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Der Langzeitkanzler: Zum Tod von Helmut Kohl

Er regierte länger als jeder Kanzler vor und nach ihm: Eine ganze Generation wuchs auf, die nichts anderes kannte als den CDU-Regierungschef Helmut Kohl. Nun ist er im Alter von 87 Jahren gestorben.
von Renate Faerber-Husemann · 16. Juni 2017
Helmut Kohl
Helmut Kohl

In Nachrufen wird nicht nachgetreten, da würdigen die Schreiber und Redner die Verdienste eines Menschen und gehen mit seinen Verfehlungen eher milde um. So wird das nun auch nach dem Tod Helmut Kohls sein, der 16 Jahre lang Kanzler war, erst der Bundesrepublik und dann des wiedervereinigten Deutschlands.

Von 1982 bis 1998 regierte er, länger als Konrad Adenauer. Eine ganze Generation wuchs auf, die nichts anderes kannte als den CDU-Regierungschef Helmut Kohl. Er war der letzte Kanzler des rheinischen Kapitalismus. Die Wirtschaft florierte, es gab noch keine Globalisierungsängste und aus dem Ruder laufenden Finanzsysteme.

Die Welt änderte sich, Kohl blieb

Man lebte in dieser Bonner Republik so selbstzufrieden wie der Kanzler, der sie repräsentierte – mit Strickjacke, Vivaldi und Aquarium. Im Herbst 1989 änderten sich Deutschland, Europa und die Welt in atemberaubenden Tempo. Kohl aber blieb.

Reden wir zunächst über seine Verdienste. Zweifellos war er, der als Kind den Bombenkrieg in Ludwigshafen erlebte, ein überzeugter Europäer. Er war gut vernetzt in diesem Europa, was nicht nur nach der Wiedervereinigung half, sondern auch bei den EU-Erweiterungen und bei der Einführung des Euro, für den er kämpfte. Ehrenbürger Europas wurde Helmut Kohl sicherlich zu Recht.

Vom „Aussitzer“ zum „Kanzler der Einheit“

Bejubelt wurde er als „Kanzler der Einheit“, und dabei fiel verblüffend schnell unter den Tisch, dass es die DDR-Bürger waren, die mit großem persönlichen Mut die Wiedervereinigung erkämpft hatten, dass es die Freiheitsbewegungen im gesamten Ostblock waren, die schließlich das gesamte System der feindlichen Blöcke vor und hinter dem Eisernen Vorhang zusammenbrechen ließen.

Was auch in Vergessenheit geraten ist: Der Aufstand der DDR-Bürger hat Helmut Kohl in jenem Herbst 1989 vermutlich die Kanzlerschaft gerettet. Prominente Christdemokraten probten längst den Aufstand, im Land brodelte es, man spottete über den „Kanzler Tu nix“, den „Aussitzer“. Das alles ging unter in jenem Herbst 1989, als sich die politische Weltkarte veränderte.

Kritik perlte ab

Kritik und Widerstand erstarben, die Journalisten, auch die unabhängigen Spötter, wurden leiser. Und Helmut Kohl festigte seine Macht: Die CDU wurde stromlinienförmig auf ihn zugeschnitten. Liberale Geister wie Heiner Geissler, Rita Süssmuth, Lothar Späth und andere wurden abgestraft, die Parteizentrale wurde umgebaut.

Kritik perlte von nun an ab an Helmut Kohl, obwohl die von ihm versprochenen „blühenden Landschaften“ auf sich warten ließen und die Einheit eben nicht aus der Portokasse zu bezahlen war. Die Bürger ächzten unter den finanziellen Lasten, die Arbeitslosigkeit war und blieb hoch. Die europäischen Nachbarn sorgten sich bald (so die Zeitungen) um den „kranken Mann Europas“, und die Unzufriedenheit wuchs.

An die Macht durch den Bettenwechsel der FDP

Nun erinnerten sich viele wieder daran, wie holprig Kohls Kanzlerschaft schon in den 80er Jahren verlaufen war. Schon der Beginn war unschön und spaltete das Land. Nicht durch Wahlen kam Helmut Kohl an die Macht, sondern durch einen Bettenwechsel der FDP. Helmut Schmidt wurde nicht von den Bürgern abgewählt, sondern durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt, weil die FDP sich unter Helmut Kohl das Überleben sichern wollte.

Mit dieser FDP, die am Ende seiner langen Kanzlerschaft nur noch ein Schatten ihrer selbst war, regierte Kohl bis 1998. Dass er damals noch einmal antrat, zeigte seine Selbstüberschätzung. Die Wähler hatten nach 16 Jahren genug vom ewigen Kanzler und sie entschieden sich für frischen Wind, für Rot-Grün unter Gerhard Schröder.

Kohls Ehrenwort für die Parteispender

Wie eine Bombe schlug im Dezember 1999 die Nachricht ein, dass Helmut Kohl anonyme Spenden am Parteiengesetz vorbei (einem Gesetz, das er selbst verabschiedet hatte!) angenommen hatte. Angeblich hatte er den Spendern „mit seinem Ehrenwort“ versichert, ihre Namen nicht zu nennen. Dieses Ehrenwort stellte er über das Gesetz, ohne jemals so etwas wie Unrechtsbewusstsein zu zeigen. Helmut Kohl beschädigte dadurch seinen Ruf dauerhaft. Das Land spottete über „Bimbes-Gate“.

Dann wurde es einsam um ihn. Diejenige, die ihn damals öffentlich zum endgültigen Rückzug aufforderte, war seine Generalsekretärin Angela Merkel. Einst galt sie als „Kohls Mädchen“, 2005 beerbte sie ihn als Kanzlerin.

Private Schicksalsschläge kamen dazu: der Freitod seiner Frau Hannelore, das zerstörte Verhältnis zu seinen Söhnen. Nach einem Sturz zog er sich ein Schädel-Hirn-Trauma zu, musste fortan im Rollstuhl leben, konnte sich kaum noch artikulieren, hatte über viele Jahre außer seiner neuen Ehefrau Maike Richter-Kohl kaum noch Vertraute um sich. Seine seltenen öffentlichen Auftritte waren bedrückend.

Was von Kohl bleibt

Was wird bleiben von ihm? Sein Engagement für Europa. „Helmut Kohl hat historische Weichen für Deutschland und Europa gestellt und sich Verdienste erworben, die Bestand haben und nicht vergessen werden“, erinnert SPD-Chef Martin Schulz vollkommen zu Recht an Kohls Vermächtnis. Bleiben wird auch die Erinnerung an sein erstaunliches Machtbewusstsein. Seine gute Vernetzung mit Staatsoberhäuptern in Ost und West, die während der Verhandlungen um die Wiedervereinigung hilfreich waren.

Die beste Kohl-Biographie stammt von Klaus Dreher, dem langjährigen Bonner Korrespondenten der „Süddeutschen Zeitung“, der ihn über Jahrzehnte beobachtet hat. Sein Fazit: „Es hat ihn nie etwas anderes interessiert als die Macht. Er ist im Umgang mit der Macht sehr souverän gewesen. Nur: Der allzu lange Umgang mit der Macht, der verändert dann schon.“

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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