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„Es gibt Parallelen zwischen NS- und 68er-Generation“

1968 brach die Studentenbewegung das Schweigen der Väter. Aber das Niederschreien Andersdenkender, der Antiliberalismus seien keine Heldentaten gewesen, sagt der Politikwissenschaftler Götz Aly.
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Was haben demonstrierende 68er (l.) und marschierende SA gemein?
Quelle: pa/Klaus Rose, pa/dpa

Der Politikwissenschaftler und Historiker Götz Aly ist ein scharfer Kritiker der 68er-Bewegung – obwohl er selbst daran beteiligt war. Er entwickelte neue Erklärungsansätze zum Holocaust und erhielt unter anderem den Ludwig-Börne-Preis. Sein Buch „Unser Kampf 1968 – ein irritierter Blick zurück“ löste 2008 eine heftige Kontroverse aus. Im Gespräch zieht er ein Fazit.

Frage: Wenn Sie heute an diese Zeit zurückdenken, was kommt Ihnen dann in den Sinn?

Götz Aly: Ich bin Jahrgang ’47, also ein typischer 68er, und zuletzt in München zur Schule gegangen. Dort schob man sich unter der Bank schon mal einen Raubdruck von Wilhelm Reichs „Die Funktion des Orgasmus“ zu. Damals konnte man damit in Bayern noch Lehrer provozieren. Dann erinnere ich mich an die sehr schnellen Steigerungen: Notstandsgesetze, der Mord an Benno Ohnesorg durch den West-Berliner Polizisten und Stasi-Spitzel Karl-Heinz Kurras, der Mordanschlag auf Rudi Dutschke, die dann folgenden Demonstrationen mit zwei Toten, einem Fotografen und einem Studenten.

Götz Aly , aufgenommen am 14.10.2011 auf der 63. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main. | Verwendung weltweit
„Wir sind sehr schnell in einen deutsch-romantischen Rausch verrückter Selbstüberschätzung geraten!": Götz Aly
Quelle: picture alliance / dpa-Zentralbi

Frage: Und dann gerieten Sie mitten in den Berliner Sturm.

Aly: Ja. Nach der Journalistenschule in München kam ich als Volontär der dpa in die Außenredaktion in Berlin und begann parallel zu studieren. Anfangs war ich ein ganz normaler bürgerlicher Student, habe mich dann aber sehr schnell radikalisiert.

Frage: Sie haben eine Nacht in Polizeigewahrsam verbracht.

Aly: Wir wollten auf der Grünen Woche Anfang 1969 den Griechenlandstand boykottieren, um gegen die dortige Militärdiktatur zu protestieren, wurden aber sofort von zivilen Polizisten abgegriffen und weggesperrt.

Frage: Hatten Sie damals das Gefühl „Wir machen Revolution“?

Aly: Wir sind sehr schnell in einen deutsch-romantischen Rausch nachgerade verrückter Selbstüberschätzung geraten. Das unterschied die deutschen 68er von ihren französischen oder US-amerikanischen Altersgenossen.

Die erste Nachkriegsgeneration wuchs in einer eigentümlichen Kälte auf, in eingeeisten Verhältnissen
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Frage: Sie haben die These aufgestellt, dass die deutsche 68er-Bewegung selbst noch ein Widerschein der Nazizeit war. Ist das nicht überzogen?

Aly: Wenn Sie wie ich 1947 geboren sind, dann haben Sie eine 95-prozentige Chance, dass Ihr Vater bei der Wehrmacht gewesen ist und schreckliche Gewalttaten selbst begangen oder zumindest miterlebt hat und am Ende auch selbst nur knapp entkommen war. Ein Drittel der damaligen Väter ist Mitglied der NSDAP gewesen, die Mütter waren in Bombennächten traumatisiert worden. Folglich wuchs die erste Nachkriegsgeneration in einer eigentümlichen Kälte auf, in eingeeisten Verhältnissen. Wobei ich heute glaube, dass das nach diesem allein von Deutschen verursachten mörderischen Krieg und der selbstzerstörerischen Niederlage Deutschlands gar nicht anders sein konnte.

Frage: Sie sprechen in Ihrem Buch von einem „Heilschlaf“, in den die deutsche Gesellschaft verfallen sei. Das klingt beschönigend.

Aly: Was, bitte schön, hätte die Generation „Sieg Heil“ denn tun sollen? Ihre Verbrechen waren so unfassbar, dass man sich ihnen nicht sofort stellen konnte. Es bedurfte zunächst einer Art von therapeutischem Koma. Das sah Konrad Adenauer sehr richtig.

Frage: Aber haben nicht gerade die 68er wesentlich dazu beigetragen, dass Deutschland aus diesem Koma erwacht ist?

Aly: Das hatte vorher begonnen. Ich habe – auf Anordnung des bayerischen Kultusministeriums – als 17-Jähriger in der Schule Filme mit den Leichenbergen in Auschwitz, Bergen-Belsen und Buchenwald gesehen. Beim Abendessen wurde ich dann gefragt: „Na, wie war’s in der Schule?“ Und da habe ich geantwortet: „Ach, interessant.“ Tja, und als dann die Aufforderung folgte: „Erzähl doch mal!“, da hab ich losgelegt. Die Eltern sind erstarrt. Ich: „Das habt ihr doch gewusst?!“ Die haben 1964/65 nicht mehr damit gerechnet, mit dieser Vergangenheit noch einmal konfrontiert zu werden. Das hat sich damals in Zehntausenden deutschen Familien ähnlich abgespielt.

Auftakt und Initialzuendung der 68er -Bewegung war der studentische Vietnamkongress und die damit verbundene Demonstration mit den Bildern von Ho-Chi-Min, Che Guevara und Rosa Luxemburg. Auf dem Kongress verbrannten junge US-Buerger ihre Gestellungsbefehle fuer ihren Einsatz in Vietnam. Foto: Klaus Rose | Verwendung weltweit
Demonstration um den Internationalen Vietnamkongress 1968 in Berlin
Quelle: picture-alliance / Klaus Rose
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Frage: Und diese Diskussion haben die 68er in die Öffentlichkeit getragen.

Aly: Nein! Das war vorher geschehen, etwa durch den Auschwitz-Prozess und immer mehr ähnliche Schwurgerichtsverfahren zu den deutschen Gewaltverbrechen. Davon waren wir 68er überfordert. Wir haben sehr schnell aufgehört, uns mit dem konkreten, mit lauter deutschen Familiennamen behafteten Nationalsozialismus zu beschäftigen, und stattdessen „den Faschismus“ bekämpft. Dieser Faschismus galt uns als weltweites Phänomen: Er hauste in Teheran beim Schah von Persien, in Washington bei den Vietnamkriegern, in Saigon, in Südafrika. Wir projizierten unsere nationalgeschichtlichen Traumata auf andere und verlegten sie in sichere Entfernung – immer mindestens 6000 Kilometer weit weg.

Frage: Demnach hätten die 68er also auch verdrängt?

Aly: Natürlich. Wahrscheinlich blieb uns nichts anderes übrig. Logischerweise trugen wir erhebliche Reste des alten Gifts noch in uns, weil wir überwiegend von Ex-Nazis, bestenfalls Neodemokraten erzogen worden sind. 1968 schwitzten wir den alten Dreck sozusagen aus. Das roch nicht gut, musste aber sein. All das ist geschichtlich verständlich. Ich finde es nur falsch, daraus im Nachhinein eine Heldentat zu machen.

Propagandamarsch der Hitlerjugend am 8. März 1933 durch Berlin. Laut den Durchführungsverordnungen zum Gesetz über die Hitlerjugend vom 25. März 1939 durch Adolf Hitler wird der bislang freiwillige Dienst in der HJ zum "Ehrendienst am Deutschen Volke". Die 10 bis 14jährigen Jungen und Mädchen dienen im Deutschen Jungvolk bzw. im Jungmädelbund, die 14 bis 18jährigen Jungen und Mädchen in der Hitlerjugend (HJ) bzw. im Bund Deutscher Mädel (BDM). Die Nichtanmeldung eines Kindes zum HJ-Dienst ist strafbar. | Verwendung weltweit
Propagandamarsch der Hitlerjugend am 8. März 1933 durch Berlin
Quelle: picture-alliance / dpa

Frage: Sie haben Ihrem Buch ja sogar den polemischen Titel „Unser Kampf“ gegeben.

Aly: Das bot sich an. Das Wort „Kampf“ war die zentrale Vokabel der deutschen 33er und der 68er. Es gibt durchaus Parallelen zur nationalsozialistischen Studentenbewegung: das Antibürgerliche, das Niederschreien Andersdenkender, der Antiliberalismus, der totalitäre Glaube an eine angeblich gute Sache, die Hinwendung zum einfachen Volk … In meinem Buch „Unser Kampf“ führe ich das genau aus. Auch fühlten sich unsere wenigen jüdischen Professoren sehr schnell an 1933 erinnert.

Frage: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass es eher die Generation von Helmut Kohl gewesen sei, die die liberale Gesellschaft in Deutschland vorangebracht habe. Also die um 1930 Geborenen, die selber nicht mehr oder kaum noch im Krieg gewesen sind.

Aly: Ja, die entscheidenden Impulse zur Liberalisierung der jungen Bundesrepublik kamen aus dieser Generation. Dazu zählten zum Beispiel Erhard Eppler, Christian Graf von Krockow, Alexander Schwan, Hans-Dietrich Genscher oder Heiner Geißler. Die haben die wesentlichen Veränderungen und Reformen ins Werk gesetzt. Wir waren die erste Generation, die von diesen neuen Freiheiten profitierte, vom Ausbau des Bildungssystems und vom Wohlstand.

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Frage: Aber kann man wirklich so weit gehen, den 68ern gar keine Verdienste anzurechnen? Auch nicht bei der Emanzipation, der antiautoritären Erziehung, der sexuellen Befreiung?

Aly: Sexuelle Befreiung ist kein eindeutig positiver Begriff. Wir, genauer die Frauen, waren schlicht die Ersten, die über die Pille verfügten. Das war kein eigenes Verdienst. Allerdings gab es unter den 68er-Männern den durchaus praktizierten Spruch „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“. Derartiges bezeichnet man heute mit Recht nicht als emanzipatorisch.

Es gibt nach wie vor Leute, die mich seither nicht mehr grüßen. Dafür grüßen mich andere

Frage: Dennoch haben die 68er die Bundesrepublik doch nachhaltig geprägt, egal wie man nun zu ihnen steht.

Aly: Aus den Zerfallsprodukten der 68er hat sich sicherlich auch Vernünftiges ergeben: Ich denke an die emanzipatorischen Bewegungen von Frauen und Homosexuellen, an Hausbesetzungen, die ganze Stadtteile vor dem Abriss bewahrt haben, an die Gründung der „taz“ und auch der Grünen. Aber das waren sekundäre Entwicklungen, die möglich waren, nachdem zum Beispiel Joschka Fischers Gruppe Revolutionärer Kampf an staatlicher und gesellschaftlicher Gegenwehr gescheitert war.

Frage: Ihr Buch war vor zehn Jahren ein Skandal. Wie sind die Reaktionen heute?

Aly: Es gibt nach wie vor Leute, die mich seither nicht mehr grüßen. Dafür grüßen mich andere. Aber von den 68ern unter meinen Lesern sagt etwa ein Viertel: „Ja, hier wird mir etwas erklärt über mein Leben, in diesem Buch erkenne ich mich wieder.“ Dafür hat sich’s allemal gelohnt.

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dpa/bas

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