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MI | 11.04.2012
Waldheim (Bild: APA)
POLITIK
Die Waldheim-Affäre und ihre Folgen
Der verstorbene Alt-Bundespräsident und UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim zählte nicht nur zu Österreichs bedeutendsten, sondern auch umstrittensten Politikern. Die Waldheim-Affäre führte zur Aufarbeitung Österreichs NS-Zeit.
Veröffentlichung der Wehrmachtskarte führte zu emotionalen Debatten.
"Ich habe nur meine Pflicht erfüllt"
Waldheims Tätigkeit als deutscher Offizier im Zweiten Weltkrieg war seit 1986 Gegenstand heftiger öffentlicher Auseinandersetzungen, die unter den Begriff Waldheim-Affäre gefasst werden. Seine NS-Vergangenheit war im März 1986 durch Recherchen des Nachrichtenmagazin "profil" bekannt geworden, das auch seine Wehrmachtskarte veröffentlichte.

Waldheim, damals ÖVP-Kandidat für die Präsidentschaftswahl, stand damit im Kreuzfeuer der Kritik. In der ORF-"Pressestunde" sagte er zu seiner Kriegsvergangenheit: "Ich habe nur meine Pflicht erfüllt."

SPÖ-Bundeskanzler Fred Sinowatz konterte darauf: "Jetzt reicht es mir. Ich nehme zur
Kenntnis, dass Waldheim nicht bei der SA war, sondern nur sein Pferd."
"Jetzt erst recht": Wahl gewonnen
Trotz der Diskussionen wollte die Mehrheit der Österreicher Waldheim als Präsidenten. Er wurde gewählt, wenn auch knapp: Waldheim verfehlte beim ersten Durchgang mit 49,46 Prozent die absolute Mehrheit und musste mit dem SPÖ-Kandidaten Kurt Steyrer in die Stichwahl.

Beim zweiten Durchgang am 8.6.1986 gewann Waldheim mit 53,91 Prozent. Der Wahlkampf-Slogan hatte gelautet: "Jetzt erst recht".
Sinowatz tritt zurück - ein Wendejahr
Die Waldheim-Affäre war nur der Beginn des "Wendejahrs" 1986. Am Tag nach dem Wahlsieg trat der Bundeskanzler der rot-blauen Koalition, Sinowatz, zurück. Sein Nachfolger Franz Vranitzky kündigte im Herbst die Koalition mit der FPÖ auf, nachdem Jörg Haider die Parteiführung übernommen hatte.

Nach den Neuwahlen, bei denen erstmals die Grünen den Einzug in das Parlament schafften, kam es zur Neuauflage der großen Koalition.
1987 setzte Amerika ihn auf die Watch-List.
Nach Wahl weiter umstritten
Ende April des folgenden Jahres (1987) setzte die US-Regierung Waldheim auf die Watch-List. Im September begann eine Waldheim-Historikerkommission die Arbeit.

Eine heikle Entgleisung erlaubte sich im November 1987 der ÖVP-Generalsekretär Michael Graff, der im französischen Nachrichtenmagazin "L'Express" mit den Worten zitiert wurde: "Solange nicht bewiesen ist, dass er (Waldheim, Anm.) mit eigenen Händen sechs Juden erwürgt hat, gibt es kein Problem." Zwei Tage später trat er als Generalsekretär zurück.
Offizieller Bericht: Kein Kriegsverbrecher
Im Februar 1988 legte schließlich die Historikerkommission ihren Bericht vor: Waldheim sei kein "Kriegsverbrecher", aber "ein gut informierter, an zentraler Stelle positionierter Mann" gewesen.

Im Juni 1991 gab Waldheim dann in einer TV-Ansprache seinen Verzicht auf die Wiederkandidatur bekannt. Im Jahr darauf endete seine Ära: Thomas Klestil wurde als neuer Bundespräsident angelobt.
Waldheim räumte Fehler ein.
Auslöser für Aufarbeitung der NS-Zeit
Die Diskussion über die Waldheim-Affäre wurde überaus emotional geführt. Beobachter sind sich heute einig: Die Auseinandersetzung war der Startschuss für die längst fällige Aufarbeitung der NS-Vergangenheit.

Waldheim selbst betonte in einem Interview am 5. März im vergangenen Jahr: "Es war notwendig, ja unverzichtbar, dass wir Österreicher uns von der reinen Opferrolle verabschiedet haben. Sie war zwar Grundlage unseres inneren Friedens nach 1945, des Wiederaufbaus und unserer Nachkriegs-Identität, aber doch nur Teil der Wirklichkeit."

Der Alt-Bundespräsident räumte ein, Fehler vor 20 Jahren begangen zu haben: "Sicher würde ich manches Wort aus dem Wahljahr 1986 - vor allem das von der Pflichterfüllung - heute unmissverständlicher sagen."
Filzmaier: "Längst überfällige Diskussion ausgelöst."
Spiegel der Österreichischen Seele
Der Politologe Peter Filzmaier sagte nach dem Tod Waldheims, dieser habe "die Chance zur Differenzierung" verpasst. Er sieht in Waldheim die österreichische Seele vertreten: "Das Sich-Arrangieren und die selektive Verantwortung". Die Affäre habe eine längst überfällige Diskussion ausgelöst.

Filzmaier: "Es waren Verdrängungsmechanismen, die vor diesem Fall zum guten Ton gehört haben und danach nicht mehr salonfähig waren."
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