Das Wort als Bühne des Gedankens: zum Tod des Schauspielers Eberhard Esche: Der Querspieler

Das Wort als Bühne des Gedankens: zum Tod des Schauspielers Eberhard Esche: Der Querspieler

Nach dem Mauerbau im August 1961 ging das Deutsche Theater durch einen Jungbrunnen. Für die nun ausbleibenden, in Charlottenburg und Wilmersdorf wohnhaften Kollegen, meist ältere Semester, musste Ersatz gefunden werden. Den fand man in Dresden (Dietrich Körner, Klaus Piontek), in Karl-Marx-Stadt (Dieter Franke, Reimar Joh. Baur) und anderswo. Junge, talentierte, professionell ausgebildete Schauspieler mit ersten Bühnenerfahrungen. Eberhard Esche, am 25. Oktober 1933 in Leipzig geboren und auch dort ausgebildet (Theaterhochschule "Hans Otto"), war einer von ihnen. Er kam über Meiningen, Erfurt und Karl-Marx-Stadt ans Deutsche Theater, hatte vor seinem DT-Debüt als Tumult (in "Frieden" von Aristophanes/Hacks, Regie Benno Besson) aber schon einmal auf einer Berliner Bühne gestanden: 1958 gastierte das Meininger Theater mit Brechts "Dreigroschenoper" im BE, was a posteriori zur Legende wurde. Den Moritatensänger gab - Eberhard Esche, schon damals fiel sein Talent als Entertainer auf!Das sich in den 60er-Jahren neu formierende DT-Ensemble, von Wolfgang Langhoff initiiert, in dem Intendanten-Nachfolger Wolfgang Heinz das Regie-Genie Benno Besson tolerierte und das Talent Adolf Dresen förderte, sah Esche als seine künstlerische Heimat an. Vielleicht war es auch mehr als das - vielleicht war die spätere Enttäuschung auch deshalb so groß. Das entstehende hochkarätige Ensemble (mit dem DT-Urgestein Herwart Grosse und Inge Keller, den BE-Abtrünnigen Fred Düren und Käthe Reichel, dem Berliner Nachwuchs Dieter Mann und Christine Schorn, den oben genannten "Provinzlern", nicht zu vergessen den Truffaldino Rolf Ludwig) machte das Deutsche Theater in den 60er-Jahren zum führenden Theater in Deutschland. Nicht nur im Osten (allenfalls die Münchner Kammerspiele konnten da mithalten), erfolgreich in Paris, Edinburgh, Zürich und anderswo. Und Esche fühlte sich dem harten Kern zugehörig. Er war vor allem Bessons Protagonist (hinter/neben Fred Düren).Der "Drache" war der überhaupt größte Erfolg des Deutschen Theaters in seiner Nachkriegsgeschichte - um die 600 Mal gespielt. Jewgeni Schwarz' anti-stalinistische Märchenparabel wurde behutsam, das Märchenhafte durch die prächtige Ausstattung Horst Sagerts betonend, auf die Bürokratie in der DDR projiziert. Und Esche ging als ein Westernheld ohne Furcht und Tadel in den Kampf gegen Kleinmut und Untertanengeist. Der Einfall war genial, er funktionierte auch prima. Wer je diesen "Drachen" gesehen hat, wird den Eindruck mit ins Grab nehmen .Eberhard Esche, körperlich agil, sprechtechnisch flexibel und wirkungsbewusst, hat sich gern und aus politischer wie künstlerischer Überzeugung in den Dienst der eher südländisch geprägten Spiellust des Westschweizer Genossen Besson gestellt, ihr dabei seinen eigenen Ausdruck gegeben. Er stellte sich quer - der Querdenker war auch ein Querspieler -, als er sich und seine künstlerische Identität von einem Regie-Theater - er nannte es "Sport- und Turn-Theater" - bedroht sah, welches das Regie-Theater, das einem heutzutage gelegentlich die Laune verdirbt, noch längst nicht war. In all seinem auch ungerechten Zorn muss er es vorausgeahnt haben.Esche war nie ein Werktreue-Fetischist, aber er maß dem Wort des Dichters höchste Priorität zu ("Das Wort des Dichters ist immer besser als sein Interpret"), in die Reihe der von ihm verehrten "Klassiker" stellte er neben Goethe und Heine, seine absoluten Favoriten, umstandslos den lebenden "Klassiker" Peter Hacks, von dem er fast alles gespielt hat. Mit dem modernen Klassiker verband ihn nicht nur Freundschaft, sondern auch die Sturheit, alten Idealen, verblassten Utopien nicht abschwören zu wollen."Ich bin Kommunist", hat er 1988 einem Interviewer der Süddeutschen Zeitung gesagt. Er hatte 1976 die Biermann-Petition unterschrieben, aus "Sentimentalität", wie er meinte, und die Folgen akzeptiert - keine Drehangebote mehr. Er hatte vergeblich Manfred Krug, den Film-Partner aus dem verbotenen "Spur der Steine", von der Ausreise abhalten wollen, hatte scheinbar gelassen auf "bessere Zeiten" gehofft - eine Biermann-Reminiszenz.1974 erarbeitet er sich Heinrich Heines "Deutschland, ein Wintermärchen", in ein paar Probennächten, zusammen mit dem Regisseur Adolf Dresen - er wird mit dieser fulminanten Ein-Mann-Show über 30 Jahre im DT und auf ausgedehnten Gastspielreisen zu Gange sein, die Zeit färbt den Text immer neu ein, die Zuschauer/hörer entdecken einen immer neuen Heine, weil dessen Interpret sich treu bleibt. Der Text sei "zu allen Zeiten aktuell und gründlich missverstanden", meinte sein nimmermüder Wintermärchenerzähler.2006 nimmt Intendant Bernd Wilms die Solo-Programme aus dem Repertoire. Eberhard Esche muss das kränken, auch mit "Gast"-Vertrag fühlt er sich als DT-Inventar, in einem Interview gibt er zu Protokoll: "51 Jahre ist mein Beruf Schauspieler. 45 Jahre davon spiele ich auf den Brettern des DT. In diesen viereinhalb Jahrzehnten habe ich acht Intendanten dieses Hauses erlebt. Davon haben fünf in den 33 Jahren Laufzeit Wintermärchen dieses Deutschlandbild Heines ertragen müssen. Ich vermute, der Herr Wilms will das Wintermärchen überleben."Je mehr sich Esche auf die Solo-Arbeit zurückzog, auch weil er mit der "momentanen Regiehorde" nichts am Hut hatte, desto mehr hat er auch, bei anhaltendem Publikumszuspruch, die Meinungen polarisiert. Sein sublimer Sprechstil, der durchaus nicht nur auf Pointen aus war, der die Gedanken der Dichter hinter den Worten zu entschlüsseln trachtete, mochte auch irritieren, Virtuosität mochte auch als Manieriertheit missverstanden werden. Da war oft eine Grenze erreicht, wo Geschmack zum Urteil wurde.Wie sehr er "seinem" DT verbunden war, ganz tief in seinem Herzen ("Ich habe das Gesicht des Hauses mitbestimmt", sagt er selbstbewusst der SZ), davon sprechen auch seine Grabreden (beim Tod von Dieter Franke, Klaus Piontek und anderen), die für sich auch mal eitel und selbstverliebt klingen konnten, was aber doch aus dem Gefühl kam, ein Stück Heimat gegen den Tod (und wen auch immer) verteidigen zu müssen: Das alte Deutsche Theater, das es längst nicht mehr gibt.Die alte Truppe schrumpft, von den legendären Inszenierungen bleiben ein paar Bilder, von Eberhard Esche immerhin zwei Bücher, die 2000 erschienene Autobiografie "Der Hase im Rausch" und die autobiografischen Episoden mit dem Titel "Wer sich grün macht, den fressen die Ziegen" von 2005. Den Text von Sergej Michalkow, der dem ersten Band den Titel gab, hat er oft und gern bei Josh Sellhorns "Jazz - Lyrik - Prosa" rezitiert, damals auch oft mit Krug und Biermann vereint: Da haben wir den ganzen Eberhard Esche, den fröhlichen Erzähler, den bissigen Spötter, der den Witz gern ins Paradoxe trieb. Auch lesend hören wir den Virtuosen, gedenken des Theatermenschen, der sich mit fragwürdigem "Fortschritt" nicht abfand und lieber als verbohrter Konservativer galt.Wie die Berliner Zeitung erfuhr, ist Eberhard Esche gestern nach einem Krebsleiden in einem Berliner Krankenhaus gestorben.------------------------------Esche ging als ein Westernheld ohne Furcht und Tadel in den Kampf gegen Kleinmut und Untertanengeist.------------------------------Foto: Eberhard Esche 1933 - 2006