Nach der Bild-Debatte: Was hat das mit uns zu tun?

Nach der Bild-Debatte: Was hat das mit uns zu tun?

Bild-Chef Julian Reichelt hat seinen Posten verloren, weil er Frauen bedrängt und seine Machtposition ausgenutzt haben soll. Leider kein Einzelfall.

Julian Reichelt ehemaliger Bild-Chef, in seinem Büro.<br>
Julian Reichelt ehemaliger Bild-Chef, in seinem Büro.
Amazon/Christoph Michaelis

Berlin-Die Vorwürfe von sexualisiertem Machtmissbrauch um Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt beschäftigen die deutsche wie die internationale Medienlandschaft. Das sollten sie auch. Diese Debatte betrifft auch andere Redaktionen, Unternehmen. Als Beitrag und Versuch der Reflektion stellen hier fünf Redakteurinnen und Redakteure der Berliner Zeitung jene Fragen, die sie persönlich jetzt umtreiben, und suchen nach den ersten Antworten darauf.

Mehr Solidarität unter Frauen

Als junge Redakteurin fragte mich mal ein Redaktionsleiter, was ich gerne lesen würde. Ich antwortete Simone de Beauvoir und Arthur Schopenhauer. Er lachte mich aus. Viel zu intellektuell, ich übertreibe. Seinen Einschüchterungsversuch nahm ich ihm übel, da er das nur sagte, so mein Gefühl, weil ich eine Frau bin. Aber ich schob es weg. Wie viele andere Situationen als Journalistin. Vielleicht hätte ich damals einfach souverän kontern müssen. Ich traute mich nicht, ich war die junge Kollegin, er mein Chef.

Zugegeben, meine Schilderung von vor 30 Jahren wirkt wie eine Kleinigkeit, aber es hat sich bis heute nicht groß was verändert. Viele Frauen erleben ähnliches im Berufsleben – oft noch viel Schlimmeres als anzügliche Sprüche und Gesten respektlosen Verhaltens. Kolleginnen kleinzuhalten, ihnen keine Karriere zu ermöglichen, weil sie angeblich dem harten Wettbewerb nicht standhalten, sie als Objekte der Begierde oder als Arbeitsbienchen zu sehen, die den wichtigeren Kollegen den Rücken stärken, die nach wie vor ungleiche Bezahlung – bis hin zu Situationen, in denen Frauen sich sexuell belästigt fühlen. Es ist ein weites Feld. Die Ungleichheit zeigt sich in vielen Facetten und Bereichen. Die jüngste MeToo-Debatte, ausgelöst durch eine andere Redaktion, zeigt aber auch, dass endlich ein Ruck durch die Gesellschaft gehen muss.

Mein Reden ist schon seit dem Studium, dass Frauen enger zusammenhalten müssen, solidarischer werden und dass sie sich stärker untereinander vernetzen sollten. Frauen sind meistens nach wie vor auf sich allein gestellt. Sie sind zu sehr Einzelkämpferinnen und erfahren wenig Unterstützung – mitunter auch vom eigenen Geschlecht. Männer, die nach wie vor in den meisten Büros in der Überzahl sind, halten doch auch in der Regel zusammen, fordern und fördern sich.

Das ist leider auch einem System geschuldet, in dem jede und jeder sieht, wie er am besten durchkommt. Und all die Nachteile bis hin zu sexuellen Belästigungen, mit denen Frauen heute noch zu tun haben, sind eine Demonstration von Macht und Status. Deshalb fürchte ich auch, dass all das in der Gesellschaft andauern wird, solange wir keine vollständige Gleichberechtigung erreichen. Und daran sollten auch Frauen noch energischer mitwirken. Anne-Kattrin Palmer

Das Schweigen macht den Rausch

Die Medienblase ist empört. So weit, und so gewöhnlich. Schließlich gab es wieder die Erinnerung daran, dass auf den großen Stühlen gern die Falschen sitzen. Aber ganz ehrlich, während jetzt die Worte „toxische Kultur“ und „Männerwelt“ wieder die Analysen dominieren, denke ich nur so: Ach, wirklich.

Ist ja super, dass der, um den es diesmal geht, seinen Sessel endlich, endlich räumen muss. Warum aber braucht es denn einen so hochgejazzten Fall eines sowieso schon viel zu aufmerksamkeitsgetränkten Typen, um über die Verhältnisse zu sprechen? Er bestätigt doch nur die immer nervige, zu oft gefährliche, andauernde Normalität. Für so viele ist das doch einfach daily fucking business.

„Wie stehst du denn da, nun lach doch mal, ich nehm’s eben nicht immer so genau mit der Political Correctness, das war doch nur ein Witz“ – ich bin einfach immer darauf vorbereitet. Auf der Straße, in der Redaktion und auf Recherche. Immer gewesen. Wenn ich mich dann wehre, weil es auch mal die Summe aller Kleinigkeiten ist, die mich zum Explodieren bringt – dann bin ich schon die Spaßverderberin.

Schlimmer als die punktuelle Aufmerksamkeit an diesen ekelhaften, periodischen Geschichten ist nur das darauf folgende „Aber was ist mit“-Gerede: „Was ist mit denen, die davon profitieren“, weil sie sich „hochschlafen“, „Karriere machen“, weil sie „mitspielen“. Wir haben uns dieses verdammte „Spiel“ nicht ausgesucht. Wen wundert es denn wirklich, dass man darin irgendwie überleben muss? Und wenigstens nach Taktiken und Strategien sucht, diesen Spießrutenlauf zu überstehen, der nicht erst da beginnt, wo die New York Times eine Recherche präsentiert? Warum aber fragt eigentlich fast nie jemand nach dem wirklichen Warum?

Während wir uns hier ein bisschen echauffieren, schreiben an jedem andern Tag die Jungsclubs dieser Branche ihre Editorials oder geiern sich in exklusiven Runden gegenseitig hoch. Und manche missbrauchen diesen Rausch aus Macht und Männlichkeit und übersetzen ihn in Taten. Während der Rest der Branche schweigt. Antonia Groß

Öfter die Perspektive wechseln

Ich gebe zu, dass ich auch gern Frauen anschaue. Ich mag Blicke im Alltag und Flirt-Situationen. Ich kenne auch all die „gut gemeinten“ Ratschläge, mit denen Männer so aufwachsen: Frauen lieben es, „erobert zu werden“, sie mögen Draufgänger, aufregende Typen, freche Sprüche.

Junge Frauen seien so empfindlich geworden, sagen dagegen viele Männer heute. Man dürfe gar keine Komplimente mehr machen, gar nicht mehr flirten. Alles sei gleich eine Belästigung. Aber wer zum Beispiel Frauen verschiedenen Alters fragt, der erfährt bald: Vieles war ihnen auch schon früher unangenehm, doch sie haben es weggedrückt, nach dem Motto: „So sind Männer!“ Dass nun endlich über so etwas offen geredet wird, ist Teil eines wesentlich größeren Prozesses, bei dem es um viel mehr geht: bis hin zum klaren Machtmissbrauch à la Julian Reichelt.

Ich habe nie tiefer über all das nachgedacht, bis ich selbst zwei Töchter aufwachsen sah. Ich erlebte, wie sie als Teenager verstört nach Hause kamen, weil sie in der Bahn „doofe Sprüche“ gehört hatten, weil ihnen jemand gefolgt war oder unbedingt eine Reaktion auf seine „Komplimente“ haben wollte: „He, lächle doch mal!“ Ich sah, wie sie mit Tunnelblick durch die Straßen gingen, um nicht auf so was reagieren zu müssen.

Irgendwann habe ich mir angewöhnt, die Perspektive zu wechseln, also vermeintlich harmlose Situationen aus Sicht einer Frau zu betrachten. Ich stelle mir vor, dass mich auf der Straße nicht nur ein kleiner Seitenblick erwischt, sondern dass ich gescannt werde, von oben bis unten. Dass mir jemand folgt oder mich anspricht, während ich doch nur einkaufen will. Öfter frage ich mich: Passt der Scherz, der dir gerade auf der Zunge liegt, jetzt wirklich? Musst du ausgerechnet jetzt einen Spruch zum hübschen Kleid der Kollegin machen? Manche fände das vielleicht ganz nett, andere höchst unpassend. Man kann als Mann verwirrt darüber sein. Akzeptieren muss man es dennoch.

Es geht immer um die Situation! Und um die Frage: Was würdest du gerade für dich selbst als angemessen empfinden? Geflirtet werden kann ja trotzdem, und zwar in Situationen, wo es passt. Und das merkt man dann schon. Torsten Harmsen

Einfach an die Anstandsregeln halten

Altherrenwitze über Frauen waren mir schon fremd, als ich noch jung war. Und während meines gesamten Berufslebens hatte ich es fast nur mit Chefinnen zu tun. Als vor vier Jahren die MeToo-Debatte tobte, meldete sich Staatssekretärin Sawsan Chebli mit einem Facebook-Eintrag zu Wort. Ein Botschafter hatte ihr bei einer Podiumsdiskussion das Kompliment gemacht, sie sei „jung und schön“.

Dazu erschien in einer anderen Zeitung der Beitrag einer Autorin. Sie erinnerte sich, dass sie mit einem Kollegen, der über Personalien zu entscheiden hatte, Fahrstuhl gefahren sei. Und der habe gesagt: Falls der Fahrstuhl stecken bleibe, habe er Brezel und Buttermilch dabei. Die teile er gern. Zu einem Mann hätte er das nie gesagt, unterstellte die Autorin, die ihm wohl eine Versorger-Attitüde unterstellte. Sie wies auf die vielen Facetten des Sexismus hin, der auch wohlwollend verpackt sein könne, so wie im Fahrstuhl.

Nach der Lektüre dieser Zeilen fragte ich mich, was als nächstes kommt: Gerät Mann demnächst unter Sexismus-Verdacht, wenn er einer Frau die Tür aufhält? Wäre es deshalb nicht besser, künftig jeder Frau, die hinter mir einen Raum betreten oder verlassen will, die Tür vor der Nase zuzuknallen? Und füttert man das Klischee vom „schwachen Geschlecht“, wenn man einer Frau den Vortritt lässt, wenn schon eine Brezel zum Indiz für Sexismus werden kann?

Das alles ist verwirrend. Ich kam zu dem Schluss, solchen Überlegungen nicht allzu breiten Raum zu geben. Denn es gibt elementare Grundsätze des Anstands, die für jeden gelten, egal ob Mann oder Frau. Hält man sich an die gängigen Umgangsformen der Höflichkeit und des gegenseitigen Respekts kann eigentlich nichts passieren (Missverständnisse bestätigen die Regel). Und deshalb werde ich auch künftig Frauen – wie auch Männern – die Tür aufhalten. Andreas Kopietz

Wir sind noch viel zu rückschrittlich

Allein in diesem Verlag wurde mir mehrfach unterstellt, ich sei die Geliebte des Chefs. Ein Kollege sagte mir das ganz konkret, eine Kollegin befand, dieser sei wohl „ein bisschen verliebt“ in mich; eine weitere Kollegin spekulierte, ich müsse doch was mit gleich mehreren Vorgesetzten haben. Ich kann mich nicht an auch nur einen Mann in meiner fast 25-jährigen Redaktionslaufbahn erinnern, dem ähnliches angedichtet wurde, nachdem er befördert worden war. Bei Frauen gehört das zum Alltag.

Als ich Ende der 1990er-Jahre in den Job startete, fühlte ich mich gleichberechtigt. Mit einer feministischen Mutter aufgewachsen, hatte ich gedacht, die Kämpfe seien ausgestanden. Heute weiß ich: Arbeiten bis zum Umfallen wird gerne genommen, aber im Gegenzug eine ausreichende Bezahlung oder gar eine feste Stelle, mit der Frauen auch selbst ihre Familie ernähren könnten? Wo kommen wir denn da hin?

Zumindest in einem großen bayerischen Verlag war es bis vor wenigen Jahren noch so, dass jungen Männern mit viel weniger Berufserfahrung automatisch feste Stellen angeboten wurden, auf die Kolleginnen schon lange im Schweiße ihres Angesichts hingearbeitet hatten. Sprach man Vorgesetzte darauf an, wurde deutlich, dass das unbewusst passierte. Sie hatten einfach nicht an die fleißigen Frauen gedacht, weil sie ihnen als – natürlich – männlichen Vorgesetzten so unähnlich waren. Und so nützlich in ihrem Hamsterrad.

Frauen werden bis heute im Berufsleben nicht ernstgenommen und der Belege gibt es Tausende. Dass ein Bild-Chef es sich offenbar jahrelang leisten konnte, Untergebene mit Sex, Geld und Lügen gefügig zu halten, ist die eine Seite der traurigen Medaille, die andere Seite sind CDU und SPD als immer noch große Volksparteien, die nun Frauen aus den hintersten Reihen nach vorne stellen müssen, um nicht allzu rückschrittlich zu erscheinen. Die Wahrheit ist: Sie sind es leider. Genau wie der größte Teil der Gesellschaft.

Die meisten von uns haben, auch wenn sie es gerne anders hätten, starke Vorurteile zu allen möglichen Gruppen im Kopf, seien es nun Frauen, Migranten oder Alte. Es kann daher nichts Besseres passieren, als Skandale wie nun bei der Bild-Zeitung schön breit auszudiskutieren – bis auch der letzte verstanden hat, was man daraus lernen kann. Wie traurig ist es außerdem, dass erst ein Artikel aus den USA auslöste, was unsere Medienlandschaft hierzulande nicht zu leisten imstande war, nämlich die Wahrheit ans Licht zu bringen?

Eine Freundin, ebenfalls Journalistin, wurde trotz Hochqualifizierung vor ein paar Jahren zu ihrem großen Leidwesen arbeitslos. Was war passiert? Ein Kollege hatte ihr in der Redaktion und bis nach Hause nachgestellt, sie hatte sich vertrauensvoll an ihren Chef gewandt. Wer musste gehen, weil das Betriebsklima dadurch nachhaltig gestört sei? Nicht der Stalker, sondern meine Freundin. Ruth Schneeberger