August Diehl

Filme heilen mich nicht.

August Diehl über Bühnen-Albträume, den Film „Ich bin die andere“, anstrengende PR-Arbeit, seine Sehnsucht nach Stille und dass Schauspielerei viel mit Kontrollverlust zu tun hat

August Diehl

© Concorde Filmverleih

August, du hast in einem Interview mal von einem Traum berichtet, in dem du auf die Bühne kommst, das Theater ist voll, aber du weißt den Text nicht mehr…
Diehl: Ja, das ist so ein typischer Theater-Traum, den hat glaube ich jeder Schauspieler mal. Oder dass man aus der Nullgasse auf die Bühne tritt und plötzlich in einem Stück ist, dass man nicht kennt, wo man auch die Kollegen nicht kennt und nicht weiß, welche Rolle man spielt.

Träumst du so etwas oft?
Diehl: Ja, diese Träume kommen eigentlich immer wieder. Manchmal in langen Abständen, aber ganz verlassen tun die einen nie.

Hängt das damit zusammen, dass die Ängste auch fortbestehen?
Diehl: Das denkt man immer von außen. Aber ich glaube, die geringste Angst eines Schauspielers ist es, den Text nicht mehr zu können. Klar hat man mal Angst davor, dass man einen Hänger hat. Aber diese Träume beziehen sich eigentlich auf etwas anderes: darauf, dass man überhaupt nicht mehr weiß, in welchem System man steckt. Man wird irgendwo reingeworfen, mit Menschen, und muss da drin agieren – man weiß aber nicht wie. Und diese Angst gibt es, dass man nicht weiß, was man tun soll. Dass man dasteht, wie gelähmt und nicht weiß, ob man überhaupt dran ist.

Ist dir so etwas schon mal passiert?
Diehl: Ich weiß noch, es gab in Wien mal so eine Situation, in einer „Möwe“-Inszenierung von Luc Bondy. Ich stand in der Gasse, guckte meinen Kollegen zu und dachte: „Mein Gott, ist das heute eine gute Vorstellung, die sind ja fantastisch. Wahnsinn, so haben die das noch nie gespielt.“ Plötzlich geht es aber nicht weiter und ich frage mich, was los ist. Bis ich dann irgendwann merke: ich hätte auftreten sollen. Und zwar schon vor zwei Minuten. Die haben gewartet, und ich habe einfach zugeguckt und vergessen, dass mein Stichwort schon kam. Da rutscht einem erst mal das Herz in die Hose. Und man ist dann die ganze Szene nur noch auf Adrenalin.

Bei einem Filmdreh kann so etwas ja nicht passieren, weil man jedes Take nach einem Fehler noch mal machen kann. Ist man am Set deswegen entspannter als auf der Bühne?
Diehl: Nein. Im Kleinen stimmt das zwar, man kann ein Take wiederholen. Aber am Ende des Tages ist es unwiderruflich vorbei – während man am Theater viel eher die Chance hat, etwas zu wiederholen. Man hat ja mehrere Vorstellungen und kann eine Rolle auch nach und nach entwickeln. Beim Film weiß ich: am Ende des Abends wird diese Szene vorbei sein. Und dann wird sie so sein, wie du sie gemacht hast und du hast keine Chance mehr, sie zu ändern.

Gab es Film-Szenen, wo du im Nachhinein dachtest: Mist!?
Diehl: Das ist ganz oft so, ja.

Guckst du dir deine Filme an?
Diehl: Ja, aber erst mit langem Abstand. Wenn ich einen Film fertig gedreht habe, braucht es eine lange Zeit, bis ich den unbefangen angucken kann. Weil ich mich sonst noch an so vieles erinnere, was wir wann gedreht haben usw. Bis ich einen Film wirklich so sehen kann, wie er gemeint ist dauert das ein paar Jährchen. Ich weiß noch, dass ich vor etwa einem Jahr noch mal „23“ gesehen habe. Und da hatte ich zum ersten Mal den Eindruck, dass ich den Film richtig sehe. Weil er weit weg war von mir, weil ich mir fremd war und ich auch nicht mehr wusste, wann wir was gedreht haben. So konnte ich richtig in die Geschichte eintauchen konnte. Insofern glaube ich, ist man nicht so gut als Schauspieler, einen Film wirklich zu beurteilen, in dem man mitgespielt hat. Ich zumindest nicht.

Im Film „Ich bin die andere“ spielst du an der Seite von Katja Riemann, die eine Frau mit gespaltener Persönlichkeit darstellt, nachts ist sie eine andere Person als tagsüber. Mich würde interessieren: Gibt es da eine Parallele zum Schauspielerleben, insofern dass man sein Leben aufteilt in einen öffentlichen und einen nicht öffentlichen Part?
Diehl: Auf jeden Fall. Anders hält man das auch nicht durch. Wobei es bei mir nicht so ist, dass ich meine Arbeit und mein Leben voneinander trenne, das ist viel mehr eine starke Einheit. Es kommt aber eine Arbeit hinzu, die ich eigentlich erst durch das Filmemachen kennen gelernt habe: nämlich dieses ganze Publicity- und Presse-Ding, das öffentliche Auftreten, sich präsentieren. Das ist eine Art von Arbeit, die ich mir wirklich antrainieren musste und die für mich ehrlich gesagt die anstrengendste ist und die mir auch am wenigsten Spaß macht. Diese Arbeit funktioniert eigentlich auch nur, wenn man sie ein bisschen trennt von seinem Leben. Wenn da etwas Privates reinrauscht, läuft man völlig aus dem Ruder. Da ist es gut, so eine Art Maske und auch eine andere Art von Persönlichkeit zu haben, als die, die man wirklich ist. Ich kann das zwar nicht so gut, wie einige andere Kollegen, die darin wirklich Profis drin. Aber ich versuche das auch immer mehr zu trennen.

Gehören die Interviews auch zum anstrengenden Teil?
Diehl: Das geht sogar noch. Weil die meisten Interviews ja etwas mit meiner Arbeit zu tun haben. Ich meinte eher Dinge wie Roter Teppich, Anzug, Autogramme geben. Und dann diese andere Sparte von Interviews, wo es nicht um den Film geht, auch nicht wirklich um meine Persönlichkeit, sondern wo man so ausgesaugt wird. Wo Fragen gestellt werden, bei denen es nur darum geht, die Leser zu befriedigen.

Ist die Pressearbeit für einen Schauspieler das notwendige Übel?
Diehl: Ja. Es ist wichtig. Es hat natürlich – auch wenn ich mich gegen das Wort lange gewehrt habe – es hat auch etwas von „Verkaufen“. Man muss ja einen Film, den man gemacht hat, auch verkaufen. Oder präsentieren. – Ich mag das Wort „verkaufen“ immer noch nicht. Aber das ist eigentlich das realistischste, weil es damit zu tun hat.

Glaubst du, Publicity war für deine bisherige Laufbahn entscheidend? Dass du bestimmte Rollen bekommen hast, dass Leute auf dich aufmerksam geworden sind…
Diehl: …durch Publicity? Glaube ich nicht wirklich. Dafür habe ich das dann doch zu wenig gemacht. Ich glaube schon, wenn Leute auf mich aufmerksam werden, hat das mit meiner Arbeit zu tun, mit den Filmen, die ich gemacht habe. Das kommt nicht durch ein Interview, das ich gegeben habe, oder weil ich irgendwo aufgetreten bin. Ich glaube, ich habe per se auch nicht so eine Wirkung auf Leute. Sondern diese Wirkung kommt eher durch meine Arbeit zustande.

Du spielst in „Ich bin die andere“ den Ingenieur Robert Fabri, in dessen Leben zunächst alles in Ordnung scheint. Doch dann hat er diesen Kontrollverlust, er wird völlig verrückt nach dieser einen Frau, lässt alles andere stehen und liegen – hast du selbst mal so eine Erfahrung gemacht?
Diehl: Eigentlich mache ich das ja jedes Mal, wenn ich eine Rolle annehme. Da gebe ich einen Teil meines Lebens auf und tauche in etwas Neues ein. Insofern ist das fast eine alltägliche Sache für mich. Auch gerade Kontrollverlust hat sehr viel mit Schauspielerei zu tun, da hatte ich schon einige Erlebnisse, die in diese Richtung gehen. Nur, was ich im Gegensatz zu Robert Fabri nicht habe, ist dieses abgesicherte Leben. Weil man in diesem Beruf immer hin- und hergerissen ist und ständig mit neuen Menschen und neuen Situationen konfrontiert wird. Und auch man selbst verwandelt sich ja dauernd.

Hast du denn manchmal das Bedürfnis nach einem etwas geordneteren Leben?
Diehl: Es gibt ganz oft Momente, wo ich denke, ich würde gerne aufs Land ziehen. Ich komme ja auch vom Land. Und manchmal stresst mich die Stadt dann doch sehr. Wobei ich es auch liebe, in der Großstadt zu leben. Aber man sehnt sich ja oft nach dem Gegenteiligen. Und dann denke ich, wie schön es wäre, wenn man einfach morgens aufwacht und niemand ruft an, kein Telefon, man geht raus, ist sofort im Wald – diese Sehnsucht gibt es bei mir. Ich weiß aber nicht, ob das was mit ‚geordnet’ zu tun hat. Es hat auf jeden Fall mit einer Sehnsucht nach Stille zu tun.

Vielleicht auch damit, dass dich in der Stadt auf der Straße immer mehr Leute erkennen?
Diehl: Nein, ich werde ja nicht so oft erkannt. Das hat mehr mit dem ständigen Auf-Achse-Sein zu tun, und mit der vielen Arbeit. Und ich sehne mich manchmal nach einem Leben, wie ich es als Kind geführt habe, wo ich auf dem Land großgeworden bin. Vielleicht werde ich das auch irgendwann wieder machen.

Andererseits hast du die Schauspielerei mal als eine „Sucht“ bezeichnet.
Diehl: Ja, die würde mir dann natürlich sehr fehlen.

Gab es bei dir noch andere Dinge im künstlerischen Bereich, die du mal ins Auge fassen wolltest?
Diehl: Schauspieler war eigentlich immer mein Ding, Geschichten erzählen. Ich könnte mir auch vorstellen, irgendwann mal zu inszenieren.

Inwiefern würdest du sagen, braucht man als Schauspieler einen Hang zur Selbstdarstellung?
Diehl: Ich habe manchmal den Eindruck, dass jeder Schauspieler eigentlich aus etwas anderem schöpft. Manche schöpfen aus der Selbstdarstellung, manche schöpfen aus einer komischen Selbstneugier, manche sogar aus einer Schüchternheit heraus – und trotzdem ist da eigentlich bei allen die eine Frage: Was ist mit mir? Eine gewisse Neugier auf sich selbst ist schon Voraussetzung.

Du lernst dich mit jedem neuen Film oder Theaterstück immer besser kennen?
Diehl: Ja, bestimmt. Und ich verliere mich aber gleichzeitig auch wieder. Das ist so eine komische Wechselwirkung.

Hat dich ein Film auch schon mal persönlich weitergebracht, dein Leben verändert?
Diehl: Nein. Filme heilen mich jetzt nicht unbedingt. Ich bin auch kein Schauspieler, der sagen würde, ich mache das aus therapeutischen Gründen. Es sind dann eher die Menschen, denen ich begegnet bin, die mich verändert und geprägt haben.

Wie ist das mit dem Publikum? Beim Theater ist es da, beim Film ja erst mal nicht…
Diehl: Ja, das ist der große Unterschied. Das war auch erst mal schwer für mich zu akzeptieren. Dass man einen Film erst nach einem Jahr sieht, dann erst die Reaktionen kriegt – wo man biografisch aber schon an einem ganz anderen Punkt ist. Lob und Kritik sind dann eigentlich wie so ein Echo aus einer anderen Zeit und man denkt einfach: Das hättet ihr mir vor einem Jahr sagen können. Ansonsten bin ich aber im Moment unglaublich froh, was das Publikum angeht und darüber, dass viele offenbar nachempfinden können, wie ich meine Rollen erlebe. Und dass ich überhaupt in Deutschland die Möglichkeit habe, Filme zu machen. Das hängt ja vor allem mit dem Publikum zusammen.

Auf der Berlinale 2006 warst du in dem Film „Slumming“ zu sehen, und es gibt zu „Ich bin die andere“ diese eine Parallele: du fährst in beiden Filmen ein wahnsinnig protziges Auto.
Diehl: Ja, stimmt! (lacht) Zwei Autofahr-Filme. Ich selbst bin aber ehrlich gesagt kein Auto-Freak.

Für andere Menschen sind Autos ein wichtiges Status-Symbol, wofür sie viel Geld ausgeben – wofür gibst du so richtig viel Geld aus?
Diehl: Ich gebe unglaublich viel Geld für CDs aus. Und für DVDs. Wobei man das alles ja inzwischen auch aus dem Internet kriegt. Aber ich bin da irgendwie altmodisch – und auch nicht wirklich zu stoppen. Für diese Sachen gebe ich echt viel aus. Und für Essen.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Diehl: Tja, gute Frage. (überlegt lange) Vielleicht am ehesten Troubadix. Der nervt die anderen immer, weil er so viel redet und so viel singt. Den mochte ich schon immer.

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