Bologna: Wie die Universität die Geschichte Europas erzählt | Horizons by Eurowings
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Die älteste Universität in Europa

Wer sich fragt, wo auf der Welt die erste Universität gegründet wurde, denkt schnell an Europas Elite-Hochschulen. Machte die Universität Oxford den Anfang, oder Cambridge oder gar eine der deutschen Unis? Fehlanzeige. In Marokko und Ägypten existierten bereits seit dem neunten bzw. zehnten Jahrhundert Koranschulen. Im Laufe der Zeit entwickelten sie sich zu Universitäten. In Europa gab es nichts Vergleichbares. Ende des 11. Jahrhunderts begannen Gelehrte in Bologna junge Menschen in ihren Privathäusern zu unterrichten. Hörsäle und Bibliotheken gab es noch nicht. Dass die Universität im Jahr 1088 gegründet wurde, legte man erst im Nachhinein fest. Heute gilt die Hochschule als älteste Universität in Europa. Das oberste Studienziel damals: Regeln für die Rechtsprechung zu entwickeln. Nach und nach entstanden mehrere Fakultäten. Medizin, Philosophie und Arithmetik erweiterten das Bildungsspektrum in Bologna. Im 16. Jahrhundert wurden alle Fakultäten unter einem Dach vereint.

Ich beginne meine Entdeckungstour am Palazzo dell’Archiginnasio, der auf der Piazza Maggiore liegt. Er ist das erste offizielle Gebäude der Universität. Auf den ersten Blick: Wappen über Wappen im von Arkaden gesäumten Innenhof. Sie stammen von adligen Familien aus ganz Europa, die ihre Sprösslinge zum Studium an die Università di Bologna schickten. 

Das Anatomie-Theater 

Die Hauptattraktion ist das Teatro Anatomico im ersten Stock. Beeindruckt betrete ich den mit Tannenholz vertäfelten Saal. In der Mitte steht ein Tisch, auf dem die Studenten der Medizin ab dem 17. Jahrhundert Leichen öffneten. Die Priester der benachbarten Kathedrale betrachteten das Geschehen zum Teil mit größter Skepsis. Sie konnten es jederzeit durch eine Fensterluke überwachen.

Ich lasse die Geschichte und die eindrucksvolle Architektur des Raumes auf mich wirken – auch, wenn es sich nur um eine Rekonstruktion handelt. Das alte Anatomie-Theater wurde im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört. Dann werfe ich einen Blick in den Donizetti-Saal. Hier wurde 1842 das berühmte „Stabat Mater“ des italienischen Komponisten uraufgeführt. Nach einer knappen Stunde stehe ich wieder unten an der Piazza Maggiore unter den Portici, Bolognas berühmten Bogengängen.

Blick aus einem der für Bologna typischen Bogengänge auf einen belebten Platz. Quelle: Tommaso Iraci, TOMMASO IRACI

Aufholjagd mit der Welt

Jetzt schlage ich den Weg in die Via Zamboni ein. In dieser Straße haben heute etliche Fakultäten der Universität Bologna ihren Sitz. Im Palazzo Poggi gehen die Studierenden wie im Taubenschlag ein und aus. Dass die mittelalterliche Universität mit diesem Prachtgebäude eine Ergänzung bekam, ist dem Gelehrten Luigi Ferdinando Marsigli zu verdanken. Er sah sich um 1700 die europäischen Universitäten in Paris und anderen Städten an. Bald wurde ihm klar, dass Bolognas altehrwürdige Alma Mater Studiorum den Anschluss an den Rest der Welt verpasst hatte. Die italienische Hochschule wurde damals noch stark von der Kirche kontrolliert. Diese bremste die neuen Naturwissenschaften eher aus, als sie zu fördern. Auf Drängen Marsiglis wurde im Palazzo Poggi eine Akademie der Wissenschaften als Ergänzung zum alten Archiginnasio gegründet. Rund 100 Jahre später wurden beide zusammengelegt. Aus diesem Zusammenschluss entstand die staatliche Universität Bologna.

Studentenviertel mit leckerem Street-Food

Ich schaue mir die mit Fresken geschmückte Bibliothek und die Aula im Palazzo Poggi an. Dann zieht es mich ins Europäische Studentenmuseum – kurz MEUS genannt. Schriftstücke, Dokumentarfilme, Mode aus verschiedenen Epochen und eine mit Originalobjekten nachgestellte „Studentenbude“ zeigen den Alltag von Studierenden im Wandel der Zeit. Frauen wurde erst spät Zugang zum Studium an der ältesten Universität Europas gewährt. Ihrer Geschichte ist ein eigener Teil der Ausstellung gewidmet. 

Ein Piadina, gefüllt mit Rucola und anderem Gemüse, liegt auf einem Holzbrett. Quelle: Ersan Demirsoy

Nach so viel Bildungsgeschichte brauche ich eine Pause. Von einer netten Studentin im Palazzo Poggi habe ich einen Tipp bekommen. Der lauschige Platz Largo Respighi ist nur ein paar Schritte von der Universität entfernt. Mehrere Stände bieten der vorwiegend jungen akademischen Kundschaft leckeres Street Food an. Mittags ist hier viel los. Ich habe Glück und ergattere ein schattiges Plätzchen an einem der langen Tische, wo ich genüsslich meine Piadina esse. Kleine Plauderei mit den Tischnachbarinnen und ein gemeinsamer Espresso. Dann will ich weiter. 

Erlebe das älteste Studentenleben Europas in Bologna.

Den Sternen ganz nah 

Gerade noch rechtzeitig stoße ich zu dem Besuchergrüppchen am Eingang der historischen Sternwarte. Von der modernen Optik der Specola hatte Kopernikus nur träumen können. Sein Studium der Astronomie an der Universität in Bologna absolvierte er in den 1490er-Jahren. Die Specola wurde erst 1726 eröffnet. Bis in die 1950er-Jahre war sie in Betrieb. Dann verlegten die Sternegucker ihre Aktivitäten wegen der immer stärkeren Lichtverschmutzung ins Umland von Bologna. Heute kann man in der historischen Sternwarte Teleskope aus mehreren Jahrhunderten bestaunen. Nebenbei erfährt man Interessantes über die Arbeit der Astronomen. Die Führung endet auf der Turmterrasse. Dort bietet sich ein fantastischer Blick über die roten Dächer der Stadt und der Uni. 

Der historische Platz Piazza Maggiore in Bologna. Quelle: mauritius images / Alamy / Nikolaus Wilhelm-Stempin, mauritius images / Alamy / Nikol

Ich mache noch einen Gang durch die Anatomische Sammlung. Sie hat ebenfalls im Palazzo Poggi Platz gefunden. Vor allem die plastischen Modelle schwangerer Körper für die Ausbildung von Hebammen beeindrucken mich. 

Spezialitäten zum Mitbringen

Meine Reise durch die Geschichte der ältesten Universität Europas geht zu Ende. Auf dem Rückweg Richtung Piazza Maggiore mache ich einen Abstecher zu Tamburini. Dort lasse ich mir etwas Salami, Schinken und Käse einpacken. Um die Ecke befindet sich die Markthalle Mercato di Mezzo. Im Forno dei Calzolari kaufe ich ausgezeichnetes Brot. Dann steuere ich mit meinem Proviant eine urige Kneipe an. Die Osteria del Sole ist eine Institution, die bereits 1465 gegründet wurde. Hier kehren Studenten ebenso wie Dozenten ein und läuten nach der Uni ungezwungen den Feierabend ein. Die Weinauswahl ist gut. Zu essen gibt es nichts, aber Mitbringen ist erlaubt und sogar erwünscht. Später am Abend zieht es mich in die Cineteca. Ein weiterer Ort mit viel studentischem Publikum. Für Kinogänger gibt es ein interessantes Programm mit aktuellen und alten Filmen. Die meisten werden in der Originalfassung mit Untertiteln gezeigt. Fellini, Pasolini, Mastroianni und die wunderbare Anna Magnani – ach, was wäre das Kino ohne Italiener?

 
 

Susanne Kilimann

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