieder in Machtpositionen sitzen. Soll nun das Blödvolk in diesen etwas innewohnend Menschliches entdecken – ist das richtig?
    Was heißt „menschlich“ in Anbetracht des Laufs der Geschichte? Massenmord, Brandschatzung, Plünderung, Folterung, Verelendung, Hungertod, Ausrottung, Zerstörung der Erde.

    Eine Kritik an „Rachefilmen“: Meist wird die Schurkentat zu sehr in die Länge gezogen und dann, zum Schluss, nur kurzer Prozess mit dem Schurken gemacht. Das steht in keinem Verhältnis.
    Die derzeit herrschenden Verbrecher erfordern eine ausgiebige Strafe, keinen kurzen Prozess. Mit den derzeit herrschenden Verbrechern sollte noch übler als mit Assange umgesprungen werden. Das wäre mal ein Rachefilm.

    Jedem ausgebeuteten Menschen sollte ein Equalizer zur Seite gestellt sein. Wider diese Schurken, denen das Menschliche (Mord, Brandschatzung …) innewohnt.
    Dieser Equalizer sollte nur nicht ausgerechnet Ex-CIA-Mitarbeiter sein und ein Loblied auf den auf der anderen Seite des Atlantiks befindlichen Schurkenstaat singen.

    Ansonsten: Netter Artikel, Herr Gandalf.
    https://www.youtube.com/watch?v=MTIQmHflSUk&list=PLB4A096FE55865235&index=3

    1. Ja, das sehe ich auch so.
      Aber angesichts der Masse der Verbrecher, die an den Pranger gehören, bräuchten wir sehr viele Guantanamos auf der Welt. ;-.))

  6. Ein kleiner Tip an den Autor, der nicht verstehen will was Manichäismus heutzutage bedeutet?

    Schau er sich doch mal eine Doku an, wie mexikanischen Drogen Kartelle ihre „Feinde“ behandeln… die Details sind äusserst interessant. Ich bin kein Spezialist für die Camorra, kann mir aber gut vorstellen, dass die ähnliche Methoden sehr wohl schätzen, weil sie nämlich wirken!

    Dass sich der kleine Kinogänger da an Debzel Washingtons tun erfreut kann nur Leute stören die kaum Bezug zum Leben jener da unten in der Gesellschaft haben.

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