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ICONIST Anita Hass

„Gerade Hamburger Kundinnen sind stilsicher“

Chefredakteurin ICON
Christian Villwock ist Geschäftsführer der Mode-Boutique „Anita Hass“ Christian Villwock ist Geschäftsführer der Mode-Boutique „Anita Hass“
Christian Villwock ist Geschäftsführer der Mode-Boutique „Anita Hass“
Quelle: Juergen Joost
Als Christian Villwocks Mutter im April 1970 ein Geschäft in Hamburg eröffnete, machte Mode vor allem Laune. Heute ist „Anita Hass“ eine der bekanntesten Boutiquen Deutschlands. Ein Gespräch.

Er führt eines der Top-Modegeschäfte Deutschlands, 1970 von seiner Mutter Anita Draeger-Villwock zunächst als Secondhand-Boutique in einem ehemaligen Schraubenladen gegründet und als Modeinstitution aufgebaut.

ICONIST: Herr Villwock, Sie haben offenbar die Chancen erkannt, wie hat das Internet Ihr Geschäft verändert?

Christian Villwock: Fundamental. Wir haben zum Glück früh damit angefangen zu digitalisieren, ich habe schon vor neun, zehn Jahren mit Licht vom Baustrahler im Keller die ersten Fotos dafür gemacht. Es hat aber lange gedauert, bis wir online den Standard hatten, der mit dem stationären Geschäft harmonisiert. Aber wir haben viel gelernt und der Multichannel-Auftritt hat einen guten Effekt auf unsere Frequenz.

ICONIST: Man würde meinen, in Eppendorf gäbe es noch genügend Frauen mit Tagesfreizeit und belastbarem Konto, die nur mal vorbeischnuppern, nach dem Motto: Was gibt es Neues?

Villwock: Was gibt es Neues, das ist vorbei. Kundinnen sind unfassbar informiert. Kein Vergleich zu der romantischen Szene früher, mit der ich aufgewachsen bin. Eppendorf ist ein guter Standort, aber wir haben Kunden von überall, sonst könnten wir den Umfang auch nicht präsentieren. Doch egal, von wo sie sich melden, sie wissen Bescheid.

ICONIST: Was bedeutet das?

Villwock: Man muss als Händler auch ein selbstbewusster Einkäufer sein. Wir kaufen vielleicht zehn Prozent von einer Kollektion. Ein gelber Tellerrock für 1500 Euro, wie wir ihn im Showroom sehen, ist eher nicht interessant für unsere Kunden.

ICONIST: Spielen Verkäufer noch eine Rolle?

Villwock: Das ist ein schwieriges Thema. Gerade die neue Generation will keinen niederen Verkaufs-Job machen, wie ich oft höre. Dabei ist das ja eine sehr anspruchsvolle Aufgabe.

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ICONIST: In der Händler-Generation Ihrer Mutter wurde die Ware noch eher zugeteilt als verkauft, richtig?

Villwock: Ja. (lacht) Meine Mutter hat immer gesagt: erst mal entscheiden, an wen ich das verkaufen möchte.

ICONIST: Andererseits scheint heute der Hype größer?

Villwock: Das ist unterschiedlich, manche kommen ganz gezielt ins Geschäft und dann ist es einfach, für den Fall, dass man gerade das richtige Model in der richtigen Größe vorrätig hat. Aber durch die Internetseite haben die Verkäuferinnen auch eine Art Sales Book, ein iPad, mit dem sie die Kundinnen beraten und auch Styling-Tipps und Alternativen zeigen können. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen und nutzen deswegen lieber, was wir uns angeeignet haben. Gute Mitarbeiter sind andererseits auch ein wichtiger Vorteil gegenüber dem Netz.

ICONIST: Reagieren alte Kunden verstört auf Ihre modische Ausrichtung?

Villwock: Das ist eine Herausforderung, klar. Aber wir waren immer die Jüngeren, das war schon die Positionierung meiner Mutter gegenüber Linette und Unger. Selbst die Kundinnen, die seit vierzig Jahren zu uns kommen, sind heute informiert. Eine ältere Frau, die sich über Instagram und Facebook oder auch unsere Seite informiert, fühlt sich relevant und jung und ist ein bisschen stolz auf sich. So kommt sie in den Laden und möchte etwas kaufen.

ICONIST: Und steht dann vor einer dieser angesagten zerrissenen Jeans...

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Villwock: Die sie sich eher nicht aussucht. Gerade Hamburger Kundinnen sind stilsicher.

ICONIST: Gibt es noch treue Kunden?

Villwock: Die Zeit ist vorbei. Das ist aber auch okay, wir alle sind freier geworden, das gilt ja nicht nur im Modehandel. Relevant zu bleiben ist manchmal anstrengend, aber so ist es eben.

ICONIST: Die Fast-Selling-Diskussion schüttelt die Modewelt durch, also die Anforderung, kaum gezeigt, die Mode auch zu verkaufen. Welche Auswirkungen hat das auf Multibrand-Händler wie Sie?

Villwock: Der durch das Internet transportierte Laufsteg-Look, die Blogger-Belagerung der Shows – die Auswirkungen merken wir schon sehr lange und sie sind seither auch ein Problem. Die Modeindustrie ist ja langsam und stiff. Solange Erfolg da ist, wird nichts geändert. Doch viele Marken bauen mehr und mehr ihren eigenen Retail auf und merken gleichzeitig, wie es ist, wenn ein Thema ein halbes Jahr penetriert wurde, dann endlich zur Auslieferung kommt und der Verkauf aber gar nicht dem prognostizierten Buzz entspricht. Plötzlich herrscht Ratlosigkeit. Die Entwicklung ist eine riesige Herausforderung für die großen Brands, die Wege zu verändern.

ICONIST: Aber Leute warten doch auch Jahre auf eine Hermès-Tasche?

Villwock: Das ist keine Mode.

ICONIST: Teilt es sich also in Klassik und schnelle Lust?

Villwock: Letztendlich ist der gesamte Markt kaputt. Die Preisvorstellungen, die Restriktionen von großen Marken den Händlern gegenüber, das passt einfach nicht mehr in die Zeit. Das weiß eigentlich jeder. Die großen Brands klammern sich an Begehrtheit, aber die Kunden wollen das Begehrte eben gleich nach der Show kaufen.

ICONIST: Haben Sie eine Lösung? Sie verkaufen ja auch die großen Marken.

Villwock: Ich kaufe da lieber Produkte mit einem gewissen klassischen Anspruch ein. Wenn man 1500 Euro für etwas ausgibt, dann darf das nicht zu saisonal wirken, nach dem Motto, ach das war doch letzten Sommer Céline. Das ist schwierig.

ICONIST: Heißt das, man kauft bei Ihnen die schönen Klassiker und bei H&M den aktuellen Trend dazu?

Villwock: Vielleicht. Aber wir machen es durch Taschen wett. Chloe ist sehr stark. Mansur Gavriel unfassbar. Der Hamburger Stil ist ohnehin eher schlicht und hochwertig. Aber wir müssen natürlich immer auch die It-Pieces haben, die die Saison widerspiegeln.

ICONIST: Wie erklären Sie sich den verlässlichen Geschmack in Hamburg?

Villwock: Das subtile Stilempfinden ist wie ein Kompass, und ich hoffe, er bleibt erhalten. Denn ich sehe ein paar Strömungen kritisch. Der Neue Wall ist schon sehr protzig geworden. Und ich weiß nicht, wie es mit den AMD-Studentinnen ist...

ICONIST: Mehr Monostores sind wahrscheinlich auch nicht gerade hilfreich in der Styling-Bildung.

Villwock: Colette in Paris, Corso Como, Antonia, Excelsior in Mailand, das sind interessante Plätze. Monostores gehen nur, wenn eine Kollektion heiß ist. Céline in Reichweite von Acne, das erzeugt doch erst Spannung.

ICONIST: Monothematisch trägt keiner mehr. Erstaunlich, dass im Verkauf also noch die Monomarken-Strategie durchgezogen wird. Haben die großen Marken eigentlich noch Interesse an Concept-Stores wie Ihrem?

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In Havanna präsentiert Designer Karl Lagerfeld seine neue Chanel Kollektion stilvoll auf dem Prachtboulevard Prado. Die meisten modebegeisterten Kubaner bleiben bei der Show allerdings nur Zaungäste.

Quelle: Reuters

Villwock: Ja, sicher. Wir sind einer der Top-zehn-Läden in Deutschland. Viele Brands wollen zu uns kommen, weil wir sie so einkaufen, dass es modisch relevant ist und sie sich so auch neu positionieren können, wie es gerade mit Bally war. Wenn die großen Brands alles der Marge unterordnen, dann wird die Begehrlichkeit nicht steigen. Das können vielleicht Chanel und LV machen, aber was ist bei Céline, wenn Phoebe weggeht? Die Marke war schon mal tot. Und modern ist anders.

ICONIST: Wenn die Hamburgerin ihren Stil hat, wie passt dazu, dass Sie sehr modisch ausgerichtet sind?

Villwock: Das Glück, das die Mode uns in die Hände spielt. Das Nordische ist relevant und das ist für uns schön.

Vita: Im Jahr 1999 vertrat Christian Villwock einmal seine Mutter für drei Wochen in ihrer Boutique. Da wusste er: Das ist es. Er brach das Werbestudium in London ab, studierte Textilbetriebswirtschaft in Nagold, stieg 2001 ins Geschäft ein, kümmerte sich um Trading-up und Digitalisierung, ist nun Inhaber. Er ist geschieden, hat zwei „fantastische“ Kinder.

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