Was passierte im Jahr 775? - wissenschaft.de
Anzeige
Startseite »

Was passierte im Jahr 775?

Astronomie|Physik

Was passierte im Jahr 775?
Karl der Große kämpft gegen die Sachsen, der byzantinische Kaiser Konstantin V. stirbt und Bagdad ist die größte Stadt der Welt ? soweit die wichtigsten Ereignisse im Jahr 775 nach Christus. Jetzt können japanische Forscher der relativ kurzen Liste eine Besonderheit hinzufügen: In jenem Jahr traf ein gewaltiger Strahlensturm die Erde, berichten Fusa Miyake und Kollegen in der Zeitschrift Nature. Die kosmische Strahlung war so hoch, dass etwa zehnmal so viele radioaktive Kohlenstoff-Isotope entstanden wie galaktische kosmische Strahlen sie normalerweise produzieren. Eine Ursache für den plötzlichen Anstieg konnten die Forscher allerdings nicht identifizieren.

Die kosmische Strahlung besteht aus subatomaren Teilchen wie Elektronen und Protonen, die von fernen Sternen, Schwarzen Löchern oder sterbenden Sternen, den Supernovae, ins All geschleudert werden. Wenn die energiereichen Teilchen auf die Erdatmosphäre treffen, verschmelzen einige mit Sauerstoff- oder Stickstoff-Atomen aus der Atmosphäre zu radioaktiven Isotopen wie Kohlenstoff-14 oder Beryllium-10. Der radioaktive Kohlenstoff wird von Pflanzen in Blätter, Stämme und Wurzeln eingebaut und zerfällt mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren. Archäologen nutzen diese Eigenschaft in der sogenannten Radiokarbon- oder C-14-Methode schon lange zur Datierung von Fundstücken.

Die Intensität der kosmischen Strahlung schwankt allerdings, sie hängt zum Beispiel von der Aktivität der Sonne ab. Während der letzten 10.000 Jahre gab es drei Zeiträume, in denen die Strahlung ungewöhnlich stark war. Miyake und Kollegen untersuchten nun eins dieser Zeitintervalle genauer, und zwar zwischen 750 und 820 nach Christus. Dafür bestimmten sie den C-14-Gehalt in den Jahresringen zweier 1300 Jahre alter Zedern. Die Analyse der Baumringe ergab, dass der Gehalt an radioaktivem Kohlenstoff in den Bäumen im Jahr 775 plötzlich um 1,2 Prozent anstieg. Die Produktionsrate müsse dafür um den Faktor zehn höher gewesen sein als normal, schreiben die Forscher.

Normalerweise schwankt die jährlich erzeugte C-14-Menge nur in einem Bereich von 0,05 Prozent. Als Ursache für den Strahlensturm kommen eine nahe Supernova oder ein Super-Flare auf der Sonne in Frage. Beides schließen Miyake und Kollegen allerdings aus. Hätte sich in der näheren kosmischen Umgebung eine Supernova ereignet, müsste deren Leiche heute noch zu beobachten sein. Und Eruptionen auf der Sonne erzeugen in der Regel höchstens ein Tausendstel der Strahlung, die nötig wäre, um die Ergebnisse zu erklären. Auf anderen sonnenähnlichen Sternen wurden solche Super-Flares zwar schon beobachtet, doch bislang nehmen Astronomen an, dass sie auf der Sonne nicht vorkommen.

Dass die Erde im Jahr 775 tatsächlich ungewöhnlich stark bestrahlt wurde, bestätigen weitere Baumring-Daten und Messungen an einem Eisbohrkern in der Antarktis. Dort fand sich eine ungewöhnliche Häufung des Isotops Beryllium-10. Zudem wurden in England rätselhafte Phänomene beobachtet, berichtet das britische Wissenschaftsmagazin New Scientist. Ein Chronist aus dem 13. Jahrhundert berichtet von Feuerzeichen am Himmel und Schlangen, die aus dem Boden sprangen.

Anzeige
Fusa Miyake (Nagoya Universität, Japan) et al.: Nature, Online-Vorabveröffentlichung, doi:10.1038/nature11123 © wissenschaft.de – Ute Kehse
Anzeige
Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Len|to  〈n. 15; Mus.〉 lento zu spielender Teil eines Musikstücks [ital.]

pas|tös  〈Adj.; Med.〉 gedunsen, aufgeschwemmt

Ein|teil|chen|mo|dell  〈n. 11; unz.; Phys.〉 Näherungsverfahren zur Bestimmung der Grundzustände der Atomhülle od. des Atomkerns, als Lösung erhält man sich deutlich unterscheidende Zustände, die Schalen; →a. Schalenmodell … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige