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Stephan Oswald: AUGUST VON GOETHE

12.03.2023 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Stephan Oswald:
AUGUST VON GOETHE
IM SCHATTEN DES VATERS
EINE BIOGRAPHIE
424 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2023

Johann Wolfgang von Goethe hat als Persönlichkeit sein Umfeld dermaßen überstrahlt, dass sich – außer Schiller vielleicht – kaum jemand daneben behaupten konnte und kann. Betrachtungen seines Privatlebens konzentrieren sich auf seine Frauen-Beziehungen, wobei Gattin Christiane kaum die Hauptrolle einnimmt (Frau von Stein überstrahlt sie allemale). Und dass Goethe einen Sohn hatte – das haben viele vielleicht gar nicht gewusst…

Das Schicksal von Söhnen allmächtiger Väter war nie leicht, aber dermaßen in der Vergessenheit versunken wie August von Goethe sind wohl wenige (etwa Mozarts Söhne). Nun legt Stephan Oswald,  Professor für deutsche Literatur an der Universität Parma, eine ausführliche Biographie eines Mannes vor, der, wie der Titel lautet, „Im Schatten des Vaters“ stand, sich redlich bemühte und in seinem gerade einmal 40 Jahre kurzen Leben so gut wie keine Chance auf Selbständigkeit hatte.

Stephan Oswald weiß, worauf er sich einlässt. Taucht August von Goethe überhaupt auf, ob in oberflächlichen Internet-Artikeln, ob als Nebenerscheinung in achtbaren Biographien seines Vaters, so ist sein Bild gänzlich negativ besetzt. So wie die Einwohner von Weimar  ihn als „Sohn der Vulpius“ sahen, also nichts Edles, so wird ihm bis heute jede gute Eigenschaft und Fähigkeit abgesprochen. Was Goethe selbst betrifft, so ist sich die Literatur nicht einig, ob er sich um diesen Sohn kaum gekümmert hat, oder ob er sich um ihn bemühte, aber wegen dessen Talentlosigkeit von ihm abließ… Dass er ihn „benützt“ hat, steht außer Zweifel.

Ob der Alkoholismus von August ererbt (Mutter Christiane trank sehr gern, Vater Goethe auch recht gern) oder ein Produkt seines traurigen Lebens war – das kann man natürlich nicht beurteilen. Aber eines möchte Stephan Oswald auf jeden Fall: Die Vorurteile über den Sohn, der als negativer Gegenpol des strahlenden, bewunderten Vaters gilt, auflösen und nicht weniger als eine Ehrenrettung dieses Sohnes versuchen.

Und das gelingt ihm auch mit großer Genauigkeit und Zuneigung für seinen Gegenstand. Und noch etwas – Goethe, der Vater, wird hier nicht als Autor, nicht als das epochemachende Genie, in keiner seiner „offiziellen“ Funktionen betrachtet, sondern einzig und allein als – Vater.

Tatsächlich kann Stephan Oswald auch auf neues Material zurück greifen, auf die veröffentlichten Reisetagebücher aus Berlin und Italien und auf die Edition des Briefwechsels zwischen Vater und Sohn. Es gibt viele durch Einzug gekennzeichnete Originalzitate in dem Buch, und es wird auch bewiesen, dass August es gewagt hat, sich trotz des großen Vaters selbst literarisch zu versuchen… Beispiele finden sich am Ende des Buches.

Der Autor erzählt weitgehend chronologisch – von der unehelichen Geburt Augusts am 25. Dezember 1789, was damals eine schwere gesellschaftliche Belastung für Mutter und Kind darstellte, über die weitgehend „normale“ Kindheit eines Jungen, der im Haus am Frauenplan aufwuchs und schon in frühesten Jahren kleine Briefchen darüber schrieb, was er im Garten gearbeitet  hatte.

Er muss im Lauf seiner Kindheit mitbekommen haben, wie seine Mutter zwischen 1791 und 1802 vier weitere Kinder zur Welt brachte, die entweder tot geboren wurden oder innerhalb weniger Tage starben. Dennoch war sein größter Kummer in der Jugend, dass der Vater so selten da war, denn Goethe zog es nicht zu Frau und Kind, er hielt sich lieber anderswo (oft in Jena) auf…

Goethe, der Vater, ist, auch wenn er sich nicht sonderlich um den Sohn kümmert, immer da, er ist der Schatten auf dessen Leben, die negative Figur in der Biographie jenes August, der als braver Junge tat, was man von ihm verlangte. Immerhin ließ Goethe ihn legitimieren, wie er auch nach 18jähriger Beziehung Christiane doch noch heiratete.

Der Autor schildert ausführlich, wie der kleine August im Leben des Vaters nebenher lief, den Schulbesuch, die seltene Freude des Vaters an dem Sohn, wenn sich dieser für die Naturwissenschaften so interessiert wie er („Der Kleine ist gar zu artig“).

Goethe beschloß, den Sohn in der herzoglichen Verwaltung unterzubringen, es gibt, so der Autor, keinerlei Zeichen, dass August selbst an diesem Lebensplan beteiligt war. Auch nicht daran, dass er in Heidelberg Jus studieren sollte. Tatsächlich machte August Schritt für Schritt die vorgesehene Beamtenkarriere mit den damit verbundenen Titeln.

Als August in seinen Militärjahren in ein Duell geriet, gelang es dem Vater, das abzubiegen, auch wenn sich der Sohn dann als „ehrlos erbärmlicher Wicht“ fühlte. Augusts Freund, der Schriftsteller Karl von Holtei, nannte es „des Vaters verletzende Fürsorge“. Es war ein Psychokrieg – August trotzte mit Napoleon-Verehrung…

Doch wenn der Vater ihn benötigte, dann tat er, was man verlangte – als Sekretär, Hausverwalter, Schriftführer und Vermögensberater. Er musste auch die Bedürfnisse des anspruchsvollen Essers Goethe befriedigen. Wenn Goethe bei gewissen Ereignissen nicht erscheinen wollte, musste August ihn vertreten und Grußworte abliefern. Aus unserer Sicht hat das mit Ausbeutung zu tun. Was August selbst wollte, spielte nie eine Rolle.

Um Augusts Prestige zu steigern, wurde er in eine Adelsfamilie geheiratet, obwohl die Familie von Pogwisch und die Familie Henckel von Donnersmarck, die Verwandten von Ottilie, gegen die Ehe waren – für sie war Goethe gerade mal ein „Frischgeadelter“. Zudem passte Ottilie, sieben Jahre jünger als August, gar nicht zu ihm. Es wurden in der 1817 geschlossenen Ehe zwar drei Kinder geboren, zwei Söhne und eine Tochter, aber Ottilie langweilte sich mit ihrem Mann und ihrer Rolle als Hausfrau im Goethe-Haus (Christiane war ein Jahr vor der Hochzeit gestorben). Der hoch gestresste August trank in zunehmendem Maße, Ottilie neigte zu Seitensprüngen.

Ob Goethe den Sohn auf eine große Italienreise schickte, um ihn von seinen Problemen abzulenken, kann nicht bewiesen werden. Jedenfalls starb er am 27. Oktober 1830 in Rom. Freunde besorgten sein Begräbnis, Goethe selbst schickte die Inschrift für das Grab auf dem Cimitero Acattolico, wo die Ausländer ihre letzte Ruhe finden. „Goethe Filius“ steht darauf, selbst hier verweigerte ihm der Vater die Identität. Er war der Sohn, nichts weiter.

Ein Höhepunkt des Buches, gleich an den Anfang gestellt, um die Geschichte von hinten auszurollen, besteht darin, was Stephan Oswald etwa aus der Hinterlassenschaft des verstorbenen August alles herauszulesen vermag Die Ambition, August von Goethe wirklich nahe zu kommen, ihn als selbständiges Schicksal und nicht als Opfer darzustellen, und dennoch immer wieder über den Vater zu stolpern… das ist ein Weg, den man als Leser mit Interesse mitgeht. Auch wegen des Zeitbilds. Auch wegen des Vaters. Und auch wegen August.

Renate Wagner

 

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