Von Romantikern zu Forschern
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Von Romantikern zu Forschern

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Almut Rose (von links) dankt als Vorsitzende des Literaturforums zusammen mit ihrem Stellvertreter Michael Rettinger dem Referenten der Grimm-Matinee Hans-Heino Ewers. © Inge Schneider

Karben (im). Kompakt und interaktiv: Germanistikprofessor Hans-Heino Ewers räumte bei der dritten Akademischen Matinee des Literaturforums Karben unter dem Titel »Die Brüder Grimm. Ihre Märchen - ein Weltbestseller« mit etlichen Mythen um die beiden Hanauer Sprachwissenschaftler auf. Ewers fasste im »KUHtelier« die Erkenntnisse der neueren Forschung zusammen, erteilte etlichen Dogmen eine Absage und ermunterte zum befreiten Umgang mit dem überlieferten Geschichtenschatz.

Auf der Basis der Erkenntnisse des 2023 verstorbenen Germanisten Heinz Rölleke entwarf Ewers ein lebhaftes Bild der Brüder Jacob Grimm (1785 bis 1863) und Wilhelm Grimm (1786 bis 1859). »Sie werden oft als gesetzte Professoren dargestellt - tatsächlich haben sie das Sammeln von Märchen und Schwänken bereits in sehr jungen Jahren aufgenommen.« Inspiriert habe sie dazu ihre Mitarbeit an der Brentanoschen Volksliedsammlung »Des Knaben Wunderhorn«. Von 1805 bis 1808 hätten sie ein erstes Konvolut von 50 Märchen-»Notationes« an Clemens Brentano übersandt.

»Diese Zusammenstellung ging jedoch verloren und tauchte erst nach dem Ersten Weltkrieg in einem elsässischen Kloster wieder auf.« Auf Anregung von Clemens Brentano und mit Unterstützung von dessen Netzwerk nahmen die Grimms ihre Sammlertätigkeit auf. »Die erste Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen erschien 1812 und war Bettina von Arnim gewidmet - die kritisch anmerkte, die Geschichten seien keineswegs kindgerecht«, berichtete Ewers, der zudem auf die Vorrede dieser Erstausgabe hinwies: »Hierin erweisen sich die Grimms als glühende, ja geradezu polemische Vertreter der Romantik, während sie in späteren Ausgaben als gereifte, sachliche und akribische Forscher erscheinen.«

Motive sind derb, erotisch und witzig

Auch die Märchen selbst hätten eine umfangreiche Entwicklung in Textbearbeitung, Vortragsweise, Rezeption und Interpretation durchlaufen. Falsch sei es, den Grimms eine Initialzündung in Sachen Stoffgeschichte der Märchen zuzuschreiben - vielmehr markierten die ersten Ausgaben des später weltberühmten Bestsellers das Ende einer Entwicklung.

»Die Motive blicken zu diesem Zeitpunkt bereits auf eine jahrhundertealte Tradition zurück, sie sind oft derb, erotisch, satirisch, lebensprall, anspielungsreich und witzig und haben nichts mit der an kindliche Rezipienten angepassten Überarbeitung zu tun«, sagte Professor Hans-Heino Ewers. Tatsächlich hätten die Grimms keineswegs eine Gattung erschaffen. »Ihr Verdienst ist es vielmehr, den Märchenton und -stil ins Leben gerufen zu haben - also nicht das, was erzählt wurde, sondern die Art, wie man es vortrug.« Einfachheit, Unschuld und »prunklose Reinheit« seien die Axiome Grimmscher Märchenpoetik, ihr Duktus habe Eingang in Märchensammlungen anderer Völker gefunden.

Diese Vereinheitlichung verschleiere aber die vielfältigen Ursprünge der Geschichten, die zum Teil bis ins Reich der Mythen, Sagen und Legenden sowie der Hochliteratur der gebildeten Schichten hineinreichten. »Was nicht heißen soll, dass wir die Stoffe sakralisieren sollten«, erklärte Ewers. »Aus heutigem Blickwinkel können wir sie vielmehr durchaus humorvoll bis ironisch rezipieren.«

Nach dem Vortrag entspann sich eine kurze, lebhafte Diskussion, unter anderem über die Quellen der Grimms und die Vielzahl an modernen Illustrationen zu ihrer Sammlung.

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