Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph, [Aus:] Philosophie der Offenbarung, 10. Vorlesung - Zeno.org

Zehnte Vorlesung

[737] Stets habe ich gesucht, auch wenn meine Vortrage auf einen speziellen Gegenstand sich bezogen, sie so einzurichten, da� sie zugleich als eine Einweihung in die h�here Philosophie selbst betrachtet werden konnten. Von dieser Gewohnheit werde ich nun allerdings auch diesmal nicht abgehen. Ich werde nichts, was zum Verst�ndnis des folgenden Vertrags erforderlich ist, blo� stillschweigend voraussetzen. Ich werde also eigentlich nichts voraussetzen – nichts als diejenige logische Bildung, diejenige F�higkeit zum Denken, die zum Verst�ndnis jedes Vertrags, ja zu dem Studium der Logik selbst erforderlich ist. Ich werde so anfangen, da� jeder mir folgen kann, also ganz von vorn. Ich werde daher von den ersten Anf�ngen der Philosophie ausgehen, und diese dann bis zu dem Punkt f�hren, von welchem aus ein unmittelbarer �bergang in den besonderen Gegenstand dieses Vertrags m�glich ist.

Wenn man die Philosophie als die schlechthin von vorn anfangende Wissenschaft erkl�rt, so l��t sich dieses zun�chst subjektiv verstehen, n�mlich etwa so: In der Philosophie m�sse man mit jedem auf das m�glichste Minimum der Erkenntnis oder gar auf das v�llige Nichtwissen zur�ckgehen. Es m�chte nun zwar jeder, der in irgend einer Zeit zur Philosophie kommt, besonders aber derjenige, der seine ersten Begriffe unter den Einfl�ssen einer alles anregenden, �ber alles redenden, aber �ber weniges oder[737] nichts zur Klarheit gelangten Zeit gebildet hat – ein solcher besonders m�chte gar vieler Vor�bungen bed�rfen, um von der Verwirrung seiner blo� zuf�llig gebildeten Begriffe und den Angew�hnungen falscher Denkverkn�pfungen oder eines alles vermengenden Sprachgebrauchs vor allem befreit und so f�r da; wahre Wissen empf�nglich gemacht zu werden. Aber diese Vor�bungen, deren subjektive Notwendigkeit in die Augen f�llt, sind nicht die Philosophie in ihrer Objektivit�t, und die Philosophie selbst scheut sich keineswegs, bei ihrem ersten Auftreten, ja schon mit ihrem Nehmen die h�chste Forderung auszusprechen. Sie k�ndigt sich nicht als eine Wissenschaft an, die auf geratewohl, n�mlich ohne eigentlich zu wissen, was sie wolle, oder etwa auch mit dem Vorsatz anf�ngt, sich allem blindlings zu unterwerfen, was durch eine gewisse Art der Gedankenverkn�pfung herauskomme; sie k�ndigt sich vielmehr an als Wissenschaft, die einen bestimmten Zweck vor Augen hat, die etwas Bestimmtes erreichen will, und keineswegs gesonnen ist, auch das f�r wahr und f�r richtig gefunden zu halten, sich auch dem zu unterwerfen, was jenem entschiedenen Wollen widerstreitet oder gar wider spricht. Sie macht daher ganz unverhohlen zum voraus eine Forderung an sich selbst; sie verlangt von sich selbst, da� sie etwas Gewisses leisten oder erf�llen solle. Sogar der blo�e Zusehende ist nicht gleichg�ltig bei dem, was die Philosophie etwa herausbringe, er schreibt sich ein Urteil �ber die Sache zu, wenn auch nicht �ber die Mittel, mit denen sie zustande gebracht worden. Cervantes erz�hlt von einem Maler zu Ocanna, der, wenn man ihn fragte, was er male, antwortete: �was herauskommt�. Indes hat die Malerei noch immer eine gro�e Freiheit. Ob sie eine Kirche oder (wie manche Niederl�nder) eine K�che, eine gro�e heroische Handlung oder einen Jahrmarkt malt, immer erf�llt sie ihren Beruf. So ist es nicht mit der Philosophie. Keiner, auch von denen, die �brigens durchaus keinen Anspruch machen selbst zu philosophieren, wird z.B. zugeben, da� eine wesentlich unsittliche, alle Gr�nde der Sittlichkeit in sich aufhebende Lehre Philosophie sei, gesetzt selbst diese Lehre sei mit ungemeinem Scharfsinn, einer Konsequenz und mit einem Schein von Wahrheit vorgetragen, den er sich selbst �berwinden zu k�nnen nicht zutraut. Manche Schriftsteller, die �brigens[738] eher unter die erbaulichen, als unter die philosophischen zu rechnen sind, haben sich begn�gt, philosophische Systeme vorz�glich von der sittlichen Seite anzugreifen. Indem sie aber auf das Wissenschaftliche derselben sich nicht einlie�en und dieses stillschweigend vor�bergingen oder gar gelten lie�en, zeigten sie die seltsame Meinung, als k�nnte ein �berlegener Verstand auch etwa das wesentlich Unsittliche wahr machen. So kamen sie denn zuletzt dahin, den Verstand in ein v�llig feindliches Verh�ltnis gegen alles zu bringen, was sie h�here Erkenntnis nannten, besonders gegen die religi�se und sittliche �berzeugung, so da� am Ende diejenige Philosophie f�r die religi�seste und sittlichste h�tte gelten m�ssen, welche dem Verstand den geringstm�glichen Einflu� auf sich verstattete. Aber so seltsam ist der Mensch nicht organisiert. Man kann sich �berzeugt halten, und es ist Pflicht �berzeugt zu sein, da� alles Unsittliche auch an sich und in seiner Wurzel schon unverst�ndig ist, und umgekehrt gerade das, was der h�chste Verstand erkennt, seinem Innersten Wesen nach sittlich und mit allen sittlichen Forderungen �bereinstimmend sein mu�1.

Wenigstens darin stimmen alle �berein, da� die Philosophie etwas Vern�nftiges herausbringen m�sse. Sie gestehen also damit auch einen Zweck und ein Wollen ein. Die Frage, die sich �ber das Vern�nftige erheben kann, ist nicht, ob man es wolle, sondern diese: was im gegebenen Fall das Vern�nftige sei. Denn obwohl man behaupten kann, da� alles Wirkliche, soweit es ein wahrhaft Wirkliches ist, am Ende auch auf irgend eine Weise vern�nftig sein m�sse, so ist doch dieses Vern�nftige in gar vielen F�llen ein so unendlich Vermitteltes, da� es mit blo�er oder, wie man zu sagen pflegt, reiner Vernunft nicht als ein solches zu erkennen ist. In vielen F�llen ist das Vern�nftige nur, was aus der gegenw�rtigen, einmal eingesetzten Ordnung der Dinge mit Notwendigkeit folgt. Hier reicht also die blo�e Vernunft nicht zu, es mu� auch die Kenntnis der wirklichen Verh�ltnisse, die Erfahrung hinzukommen. Die Welt, wie sie ist, sieht nach nichts weniger aus als nach einem Werk der reinen Vernunft. Gar vieles[739] ist in ihr, das keineswegs blo�e Folge der Vernunft, sondern nur Folge der Freiheit sein zu k�nnen scheint. Man kann insofern noch immer mit gr��erer Richtigkeit sagen, das Absehen der Philosophie gehe auf das Sittliche, als es gehe auf das Vern�nftige.

Da� das Wollen, welches die Philosophie leitet, und selbst wenn es nicht zum klaren Bewu�tsein kommen sollte, wenigstens als ein Trieb wirkt, der die Philosophie nach einem bestimmten Ziele hintreibt, da� dieses Wollen mehr ein sittliches Wollen ist, kann man auch noch aus einem andern Umstand schlie�en, n�mlich aus der Erscheinung, da� in Sachen der Philosophie oder philosophischer Systeme der Vorwurf der Unwahrheit oder des Irrtums anders empfunden wird als in irgend einem andern Wissen. Denn wer einem andern sein philosophisches System angreift, greift im Grunde nicht blo� seinen Verstand, sondern zugleich seinen Willen an. Daher kommt es, da� in philosophischen Streitigkeiten von jeher eine eigent�mliche Leidenschaftlichkeit bemerklich geworden ist. Wer �berwiesen wird, in der Philosophie das Rechte, d.h. das was eigentlich zu erreichen war, nicht erreicht zu haben, der f�hlt sich immer dadurch zugleich in seinem moralischen Wert verk�rzt, wie es denn allerdings ganz richtig ist: Wie der Mensch, so seine Philosophie.

Schon der Name Philosophie enth�lt, da� sie wesentlich ein Wollen ist. Philosophie hei�t Liebe, Streben nach Weisheit Also nicht jede Erkenntnis, gleichviel welchen Inhalts, sondern nur die Erkenntnis, welche Weisheit ist, gen�gt dem Philosophen. Der gemeine Sprachgebrauch selbst unterscheidet Weisheit von Klugheit. Klugheit wird schon demjenigen zugeschrieben, der sich vor �bel zu h�ten wei�. Soweit ist Klugheit etwas blo� Negatives. Sie geh�rt allerdings, wie zu allen menschlichen Gesch�ften, ebenso auch zur Philosophie, und zu dieser zwar ganz vorz�glich. Initium sapientiae stultitia caruisse. Es geh�rt gro�e Vorsicht, Erfahrung, ja eine wahre Schlangenklugheit dazu, sich vor dem Irrtum zu h�ten, da der Verleitungen zu demselben so viele und zahlreiche sind, die den Unerfahrenen gleichsam auf allen Punkten umgeben. Aber soweit hat die Klugheit die blo�e Bedeutung eines Mittels. Man nennt im Allgemeinen denjenigen klug, der zu seinen[740] Zwecken die k�rzesten und sichersten Mittel ebenso geschickt zu w�hlen als geschickt anzuwenden versteht, gleichviel von welcher Art diese Zwecke seien, ob sittlich oder unsittliche, und ob die Mittel an sich verwerflich seien oder Billigung verdienen. Klugheit vertr�gt sich also auch mit Zwecken, die an sich eigentlich keine Zwecke sind, denn nie kann das Unsittliche ein wahrer Zweck sein. Weisheit wird man demjenigen nicht zuschreiben, der entweder unsittliche, oder auch an sich l�bliche Zwecke mit unsittlichen Mitteln erreichen will, ein solcher sieht nie auf das wahre Ende, auf das eigentlich zuletzt oder in letzter Instanz sein Sollende hinaus, sondern nur auf das jetzt und zun�chst M�gliche. Weisheit also richtet sich nach dem zuletzt allein Bestehenden oder bestehen K�nnenden, was eben das wahre, n�mlich nicht ein selbst blo� vor�bergehendes, sondern das bleibende Ende ist. Weisheit setzt also Erkenntnis dieses wahren Endes voraus. Aber ohne Erkenntnis des Anfangs gibt es auch keine Erkenntnis des Endes, und was sein Ende nicht finden kann, z.B. eine Rede, hat eigentlich nie seinen Anfang gefunden. Weisheit setzt also eine vom wahren Anfang bis ins wahre Ende hinausgehende Erkenntnis voraus. Der Mensch findet sich im Beginn seines Daseins gleichsam in einen Strom geworfen, dessen Bewegung eine von ihm unabh�ngige ist, der er unmittelbar nicht widerstehen kann, und die er zun�chst blo� leidet; dennoch ist er nicht bestimmt, sich von diesem Strom wie ein totes Objekt blo� fortziehen oder fortrei�en zu lassen, er soll den Sinn dieser Bewegung verstehen lernen, um ihr selbst in diesem Sinn f�rderlich zu sein, und nicht etwa mit vergeblicher Anstrengung sich entgegenzustemmen, ferner um genau unterscheiden zu k�nnen, was unabh�ngig von ihm diesem Sinn gem�� oder zuwider geschieht, nicht um das Letzte immer direkt zu bestreiten, sondern um das B�se wo m�glich selbst zum Guten umzulenken, und die Kraft oder Energie, die das nicht sein Sollende entwickelt, selbst f�r die wahre Bewegung zu benutzen. Gesetzt nun aber, der Mensch h�tte sich durch die m�glich tiefste Nachforschung �berzeugt, da� diese Bewegung schon in ihrem Anfang eine v�llig blinde sei, und eben darum auch entweder gar kein Ende habe, v�llig zwecklos[741] ins Unendliche fortschreite (die Geschichte kein Ziel habe), oder da� das Ende ein solches sei, das nur blindlings, infolge einer blinden Notwendigkeit erreicht wird, so w�rde er auch alsdann, wenn er nicht etwa den unnat�rlichen Kampf des Stoikers gegen das unbezwingliche Schicksal k�mpfen wollte, sich wohl entschlie�en, dieser unerbittlichen und unabwendlichen Bewegung sich zu unterwerfen und in seinem Tun soviel m�glich anzuschlie�en, aber dieser Entschlu� h�tte dann offenbar mehr den Charakter der Klugheit als den der Weisheit. Soll also der Mensch sein Leben weislich, d.h. mit Weisheit, einrichten, so mu� er voraussetzen, da� auch in jener Bewegung selbst Weisheit sei. Denn nur dann kann er sich ihr mit freiem Selbstwollen, d.h. als ein Weiser, hingeben und unterordnen.

Verlangt der Mensch eine Erkenntnis, die Weisheit ist, so mu� er voraussetzen, da� auch im Gegenstand dieser Erkenntnis Weisheit sei. Es ist ein Axiom, das sich schon aus den �ltesten Zeiten der griechischen Philosophie herschreibt: �wie das Erkannte, so das Erkennende�, und umgekehrt. Das schlechthin Erkenntnislose k�nnte auch durchaus nicht erkannt werden, d.h. Gegenstand der Erkenntnis sein. Alles was Gegenstand der Erkenntnis ist, ist dies nur soweit, als es selbst die Form und das Gepr�ge des Erkennenden schon an sich tr�gt, wie jedem einleuchten mu�, der auch nur die Kantsche Theorie der Erkenntnis etwas geistreicher als gew�hnlich aufzufassen versteht. So auch die Weisheit. Es gibt keine Weisheit f�r den Menschen, wenn im objektiven Gang der Dinge keine ist. Die erste Voraussetzung der Philosophie als Streben nach Weisheit ist also, da� in dem Gegenstand, d.h. da� in dem Sein, in der Welt selbst Weisheit sei. Ich verlange Weisheit, hei�t: ich verlange ein mit Weisheit Voraussicht, Freiheit besetztes Sein. Die Philosophie setzt ein, nicht wie es sich trifft, sondern ein gleich anfangs mit Weisheit, mit Voraussicht, und also mit Freiheit entstehendes Sein voraus. Hieraus ergibt sich aber das folgende Allgemeine. Es kann �berhaupt nicht die Absicht der Philosophie sein, innerhalb des einmal gewordenen Seins stehen zu bleiben, sie mu� �ber dieses Sein, das wirkliche, das gewordene, das zuf�llige hinausgehen k�nnen, um es zu begreifen.[742]

Hiermit habe ich Sie denn zugleich in den eigentlichen Anfang der Philosophie gestellt. Der Anfang der Philosophie ist, was vor dem Sein ist, versteht sich vor dem wirklichen, und ich bitte Sie nun, Ihre Aufmerksamkeit ganz diesem Begriff �dessen was vor dem Sein ist� zuzuwenden. Nun scheint es aber gleich, da�, was vor dem Sein ist, soweit es vor dem Sein ist, eigentlich selbst noch nichts ist, n�mlich nichts im Vergleich mit dem, was hernach sein wird, oder im Verh�ltnis zu dem Sein, �ber das wir eben hinausgegangen sind, das wirkliche. Obgleich aber hinausgegangen �ber das Sein, betrachten wir das, was vor dem Sein ist, doch nur in bezug auf eben dieses Sein, denn ein anderes Mittel es zu bestimmen oder zu erkennen, gibt es f�r uns nicht. Und da wir es denken oder setzen, eigentlich nicht zun�chst um es selbst und an sich kennen zu lernen, sondern um das Sein aus ihm zu begreifen, so ist es f�r uns auch voll kommen hinreichend, es vorerst nur in bezug auf dieses Sein zu bestimmen. In bezug auf dieses Sein ist es aber ganz Zukunft, es ist das noch nicht Seiende, aber das sein wird. Der Ausgangspunkt der Philosophie ist soweit nicht das schon Seiende, sondern das, was sein wird, und unsere n�chste Aufgabe ist nun eben in dessen Wesenheit einzudringen, oder es nach diesem Begriff des absolut Zuk�nftigen – dessen was sein wird – n�her zu bestimmen. Hier scheint es nun aber: das, was sein wird, k�nne seiner Natur nach, und wenigstens in unserem ersten Denken, nichts anderes sein als das unmittelbar sein K�nnende. Es wird sich nachher anders finden, aber eben dieses mag als Beispiel dienen, wie wenig in der Philosophie dem ersten Gedanken zu trauen, wie jeder erst durch den Erfolg zu erproben ist. Unter dem unmittelbar Seink�nnenden ist nichts anderes zu denken als das, was, um zu sein, schlechterdings nichts anderes voraussetzt als sich selbst, das, um zu sein, nichts bedarf, als zu wollen, dem zwischen Sein und Nichtsein nichts in der Mitte steht, als eben dieses Wollen.

Ich wiederhole diesen Anfang.

Die erste Forderung an den, der zur Philosophie angeleitet[743] zu werden verlangt, ist, da� er sich �ber das vorhandene und schon bestehende Sein hinweg an die Quelle alles Seins versetze. Hierauf kann er nun, wie der Sch�ler im Faust, antworten:


An dieser Quelle will ich gerne hangen,

Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?


N�mlich wie soll ich es anstellen, diese Quelle des Seins selbst zu denken, meiner Vorstellung von ihr einen wirklichen Inhalt zu geben? Denn ich sehe wohl: alle diejenigen Begriffe, durch welche wir das schon vorhandene Sein bestimmen, m�ssen auf die Quelle des Seins unanwendbar sein. Ein Mittel zu ihrer Bestimmbarkeit ist jedoch gegeben. Denn obgleich vor und au�er allem Sein gedacht, ist sie doch nicht ohne Bezug auf das Sein. Die Quelle des Seins ist zu bestimmen als das allerdings noch nicht Seiende, aber, das sein wird. Das n�chste Verh�ltnis aber dieses noch nicht Seienden, das jedoch der Voraussetzung nach sein wird, zu dem Sein, ist: das Seink�nnende zu sein, wobei ich bitte, diesen Begriff nicht so zu denken, wie er von zuf�lligen Dingen gebraucht wird; es ist nicht ein abh�ngiges oder bedingtes, sondern das unbedingte Seink�nnende hier gemeint. �Das, was sein wird, ist das unmittelbar ohne alle Vermittlung sein K�nnende� hei�t: es bedarf, um in das Sein zu gelangen, nichts als des blo�en Wollen. Zu diesem Begriff des Wollens sind wir schon darum berechtigt, weil jedes K�nnen eigentlich nur ein ruhender Wille ist, sowie jedes Wollen nur einwirkend gewordenes. K�nnen. Man unterscheidet in der Philosophie potentia und actus. Die Pflanze in statu potentiae – im Stande der blo�en M�glichkeit – ist der Keim; die sich entwickelnde, oder auch die schon entwickelte Pflanze ist die Pflanze in actu. Nun aber ist das Seink�nnende, von dem hier die Rede ist, nicht eine solche bedingte, es ist die unbedingte potentia existendi, es ist das, was unbedingt und ohne weitere Vermittlung a potentia ad actum �bergehen kann. Nun kennen wir aber keinen andern �bergang a potentia ad actum als im Wollen. Der Wille an sich ist die Potenz kat' exoch�n, das Wollen der Aktus kat'exoch�n. Der �bergang[744] a potentia ad actum ist �berall nur �bergang vom Nichtwollen zum Wollen. Das unmittelbar Seink�nnende also ist dasjenige, was, um zu sein, nichts bedarf, als eben vom Nichtwollen zum Wollen �berzugehen. Das Sein besteht ihm eben im Wollen; es ist in seinem Sein nichts anderes als Wollen. – Kein wirkliches Sein ist ohne ein wirkliches, wie immer n�her modifiziertes, Wollen denkbar. Da� irgend etwas ist, also das Sein irgend eines Dings erkenne ich nur daran, da� es sich behauptet, da� es anderes von sich ausschlie�t, da� es jedem anderen, in es einzudringen oder es zu verdr�ngen Suchenden Widerstand entgegensetzt. Das absolut Widerstandlose nennen wir Nichts. Was Etwas ist, mu� widerstehen. Das Wort Gegenstand selbst, mit dem wir das Reelle in unserer Erkenntnis bezeichnen, sagt eigentlich nichts als Widerstand oder ist ebensoviel als Widerstand. Widerstand aber liegt eigentlich blo� im Wollen, nur der Wille ist das eigentlich Widerstehende, und zwar das unbedingt Widerstandsf�hige in der Welt, daher eigentlich das Un�berwindliche. Selbst Gott, darf man sagen, kann den Willen nicht anders als durch ihn selbst besiegen.

Die Unterschiede, die wir zwischen den Dingen wahrnehmen, bestehen nicht darin, wie es auf den ersten Blick scheinen k�nnte, da� einige absolut willenlos, andere dagegen mit Willen begabt oder wollend sind. Der Unterschied besteht nur in der Art des Wollens. Z.B. der sogenannte tute K�rper will eigentlich nur sich, er ist von sich selbst gleichsam ersch�pft und eben darum impotent nach au�en, wenn er nicht exzitiert wird, er ist von sich ges�ttigt (so mu� er also ein Leeres sein), von sich selbst erf�llt, daher er auch nichts weiter ist als eben der erf�llte Raum, d.h. die erf�llte Leere, das erf�llte Wollen, denn alles Wollen ist eigentlich eine Leere, ein Mangel, gleichsam ein Hunger; der tote K�rper besteht durch ein blo� selbstisches, an sich selbst sich ersch�pfendes und schon darum blindes Wollen. Der tote K�rper hat genug an sich, und will nur sich. Das Tier, schon die lebendige Pflanze, der man ja einen Lichthunger zuschreibt, will etwas au�er sich, der Mensch will etwas �ber sich. Das Tier ist durch sein Wollen au�er sich gezogen, der Mensch im wahrhaft menschlichen Wollen �ber sich gehoben.[745]

Der Unterschied zwischen dem blo� nat�rlichen Widerstand, den ein K�rper dem auf ihn Eindringenden leistet, und den ein menschlicher Wille dem Zwang oder selbst den reizendsten Lockungen entgegensetzt, der Unterschied dieses Widerstandes ist nicht ein Unterschied der Kraft selbst; wie lie�e sich dies denken? Die Kraft ist in beiden dasselbe, in beiden Wille, nur da� im blo� nat�rlichen Widerstand blinder Wille, im moralischen Widerstand freier, besonnener Wille ist, der ja �brigens da, wo die Kraft eines starken, ausgesprochenen Charakters hinzukommt, selbst die Natur eines gleichsam blinden annimmt, und mit derselben Sicherheit und Entschiedenheit wie ein blinder wirkt. – Also Wille ist �berall und in der ganzen Natur von der tiefsten bis zur h�chsten Stufe. Wollen ist die Grundlage aller Natur. Jenes urspr�nglich Seink�nnende aber, dem der �bergang vom nicht Sein zum Sein nur ein �bergang vom nicht Wollen zum Wollen ist, kann in seinem Sein auch nichts anderes sein als eben ein aktiv gewordener, gleichsam entz�ndeter Wille. Nichtwollen ist ein ruhendes, Wollen ein entz�ndetes Feuer, wie wir selbst im gemeinen Leben von einem Feuer des Wollens, der Begierde reden. Das urspr�ngliche Sein besteht daher blo� in einem entz�ndeten Wollen; �berall, wo ein zuvor ruhendes, insofern blo� potentielles und unf�hlbares Sein sich f�hlbar macht, jede erste Seins-Entstehung, namentlich in der organischen Natur, ist Entz�ndung oder von Entz�ndung begleitet.

Alle diese Erl�uterungen waren blo� n�tig, um den Sinn und das ganze Gewicht jener eisten Bestimmung einzusehen, der Bestimmung: das, was vor dem Sein, ist oder das, was sein wird (dieses eigentlich noch v�llig Unbestimmte, das wir eben erst zu bestimmen suchen), ist das unmittelbar Seink�nnende. Nachdem nun aber erkl�rt ist, was unter dem unmittelbar Seink�nnenden zu verstehen ist, l��t sich leicht einsehen (hiermit gehe ich zu einer neuen Bestimmung �ber), da�, auf diese Weise bestimmt, das, was vor dem Sein ist, nicht eigentlich ein zu sein oder nicht zu sein Freies, und also (da es bei ihm blo� um Sein und Nichtsein sich handelt) �berhaupt kein freies sein k�nnte. Ich sage: wenn das, was sein wird, nichts [746] anderes als das unmittelbar Seink�nnende ist, so kann es nicht das frei in das Sein sich Bewegende sein. Denn einer solchen unmittelbaren potentia existendi ist es vielmehr nat�rlich sich in das Sein zu erheben; sie h�tte eigentlich gar keine Wahl, ins Sein �berzugehen oder nicht �berzugehen; sie w�re durch nichts vom Sein abgehalten oder abzuhalten, ja wir m��ten uns wundern, sie nicht schon immer �bergegangen zu finden; wir k�nnten sie eigentlich als potentia existendi, wir k�nnten sie eben darum als das, was sein wird, nicht festhalten, sie w�re schon immer Seiendes, und zwar, wie leicht einzusehen, blind Seiendes. Denn es ist einleuchtend, da� jener Wille, wenn er sich einmal erhoben, einmal entz�ndet hat, nicht mehr sich selbst gleich ist. Er ist nicht mehr, was sein und nicht sein kann, sondern was sein und nicht sein konnte. Ein gr��erer Umsturz l��t sich nicht denken. Alles, von dem wir sagen, da� es sein und nicht sein konnte, ist nur ein zuf�llig Seiendes, aber eben dem zuf�llig Seienden wird sein Sein zur Notwendigkeit, d.h. es ist das nicht mehr nicht sein K�nnende, in diesem Sinn also das notwendig Seiende. Wie der Mensch ein anderer ist vor der Tat, gegen die er sich noch frei verh�lt, und nach vollbrachter Tat, wo diese f�r ihn selbst zur Notwendigkeit wird, sich gegen ihn umwendet und nun ihn sich unterwirft, so ist das unmittelbar Seink�nnende im Sein nicht mehr reines Wesen (Wesen ist eben das, was sich noch kein Sein zugezogen, was noch unbefangen ist mit dem Sein – frei gegen das Sein) – so also ist das unmittelbar Seink�nnende im Sein nicht mehr das vom Sein freie, Sein-lose Wesen, sondern es ist das mit dem Sein gleichsam Geschlagene und Behaftete, das au�er sich, n�mlich das au�er seinem K�nnen Gesetzte, das sich selbst gleichsam verloren hat und nicht mehr in sich selbst zur�ck kann, das au�er sich Seiende in demselben Sinn, in welchem man von einem Menschen sagt, er sei au�er sich, n�mlich seiner selbst nicht m�chtig, er habe sein K�nnen verscherzt. Mit nichts (im Vorbeigehen zu sagen) soll der Mensch sparsamer sein als mit seinem K�nnen, denn darin besteht seine wahre Kraft und St�rke, und was er als K�nnen in sich bew�hrt, das eben ist sein unsterblicher, sein nicht zu verlierender Schatz, aus dem er[747] sch�pfen, aber den er nicht ersch�pfen soll. Das unmittelbar Seink�nnende au�er sich, d.h. au�er seinem K�nnen, gesetzt, ist also das seiner selbst Ohnm�chtige, Besinnungslose, to existamenon, das durch eine falsche Ekstasis au�er sich Gesetzte und in diesem schlechten Sinn Existierende.

Das unmittelbar Seink�nnende, inwiefern es dies ist, ist noch Quelle des Seins, hat es sich aber einmal in das Sein erhoben, so ist es zwar Seiendes, aber das aufgeh�rt hat Quelle des Seins zu sein, und auch nicht wieder dahin zur�ck kann; es hei�t hier: facilis descensus Averni; sed revocare gradum – das eben w�re ihm unm�glich. Es ist jetzt das nicht mehr nicht sein K�nnende. Aber die eigentliche Freiheit besteht nicht im sein-, nicht im sich �u�ern- – sondern im nicht sein-, im sich nicht �u�ern-K�nnen, wie man den Besonnenen mehr erkennt an dem, was er nicht tut, als an dem, was er tut. Als das, was es ist, als reines Seink�nnendes, k�nnte es sich im wirklichen Sein niemals habhaft werden. Es ist also immer nur das auf Kosten seiner selbst, d.h. mit Verlust seiner selbst, Seiende. Es ist auf eine Spitze gestellt, wo es sich gleichsam keinen Augenblick erhalten kann. Wir k�nnten also selbst dies, wovon wir ausgegangen sind, da� der Anfang das Seink�nnende ist, da� also das Seink�nnende Ist, selbst dieses K�nnten wir nicht mit Entschiedenheit aussprechen. Das, was sein wird, ist das Seink�nnende und ist es auch nicht. Es ist's n�mlich, wenn es sich nicht bewegt, nicht erhebt in das Sein, es ist's nicht, n�mlich es ist's nicht so, da� es nicht auch das Gegenteil, das blindlings Seiende sein k�nnte. Wenn es aber Einmal kann, warum ist es nicht von jeher �bergegangen, da es ihm nat�rlich ist sich in das Sein zu bewegen, wenn es nicht durch einen entgegengesetzten Willen davon abgehalten ist? Da es also blo�, oder f�r sich, oder absolut gesetzt, gar nicht festzuhalten ist, so w�rden wir es gar nicht mehr als Seink�nnendes antreffen, wir wurden es gleich nur finden im Sein, als ein Sein, das seinen eignen Anfang verschlungen, sich selbst als Wille, als Ursache vernichtet h�tte – als Sein, dem wir eben darum selbst keinen Anfang w��ten.[748]

Wenn wir also das, was sein wird, als solches denken, wenn wir es �berhaupt als Seink�nnendes festhalten, setzen wollen (was zun�chst unsere Absicht ist), so k�nnen wir es nicht blo� als das Seink�nnende denken, wir m�ssen aussprechen, da� es mehr ist als nur dieses. Indem wir sagten: das, was sein wird, oder das Wesen (denn das Wesen ist noch au�er und �ber dem Sein) indem wir sagten: das Wesen ist unmittelbar das Seink�nnende, haben wir uns nicht anheischig gemacht, da� es nicht mehr als dieses sein soll. Nun entsteht aber die Frage, was es denn au�erdem sein k�nnte; und davon jetzt!

Wir haben es also primo loco gesetzt als das nur Seink�nnende – in beiderlei Sinn, als nicht Seiendes und ferner als das nur �bergehen K�nnende – als solches hat es ein unmittelbares Verh�ltnis zum Sein. Ein solches unmittelbares Verh�ltnis kann nun aber nicht zum zweitenmal gesetzt werden. Sein n�chstes Verh�ltnis zum Sein wird schon nur ein mittelbares sein k�nnen. Wenn es primo loco, d.h. in seinem unmittelbaren, unvermittelten Verh�ltnis zum Sein, das Seink�nnende ist, so wird es secundo loco nur als das nicht Seink�nnende zu bestimmen sein. Damit wird aber nichts gesagt sein, wenn wir es nicht sogar als das Gegenteil des Seink�nnenden bestimmen. Das Gegenteil des Seink�nnenden, welches in so fern das nicht seiende ist – das Gegenteil des Seink�nnenden ist aber das rein Seiende.

Um sich dieses ganz deutlich zu machen, �berlegen Sie Folgendes.

Wir hatten das, was vor dem Sein ist, bestimmt als das Seink�nnende. Nun zeigte sich aber das Seink�nnende als das f�r sich nicht Festzuhaltende, als die eigentliche natura anceps. Eben darum gingen wir zu einer zweiten Bestimmung �ber. Der Sinn oder die Absicht unseres �bergangs war also, das Seink�nnende als Seink�nnendes festzuhalten, es vor dem �bertritt in das Sein zu bewahren. Wir wollen es als Seink�nnendes, hei�t: wir wollen, da� es als potentia pura, als reines K�nnen, als K�nnen ohne Sein stehen bleibe. Dies kann es aber nur, wenn[749] es zum Ersatz gleichsam des Seins, das es annehmen, sich zuziehen k�nnte, und das also ein blo� zugezogenes sein w�rde, wenn zum Ersatz dieses zuf�lligen Seins Es selbst auch an und f�r sich schon, d.h. ohne sein Zutun, das rein Seiende ist. Als das blo� Seink�nnende w�rde es vor allem Denken, oder, wie die deutsche Speiche vortrefflich sich ausdr�ckt, unvordenklicher Weise in das Sein �bergehen; es kann also nicht blo� Seink�nnendes sein, oder es bleibt nur insofern als Seink�nnendes stehen, als es in diesem Stehenbleiben ebensowohl das rein, d.h. das unendliche, von keinem K�nnen begrenzte Seiende ist. – Dies ist also ein neuer Punkt unserer Entwicklung, wobei ich nur noch eine Bemerkung �ber den Gang der Philosophie einstreuen will, da� n�mlich jedes Moment dieser Bewegung erst vollkommen verstanden wird im Weggehen von demselben, ungef�hr wie der Mensch einen fr�heren Moment seines Lebens besser begreift, wenn er ihn verlassen hat und in einen folgenden �bergegangen ist, als in jenem Moment, weswegen man eben in der Philosophie, wo die rechte Idee nur sukzessiv erzeugt werden kann, das Ganze erwarten mu�, um das Einzelne vollkommen zu verstehen.

Die erste Schwierigkeit nun, die Sie bei diesem �bergang finden m�ssen, wird unstreitig folgende sein. Sie werden mich fragen: Wie kann eben das, von dem wir annehmen, es sei vor und �ber dem Sein – oder wie kann eben das, von dem wir bisher gar nicht anders gesprochen haben, als von einem vor und �ber dem Sein zu Denkenden, wie kann eben dieses dennoch zugleich als das rein Seiende bestimmt werden? Hierauf will ich nun also Folgendes bemerken: n�mlich 1. da� wir �berhaupt nicht gemeint sein konnten, das, was vor und �ber dem Sein gedacht wird, darum als das �berall nicht und auf keine Weise Seiende zu denken. Es ist nur gegen das sp�ter hervortretende Sein als nichts, in sich aber nicht nichts, es ist nur nicht indem Sinn, wie das, was nachher sein wird. Schon das Seink�nnende ist ja eben darum, weil es dies ist, nicht nichts, es ist das nicht actu Seiende, es ist nur das nicht au�er sich, aber darum nicht das auch in sich nicht Seiende, es ist vielmehr gerade das nur in sich, das blo� urst�ndlich, nicht gegenst�ndlich Seiende. Es[750] Ist, wie ein Wille ist, der sich noch nicht ge�u�ert hat, der also nach au�en auch = 0 ist, von dem daher niemand wei�, der niemand gegenst�ndlich ist, also es Ist, wie der urst�ndliche Wille, der Wille vor seiner �u�erung auch ist. Wir k�nnten f�r diese Art des Seins, zu gro�er Erleichterung des Verst�ndnisses, wohl ein eignes Wort, anstatt des jetzt zu allen Arten des Seins promiscue angewendeten Worts Sein, brauchen, wenn nicht leider in der deutschen Sprache das alte Verbum Wesen au�er Gebrauch gekommen w�re (es findet sich nur noch in der vergangenen Zeit – in der Form gewesen), wir k�nnten jenes ungegenst�ndliche Sein, das darum nicht ein v�lliges nicht Sein, sondern eben nur das noch blo� urst�ndliche ist, das rein Wesende nennen. Und so w�re dann dagegen das Sein dessen, was wir das rein Seiende nennen, das rein seiende Sein. Wie nun aber (und dies ist der zweite Punkt meiner Erl�uterung), gleichwie, oder gerade ebenso, wie das blo� Seink�nnende, soweit es dies ist, gegen das wirkliche Sein als nichts ist – gerade ebenso ist auch das rein Seiende, in dem Sinn, wie wir es nehmen, gegen das actu Seiende als nichts, denn das actu Seiende ist kein rein Seiendes, eben weil es eben a potentia ad actum �bergegangen ist. Es hat also an der Potenz eine Negation in sich – es ist nicht rein positiv, denn die Potenz, die ihm vorausging, ist die Negation des Seins, das es jetzt hat, diese Negation kann es aber nicht loswerden, es bleibt immer das aus negativ positiv gewordene, d.h. es hat das Negative zu seiner immerw�hrenden Voraussetzung. Dagegen das rein Seiende (in unserem Sinn) ist das positiv seiende, in dem gar nichts von einer Negation ist. Wenn nun das actu Seiende nicht das rein Seiende ist, so folgt, da� umgekehrt das rein Seiende nicht das actu Seiende ist – und da� es sich gegen das actu Seiende vielmehr ebenfalls als nichts, gerade so wie das blo� Seink�nnende verh�lt.

Da es wesentlich ist, da� dieser Begriff des rein Seienden gleichsam ganz durchsichtig sei, so will ich ihn noch von einer andern Seite darstellen.

Wir haben fr�her das blo� Seink�nnende verglichen mit einem[751] noch ruhenden, d.h. nicht wollenden Willen. Der Wille, der nicht will, ist allerdings als nichts; insofern entsteht jedes Wollen, jede Begierde wie aus dem Nichts. Wenn eine Begierde in uns entsteht, so ist auf einmal ein Sein da, wo vorher keines war. Deswegen f�hlen wir uns von einer Begierde bedr�ngt, denn sie nimmt einen Raum ein, der vorher frei war, in dem wir uns frei f�hlten, und wir atmen gleichsam auf, wenn wir diese Begierde wieder loswerden. In dem Seink�nnenden liegt der Keim einer Begierde, eines Wollens. Das Seink�nnende ist der wollen k�nnende Wille: als der blo� wollen k�nnende ist er also als nichts. Wenn nun der nur noch nicht wollende, aber wollen k�nnende Wille als nichts ist, so mu� der nicht wollen k�nnende Wille noch mehr dem nichts gleich sein. Nun gerade dies ist das Verh�ltnis zwischen dem Seink�nnenden und dem rein Seienden. Das sein K�nnende ist = dem wollen k�nnenden Willen, das rein Seiende ist = dem v�llig willen- und begierdelosen, dem ganz gelassenen Willen, denn es hat das Sein nicht zu wollen, weil es das von selbst, d.h. das an und f�r sich, gleichsam ohne sich selbst Seiende ist. Das rein Seiende steht also sogar noch entfernter von dem wirklichen Sein als das Seink�nnende, welches gleichsam in der unmittelbaren Opportunit�t zu dem aktuellen Sein ist (um einen Ausdruck der �rzte zu entlehnen); darum haben wir auch zuerst von dem Seink�nnenden und hernach erst von dem rein Seienden gesprochen, denn diese ganze Folge bestimmt sich nach der N�he oder Entfernung von dem wirklichen Sein. Das Seink�nnende aber ist das N�chste, das rein Seiende ist das Entferntere vom Sein. Denn da in diesem keine Potenz ist so ist leicht einzusehen, da� es erst in statum potentiae gesetzt werden m��te, um a potentia ad actum �berzugehen. Es setzt also, um actu sein zu k�nnen, etwas voraus, von dem es in statum potentiae gesetzt, d.h. von dem es in seinem Sein negiert wird. Es ist also auch nicht das unmittelbar sein K�nnende, n�mlich actu sein K�nnende, das Seink�nnende selbst aber setzt nichts voraus, um actu zu sein, eben weil es selbst Potenz ist Wir h�tten ebenso gut umgekehrt den Begriff des rein Seienden deduzieren k�nnen aus dem Begriff des blo� mittelbar sein K�nnenden. Das, was sein wird, mu� nat�rlich Einmal oder[752] zuerst das unmittelbar sein K�nnende sein. Wenn es aber nicht blo� das Seink�nnende ist, so kann es dann in der n�chstfolgenden Bestimmung nicht wieder das unmittelbar, sondern nur das blo� mittelbar Seink�nnende sein. Was ist denn aber das nur mittelbar Seink�nnende? Antwort: das, in dem kein K�nnen, keine Potenz, das also purus actus ist. Dieses, um a potentia ad actum �berzugehen, also um wirklich zu sein, mu� erst in potentiam gesetzt werden, da es von sich selbst nicht Potenz ist.

Bei Gelegenheit dieser Bestimmung kann nun aber eine Inzidentfrage entstehen, die zwar nicht jetzt gleich im vollst�ndigen Zusammenhang sich beantworten l��t, die ich aber doch nicht zur�ckweisen wollte, weil sie doch den einen oder andern h�tte bedenklich machen k�nnen.

Man k�nnte also fragen: wie ist es m�glich, das, was sein wird, auf einer zweiten Stufe, als das rein, unendlich, gleichsam willenlos Wollende zu denken ? Die Schwierigkeit ist n�mlich diese. Jedes Wollen, in welchem das Wollende sich selbst will, ist eo ipso schon nicht ohne einen �bergang a potentia ad actum zu zu denken, denn was sich selbst will, geht von sich selbst als blo�e Potenz oder M�glichkeit zu sich selbst als Aktus. Das rein Wollende also, in dem kein solcher �bergang ist, kann eben darum nur dasjenige sein, das schlechterdings nicht sich will, also, da es doch ein Wollendes ist, ein anderes als sich will. Das rein Wollende darf nicht sich wollen, es mu� ein absolut unselbstisches Wollen sein, sein Weg geht also von ihm selbst hinweg auf ein anderes. Woher nun aber dieses andere? Es ist leicht hierauf zu antworten.

�berlegen Sie Folgendes. Das, was sein wird, inwiefern es blo� das Seink�nnende, also das N�chste am Sein ist, dem also nichts weder im Sein noch in der M�glichkeit zum Sein zuvorkommt, hat insofern nichts vor sich – es fehlt ihm an der Supposition jedes Wollens, n�mlich da� man etwas habe, das man wollen k�nne, es ist ganz blo� in diesem Betracht, und es erscheint insofern als die Armut, die Bed�rftigkeit selbst, es kann also nur sich als sich, als dieses wollen, wenn es will, und darum ist[753] ihm eigentlich bestimmt, nicht zu wollen, reines K�nnen, Nichtwollen, blo�er Wille zu bleiben. Ganz anders aber verh�lt es sich mit eben demselben, n�mlich mit dem, was sein wird, inwiefern es nicht das blo� Seink�nnende, sondern das rein Seiende ist. Denn als dieses, als das rein Seiende, hat es allerdings Sich als das blo� Seink�nnende vor sich, es hat also etwas, das es wollen kann, ohne sich als sich zu wollen. Man k�nnte n�mlich freilich sagen: wenn es Sich als das Seink�nnende will, so will es ja doch auch sich selbst. Ganz richtig. Aber es will nicht Sich als Sich, es will nicht Sich als das rein Seiende (mit einem solchen auf sich selbst zur�ckgehenden Willen w�rde es sich selbst als rein seiendes verderben), – es will nicht Sich als das rein Seiende, sondern Sich als das Seink�nnende, und demnach als ein anderes. Ja es ist ihm nur eben dadurch, da� es Sich als das Seink�nnende vor sich hat, gegeben, das rein Seiende oder, was dasselbe ist, das rein Wollende zu sein, das im Wollen nicht Sich als Sich zu wollen braucht. Der Wille, der nichts vor sich hat, wenn er nicht reiner Wille bleibt, kann nur selbstisch sein. Das Unselbstische ist nicht primo loco zu denken. So viel also, um die etwa aufzuwerfende Frage vorl�ufig zu beantworten. Denn wie nun, oder auf welche Weise das, was sein wird, als das rein Seiende sich als das Seink�nnende will, dies werde ich erst in einer demn�chst folgenden Er�rterung vollkommen deutlich machen k�nnen. Vor jetzt war es haupts�chlich blo� darum zu tun, zu zeigen, da� das rein Seiende, oder im v�llig parallelen Ausdruck, das rein und unendlich Wollende noch immer gegen das actu Seiende, actu Wollende sich als �berseiendes verhalte, da� es also kein Widerspruch sei, wenn wir sagen: das, was sein wird – eben dasjenige also, welches das Seink�nnende ist, dasselbe ist in einer zweiten Stufe der Betrachtung das rein Seiende.

Jetzt aber gehen wir zu andern Fragen �ber. Bis jetzt haben wir blo� diese Begriffe des Seink�nnenden und des rein Seienden und ihr Verh�ltnis zueinander er�rtert. Ich wei� wohl, da� diese Er�rterung besonders f�r den, der zuerst zur Philosophie kommt, oder auch vielleicht die Denk- und Redeweise einer ganz anderen[754] Philosophie gewohnt ist, nicht leicht zu verstehen ist, und da� eine solche nicht eigentlich fortschreitende, sondern bei Begriffsbestimmungen sich verweilende Er�rterung �berhaupt nichts Anziehendes hat. Denn ihr Anziehendes erh�lt jede eigentlich erst durch die Folge, indem man sieht, wozu diese Begriffe gebraucht werden, wohin sie f�hren, und eine Entwicklung insbesondere, die ihren Gegenstand als einen zuk�nftigen behandelt, die gleich nur von dem ausgeht, was sein wird (was also soweit noch blo� im Begriff vorhanden ist, denn das Wort Begriff wird zwar sehr mannigfaltig, d.h. sehr konfus, gebraucht – aber hat etwas Eigent�mliches, unter anderem z.B. dem Wissen oder der Erkenntnis Entgegengesetztes, kurz der Begriff als Begriff ist nur der Begriff des noch nicht Seienden, des Zuk�nftigen. – �Das, was sein wird�, ist also der Begriff par excellence, und die bisher entwickelten Bestimmungen sind nur Bestimmungen dieses Begriffs kat' exoch�n, d.h. sie sind selbst die Begriffe par excellence, und au�er denen es keine anderen gibt – doch davon wird sp�ter ausf�hrlich die Rede sein – ), aber eine Entwicklung, die in diesem Sinn vom Begriff ausgeht, also dem blo� Zuk�nftigen, jetzt noch nicht Seienden zusteuert, wird besonders schwer gefunden, weil der Lernende sich vorkommt, als w�rde er gleichsam im Dunkel gef�hrt, in dem er nicht sieht, wo die Sache hinaus will – und das ist doch, sagt man, ein billiges und gerechtes Verlangen, da� man, um sich M�he zu geben, erst wisse, wohin der Weg f�hre. Allein, meine Herrn, teils soll man eben an den Begriffen und deren Bestimmungen selbst sich erfreuen lernen, dadurch erst zeigt einer, da� er Geschmack an der Philosophie hat, da� ihn die Er�rterung der Begriffe an sich interessiert, auch wenn er noch nicht wei�, wozu sie dienen oder wohin sie f�hren, teils mu� man die Ungeduld, die gern gleich das Ziel sehen m�chte, zu m��igen wissen; schon Aristoteles sagt: der Lernende mu� glauben, d.h. nicht er mu� immerfort und gleichsam ewig nur glauben, aber er mu� glauben, solange er noch der Lernende ist, d.h. bis er vollst�ndig unterrichtet ist, bis das Ziel mit ihm erreicht ist. Glauben Sie nur auch – vertrauen Sie auf den Erfolg, ich werde die Idee, um die es zu tun ist (der erreichte Gegenstand des Begriffs ist die Idee), ich werde nicht ablassen, ehe ich Ihnen diese[755] Idee vollkommen deutlich ge macht habe. Dazu m�ssen Sie mir aber Zeit g�nnen, – mir zugeben, da� ich nicht sprungweise, sondern nur Schritt vor Schritt gehe.

Jetzt aber sind wir an einen Punkt gekommen, wo unsere Er�rterung allm�hlich aus dem dichten Wald in eine freiere, offene Gegend hervortritt. Zwei Fragen stehen nun zun�chst vor uns. Ich wiederhole zuerst den Satz, bei dem wir noch immer stehen. Eben das oder dasselbe, was seiner ersten Bestimmtheit nach das Seink�nnende ist, ist in einem zweiten Begriff oder in einer zweiten Bestimmung jenes absoluten Begriffs das rein Seiende. Bis jetzt habe ich nur die zwei Extreme dieses Satzes, wie man sich in der Logik ausdr�ckt, d.h. die beiden in ihm verbundenen Begriffe – den Begriff des Seink�nnenden und den des rein Seienden erkl�rt. Jetzt wird es darauf ankommen, die Verkn�pfung, die copula selbst, die Art der hier behaupteten Identit�t zu erkl�ren. Wenn ich sage, dasselbe, was das Seink�nnende, dasselbe ist auch, wiewohl diverso respectu, in einem andern Anblick, ist eben dieses auch das rein Seiende: – was bedeutet hier dieses ist? Indem ich sage, dasselbe, was das Seink�nnende, (dasselbe, wiewohl nicht als dasselbe) ist auch das rein Seiende, so dr�cke ich hiermit eine Identit�t aus zwischen dem unmittelbar Seink�nnenden und dem rein Seienden. Wie ist diese Identit�t zu verstehen? Denn bekanntlich gibt es sehr verschiedene Arten, sich eine Identit�t zwischen zwei �brigens voneinander Unterschiedenen zu denken. Mit der Beantwortung dieser Frage wird es schon um vieles lichter werden. Dann werden wir zur zweiten Frage schreiten k�nnen, zu der Frage: was denn nun eigentlich mit diesem Fortgang von dem Seink�nnenden zu dem rein Seienden gewonnen sei; und von da werden nur noch wenige Schritte sein – zu der Idee selbst.

Um nun also gleich zu der ersten Frage �berzugehen, wie ist in dem Satz: das Seink�nnende ist auch das rein Seiende, dieses ist, wie ist die hier behauptete Identit�t zu verstehen? Denn allerdings k�nnte die Verkn�pfung auf verschiedene Weise gedacht werden. Z.B. so, da� das, was sein wird – dieses Subjekt eines noch zuk�nftigen Seins, wie wir es auch nennen k�nnen,[756] da� dieses Subjekt zweimal gesetzt w�re, einmal als Seink�nnendes, das andere Mal als rein Seiendes, so da� diese zwei Gestalten seines Wesens zwar sich gegenseitig erg�nzten (das Seink�nnende z.B. nicht festzuhalten w�re ohne das rein Seiende), aber da� sie – au�ereinander w�ren. Aber so ist es durchaus nicht gemeint. Die Identit�t mu� vielmehr im strengsten Sinn genommen werden, als substantielle Identit�t. Die Meinung ist nicht, da� das Seink�nnende und das rein Seiende, jedes als ein f�r sich Seiendes, d.h. jedes als Substanz, gedacht werde (denn Substanz ist, was f�r sich selbst au�er einem andern besteht). Sie sind nicht selbst Substanz, sondern nur Bestimmungen des Einen �berwirklichen. Die Meinung ist also nicht, da� das Seink�nnende au�er dem rein Seienden sei, sondern die Meinung ist, da� eben dasselbe, d.h. eben dieselbe Substanz, in ihrer Einheit, und ohne darum zwei zu werden, das Seink�nnende und das rein Seiende sei. Wir setzen nicht 1+1, sondern wir setzen immer nur Eins, aber dieses Eine, das darum, weil es das Seink�nnende und ebensowohl auch das Seiende ist, nicht aufh�rt Eines zu sein, dieses Eine ist eben in seiner Einheit das Seink�nnende und das rein Seiende, also gewisserma�en das Gegenteil seiner selbst. Nun werden Sie aber fragen, wie es m�glich sei, da� die zwei nicht au�ereinander seien, d.h. da� sie sich nicht ausschlie�en. Es liegt mir also ob zu zeigen, da� sie des Gegensatzes unerachtet sich doch in der Tat nicht ausschlie�en.

Ich habe schon bemerkt, da� diese Bestimmungen dessen, was sein wird, und das insofern vor und �ber dem Sein ist, da� diese Bestimmungen sich gleichwohl nur auf das k�nftige Sein beziehen. K�nnen wir nun zeigen, da� sie sich zu dem k�nftigen, d.h. zu dem wirklichen Sein, ganz gleich verhalten, so haben wir eben damit gezeigt, da� sie auch einander gleich sind und sich nicht ausschlie�en. Nun haben wir aber das Erste im Grunde schon gezeigt. Wir haben gezeigt, da� nicht blo� das nur Seink�nnende, sondern ganz ebenso auch das rein Seiende gegen das k�nftige Seiende sich als nichts verhalten. Nun schlie�t aber wohl ein Etwas das andere Etwas von sich aus, aber was selbst[757] nichts ist, kann auch von nichts anderem ausgeschlossen werden. Schon hieraus also erhellt die gegenseitige Nichtausschlie�lichkeit jener beiden Begriffe, und da� das blo� sein K�nnende und das rein Seiende nur Bestimmungen Eines und desselben, nicht aber zwei f�r sich selbst Seiende sind.

Um jedoch diesen abstrakten Beweis anschaulicher zu machen, wollen wir ihn noch von einigen Seiten weiter ausf�hren.

Ich habe schon gezeigt, da� wir das Seink�nnende, sofern es blo� dieses ist, also nicht ins wirkliche Sein �bergeht, als den nicht wollenden Willen bestimmen k�nnen – das rein Seiende dagegen als das rein und blo�, als das gleichsam willenlos Wollende, als Wollen, dem kein Wille vorhergeht. Nun habe ich aber zugleich gezeigt, da� das rein und gleichsam unendlich Wollende ebensowenig eigentlich will, n�mlich ebensowenig von Nichtwollen zu Wollen �bergeht, als das nicht Wollende. Das unendlich Wollende ist daher wie das nicht Wollende. Das Gemeinschaftliche beider ist, nicht a potentia ad actum, von Nichtwollen zu Wollen �berzugehen. Der nicht wollende Wille ist blo�e Potenz, und geht insofern nicht zum Aktus �ber, der blo� und unendlich wollende ist blo�er Aktus, und geht insofern auch nicht von Potenz zu Aktus �ber, und wenn wir die Wirklichkeit �berall nur da, wo ein solcher �bergang stattfindet, empfinden und erkennen, so ist das Seink�nnende und das rein Seiende eine v�llig gleiche �berwirklichkeit, und wegen dieser v�llig gleichen Lauterkeit schlie�en sie sich auch untereinander nicht aus. Ich bediente mich hier des Ausdrucks Lauterkeit, gewisserma�en als gleichbedeutend mit �berwirklichkeit. Ich will diese Gelegenheit benutzen, an etwas zu erinnern, was Ihnen den ganzen gegenw�rtigen Standpunkt deutlich zu machen dienen kann.

Alle Unlauterkeit (und jeder von uns f�hlt in allem endlichen Sein etwas Unlauteres, d.h. etwas Gemischtes und Getr�btes), alle Unlauterkeit aber kommt nur davon, da� in das, was blo� Potenz sein sollte, Aktus, oder in das, was blo� Aktus (purus actus) sein sollte, etwas von Potenz (von Nichtaktus, von nicht Sein) gesetzt ist. In diesem Fall werden Aktus und Potenz gegenseitig[758] voneinander beschr�nkt und getr�bt, wo aber jedes in seiner Reinheit, da ist auf beiden Seiten gleiche Unendlichkeit und v�llig gleiche Lauterkeit. Alles, was ein Seiendes ist, ist ein aus Potenz und Aktus, aus Sein und nicht Sein Gemischtes, es ist weder rein Potenz, noch rein Aktus, sondern beides zugleich, und zwar ist jedes Seiende beides zugleich in einer andern Weise. Darum schlie�t das eine Seiende das andere aus, aber weder das rein Seink�nnende, das lautere Potenz, noch das rein Seiende, das lauterer Aktus, ist ein Seiendes2. Also schlie�en sich diese nicht aus. Eben diese Nichtausschlie�lichkeit zu zeigen, war die Absicht des zuletzt Vorgetragenen. Weil dies aber ein h�chst wesentlicher Punkt ist, will ich das N�mliche noch von einer andern Seite darstellen.

Wir haben das, was sein wird, zuerst bestimmt als das sich in sich selbst zum Sein erheben, oder, wie wir auch sagten, sich zum Sein entz�nden K�nnende, also �berhaupt als das sich erheben K�nnende. (Denken Sie's nur in dem Sinn des Ausspruchs: �Wer sich selbst erh�het, der wird erniedriget werden�.) Das rein Seiende ist das sich nicht in actum erheben K�nnende, weil es schon Aktus ist. Aber das blo� sich erheben K�nnende und das sich nicht erheben K�nnende = 1 (sie k�nnen also in einer und derselben Substanz gedacht werden). Wir k�nnen auch sagen: das unmittelbar Seink�nnende ist das nur selbstisch sein K�nnende. Nun aber das selbstisch blo� sein K�nnende, nicht Seiende, ist wie das Unselbstische. Dies mu� Ihnen klar sein. Also das selbstisch blo� sein K�nnende schlie�t das Unselbstische nicht von sich aus. Bis dahin ist ja in beiden eine v�llig gleiche Selbstlosigkeit. Das, was selbstisch nur sein k�nnte, ist soweit noch in gleicher Unselbstigkeit wie das seiner Natur nach Unselbstische – das gar nicht selbstisch sein K�nnende. Beide werden sich erst ungleich, wenn jenes in das wirkliche Sein �bergeht, solange es in statu merae potentiae bleibt, ist es, was das andere. Beide sind also auch nicht au�ereinander, sondern das selbstisch sein K�nnende ist in dem seiner Natur nach Unselbstischen ohne alle St�rung und ohne alle erkennbare Differenz.[759] Als das rein Seiende ist das Wesen der von sich weggehende, nicht sich selbstwollende Wille, der Wille, der sich seiner selbst nicht annimmt oder der nicht das Seine sucht, der eben darum auch als unverm�gend erscheint, wie ein Mensch, dessen Wesen lautere Liebe, reines, sich selbst nicht versagen k�nnendes Wohlwollen w�re, wie ein solcher in einer widerspruchsvollen Welt notwendig als unkr�ftig und gleichsam widerstandlos erscheinen w�rde. Wir haben das rein Seiende erkl�rt als das rein oder unendlich Wollende. Aber relativ auf sich selbst ist dieses unendlich Wollende auch ein nicht Wollendes, denn es will ja nicht sich selbst, relativ auf sich selbst ist es also dem nur nicht Wollenden, dem blo� wollen K�nnenden, d.h. also das rein Seiende ist dem Seink�nnenden gleich. Das rein Wollende ist als nichts, eben weil es sich seiner selbst nicht annimmt, sich selbst nicht gelten macht, aber das sich selbst blo� wollen K�nnende ist auch als nichts, inwiefern es sich nicht wirklich will. Das rein Seiende ist eben darum, weil es dies ist, das zu sein Unverm�gende; sollte es sein, n�mlich actu sein, so m��te es erst ex actu in non actum, in potentiam, d.h. in sich selbst zur�cktreten. Dies vermag es aber von sich selbst nicht. Es kann nicht von sich selbst Nichtaktus werden. Dazu bedarf es eines Widerstandes. Wenn aber auch das rein Seiende sich als das von sich selbst zu sein Unverm�gende verh�lt, so ist es doch von dem blo� sein K�nnenden nicht zu unterscheiden, denn das blo� sein K�nnende ist wie das nicht sein K�nnende. Wenn also dasselbe das Seink�nnende ist und auch das rein Seiende, so ist es diese nicht mit gegenseitiger Ausschlie�ung, so da� diese untereinander sich ausschl�ssen, sondern es ist das eine und das andere in substantieller Identit�t. Es ist Zweiheit in der Einheit, d.h. es ist zwei, und ist doch dabei substantiell nur Eins, und es ist Einheit in der Zweiheit, d.h. es ist substantiell nur Eins, ohne darum weniger zwei zu sein. Die Zweiheit ist nicht au�er der Einheit und die Einheit nicht au�er der Zweiheit. Das stillste und das tiefste Meer ist auch das am meisten sich emp�ren k�nnende, aber das stille und das sich emp�ren k�nnende sind nicht zwei Meere, sondern nur ein und dasselbe Meer. Der gesundeste Mensch tr�gt die M�glichkeit der[760] Krankheit in sich, aber der gesunde Mensch und der krank sein k�nnende Mensch sind nicht zwei verschiedene Menschen, sondern nur ein und der n�mliche Mensch, der eine schlie�t den andern nicht aus. Ganz ebenso demnach sind das Seink�nnende und das rein Seiende nicht zwei verschiedene Subjekte, sondern nur Ein Subjekt; das eine ist nicht das andere, und dennoch ist das eine, was das andere ist, n�mlich dieselbe Substanz. Das Seink�nnende als solches ist nicht das rein Seiende, und das rein Seiende nicht das Seink�nnende, und dennoch ist das eine, was das andere, jedes n�mlich ist dieselbe Substanz. – Hauptresultat: Die Identit�t, welche wir zwischen dem Seink�nnenden und dem rein Seienden setzen, ist nicht von der Art derjenigen Einheit oder Verkn�pfung, die zwischen Elementen stattfindet, die Teile eines und desselben Ganzen sind; denn das, was sein wird, ist nicht einem Teile nach das Seink�nnende und einem andern Teile nach das rein Seiende, sondern das ganze Subjekt oder die ganze Substanz ist das Seink�nnende, und dieselbe ganze Substanz ist das rein Seiende, wie derselbe ganze Mensch der krank sein K�nnende und der gesund Seiende ist; umgekehrt also: das Seink�nnende ist nicht ein Teil von dem Ganzen, sondern es ist selbst das Ganze, und ebenso ist das rein Seiende nicht ein Teil von dem Ganzen, sondern selbst das Ganze.

Es kann Ihnen nun freilich nicht auf der Stelle voll kommen klar sein, aber Sie m�ssen doch f�hlen, wie sehr durch diese letzte Bestimmung der Stand unserer ganzen Untersuchung sich ver�ndert hat, indem wir nun nicht mehr das Seink�nnende und das rein Seiende zum Gegenstand haben, sondern das Eine, welches ganz das eine und ganz auch das andere ist. Offenbar sind wir durch diese Bestimmung auf einen h�heren Standpunkt gehoben, wir haben etwas anderes vor uns als bisher. Hier nun also ist die Frage an ihrer Stelle: was mit diesem Fortgang von dem Seink�nnenden zu dem rein Seienden gewonnen sei.

Ich will auf diese Frage erst aus einem allgemeinen Gesichtspunkt und dann spezieller antworten.[761]

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 3, Leipzig 1907, S. 737-762.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Napoleon oder Die hundert Tage. Ein Drama in f�nf Aufz�gen

Napoleon oder Die hundert Tage. Ein Drama in f�nf Aufz�gen

In die Zeit zwischen dem ersten M�rz 1815, als Napoleon aus Elba zur�ckkehrt, und der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni desselben Jahres konzentriert Grabbe das komplexe Wechselspiel zwischen Umbruch und Wiederherstellung, zwischen historischen Bedingungen und Konsequenzen. �Mit Napoleons Ende ward es mit der Welt, als w�re sie ein ausgelesenes Buch.� C.D.G.

138 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch bl�ttern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erz�hlungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erz�hlungen

Romantik! Das ist auch � aber eben nicht nur � eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gef�hlswelt gegen die von der Aufkl�rung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erz�hlungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder m�rchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten B�nden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererz�hlungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon