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Panorama „Maischberger“

Wenn der Tod anklopft und es sich anders überlegt

Sandra Maischberger (M.) diskutierte mit ihren Gästen das Thema: „Der verunsicherte Patient: Warum misstrauen wir Ärzten?“ Sandra Maischberger (M.) diskutierte mit ihren Gästen das Thema: „Der verunsicherte Patient: Warum misstrauen wir Ärzten?“
Sandra Maischberger (M.) diskutierte mit ihren Gästen das Thema: „Der verunsicherte Patient: Warum misstrauen wir Ärzten?“
Quelle: WDR/Max Kohr
Bei Sandra Maischberger schildern mehrere Gäste so haarsträubende Ärztefehler, dass einem der Atem stockt. Nach 75 Minuten hofft man inbrünstig, dass es sich wirklich nur um Einzelfälle handelt.

Normalerweise denkt man nicht über den Titel einer Sendung nach, die seit Jahren in der Glotze läuft. Die Talkshow "Menschen bei Maischberger" heißt eben, wie sie heißt. So what! An diesem Dienstagabend ist es anders, bekommt der Name besondere Bedeutung.

Denn zwei der sechs Gäste sind nur dank ihrer Tapferkeit, ihres Überlebenswillens und unfassbaren Glücks noch auf der Welt. Sie sind Opfer von Ärztepfusch, der so haarsträubend  anmutet, dass die Grenze zum Grotesken weit überschritten wird: Reinhold Otto, den ein als Magenschleimhautentzündung fehldiagnostiziertes Magengeschwür fast getötet hätte, und Claudia Polar, bei der sich eine angebliche Depression als Gehirntumor entpuppte.

Da staunt der Laie - und der Fachmann gleichermaßen. Zumindest an diesem Abend in Form des Vorsitzenden der Ärztevereinigung Hartmannbund, Klaus Reinhardt, der sowohl die Fehler seiner Kollegen als unentschuldbar wie auch einen Mangel an "selbstkritischem Reflektieren" geißelt. Wenn man die Erfahrungsberichte Ottos, Polars und der Schauspielerin Gesine Cukrowski, deren Lebensgefährte einen ähnlichen Alptraum er- oder besser überlebte, hört, wünscht man sich sehnsüchtig, niemals (wieder) krank zu werden und dass die Erzählungen - bitte,  bitte, lieber Gott - nicht nur die Spitze eines Eisbergs sind. Denn der wäre von der Sorte, ein Schiff x-mal mächtiger als die Titanic zu versenken. 

„Gott sei Dank, privat versichert mit Chefarztbehandlung“

Zunächst schildert Cukrowski, was ihr Freund Michael Helfrich in Krankenhäusern erlebte, wobei sie mit unüberhörbarer Süffisanz feststellt: "Chefarztbehandlung. Er ist, Gott sei Dank, privat versichert." Während Dreharbeiten in Zürich - das Paar war damals ein knappes halbes Jahr zusammen - wurde ihr die niederschmetternde Botschaft zum Gesundheitszustands ihres herzkranken Mannes telefonisch übermittelt: "Er hat noch drei Monate zu leben." Die Künstlerin brach zusammen, ein Notarzt eilte herbei und verabreichte ihr eine Beruhigungsspritze.   

Einer der behandelnden Ärzte behauptete laut Cukrowski damals, dass die Wahrscheinlichkeit, Helfrich sei herzkrank, genauso groß sei, wie wenn er "vor die Tür tritt und ihm ein Ziegelstein auf den Kopf fällt". Cukrwoskis Lebensgefährte flog kein Ziegelstein auf den Schädel. Seit -zig Jahren steht aber fest, dass er chronisch herzkrank ist. Maischberger will von Reinhardt wissen,  ob die falsche Diagnose dem Patienten zu früh mitgeteilt worden sei. "Auf jeden Fall!", sagt der Allgemeinmediziner.

„Stellen Sie sich mal nicht so an“

Als Helfrich in jener dramatischen Zeit ein Herzschrittmacher eingepflanzt worden sei, habe ein Neurologe erklärt: "Sind sie bescheuert? Sie haben doch gar nichts am Herzen. Das ist was Neurologisches." Doch das war es noch immer nicht für Cukrwoskis damals 36-jährigen Freund: Wenige Wochen später sei er an der Lunge untersucht worden, wobei die Ärzte vergessen hätten, ihm ein Schmerzmittel zu verarbreichen, so dass der Schlauch, der bei der Endoskopie durch die Mundöffnung in den Körper eingeführt wird, fiese Pein verursacht habe. Auf sein Zappeln - Helfrich habe nicht reden können -, hätten die Mediziner arrogant reagiert: "Stellen Sie sich mal nicht so an."

Während der Fall von Cukrowskis Freund schon mehr als zehn Jahre zurückliegt, ist der Alptraum von Claudia Polar noch nicht wirklich zu Ende - und wird es vielleicht auch niemals sein. Er begann im Jahr 2012: Die heute 34 Jahre alte Schweizerin fiel damals täglich mehrmals in Ohnmacht, ging zu diversen Ärzten und bekam immer wieder zu hören: "Schonen Sie sich. Das ist alles psychisch." Sie sei depressiv. Klar, wenn man krank ist und kein Mediziner hilft, kann man schon mal Depression bekommen. Nur war das bei Polar nicht der Fall.

Malen, Sport, Kochen – was man so macht in der Psychiatrie

Wegen der Wutanfälle, die sie damals - wen wundert‘s - nach eigenen Worten immer wieder bekam, habe sie selbst an eine psychische Störung geglaubt. Sie sei in einer Psychiatrie behandelt und entlassen worden und  "immer wieder dort gelandet": "Malen, Sportgruppe, Ergotherapie, Kochgruppe" - was man eben so macht in einer psychiatrischen Klinik, um wieder gesund zu werden.

Während sie Zeit in Gesprächstherapien verlor, wuchs und wuchs der Tumor in ihrem Kopf. Dass der überhaupt entdeckt wurde, war ihrem Bericht zufolge ein glücklicher Zufall: Eine Vertreterin ihres Hausarztes schickte sie zum MRT. Es folgten eine OP und unerträgliche Schmerzen: "Dann wünscht du dir, dass du nicht aufgewacht wärest." Ihren Beruf als Kindergärtnerin könne sie nicht mehr ausüben, sagt die junge Frau.Dass Polar aus der Schweiz kommt, dass Mediziner also auch anderswo versagen, führt zu einem Aha-also-nicht-nur-bei-uns-Effekt, der aber nicht als Beruhigungspille taugt. "Offensichtlich kein deutsches Phänomen", stellt Reinhardt ohne jeden Anflug von Erleichterung fest, nachdem Polars Erzählung endet.   

Neun Monate Wachkoma mit Folgen bis heute

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Wer nun denkt, schlimmer geht‘s nimmer, wird eines Besseren belehrt. Reinhold Otto wurde 2002 mit der Fehldiagnose "schmerzhafte Magenschleimhautentzündung" heimgeschickt, um etliche Stunden danach und viel zu spät wegen eines geplatzten Magengeschwürs operiert zu werden. Auf die OP musste der Patient endlos lange warten.

"Er soll sich nicht so anstellen, da muss er durch", hätten die Ärzte seiner Frau gesagt. Neben der Vergiftung des Körpers als Folge des geplatzten Magengeschwürs musste er, wie seine Frau Iris berichtet, einen Herzstillstand vom OP-Saal zur Intensivstation verkraften. Grund:  Sauerstoffunterversorgung. Schuld: die Klinik. Resultat: neun Monate Wachkoma und Folgen bis zum heutigen Tag. Das Reden fällt dem inzwischen 60-Jährigen nach wie vor schwer. Was er hört, kann "ich, Gott sei Dank, nachvollziehen." Teile seines Körpers sind gelähmt, Otto muss mit einem horrenden Sehfehler auskommen. Doch dass er überhaupt lebt und sich unterhalten kann, ist  ein Wunder. Seine Frau berichtet, dass ihr damals erklärt worden sei, ihrem Mann bleibe nur die Pflege. "Er wird nie wieder wach, schwerstbehindert bleiben, Schrumpfhirn."

Unglaublich lange zehn Jahre stritten die Ottos vor Gericht mit der Versicherung des Krankenhauses, die lächerliche 10.000 Euro bot und hinterfotzig andeutete, wenn das Ehepaar das Geld nicht annehme, gehe der Zoff erst richtig los.  "Mir droht man nicht so einfach", sagt Frau Otto. Am Ende konnten sie nach Angaben des ebenfalls anwesenden Rechtsanwalts Boris Meinecke einen sechsstelligen Betrag rausholen. Kein Ersatz für verlorene Jahre und kein Trost für all den Stress. Aber immerhin.

„Alles bestreiten und nicht auf den Patienten zugehen“

Dass die wenigsten Patienten, denen Medizinerpfusch wiederfuhr, klagen, liegt an den noch immer relativ geringen Erfolgschancen und ganz sicher auch an einer Hemmschwelle, den eigenen Arzt in die Pfanne zu hauen. Meinecke, der auf solche Fälle spezialisiert ist, sagt, dass er für die Hälfte seiner Mandanten Erfolge erzielt habe.

Klar wird in der Sendung auch, dass die Versicherungen im Zusammenspiel mit den Ärzten eine bedeutende Rolle spielen, dass die Quote nicht wächst. Der Jurist spricht von einer Igelpolitik der Abschottung: "Alles bestreiten, teilweise Unterlagen fälschen und nicht auf den Patienten zugehen."

Einig sind sich Meinecke und Reinhardt, dass die Dunkelziffer höher liege als die offiziell bekannten Zahlen, die 2014 keinen Zuwachs an Behandlungsfehlern belegen.  Allerdings ist die Statistik seit Jahren umstritten, wie der Chef des Hartmannbundes betont. Er weist daraufhin, dass Fälle von Ärztepfusch - gemessen an den vielen Millionen Eingriffen jedes Jahr - "doch relativ gering" seien.

Das stimmt, macht es aber für Betroffene kein Stück besser. Reinhardt weiß das. Deshalb verzichtet er denn auch auf Versuche, die Erfahrungsberichte der Gäste zu relativieren oder gar zu verharmlosen. Allerdings lässt er es sich nicht nehmen zu sagen: "Von der Pointierung lebt die Talkshow."

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